Beiträge von Werner Hintze

    Ich bin beeindruckt! Geschlagene 45 Minuten! Ich bewundere Deine Hartnäckigkeit und Leidensfähigkeit. Ich habe nicht mal die Hälfte durchgehalten. Wobei ich das Herumstehen nicht so schlimm fand. Das ist ja normal. Wie es ja auch normal ist (nicht nur in der Oper, aber da allenthalben), dass zwei Personen, die einen gemeinsamen Dialog haben, nicht nur weit entfernt voneinander stehen, liegen, sitzen, rumlümmeln, sondern sich auch so gut wie nie anschauen und auch sonst keinen Kontakt miteinander haben. (Selbstverständlich können die beiden Protagonisten nicht den ganzen Akt hindurch aneinander kleben, aber es gehört zu den grundlegenden Komponenten des Handwerk, die man eigentlich im ersten Praktikum lernt, wie man den Kontakt über die nötige Distanz so halten kann, dass gar nicht auffällt, dass sie so weit entfernt sind. – In dieselbe Kategorie elementaren Handwerks gehört auch, was man dann machen will, wenn man wirklich zeigen will, dass sie eine große Distanz halten. Aber solche handwerkliche Unkenntnis ist in der Branche leider normal.)


    Schlimmer fand ich aber, was an gedanklicher Arbeit (oder besser: Arbeitsverweigerung) zu sehen war. Offenbar hatte der Regisseur keinen Schimmer von dem, worum es in diesem Stück geht, weshalb er jeden Bezug dazu einfach weggelassen und stattdessen irgendwelche selten erklärbaren, nie klärenden Aktionen erfunden hat, damit das Rumstehen nicht gar so sehr auffällt.


    Aber Hand auf’s Herz: Wer hat in den letzten, sagen wir mal zwei Jahrzehnten eine intelligentere oder theatralisch interessantere Inszenierung dieses Stücks gesehen? Ich gehöre nicht zu diesen Glücklichen. Allerdings habe ich so einige theatralisch ebenso ungeschickte, gesanklich aber noch erheblich dümmere gesehen. Seltsamerweise kapitulieren eigentlich alle vor dem Anspruch des Stücks (wie auch beim »Parsifal«), obwohl des doch das strukturell einfachste und in seiner Gedankenführung klarste und präziseste unter Wagners Werken ist. Ich habe mich wieder sehr gewundert, wie viele Stellen in 20 Minuten sichtbar sind, bei denen offensichtlich nicht einmal bemerkt wurde, dass da etwas zu verstehen ist, ganz zu schweigen davon, dass etwas verstanden worden wäre.

    Mich überzeugt die Theorie des autonomen Theaterkunstwerks als ästhetisches Konzept nicht. Warum? Weil es keine Antwort gibt auf die Frage, wann eine Bearbeitung und Bearbeitungspraxis von einer sinnvollen zur sinnwidrigen und sinnlosen wird.

    Ja. Das verstehe ich nicht. Darauf kann ich nur antworten, dass mich Deine phänomenologische Herengehensweise nicht überzeugt. Warum? Weil sie keine Antwort auf die Frage gibt, ob ich die Pizza 10 oder besser 12 Minuten im Ofen lassen soll. Nun wirst Du antworten, dass das auch keine Frage ist, auf die Deine Theorie eine Antwort geben will. Und darauf kann ich dann nur sagen: »Na, eben.« Die moderne Theaterwissenschaft gibt auf Deine Frage keine Antwort, weil es für sie keine relevante Frage ist. So einfach ist das. Dass ein Werkzeug nicht zu einem Zweck geeignet ist, für den es nicht gedacht ist (etwa ein Vorschlaghammer zum Umgraben eines Blumenbeets), macht das Werkzeug nicht nutzlos und ist kein Einwand gegen dieses.


