Beiträge von Werner Hintze

    Mal eine Zwischenfrage: Welchen dramentheoretischen Text von Brecht sollte man denn lesen, wenn man sich über seine Konzeption des 'episches Theaters' nicht nur aus zweiter Hand (wie bei mir bislang der Fall) informieren will?

    Keinen dramentheoretischen, aber theatertheoretische. Das Kleine Organon für das Theater ist sehr ergiebig und gut zu lesen. Der Messingkauf natürlich ich, wenn man den etwas steifen Tonfall ignorieren kann. Und wenn es speziell um die Oper geht, sind die Anmerkungen zu Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonnyunbedingt lohnend. Allerdings muss man sehr genau hinsehen. (Die arg schematische Gegenüberstellung von dramatischem und epischem Theater muss man ja nicht so schwer nehmen. Aber was über die Trennung der Elemente gesagt wird, ist zum Beispiel grandios.) Vor allerf man sich nicht in die Irre führen lassen. Brecht legt seine Theorie des Epischen Theaters dar, erläutert aber gleichzeitig sehr viele Dinge, die ganz grundsätzlich für das Theater gelten. Darum sind diese Texte sehr ergiebig. Darum lohnt es sich, sie immer wieder zu lesen.

    Nun, ja. Immerhin bezeichne ich nicht andauernd irgendwen als dumm, weise niemanden auf angebliche Bildungslücken hin, erkläre keinem fortwährend, dass er nicht weiß, was er denkt, vergleiche keinen mit einem Mörder usw. Aber vermutlich müsste ich das tun, wenn ich in diesem Forum als ein Mensch von tadellosem Benehmen und einwandfreien Argumentationsmethoden gelten wollte. (Woran mir allerdings nicht viel liegt.)


    Ach, ja! Den Pöbel habe ich noch vergessen. Der darf natürlich nicht fehlen! Was respektvolle Anreden betrifft, kann man von Herrn Doktor wirklich viel lernen.

    Hierzu, weil es mir gerade "über den Weg gelaufen ist", Schillers Prolog zur Wiedereröffnung der Schaubühne in Weimar 1798 gesprochen von Eberhard Esche gesehen auf

    In dieser Reihe gibt es einige bemerkenswerte (und auch so manche nicht bemerkenswerte) Sachen zu sehen. Im Teil 4 gibt es zwei sehr aufsehenerregende Inszenierungen der späten DDR: »Drei Schwestern« (leider nicht der Mitschnitt, sondern der nach der Inszenierung gedrehte Fernsehfilm, trotzdem sehenswert) und »Der Menschenhasser« (in schlechter Bild- und streckenweise auch schlechter Tonqualität), eine Inszenierung, die ich damals mindestens zehnmal gesehen habe und die seltsamerweise gar nicht gealtert ist. Was sicherlich auch an der überragenden Schauspielerriege liegt, die hier arbeitet. Ich wüsste nur wenige Theaterereignisse zu nennen, die mein Theater- und Weltbild so stark geprägt haben wie diese.

    Ich brauche keine anmaßenden Naseweise, die mir erklären, was in meinem Kopf vorgeht.Über die Quellen meines Denkens und seine Art bin ich recht gut informiert.

    Im übrigen habe ich schon darauf hingewiesen, dass des Herrn Doktor skurriler Einfall, meinem Theaterbegriff läge die Idee von einem Theaterkunstwerk, das sich selbst aufführt, zugrunde, unzutreffend ist. Selbst man angenommen, solche Selbstbezüglichkeit wäre wirklich ein Zeichen des Konstruktivismus (was Unsinn ist), wäre es nicht zutreffend, weil diese Selbstbezüglichkeit nur in der Phantasie de Herrn Doktor existiert. Er weiß eben nicht besser, was ich denke, sondern nur, was er sich ausgedacht hat. Mit mir hat das nichts zu tun.

    Man kann ein solches konstruktivistisches Konzept von "Theater", wie es von Werner Hintze und anderen hier propagiert wird

    Darf ich darauf hinweisen, dass Werner Hintze weder hier noch sonst irgendwo ein »konstruktivistisches Konzept von ›Theater‹« vertritt? Mich dünkt freilich, dass ich das schon mehrfach erwähnte. Täusche ich mich?


