Beiträge von pbrixius

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    Original von Wulf
    Zunächst stellt sich doch die Frage, ob Aggression grundsätzlich(!) etwas Schlechtes ist. So weit ich weiß beantwortet die Psychoanalyse diese Frage weitestgehend mit einem Nein, insofern kann klingsor seinem Hausgott wieder ganz beruhigt huldigen.


    Lieber Wulf,


    da gehe ich mit Dir und Alfred d'accord. Wenn Du aber einmal die entsprechenden wikipedia-Artikel liest, wird Dir anders :wacky: Ich bin allerdings der Meinung, dass eben dieses bewusste Einwirken auf die Außenwelt überhaupt zu unserem Überleben beiträgt. Auch wenn die Psychoanalyse schon ein wenig bejahrt ist, halte ich die dialektische Auffassung der Aggression, die man bei ihr findet, die Wirklichkeit am besten abbildet.


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    Macht Beethoven aggressiv? Ganz abgesehen davon, daß es Beethovens Musik sich nicht nur in den Overtüren und Symphonien erschöpft, sondern auch eine Missa solemnis, Klaviersonaten und Streichquartette umfasst, hängt die Frage sicher von der psychischen Disposition eines jedes Einzelnen ab.


    Auch hier teile ich Deine Meinung, da ich den Beethoven so ziemlich komplett und einigermaßen gut kenne, wundert mich das hier von einigen vertretene Vor-Urteil. Pour Elise kann einem in einem Schülerkonzert zum Wahnsinn treiben, aber das liegt dann an der Interoretation, nicht am Stück. Das muss man nur mal vom großen Schnabel hören ...


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    Es ist aber sicher auch kein Zufall, daß einige seiner Werke dem Abusus durch falsche Ideologie zuträglicher sind als bspw. das WTK von Bach und demtensprechend durch die Nationalsozialisten instrumentalisiert wurden.


    Vereinnahmt wurde selbstherständlich auch Bach - und der Antisemitismus seiner Passionen passte ausgezeichnet ins Bild der Nazis. Entsprechend wurde die Bachrezeption im Dritten Reich gehegt und gepflegt. Auch Werke von Mozart und Schubert tauchten militarisiert und national gewendet auf.


    Liebe Grüße Peter

    Carl Maria von Weber: Der Freischütz



    Im Moment höre ich pro Tag in eine Freischütz-Einspielung herein (Kurzbeurteilung bei TMOO), diesmal die zu Furtwängler kongeniale Einspielung unter Erich Kleiber. Ännchens Romanze und Arie Nr. 13 fehlen und der Einsatz von Schauspielern als Sprecher hat sich hier nicht bewährt, zu weit liegen z.T. Sprech- und Gesangstimme auseinander. Aber ansonsten eine der Sternstunden ...


    Liebe Grüße Peter

    E. Kleiber, Freischütz, Koch/Schwann 1955



    Erich Kleiber, RSO Köln - 5


    Agathe - Elisabeth Grümmer - 5
    Ännchen - Rita Streich - 5
    Max - Hans Hopf - 5
    Kaspar - Max Proebstl - 4


    Restensemble - 4


    Ges. 28 / 6 = 4,7


    TQ: 4


    Das Antidot zu Furtwängler, eine intensive, der Partitur vertrauende Einspielung mit einer ähnlichen Besetzung. Auch hier erlebt man mit den beiden Damen eine Sternstunde, Kleiber bringt Hopf zu dem mE besten Leistung als Max, Proebstl fügt sich gut in das Ensemble.


    Liebe Grüße Peter

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    Original von Agon
    1.) Rafael Kubelik, DG:


    Der allerletzte Schund. Weichgespülter, folkloristischer Dreck. Der Antikommunist Kubelik at his worst. Die von Karajan versauten Berliner Philharmoniker spielen so unterirdisch schlecht und zähflüssig, dass es sich eher nach Kläranlage als nach Dvorak anhört. Für alle, die auf sowas stehen- bitteschön!