    Wenn Du also zeigen willst, dass die besagte Auffassung abgelehnt werden muss (nicht nur von Dir, das ist ja egal, sondern von allen), musst Du das zeigen. Also widerlege das, zum Beispiel indem Du zeigst, dass das Reduktionsargument, das ich mehrfach vorgetragen habe, nicht zum Ziel führen kann, sondern auf einen Irrtum hinausläuft. Wenn das gelingt, will ich gern akzeptieren, dass das ganz falsch ist und der Theaterwissenschaft insgesamt ihre Auflösung empfehlen und sämlichen Theaterwisseschaftlern, sich als gläubige Jünger zu Deinen Füßen niederzulassen und den Honig Deiner Weisheit zu schlürfen. Aber die Bedingung muss schon erfüllt sein. Sonst bleibt alles, wie es ist.


    Bedenke aber, dass zur Lösung dieser hehren Aufgabe keine noch so lange Namensliste das geringste beiträgt, weil aus ihr, egal, wie lang sie ist, nicht hervorgeht und nicht hervorgehen kann, warum man ausgerechnet den von Dir aufgezählten Leuten ihre Auffassung als die richtige abnehmen soll, bis eben das nicht begründet ist.

    Schön, dass wir nun endlich die richtigen Fragen gefunden haben. Aber eigentlich wurde doch immer gefragt, woher die Verbindlichkeiten kommen, von denen hier immer die Rede ist. Da erhebt sich doch die Frage, was die Beantwortung dieser Fragen (die ja erst einmal kommen müsste) zur Beantwortung jener anderen beitragen könnte? Ich fürchte, so gut wie gar nichts. Da werden wir uns wohl mit dem Autoritätsbeweis abfinden müssen, der allerdings inakzeptabel ist. Schade eigentlich...

    Wenn Du Dich mit einem Juristen unterhältst und seine juristische Begründung nicht verstehst, dann musst Du auch damit leben, dass er Dir sagt, dass Dir dafür die Fachkompetenz fehlt, den komplizierten juristischen Sachverhalt zu verstehen, den Du nicht einsehen kannst.

    Das ist durchaus richtig. Es wäre natürlich möglich, dass dieser Jurist eine Erklärung hinzufügt, die seinem Gesprächspartner die Möglichkeit gibt, wenigstens teilweise zu verstehen, was gemeint ist. Das setzt aber voraus, dass er einerseits kompetent genug ist, andererseits, dass er für seinen Gesprächspartner ausreichend Respekt hat. Wenn eins von beiden oder beides nicht gegeben ist, gibt es nicht mehr viele Möglichkeiten. Aber das ist nicht mein Punkt. Der ist vielmehr der Vorschlag, die Sache mal auf Dich anzuwenden. Also:


    »Wenn Du Dich mit einem Theaterwissenschaftler unterhältst und seine theaterwissenschaftliche Begründung nicht verstehst, dann musst Du auch damit leben, dass er Dir sagt, dass Dir dafür die Fachkompetenz fehlt, den komplizierten theaterwissenschaftlichen Sachverhalt zu verstehen, den Du nicht einsehen kannst.«


    Wie wäre es damit?

    Das sehe ich anders. Der Pianist - oder allgemein: Musiker - ist schon deswegen Künstler, weil er sein Instrument (oder die Stimme) in besonderem Maße beherrscht. Das unterscheidet ihn von anderen.

    Das heißt, die handwerklichen Verrichtungen machen ihn zum Künstler. Dann ist der Uhrmacher auch einer, der seinen Beruf perfekt beherrscht. Und der Klampner auch. Ich glaube, das kommt nicht hin. Da ist vielleicht doch noch etwas mehr nötig, als dass jemand sicher alle T öne trifft. Sonst wäre eine Maschine, die Klavierspielen kann, auch ein Künstler.