    Ach, nein: Der Herr Doktor hat ja festgestellt (und seinen Feststellungen kann ja keiner widersprechen, weil sie immer absolut wahr sind), dass Werner Hintze selbst nicht weiß, was er denkt, sondern ihn, den Herrn Doktor, danach fragen muss. Schade, dass er dazu anscheinend gar keine Lust hat! Er wird also wohl dumm sterben müssen.

    Wenn etwas vierzig Jahre lang gemacht wird, hat es sich doich irgendwie überholt, oder? Wo bleiben die neuen Tendenzen? Gibt es da Entwicklungen und wenn ja, wohin gehen die?

    Der Eindruck täuscht. Zum einen ist das Problem deutlich älter als 40 Jahre. Davon zeugen die Reaktionen auf Inszenierungen Mahlers oder der Kroll-Oper ebenso wie die wütende Ablehnung Brechts oder von Inszenierungen seit den 50er Jahren (als die guten Zeiten wieder vorbei waren). Wieland Wagner konnte einiges über heftige Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen berichten. Chereau ebenso, Ruth Berghaus auch, mir wurde in den Heiligen Hallen des Münchner Nationaltheaters von einem bestens gekleideten Smoking-Herrn ins Gesicht gespuckt... Das ist alles nicht neu, auch nicht das ausgeprägt schlechte Benehmen dieser Leute. Andererseits besteht zwischen einer Inszenierung von Wieland Wagner und einer von Chereau und zwischen einer von Chereau und einer von Bieito ein ganz erheblicher Unterschied. Wenn das keine Entwicklungen sind (wie immer man sie bewerten mag), weiß ich nicht, was das Wort bedeutet.

    Mein Vorurteil ist: In den letzten ca. 40-50 Jahren habe es vorwiegend im deutschsprachigen Raum die Tendenz gegeben, dass die Diskrepanz zwischen dem Bühnengeschehen resp. Bühnenbild, Kostümen usw. und dem Setting sowie dem Geschehen der jeweils verwendeten Stücke deutlich größer geworden ist. Ich wüsste gerne, ob du das bestätigen würdest.

    Nein. Der Gedanke, dass eine Ausstattung historisch korrekt sein und der Zeit des Geschehens entsprechen muss, kommt erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auf. In den Jahrhunderten davon trug man immer zeitgenössische Kostüme, ganz wie die Jünger Jesu auf den damaligen Gemälden. Schon im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war die Tendenz zur historischen Genauigkeit deutlich abgeschwächt. Sie hat sich also nicht so besonders lange gehalten.


    Was die Frage betrifft, ob sich Carmen am Ende selbst umbringen sollte oder nicht, ist sie nicht allgemein zu beantworten oder zu kategorisieren. Es kommt ganz darauf an, wie das gemacht ist. Ist es gut gemacht, wird es überzeugen, wenn nicht, nicht. (Natürlich wird niemals jeder überzeugt sein, die Meinungen werden immer auseinander gehen, aber das ist ja klar. Aber dass irgendjemand nicht überzeugt ist, bedeutet nicht, dass das Geschehen nicht überzeugend war, sondern nur, dass es für ihn nicht überzeugend war.)


    In jedem Falle aber ist die Idee, dass die Bühnenaktion deckungsgleich auf dem Text liegen muss, nicht sinnvoll. Es gibt auch im Leben außerhalb des Theaters (das im Theater nachgeahmt wird) diesen Fall nur äußerst selten. Fast immer gibt es da eine (aussagekräftige) Diskrepanz. Darum wirkt dieses »1:1«, wie es oft – m. E. nicht besonders glücklich – genannt wird, außer in Ausnahmefällen so langweilig: Es passt einfach nicht zur Lebenserfahrung und wirkt unrichtig.

    Probieren wir es doch mal mit einer Antwort auf die Frage im Titel:


    Das Regietheater ist eine polemische Erfindung. Es handelt sich um eine Kiste, in die alles geworfen wird, was dem Geschmack einer gewissen Gruppe von Zuschauern nicht gefällt. Diese Gruppe ist durchaus heterogen, und der Geschmack, der jeweils oberstes Kriterium ist, ist keineswegs immer derselbe. Was diese Gruppe aber zu verbinden scheint (und sie als Gruppe konstituiert), ist einerseits die allgemeine Abneigung gegen die Tatsache, dass die Dinge wich entwickeln. Das drückt sich in dem Wunsch aus, dass es im Theater keine Entwicklung geben soll. Es soll auf einen vergangenem Stand eingefroren werden, jede Neuerung, jede Entwicklung, die den Entwicklungen der Welt entspricht, soll unterbleiben. (Technische Entwicklungen wie neue Beleuchtungs- und Ton-, im weitesten Sinne bühnentechnische Einrichtungen sind hiervon ausgenommen, weil davon kaum jemand etwas weiß oder merkt, die Verwendung von Videos natürlich ausgenommen, die einfach Anathema sind, wenn sie bemerkt werden – was auch nicht immer der Fall ist.) Andererseits verbindet die Mitglieder dieser Gruppe eine Abneigung gegen die Freiheit, die sich Künstler nehmen können. Der Verdacht, dass es sich hier um eine Abneigung handelt, die keineswegs auf die Freiheit im Bereich der Kunst beschränkt ist, liegt nahe, es gibt auch immer mal wieder deutliche Anzeichen dafür (zum Beispiel das Zustimmung ausdrückende Zitat einer entsprechenden Äußerung der Nazisse von Bayreuth) wäre aber doch erst einmal näher zu untersuchen, bevor man das ernstlich behaupten kann.


    Die Kiste, in die alles geworfen wird, was nach diesem Kriterium nicht gut ist, trägt die Aufschrift »Regietheater«. Da finden sich dann so grundverschiedene Ansätze wie die von Mahler, der Kroll-Oper, Meyerhold, Felsenstein, Wieland Wagner, Chereau, Berghaus, Loy, Bieito usw.


    Um es kurz zu machen: Da das Regietheater eine polemische Erfindung derer ist, die zur Kanalisierung ihres Unmuts dieser Kiste bedürfen, wird es so lange dauern, wie dieses Bedürfnis besteht. Mit dem, was im Theater stattfindet, hat das nichts zu tun. Das entwickelt sich von diesem Aufruhr ungestört weiter, mal mehr, mal weniger erfolgreich, mal auf breitem Weg munter vorangehend, mal auf Seitenpfaden im Gestrüpp verheddert, wie das eben mit allen anderen Entwicklungen in der Kunst und in allen anderen Bereichen des Lebens auch ist. Da muss man sich keine Sorgen machen. Man sollte sich aber auch keine allzu großen Hoffnungen machen, dass die Zukunft die Erfüllung der persönlichen Wünsche bringt. Was diese bringt, ist in aller Regel nicht von unseren Wünschen abhängig.

    Christian Köhn hat damit begonnen, Hintze hat eingehakt und dann haben sie in konzertierter Aktion weitergemacht

    Christian Köhn hat sich also an einer »konzertierten Aktion« (Deine Vorliebe für bombastische Hohlwörter ist wirklich köstlich!) beteiligt, an der er sich nicht beteiligt hat. Aha. Alles klar. Muss man eigentlich Existenzphilosoph sein, um solche Kunststücke zustande zu bringen?


    Übrigens geht es eigentlich gar nicht um Deine Person, sondern um Deine Auffassungen. Du warst es, der Deine Person mit ins Feld geführt hat (»ich bin ein anerkannter Fachmann...«, »wer mir widerspricht, ist respektlos...« usw. usf.). Das ehrfürchtige Erschauern, dass Du damit auslösen wolltest, ist ausgeblieben. Das hättest Du Dir allerdings auch vorher denken können. Nun musst Du mit dieser – für Dich anscheinend seht schmerzlichen – Erfahrung leben.

    Aber eben nicht von ChKöhn, wie Du behauptet hast.

    Das macht nichts. Für den Existenzphilosophen sind Lügen ein ebenso legitimes Mittel in der Deabatte wie Argumente ad personam bis hin zu schweren Beleidigungen. Und zwar liegt das daran, dass es respektlos ist, den Aussagen eines Existenzohilosophen zu widersprechen, statt sie mit gläubigen Erstaunen und Erzittern als ewige Wahrheit hinzunehmen.

    Rihms Vergleich ist sehr klug und trägt sehr weit. Tatsächlich ist er so gut, dass er erst sehr spät, wenn man ihn wirklich gewaltsam überdehnt, in den bekannten Hinkegang aller Vergleiche verfällt. Darin drückt sich eben auch die Erkenntnis aus, dass die Werke »flügge« werden, und die Autoren sie bald ebenso wenig oder zumindest eben so schwer verstehen wie die Eltern ihre Kinder, wenn die erst mal eine Weile aus dem Haus sind. Was natürlich damit zu tun hat, dass sich so ein Werk weiterentwickelt und nicht etwa nach der Fertigstellung wie in Bei gegossen immer das bleibt, was es war. (Nicht einmal die Pyramiden bleiben, warum dann ausgerechnet Opern?)