    Diese Formulierung wurde mit Recht beanstandet und - weil sie so heftig war - im Moderatorenforum diskutiert. Wir sind übereingekommen, Dich zu ermahnen, dass Du bei der Wortwahl in Zukunft dem Gegenstand und dem Forum angemessener schreibst.


    Lieber Agon, nichts gegen eine deftige Kritik, die bringt Farbe ins Forum. Aber zwischen einer deftigen Kritik und einer Schmähkritik ist doch ein deutlicher Unterschied. Du magst die Kubelik-Einspielung nicht, nun ja. Aber was hat die politische Meinung von Kubelik mit der Einspielung zu tun? Ausgerechnet ein Opfer des Stalinismus wird hier unter Einbezug seiner politischen Meinung angegriffen. Damit erreichst Du nur, dass man Dein Missbehagen an einer künstlerischen Leistung mit einer politischen Wertung kontaminiert geliefert bekommt. Deine Schwierigkeit, mit ideologisch vorbelastetem Wortschatz hier zurecht zu kommen, ist mir hier nicht zum ersten Mal aufgefallen. Da dies kein Politikseminar ist, kannst Du es Dir einfach machen und solche Bezüge, die mir nur eine Unsicherheit im Umgang mit diesem Wortschatz signalisieren, einfach unterlassen. Es wäre mir angenehmer, als Dich als einen Vertreter des Stalinismus im Forum zu entdecken, der Du mE nicht bist.


    Ein weiteres: Es gibt - wie Du festgestellt hast - durchaus Mitglieder im Forum, die den Kubelik-Einspielungen etwas abzugewinnen wissen. Was möchtest Du denen mitteilen? Dass sie ausgewachsene Antikommunisten sind? Dass sie versaute Musik mögen? Dass sie die Produktionen einer Kläranlage nicht von einer eines Sinfonieorchesters zu unterscheiden vermögen? Möchtest Du ihnen Aufnahmen vermiesen, die ich in einer ganzen Anzahl von respektablen Publikationen (ich nenne etwa das Gramophone, in dem zu der Auskoppelung der 8. und 9. zu lesen steht "These accounts are quite magnificent, and their claims on the allegiance of collectors remain strong" Classical Good CD, DVD & Download Guide 2007) in höchsten Tönen gelobt finde. Alles Agenten des Klassenfeindes, die von Karajan bestochen wurden?


    Also: Man kann seine Meinung durchaus prononciert äußern, ohne andern auf die Zehen zu treten, verletzende Vokabeln zu gebrauchen und seltsame politische Wertungen einzubringen. Und ich bin sicher, dass Du es kannst.


    Liebe Grüße Peter

    La fortune nous corrige de plusieurs défauts que la raison ne saurait corriger.


    (La Rochefoucauld, 154)


    Das Schicksal tilgt mehr Fehler an uns, als es die Vernunft vermag.





    Liebe Grüße Peter

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    Original von Fairy Queen
    Hatten wir dieses Thema nciht schon, dazu in einem ziemlich aggressiven und destruktiven Zusammenhang????? :wacky:


    Deshalb bin ich Ulli dankbar, wenn die Frage jetzt erneut gestellt wird - ohne den aggressiven Zusammenhang.


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    Danebn spielen ganz individuelle Erfahrungshintergründe der Zuhörer eine nciht zu unterschätzende Rolle.


    Hier stimme ich zu, wobei ich hier auch kulturelle Traditionen und Zuschreibungen aus bestimmten historischen Zusammenhängen eine wichtige Rolle beilege.


    Nehmen wir den Fall Militärmarsch, wo es von Beethoven wie von Schubert Beiträge gibt. Strukturell sehe ich den Kompositionen der beiden Komponisten keine entscheidende Unterschiede - aber der eine oder andere Beethoven-Marsch fand tatsächlich den Weg in die Militärkapellen, Schubert ist mir da nicht erinnerlich - und schon ergibt sich in der Rezeption eine Schieflage. Es ist weniger das, was in den Noten steht, sondern mehr eine Erwartungshaltung des Publikums, das diese Assoziationen macht.