    Mich würde ja interessieren, wie das aussieht, wenn der Werkcharakter vom Werk her eindeutig festgelegt ist. Und wie diese Festlegung eigentlich geschieht. Und wer der Akteur dieser eindeutigen Festlegung des eindeutigen Werkcharakters vom Werk her ist. Ich gestehe, dass mir scheint, dass das leeres Wortgeklingel ist, geradezu ein Vakuum (wobei es ein Wunder wäre, dass man das Klingeln überhaut hört). Aber vielleicht irre ich auch, und es ist möglich, diesen seltsamen Sätzen einen Sinn abzugewinnen. Ob wir erfahren werden, wie das geht?


    Dr. Holger Kaletha: Das Problem ist: Nicht die anderen machen Dich lächerlich, das besorgst Du selbst, z. B. indem Du die Positionen schneller wechselst als andere die Hemden. Und das auch noch auf so kuriose Weise. Wenn es werkgerecht oder werktreu (der Unterschied ist ja wohl reiner Wort-Hokuspokus) ist, ein Werk zu verändern, z. B. neu zu instrumentieren, ganze Teile wegzulassen usw. usf., dann hat dieser Begriff, der Dir so am Herzen liegt, einfach gar keinen Sinn mehr. Du erklärst ja nun plötzlich (mal wieder, das kam ja auch früher schon mal vor), was Du bisher eifrig bestritten hast, nämlich dass der Künstler in seinen Entscheoidungen frei ist und eben z. B. eine Sinfonie uminstrumentieren, Vsrzierungen spielen kann oder nicht, ganze Teile eines Werkes weglassen, auch etwas hinzufügen kann usw.

    Das ist für Deine Autoritätsbeweise das reine Gift. Man stelle sich vor, jemand lässt sich darauf ein, Deine Argumentation für die richtige zu halten, wiel Du sagst, dass nun mal richtig ist, was Du sagst, nur um am nächsten Morgen aufzuwachen und festzustellen, dass nun das Gegenteil richtig ist und er plötzlich zu den Dummköpfen und Ahnungslosen gehört. Darauf lässt sich doch keiner ein.

    Das hört sich gut an. Allerdings erhebt sich nun wieder die Frage, welche Prozesse kreativ sind. Anhänger des wolkigen Begriffs »Werktreue« würden zum Beispiel der Tätigkeit eines Pianisten oder Schauspielers nicht dieses Attribut zugestehen. (Obwohl es schwierig sein dürfte, die Existenz eines musikalischen Werkes anzunehmen, das nicht gespielt oder wenigstenms gelesen wird.)

    Das heißt, wenn das Werk den Interpreten überfordert, ist es werkgerecht, wegzulassen, was zu schwer ist? Großartig. Dann hat der werkgerechte »Tristan« nur zwei Akte, wenn der Tenor vom dritten Akt überfordert ist. Das ist gar kein Problem. Schlimm und moralisch verwerflich ist es aber, wenn Marke in einen Smoking oder einen Taucheranzug gewandet ist. Alles klar. Zu Befehl! Ich werde es mir merken.

    Ja, kann man. Nur hat man nichts davon, weil dort keine verwendbare Definition zu finden ist. Es ist auch im Moment egal. Hier geht es um »Werktreue« und »Werkgerechtiugkeit«. Für beide Begriffe gibt es schlicht und einfach keine auch nur annähernd sinnvolle Definition, wie man an den Diskussionen zu diesen Pseudothemen leicht sehen kann.

    Es geht vielleicht weniger um Grenzfälle, als um eine Defintion, die eine ist. Ich kenne bisher keine auch nur annäherdn befriediende Definition des Begriffs »Werktreue«, nicht einmal eine Erklärung, welchen Sinn die Verbindung eines moralischen und eines ästhetischen Begriffs haben soll, was ja die erste Voraussetzung wäre. Bei »Regietheater« sieht es noch trauriger aus, weil man sich bei »Werktreue« immerhin noch eine nebelhafte Vorstellung davon machen kann, was wohl gemeint ist, was bei »Regietheater« ganz unmöglich ist. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn der Begriff ist ja mit der Absicht der Unklarheit gebildet, weil es nur so möglich ist, dass jeder ohne nähere Begründung in diesen Topf werfen kann, was ihm gerade zufällig missfällt.