    Was die Gegenwart betrifft, kann ich wenig sagen. Ich bin ja schon so gut wie raus aus dem Theaterleben und außerdem ziemlich altmodisch. Und Grundsätzliches über das Verhältnis der Elemente ist schwer mitzuteilen, weil das extrem komplexe Fragen sind. Im Unterschied zum Herrn Doktor bin ich übrigens nicht der Meinung, dass sich für das Kunstwerk irgendwelche Verfügungen treffen lassen, wie es zu sein hat. Das betrifft auch das Verhältnis der Elemente des Theaterkunstwerks zueinander. Da gibt es sehr viele verschiedene Auffassungen (praktische wie theoretische), nicht nur historisch, sondern auch zu jeder Zeit nebeneinander. Über diese kann man zum Teil nachlesen, man kann aber auch Aufführungen sehen oder Stücke lesen, aus denen sie sich entnehmen lassen. Wenn man allerdings nach dem richtigen Vorgehen sucht, wird man mit leeren Händen zurückkehren.

    Ansonsten kann man zu Beispiel aus den Schriften großer Theaterleute (um mal ein paar zu nennen: Lessing, Wagner, Meyerhold, Brecht, Felsenstein, Heiner Müller und viele, viele andere) sehr viel Anregendes entnehmen. Man muss eben nur immer bedenken, dass das alles Auffassungen sind, kein Wahrheiten. Dann kann man von einer solchen Lektüre viel profitieren. Freilich ist die Idee, dass es nicht um Wahrheiten geht, aus Gründen, die zu untersuchen wären, gerade Opernfreunden sehr unangenehm. Darum heißt auch eines der dümmsten Bücher zum Thema, das eine ehemals mit gutem Grund hochberühmte Sopranistin verfassen zu sollen gemeint hat, »Opernwahrheiten«...

    Der Witz ist, dass der Herr Doktor auf die Frage, woher die »Verbindlichkeiten« kommen sollen, von denen er phantasiert, mit der Feststellung des Konstruktivismus (wo und bei wem auch immer) zu antworte vorgibt. Das ist aber leine Antwort. Er versucht lediglich, hinter einem toll klingenden Wort, von dem er annimmt, dass es viele einschüchtert, zu verbergen, dass er seine »Verbindlichkeiten« nicht begründen kann. Darum hat er sich entschlossen, die Einwände zum Schweigen zu bringen. Zum Beispiel, indem er es als respektlos bezeichnet, seine Aussagen nicht unbefragt als unumstößliche Wahrheit hinzunehmen, oder eben indem er irgendwelche pompösen Wortklingeleien veranstaltet, die die Leere seiner Aussagen übertönen sollen. Mehr steckt nicht dahinter.

    Das ist erstens eine Lüge und zweitens wäre es, wenn es wahr wäre, auch nicht weiter wichtig. Nehmen wir an, wir würden das Wort K»Konstruktivismus« ins Lächerliche ziehen (tatsächlich habe ich die Verwendung dieses Wortes durch den Herrn Doktor nicht ins Lächerliche gezogen, sondern lediglich drauf hingewiesen, dass sie lächerlich ist. Da war nichts mehr zu ziehen) - was würde sich daraus ergeben? Richtig. Gar nichts. Es ist also ganz egal.


    Immerhin steht zweierlei fest: Zum einen kann weder bei dem Theaterbegriff, den ich verwende und begründet habe, von Konstruktivismus die Rede sein, zum anderen ist nach wie vor ganz unklar, was der Meinung des Herrn Doktor zufolge daraus folgen würde, wenn es so wäre.

    (Seine Behauptung, die Theaterwissenschaft spreche davon, das Theaterkunstwerk sei die Aufführung seiner selbst, konnte er übrigens auch nicht belegen, weshalb er auch nicht zeigen muss, dass diese zeigt, dass die Theaterwissenschaft konstruktivistisch ist, was er inzwischen ja auch selbst bestreitet und angeblich nie geäußert hat. Sein Gedächtnis ist eben noch löchriger als das unseres Kanzlers.)

