Arme Königskinder - eine derart romantische Dichtung vor dem Goldgrund einer durchgehend feinsinnigen Partitur hat es schwer im heutigen Regietheater. Immer seltener turtelt das Titelpaar auf deutschen Opernbühnen. Der letztjährige Münchener Versuch, sie fest im Repertoire zu etablieren, scheiterte an unüberwindbarer Kluft zwischen Regie und Komposition: Die Königskinder versanken nach abgelaufener Spielzeit wieder tief hinab auf den Meeresgrund der verkannten Meisterwerke. Dass sie ein solches wirklich sind, davon können sich nicht nur Partiturleser überzeugen. Auch die neue CD-Einspielung ist dazu bestens geeignet. Es ist - neben einigen Schellackschnipseln - die 4. Aufnahme.
3 Gesamtaufnahmen
Die 1. aus den 50er Jahren trumpft auf mit einem hoch motivierten Fischer-Dieskau als Spielmann und der stimmgewaltigen Hexe von Ilse Imme-Sabisch. Das Kölner Rundfunkorchester entfaltet unter Richard Kraus herrlichen Wohlklang. Da tut’s nichts zur Sache, dass der Ton an einen alten Kinofilm erinnert. Irgendwie mag man das sogar und fasst sich verwundert an die Ohren, weil einem auf einmal klar wird, wie gerne sich die frühen Filmkomponisten bei Humperdinck bedient haben. Alles ist ganz stimmungsvoll, ganz zauberhaft – wenn nicht die Hauptdarsteller fehlbesetzt wären. Peter Anders als Königssohn klingt schon arg gelangweilt und man mag kaum glauben, dass diese Partie an der Bayerischen Staatsoper zu seinen Paraderollen gehörte. Käthe Möller-Siepermann ist als Gänsemagd wenigstens durchgehend feinfühlig, doch vom Timbre her wenig königlich und irgendwie verkniffen. Schade!
Wallberg
Die 2. Aufnahme aus den 70er Jahren ist durchgehend prominent besetzt. Ein enormer Kraftakt, der das Zeug zur Kultaufnahme hätte, wenn – ja, wenn nicht Heinz Wallbergs Dirigat absolut kontraproduktiv wäre. Im Stechschritt hetzt er das Münchener Rundfunkorchester durch die Märchenwelt und es bleibt ein Wunder der Sangeskunst, dass es dem Ensemble dennoch gelingt, echten Zauber zu entfalten. Helen Donath ist die Märchenprinzessin, die einem Walt Disney im Kinopanorama alle Ehre machen würde. Sie lebt, liebt und leidet, dass man ihr die Königskrone bedingungslos auf den Scheitel setzen möchte. Mit kleinen Abstrichen gilt das auch für Adolf Dallapozza als Königssohn. Prey als Spielmann, die Schwarz als Hexe, Unger und Wewel, Brigitte Lindner – klingt wie das Bayreuther „Who is who“ der 70er. Wie hätte dieses Ensemble unter Fabio Luisi geklungen? Der taucht in der folgenden Einspielung voll ein in die Humperdinck’schen Klangwelten. Derart feinfühlig, dass man im Vergleich zur Wallberg-Aufnahme meint, eine völlig andere Oper zu hören. Luisi liebt die Partitur bis in die kleinste Note. Er lichtet auf und nimmt den Beckmessern den Wind aus den Segeln, die den Komponisten bis zum Erbrechen immer in die Wagnerschublade legen. Allein die Szenen unter dem Lindenbaum sind den Kaufpreis wert. Das Ensemble ist durchgehend gut, verfügt aber leider nicht über die nötige Glaubwürdigkeit. Thomas Moser und Dagmar Schellenberger bieten als Königskinder höchste Sangeskunst, klingen aber zu gesetzt. Derjenige, der neben Luisi, die Aufnahme unentbehrlich macht, das ist Dietrich Henschel. Er ist der Spielmann der Spielmänner. Perfekt.
Jordan
Die jüngste Aufnahme ist ein Konzertmitschnitt aus Montpellier. Armin Jordan geht die Sache wie Luisi an. Auch bei ihm hört man die Celesta, die bei Wallberg gnadenlos untergeht. Er lässt sich wie Luisi viel Zeit, lässt den Wald raunen und rauschen, das Sonnenlicht durch das Stadttor funkeln und das Abendrot flammen. Die Sängerriege wird beherrscht von Jonas Kaufmann. Er ist der strahlende Märchenprinz. Unglaublich, welch samtigen Töne er seiner Rolle entlockt. An ihn kommt keiner der vorangegangenen Königssöhne heran, auch wenn er im Liebestod einmal bei der Höhe patzt. Als Gänsemagd steht ihm Ofelia Sala zur Seite. Weniger Disney wie die Donath. Ein bisschen wie Audrey Hepburn, die schließlich Holllywoods Märchenprinzessin par excellence war. Ein bisschen, wie Elisabeth Schwarzkopf, die Primadonna Karajans – und schwupps: Irgendwie nimmt man der Sala die verkannte Königstochter voll ab. An ihrem Bittgesang kann sich nur noch Annette Dasch in der letzten Münchener Produktion messen. Wunderschön - doch leider ist der Münchener Premierenmitschnitt nicht im Handel erhältlich. Nora Gubisch ist die Hexe aus dem Bilderbuch. Herrlich böse, erinnert sie an die Leistung der Imme–Sabisch aus der Ersteinspielung. Der Rest des Ensembles hadert ein wenig mit der deutschen Sprache, schlägt sich aber wacker. Insgesamt: Eine herrliche Einspielung, die einen tief eintauchen lässt in die Humperdinck’schen Klangwelten und die optische Krücke des Theaters vergessen macht. Wie schrieb noch eine Rezensentin der verkrampften Münchener Königskinder-Inszenierung aus dem Jahre 2005: „Die Romantik hat schon so manches überlebt. Sie wird auch das überleben.“ Bis dahin pflanzen wir uns eigene Humperdinckwälder – mit Imme-Sabisch, Kaufmann, Henschel, Donath und Luisi. „Tapfer, wer nimmer der Furcht empfunden, tapferer, wer die Furcht überwu