    Das ist eben die spannende Frage, um welches Werk es eigentlich geht.

    Das ist das Grundproblem an allen diesen Diskussionen: Man weiß nicht, wovon eigentlich die Rede ist, weil die Begriffe, die benutzt werden, nicht definiert sind. Darum sind dann z. B. die groteske Behautptung möglich die Neuinstrumentierung einer Sinfonie erfülle die Kriterien der Werktreue.

    Gute Fragen! Die erste kann ich mit "ja" beantworten und, im Sinne der Werktreue und Werkgerechtigkeit mit einem Foto belegen:

    Aha. Das ist dann geklärt. Ich nehme an, es ist ein Fehler der gedruckten Partitur. (Strauss war für so einen Fehler zu gebildet. Allerdings scheint ihm das beim Korrekturlesen durch die Lappen gegangen zu sein.) In diesem Punkt ähneln Partituren Computerprogrammen: Es gibt so gut wie keine ohne gravierende Fehler...

    In den Geisteswissenschaften wird der von Dir an zentraler Stelle verwendete Begriff WERKGERECHTIGKEIT meines Erachtens nicht so verwendet wie von Dir, nur darum ging es. Es gibt dafür offenbar keinen Beleg, ich hatte um ein Zitat gebeten.

    Der Begriff der »Werkgerechtigkeit«, wie er in den Diskussionen um das sog. »Regietheater« zuerst aufgetaucht hat, hat m. E. nichts mit dem gleichlaiutenden Begriff in den Geisteswissenschaften, etwa der Theologie zu tun. Seine Einführung war einfach ein Versuch der Apologeten der sog. „Werktreue«, einen weniger verschlissenen und etwas sanfter klingenden Ersatzbegriff zu finden. Damit wird an der Sache selbst aber nichts geändert. Beide Begriffe sind gleich wolkig (und also für eine rationale Diskussion gleich unbrauchbar), weil weder klar definiert ist, welches das Werk ist, dem man treu sein oder Gerechtigkeit widerfahren lassen soll, noch, wie das eigentlich möglich sein soll. Noch viel weniger ist geklärt, was aus dieser Messaliance eines ästhetischen und eines juristischen oder moralischen Begriffs eigentlch hervorgehen soll. Man kann das Hauptproblem dieser Begrifflichkeit leicht in den enztsprtechenden Diskussionen an der kionsequenten Weigerung der Apologeten der sog. »Werktreue« (oder welche Benennung immer aus dem üblichen Worthokuspokus hervorgehen mag), ihre Position zu begründen. Das tun sie nicht, weil diese Position nicht zu begründen ist. Stattdessen werden dann ausgiebig Nebelkerzen gezündet. Etwa, dass der und der immer ganz werktreu gearbeitet hat (was nicht nachweisbar ist, bis geklärt ist, was das Wort eigentlich bedeutet); oder dass der und der auch sagt, dass Werktreue sehr wichtig ist (was nichts bringt, weil man leicht andere anführen kann, die etwas anderes sagen); oder dass das nun mal eine Sachen von ethischen Grundaussagen ist, die eben einfach mal so zutreffen und keiner Begründung bedürfen (wobei einfach verschwiegen wird, dass es sehr umstritten ist, ob es solche Aussagen geben kann und ob sie wirksam sind, wie auch nicht begründet wird., warum sie aif den konkreten Fall anwendbar wären, wenn es sie denn gäbe).


