Probieren wir es doch mal mit einer Antwort auf die Frage im Titel:
Das Regietheater ist eine polemische Erfindung. Es handelt sich um eine Kiste, in die alles geworfen wird, was dem Geschmack einer gewissen Gruppe von Zuschauern nicht gefällt. Diese Gruppe ist durchaus heterogen, und der Geschmack, der jeweils oberstes Kriterium ist, ist keineswegs immer derselbe. Was diese Gruppe aber zu verbinden scheint (und sie als Gruppe konstituiert), ist einerseits die allgemeine Abneigung gegen die Tatsache, dass die Dinge wich entwickeln. Das drückt sich in dem Wunsch aus, dass es im Theater keine Entwicklung geben soll. Es soll auf einen vergangenem Stand eingefroren werden, jede Neuerung, jede Entwicklung, die den Entwicklungen der Welt entspricht, soll unterbleiben. (Technische Entwicklungen wie neue Beleuchtungs- und Ton-, im weitesten Sinne bühnentechnische Einrichtungen sind hiervon ausgenommen, weil davon kaum jemand etwas weiß oder merkt, die Verwendung von Videos natürlich ausgenommen, die einfach Anathema sind, wenn sie bemerkt werden – was auch nicht immer der Fall ist.) Andererseits verbindet die Mitglieder dieser Gruppe eine Abneigung gegen die Freiheit, die sich Künstler nehmen können. Der Verdacht, dass es sich hier um eine Abneigung handelt, die keineswegs auf die Freiheit im Bereich der Kunst beschränkt ist, liegt nahe, es gibt auch immer mal wieder deutliche Anzeichen dafür (zum Beispiel das Zustimmung ausdrückende Zitat einer entsprechenden Äußerung der Nazisse von Bayreuth) wäre aber doch erst einmal näher zu untersuchen, bevor man das ernstlich behaupten kann.
Die Kiste, in die alles geworfen wird, was nach diesem Kriterium nicht gut ist, trägt die Aufschrift »Regietheater«. Da finden sich dann so grundverschiedene Ansätze wie die von Mahler, der Kroll-Oper, Meyerhold, Felsenstein, Wieland Wagner, Chereau, Berghaus, Loy, Bieito usw.
Um es kurz zu machen: Da das Regietheater eine polemische Erfindung derer ist, die zur Kanalisierung ihres Unmuts dieser Kiste bedürfen, wird es so lange dauern, wie dieses Bedürfnis besteht. Mit dem, was im Theater stattfindet, hat das nichts zu tun. Das entwickelt sich von diesem Aufruhr ungestört weiter, mal mehr, mal weniger erfolgreich, mal auf breitem Weg munter vorangehend, mal auf Seitenpfaden im Gestrüpp verheddert, wie das eben mit allen anderen Entwicklungen in der Kunst und in allen anderen Bereichen des Lebens auch ist. Da muss man sich keine Sorgen machen. Man sollte sich aber auch keine allzu großen Hoffnungen machen, dass die Zukunft die Erfüllung der persönlichen Wünsche bringt. Was diese bringt, ist in aller Regel nicht von unseren Wünschen abhängig.