    Ein "primitives Täuschungsmanöver" ist, dass man die Tatsache verschleiert, dass man so gut wie gar nicht weiß, was "Konstruktivismus" erkenntnistheoretisch bedeutet und sich folglich auch mit konstruktivistischen Tendenzen (!) in seinem Fach gar nicht beschäftigt

    Ob ich weiß, was »Konstruktivismus« bedeutet oder nicht, kannst Du nicht wissen. Unterlasse bitte einfach diese frechen Unterstellungen. Da die Theaterwissenschaft nicht mein Fach ist, muss ich mich auch nicht mit allen Tendenzen, die es in ihr gegenwärtig gibt, beschäftigen.


    Es ging hier darum, dass Du mir untestellst, Konstruktivist zu sein, was erstens nicht stimmt und zweitens Deiner Behauptung widerspricht, ich wüsste gar nicht, was das ist. Da musst Du Dich schon mal entscheiden, wenn Du Dich nicht fortwährend zum Gespött machen willst. Außerdem behauptest Du, der Theaterbegriff, den ich vertrete, sei konstruktivistisch, kannst das aber nicht belegen. Indem Du es immer wieder behauptest, wird das aber nicht wahrer.


    Also kurz und knapp, damit auch Du es verstehst: Meine Auffassungen mögen in einigen Punkten konstruktivistischen ähneln, in den entscheidenden unterscheiden sie sich erheblich von ihm.


    Im übrigen hast Du nicht erklärt, was denn daraus folgen würde, wenn es anders wäre. Und Du hast nicht erklärt, warum ich deiner Behauptung irgendwelche »Verbindlichkeiten« Glauben schenken musst, ohne dass Du auch nur einen ernsthaften Versuch unternimmst, diese »Verbindlichkeiten« zu begründen. Ich bestreite ihre Existenz so lange, bis Du sie aus der Struktur des Theaterkunstwerks bewiesen hast. Dazu müsstest Du im ersten Schritt beweisen, dass das Theaterkunstwerk die Aufführung eines gegebenen dramatischen Kunstwerks ist. Und dazu müsstest Du im ersten Schritt beweisen, dass ein Theaterkunstwerke ohne ein aufzuführendes dramatisches Kunstwerk nicht existieren kann. Wenn es Dir gelingt, eine nachvollziehbare und handhabbare Definition des Theaterbegriffs zu entwickeln, die genau dies einschließt, musst Du nicht erklären, we Du dazu kommst, Theater zu nennen, was ungefähr 80% aller Theatereignisse ausschließt. Dann können wir weitersehen. Ich schaue mit Spannung zu dem Seit hinauf, auf dem Du diesen Tanz vorführen willst, empfehle Dir aber, ein starkes Netz darunter zu spannen, und nicht zu tief darunter, sonst könntest Du Dir erheblich wehtun.

    Es geht um den grundlegenden Theaterbegriff, nicht darum, dass manche weitergehende Theorien eventuell auch konstruktivistisch sein können. Das ist Dir doch klar. In diesem Text geht es um eine »systemisch-konstruktivistische Theaterpädagogik«. Dass das zwei sehr verschiedene Dnge sind, ost Dir doch klar, oder? Was versprichst Du Dir von all diesen Deinen durchsichtigen Täuschungs-Manövern?


    Übrigens hat Du nach wie vor nicht erklärt, was mit der Aussage, das da auch Konstruktivismus im Spiel ist, oder auch, was Du ja behauptest, die ganze Theaterwissenschaft reiner Konstruktivismus sei, eigentlich gesagt ist? Nehmen wir an, das wäre so, ist dann das Theater die Aufführung eines dramatischen Kunstwerks (und zwar in der weit überwiegenden Zahl der Fälle, ohne in solches dramatisches Kunstwerk) und ergibt sich dann zwingend die Verbindlichkeit Deiner geliebten Werktreue? Das scheint mir doch ein weiter Weg, den Du noch zeigen müsstest. So ist es immer noch eine leere Behauptung.


    (Übrigens ist mein Fachgebiet nicht die Theaterwissenschaft und auch nicht die Theaterpädagogik, wie Du weißt. Noch so ein primitives Täuschungsmanöver.)


    EDIT: Beim nochmaligen Lesen ist mir aufgefallen, dass in diesem Text nicht davon die Rede ist, dass das Theaterkunstwerk eine Aufführung seiner selbst ist. Das war doch aber Deine These, oder?