    Und wenn gar nichts mehr hilft, wird eben die Neuinstrumentierung einer Sinfonie zum Ausdruck von Werktreue erklärt. :hahahaha::hahahaha::hahahaha:

    Gang abgesehen davon, was Mahler und andere getan haben: Mit Autoritätsbeweisen kommt man nicht weit, ganz egal, ob die herangezogene Autorität nun Claudio Arrau oder Lieschen Müller oder Dr. Holger Kaletha heißt. Wie immer dieser oder jener Künstler sich in diesen Fragen entschieden haben mag, wenn diese Entscheidung auch für alle anderen verbindlich sein soll, muss das begründet werden. Denn sonst ist eben unklar, warum z. B. ausgerechnet Karl Böhm (oder sonstwer) als verbindlicher Maßstab gelten soll und nicht etwa Teodor Currentzis oder gar Gustav Kuhn.

    seit wann ist Lynch Interpret klassischer Musik?

    Wann hat das jemand behauptet? Hier wimmelt es ja nur so von Strohmännern...


    Ich habe ja gerade vor ein paar Tagen eine sehr werktreue, miese Inszenierung von Faust I gesehen. Wenn da der Autor zu mir gesprochen hätte ... :P

    Vor längerer Zeit gab es mal etwas, was viele als eine eine sehr werktreue (zum Beispiel ganz strichlose) Aufführung beider Teile des »Faust« nennen würden und damals auch genannt haben, wenn sie vor lauter Gähnen noch dazu kamen. Das Spektakel dauerte eine Woche – eine Woche des nackten Grauens, die man seinerzeit auch im Fernsehen erleben konnte.


    Ich habe eine geniale Inszenierung mit Minetti erlebt.

    Die war wirklich sensationell. Allerdings alles andere als »werktreu«. Und gerade darum grandios.

    Ich fürchte, Du machst Dir zu große Hoffnungen. Sehr wahrscheinlich wird er, wenn Du ihn am Telefon hast, auf Deine Frage antworten, dass er die Geschichte anders erzählt hätte, wenn er sie hätte anders erzählen können. Und dass es nun darauf ankommt., was Du mit dieser Erzählung anfängst. Kunst, wird er vermutlich sagen, ist keine Rateshow, bei der der Zuschauer herauskriegen muss, was sich der Künstler gedacht hat. Und das trifft natürlich auch auf den Künstler zu, der ein Gedicht vorträgt oder ein Musikstück spielt usw. Auf den sogar gleich doppelt. Weder isr er Teilnehmereine Quizshow, noch sind es seine Zuhörer.

    Die Vorstellung, dass da ein längst verblichener Autor durch mich mit "seinem" Publikum spricht, gehört für mich eher in die Sphäre eines Horror-Films.

    Es hört sich wirklich ein bisschen nach einer spiritistischen Sitzung an. Aber das mag noch hingehen. Deutlich grusliger finde ich, die Vorstellung, dass es keinen Dialog gibt, sondern nur einen Monolog bzw. bestenfalls eine Predigt. Da hat es selbst der streng religiöse Mensch noch besser, der mit seinem Gott sprechen, Forderungen an ihn stellen und ihm sogar Vorwürfe machen kann. Ich fange an zu verstehen, warum die Freiheit des Künstlers so ein rotes Tuch ist...

    Es wäre einfacher und effektiver, wenn man zur Füllung dieser Kassen dazu übergehen würde, dass alle gleichermaßen dazu beizutragen haben. Also nicht nur jene, die wenig bis mittelmäßig verdienen, sondern auch die, die viel und ungeheuer viel verdienen. Aber das geht natürlich nicht. Und natürlich schon gar nicht, wenn es um die Förderung der uncoolen »Hochkultur« geht.