    Prokofievs Attacken auf das Ohr und seine aggressiven Rhythmen, die durchaus provozieren wollen, werden seltsamerweise dann als "weniger kriegerisch" empfunden, wo ein einfacher Blick in die Partitur zeigt, dass er natürlich "aggressiver" ist als Beethoven (da nehme ich gern das Beispiel "Große Fuge" :D an).


    Das Problem, das einige Leute mit Beethoven bzw. mit einzelnen Werken zu haben scheinen, liegt mE nicht im Werk sondern in der Erwartung eben jener Leute an das Werk - und im einzelnen kann da eine bestimmte Interpretationsweise eine Rolle spielen. Ulli hat zu Recht auf neuere Einspielungen hingewiesen, in denen durch den historischen Klangeindruck eine solche Zuschreibung absurd wird. Wenn man allerdings Beethoven harsch à la Harnoncourt interpretiert - liegt dann die Aggressivität in Beethoven oder in Harnoncourt?


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    Ganz allgemein liegt aber in einer stark zerklüfteten und eruptiven Kompositionsstruktur ein gewisses Unruhepotential , das auf den ein oder anderen Menschen auch aggressiv wirken kann.
    Ich persönlich kann aus musikpsychologischer Sicht durchaus nachvollziehen, dass grosse Teile von Beethovens Musik kein Schlaf- und Beruhigungsmittel sondern eher das Gegenteil sind.
    Wie man das wertet, ist dann wieder eine ganz andere Frage.
    F.Q.


    Für große Teile von Beethovens Kompositionen stimmt es eben nicht, deshalb frage ich ja immer nach den Werken. Aus der Kammermusik (und die ist ja kein unwesentlicher Teil) wie aus dem vokalen Schaffen wird man so ein Urteil nicht ableiten können. Es spricht sich mE da eher Unkenntnis des Gesamtwerkes von Beethoven aus.


    Im Fidelio ist zB die Musik nur da aggressiv, wo sie es musikdramatisch sein muss (etwa in der Rachearie des Pizarro) - aber wer wird die Arie der Marzelline, das Duett Fidelio-Marzelline, das Quartett usw - also alle Stücke bis zu Rachearie - denn als aggressiv hören können?


    Nein, das war ein Vorurteil auf den sprachlichen Duktus einer Orchesterwerke von Beethoven, nicht mehr und nicht weniger.


    Liebe Grüße Peter

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    Original von Diabolus in Opera
    Die Frage ist nun, ob man Beethovens Musik ein gewisses inhärentes Aggressionspotential zuschreibt oder ob dieser Sinn-Kontext erst durch Kubrick aufgemacht wurde.


    Da wurde der Zuschauer wohl so wie der Protagonist des Filmes konditioniert. Man hätte das aber auch z.B. mit Händel machen können - wäre dann als Ergebnis Händel als ein Komponist einer aggressiven Musik zu bezeichnen?


    Liebe Grüße Peter

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    Original von Ulli
    Ich finde Beethovens Musik keineswegs aggressiv - denn Aggression ist für mich etwas Zerstörerisches und das ist seine Musik m. E. ganz und garnicht. Sie ist gelegentlich bombastisch bis rabiat - er bewegt sich also eher wie ein Elefant im Porzellanladen, allerdings mit Feingefühl für die Schönheiten, die er keinesfalls übersieht, aber gelegentlich - bildlich: aus Versehen - umstößt. Ich glaube, das hat Vc. mittlerweile auch eingesehen, denn man kann Beethoven ja auch ganz anders spielen (vgl. Schoonderwoerd).


    Diese 'speziellen' Beethovenstellen, die mithin als aggressiv bezeichnet werden, sind für mich das genaue Gegenteil - eher eine Art Nupernova: einfach das Herrlichste des Herrlichen. Es muß einfach explodieren!