    Das erinnert allerdings ein wenig an Äußerungen des Kontrahenten zum kleinen Einmaleins der Philosophie. ;)

    Mit dem einen Unterschied, dass ich keine Grundsatzvorträge darüber halte, was Philosophie ist, und was die einzig richtige Art, philosophisch zu denken. Darum kann er über meine Kenntnisse auf diesem Gebiet gar nichts wissen, während er seine eklatante Unkenntnis auf dem Gebiet der Theatertheorie gerade mit großem Stolz laut hinausposaunt hat.

    Oh, doch. Es gibt von Brecht sehr wichtige Beiträge zur Theatertheorie. Nicht nur zum Epischen Theater oder zum Theater des wissenschaftlichen Zeitalters. Und die Theorie und Praxis des Epischen Theaters hat nichts damit zu tun, dass ein Stück unterbrochen wird. Da handelt es sich um eine ganz andere Sache.


    Übrigens haben die länglichen Ausführungen des Herrn Doktor ein Problem: Er zeigt mit ihnen, dass er nicht einmal das kleine Einmaleins der Theatertheorie verstanden hat. Seine Idee, dass das Theaterkunstwerk sich selbst aufführt, ist einer Unsinn (so unsinnig wie die Idee, dass sich ein Gemälde selbst malt.) Das Theaterkunstwerk führt gar nichts auf, das Theatereignis ist das Kunstwerk. Da der erste Schritt falsch ist, ist der Rest zwangsläufig auch falsch und wäre es selbst dann, wenn die Herstellung dea Bezugs zum Konstruktivismus nicht so lächerlich wäre (Den Marxisten und Leninisten Brecht mit dem Konstruktivismus in Verbindung zu bringen – auf diesen Unfug muss man erst mal verfallen.)

    Theater kann auch etwas anders sein als die Aufführung eines Stücks, wir haben es kapiert.

    Du hast es nicht kapiert. Theater KANN nicht etwas anderes sein, es IST etwas anderes, nämlich Theater. Ist der Unterschied so schwer zu verstehen?


    Meines Erachtens ist das kein Sophismus, sondern eine ziemlich wichtige Erkenntnis, die beileibe nicht jedem geläufig zu sein scheint.

    Vor allem ist es nicht möglich ein Gespräch zu führen, wenn es nicht von gemeinsamen Grundlagen ausgeht. Wenn sich in einer theatertheoretischen Diskussion einer hartnäckig weigert, die simpelste Grundlage der Theatertheorie zu akzeptieren, aber auch keinen Versuch unternimmt, zu zeigen, dass diese Auffassung als Grundlage der Theorie untauglich ist (was ihm allerdings auch schwerfallen wird), sich bestenfalls darauf beschränkt, ihr das lächerliche Etikett »Konstruktivismus« anzukleben, als sei damit irgendetwas gesagt. Man kann natürlich auch das Etikett »Sophismus« nehmen. Dann sind es eben zwei Etikettenkleber, die nichts von der Sache verstehen, die sie etikettieren und auch nicht wissen, was die Wörter, die auf ihren Etiketten stehen, bedeuten. Auf diese Weise kommt man keinen Schritt weiter, aber darum geht es den beiden Etikettenklebern auch offensichtlich gar nicht.

    Wenn ein Werk aufgeführt werden soll...

    Lieber Herr Doktor, solltest Du lesen können (ich zweifle langsam daran), passt jetzt genau auf oder lasse Dir im anderen Falle vorlesen, was kommt und höre gut zu: THEATER IST NICHT DIE AUFFÜHRUNG EINES STÜCKS. Kannst Du diesen Satz verstehen? Dann komm nicht immer wieder mit dieser Prämisse, die einfach nicht gilt, bis die andere widerlegt ist. Oder erkläre, wie Theater, wenn es die Aufführung eines Stücks ist, existieren kann, wenn kein Stück, das aufzuführen ist, gegeben ist.

    Es ist egal, wenn das Urheberrecht erloschen ist.

    Und die Prämisse, dass das Theater nicht die Aufführung eines Werkes ist, habe ich ausführlich hergeleitet. Wenn Du der widersprechen willst, zeige, dass die Herleitung defekt ist. Wenn Du einfach mit dem Fuß aufstampfst und darauf bestehst, dass es so sein muss, wie es Dir passt, machst Du Dich nur genauso lächerlich wie der Herr Doktor, der das auch ständig tut.