    Es mag Gegenden geben, wo es besser ist. Ich bin aus gutem Grund nicht so optimistisch. In dem Bereich, den ich überblicken kann, sind in den letzten 20 Jahren alle festen Stellen weggefallen und mit Honorarkräften besetzt worden, wenn die fest angestellten Lehrer in Rente gingen oder ihre Stelle aus anderen Gründen aufgaben. Ich glaube nicht, dass z. B. Berlin einen Batzen Geld ausgibt, um ausgerechnet die Musikschulen zu stärken. Das geschah bisher ja auch nicht. Im Gegenteil. In Preußen hat man eben traditionell nicht so viel für die »Hochkultur«, wie die das nennen, übrig. Man kann es sehr schön an der kühl geplanten Zerstörung der Komischen Oper sehen. (Übrigens überrascht mich der Plan nicht, sondern eher, dass er erst so spät kommt.)

    Die Sache ist nur leider die, dass das zwar vollkommen richtig ist, das Urteil aber nicht die Wirkung haben wird, die man sich davon erhoffen kann. Es wird nicht dazu führen, dass die Lehrkräfte an den Musikschulen in anständige, ihren Leistungen und der Bedeutung ihrer Arbeit entsprechende Arbeitsverhältnisse überführt werden. Denn das würde mehr Geld kosten. Das Interesse der jeweiligen Institutionen (die auch solche Untersuchungen in Auftrag geben) ist aber nicht, das Leben der Beschäftigten besser zu machen, sondern weniger Geld auszugeben. Da die Musikschulen, wenn sie aus diesem Urteil die durchaus wünschenswerte Schlussfolgerung ziehen würden, aber teurer werden, wird das nicht möglich sein und ist auch nicht beabsichtigt. Das bedeutet, dass es nur zwei mögliche Konsequenzen gibt: Entweder finden sich Schlupflöcher, die es ermöglichen, dass alles so weitergeht wie bisher, oder das Angebot an derartigem Musikunterricht wird drastisch reduziert. Da es schwer vorstellbar ist, dass die erste Möglichkeit angestrebt ist, wird der Wunsch wohl die zweite sein...


    Und vielleicht ist es ja auch richtig so: Denn in der Tat kann man »das Überleben der Musikschulen [nur] dadurch gewährleisten, dass man die Musiklehrer gesetzeswidrig in Scheinselbständigkeit hält und mit Minimallöhnen ohne soziale Absicherung ausbeutet.« Das ist auch ganz logisch, denn im Neoliberalismus ist nichts zulässig, das keinen Profit erbringt. Und Musikschulen kosten nun mal Geld und bringen keins ein. (Das gilt für allgemeinbildende Schulen übrigens auch, was man ihren Gebäuden, den Klassengrößen und der Zahl der wegen Lehrermangel ausfallenden Stunden allüberall deutlich genug ansieht.)

    Dass das Publikum eine Rolle spielt, will ich nicht bezweifeln.:)

    Na, so geht es aber wirklich nicht. Du kannst doch nicht einfach einen der beliebtesten Strohmänner der Verteidiger alles Guten, Schönen und Wahren abfackeln. Sie wissen nämlich ganz genau und sagen es, wenn Du willst, hundertmal hintereinander, dass die bösen, bösen Künstler, die sich nicht richtig benehmen können (nämlich viel zu selbstbewusst sind, während ihnen das servile Benehmen eines Kellners in einem Luxusrestaurant zusteht), grundsätzlich nicht an das Publikum denken, das ihnen selbstverständlich ganz genau bis in die feinsten Verästelungen des Kontrapunkts und der Instrumentation Auskunft geben könnte, wie man das richtig macht, würde es nur gefragt. Schließlich hat das Publikum diese Regeln geschaffen und erlassen. Wusstest Du das wirklich nicht?

    Nicht der, der ein Verbindliches unverbindlich nimmt, hat die Begründungspflicht, sondern der, der ein Verbindliches verbindlich nimmt.