    Dem, lieber Ulli, schließe ich mich an. Was Beethoven für mich ausmacht, ist das Tektonische, das Strukturierende ... und immer wieder die überraschenden kompositorischen Behauptungen, die er so überzeugend rechtfertigt, dass man im Nachhinein gar nicht mehr verstehen kann, dass man da an anderes gedacht hatte.


    Der Eindruck des Rabiaten kommt nicht selten aus einer Lakonik, die sich jede Note zuviel versagt. Das alles meiner unmaßgeblichen Meinung nach :)


    Liebe Grüße Peter

    Arkadia CDWFE 352.2
    EMI 567419 2



    Wiener Philharmoniker, Chor der Wiener Staatsoper, Dir.: Wilhelm Furtwängler - 5


    Agathe - Elisabeth Grümmer - 5
    Ännchen - Rita Streich- 5
    Max - Hans Hopf - 5
    Kaspar - Kurt Böhme - 5
    Rest - 5


    Wertung: 30/6 = 5


    TQ - Festspielqualität - 3,5


    Nun endlich kommen die Sternstunden, die erste ein Mitschnitt von den Salzburger Festspielen 1954. Ein inspirierendes Dirigat unter Furtwängler, das alle, Akteure und Zuhörer (nur nicht die in Salzbrurg, da muss ein Betriebausflug aus Davos im Publikum gesessen haben), in einer permanenten Spannung hälrt. Orchester und Sänger laufen zu einer einzgartigen Form auf. Endlich ein Böhme, wie man ihn schon immer haben wollte, nicht polternd, sondern bedrohlich, ein Max, der nicht daran denkt, dass er Tenor ist, sondern um sein Leben singt, eine unbeschreibliche Leistung von Ännchen, ähnlich gut wie Emmy Loose bei Ackermann, beiden gelingt es mit wunderbar leichten Ton über die Zögerlichkeit der Begleitung hinwegzusetzen. Da ist aber Furtwängler tänzerisch beschwingter als Ackemann. Und dann das Wunder des Abends: Elisabeth Grümmer als Agathe, nicht frömmelnd, kein Seelchen, mit einer Intensität singend, dass man ihr jeden Ton glaubt - und wenn sie jubelt, dann schlägt das eigene Herz mit.


    Das alles hört man allerdings nicht auf der kastrierten Tonspur der EMI-Digitalisierung. Da fehlt plötzlich Böhme die Tiefe, er kommt baritonal über die Rampe, Hopf fehlt die Brillanz. Aber auf der alten Arkadia-Box, die alle Geräusche dokumentiert, da hört man alles Vermisste. Und die Überzeugungskraft dieses Abends lässt einen schnell durch die Hustenkaskaden durch hören.


    Liebe Grüße Peter

    La nature fait le mérite, et la fortune le met en oeuvre.


    (La Rochefoucauld, 153)


    Die Natur schenkt das Talent, das Schicksal verwendet es.





    Liebe Grüße Peter

    Preiser MONO 20018



    Wiener Philharmoniker, Chor der Wiener Staatsoper, Dir.: Otto Ackermann - 4


    Agathe - Maud Cunitz - 4
    Ännchen - Emmy Loose - 4,5
    Max - Hans Hopf - 4
    Kaspar - Marjan Rus - 2,5
    Rest - 4


    Wertung: 23/6 = 3,8


    TQ - Top! bestes Mono - 5


    Hier sind die Tempi zu einförmig und oft zu langsam, deshalb trotz eines vorzüglichen Orchesters leider nicht mehr als die 4 (nach der Ouvertüre hatte ich schon eine 5 da stehen).