    Das ist wieder so ein Kalethascher Taschenspielertrick. Richtig sieht die Sache so aus: Wer behauptet, dass irgendetwas verbindlich ist oder irgendwer verpflichtet sei, etwas zu tun oder zu lassen, muss as begründen. So einfach ist das. Wenn Du behauptest, es gäbe eine Verpflichtung, die Ideen Kants wichtiger zu nehmen als die irgendeines anderen Denkers, musst. Du das begründen. (Deine Begründung: Man müsse sich an Kant halten, weil er für Dich (!) ein großer Denker ist, ist übrigens sehr komisch. Ich habe herzlich gelacht. Aber überzeugt bin ich natürlich nicht.


    Also zeige, wie es zu den Pflichten kommt, von denen Du hier ständig schwadronierst. Bisher fehlt die Begründung vollkommen, Deine Aussagen sind also so gut wie nicht gemacht.


    Das Beispiel mit der Klaviersonate verfängt übrigens nicht. Du behauptest, es gäbe eine Pflicht, jede Note zu spielen, die dasteht und wie sie dasteht – was eine sehr windige Bestimmung ist, denn wie steht sie den da? Ist der Bezug der geschriebenen Note zur erklingenden wirklich so eindeutig, wie Du hier suggerierst? Jeder Musiker – und eigentlich jeder, der ein wenig von Musik versteht und schon einmal ein Stück in zwei verschiedenen Darbietungen gehört hat – wird Dir da widersprechen. Aber das nur nebenbei. Wichtiger ist: Du gibst vor, die Pflicht zu begründen, diese Sonate so zu spielen »wie sie dasteht«, sagst aber nur, dass es die Pflicht gibt, sie so zu spielen, wie sie dasteht. Das ist keine Begründung sondern genau der Satz, den Du begründen zu wollen vorgabst, der auch auf jeden Fall einer Begründung bedarf. Was soll denn das? Hast Du geglaubt, das würde keiner merken? Es mag für Dich bedauerlich sein, aber so blöd sind wir nicht.


    Ich nicht. Ich finde das bezüglich des Freiheitsproblems nicht so erhebend von heute aus gesehen.

    Du bist wirklich erstaunlich dreist, das muss man sagen. Hut ab! Da unterstellst Du, das jemand sich zu Unrecht auf Wagner beruft, weil da etwas ganz anderes steht. Und wenn Du gefragt wirst, wie es denn wirklich da steht, schickst Du statt der Antwort einen verdrehten und nahezu unverständlichen Satz, aus dem aber immerhin hervorgeht, dass Du Deine Behauptung und die damit verbundene Unterstellung, wir könnten nicht richtig lesen, nichts war als eine ebenso leere wie freche Unterstellung. Was versprichst Du Dir denn davon? Du müsstest doch langsam mal begreifen, dass Du mit solchem Unfug nicht durchkommst, sondern Dich nur mehr und mehr blamierst.


    Warum bleibst Du nicht bei Themen, von denen Du etwas verstehst? Theaterwissenschaft gehört definitiv nicht dazu, die »Meistersinger« auch nicht. Aber der Kabelklang!... Bei diesem überaus wichtigen Thema bist Du zweifellos Spezialist, und niemand will Dir diese Ehre streitig machen. Das ist doch was wert...

    Die entscheidende Frage ist hier aber, on ein Künstler zur Erklärung seines Kunstwerks verpflichtet ist. Das ist er selbstverständlich nicht. Er hat ja schon gesagt, was er zu sagen hat: Mit seinem Kunstwerk. Und er hat es in Form eines Kunstwerks gesagt, weil es für ihn nur in dieser Form sagbar war. Im übrigen gibt es nicht wenige große Kunstwerke, die ohne einen eingehenden Kommentar so gut wie unverständlich sind. Wer würde behaupten, dass der Hölderlins »Friedensfeier« ohne Hilfe versteht? Wer das sagen kann, ist jedenfalls ein Spezialist. Alle anderen verstehen ohne Hilfestellung durch Spezialisten nur Bahnhof. Ist diese Dichtung darum etwa keins große Kunst? Und wie steht es mit dem Faust II?