    Hopf und Cunitz werden durch die Trägheit des Dirigats sicherlich in ihren Möglichkeiten behindert, können aber nicht (wenn man etwa die Protagonisten späterer Aufnahmen im Ohr hat) über die 4 hinaus. Ein Tiefpunkt ist der lendenlahme Rus als Kaspar, den ich noch tiefer bewertet hätte, wenn er nicht in der Wolfsschlucht mal ein wenig Blut gezeigt hätte. Auch der Chor ist nicht so präsent, wie ich es mir gewünscht hätte. Franz Bierbach singt übrigens einen passablen Kuno (4), aber der war doch hier nicht gefragt, oder?


    Insgesamt also (und da wurden bei mir hohe Erwartungen geweckt) eine Aufnahme, die mich enttäuscht hat.


    Liebe Grüße Peter

    Carl Maria von Weber: Der Freischütz



    Ich höre mich im Moment durch meine Gesamtaufnahmen des "Freischütz" durch und lege die Kurzbewertungen bei TMOO ab. Ich bin allerdings bass erstaunt, was da für Bewertungen stehen. Bei Aufnahmen wie dieser, die musikalisch (dank Ackermann und den Wienern Philharmonikern) beeindruckend startet, wird das Tempo im weiteren mit Bleigewichten beschwert - "All meine Pulse jagen" hat einen Pulsschlag wie unter schweren Beruhigungsmitteln. Das mit Ruhm bedeckte Sängerensemble bekleckert sich hier, angefangen von dem betulichen "Durch die Wälder, durch die Auen", wo jede Noite protzerisch betont wird, enttäuscht Hopf. Der Kaspar von Rus ist lendenlarm (da ist Böhme zwei Klassen - und Noten - besser). Und die Agathe von Maud Cunitz wird von Ännchen deutlich übertroffen. Wer jemals die Grümmer gehört hat (und ihr die berechtigte 5 gegeben hat) wird der Cunitz nicht mehr als eine 3 geben.


    Für mich nach den hohen Erwartungen, die die Wertung in TMOO weckte, eine abgrundtiefe Enttäuschung. Wer den Freischütz des deutschen Waldes haben will (und den mag ich durchaus), wird etwa bei Furtwängler fündig, hinter dessen Aufnahme diese um Längen zurückfällt (und das sollte man auch an den Noten ablesen können).


    Liebe Grüße Peter

    Johannes Brahms: Lieder IV



    Meine Semesterferienreise durch Brahms geht weiter. Auf dieser CD singt Michael Volle, Karl Peter Kammerländer begleitet am Klavier. Am Ende stehen die "Vier ernsten Gesänge" op. 121, eines der Werke, (voran gingen die 1. Sinfonie, das Deutsche Requiem und das 2. Klavierkonzert) die mich als Jugendlichen für Brahms gewannen.


    Liebe Grüße Peter

    Si nous ne nous flattions point nous-mêmes, la flatterie des autres ne nous pourrait nuire.


    (La Rochefoucauld, 152)


    Schmeichelten wir uns selbst überhaupt nicht, könnte uns die Schmeichelei der anderen nicht schaden.





    Liebe Grüße Peter

    5. Der Musikfeind


    Es ist wohl etwas Herrliches, so durch und durch musikalisch zu sein, daß man, wie mit besonderer Kraft ausgerüstet, die größten musikalischen Massen, die die Meister mit einer unzähligen Menge Noten und Töne der verschiedensten Instrumente aufgebauet, leicht und lustig handhabt, indem man sie, ohne sonderliche Gemütsbewegung, ohne die schmerzhaften Stöße des leidenschaftlichen Entzückens, der herzzerreißenden Wehmut zu spüren, in Sinn und Gedanken aufnimmt. – Wie hoch kann man sich dann auch über die Virtuosität der Spieler im Innern erfreuen, ja, diese Freude, die von innen herausstrebt, recht laut werden lassen ohne alle Gefahr. An die Glückseligkeit, selbst ein Virtuos zu sein, will ich gar nicht denken; denn noch viel tiefer wird dann mein Schmerz, daß mir aller Sinn für Musik so ganz und gar abgeht, woher denn auch meine unbeschreibliche Unbeholfenheit in der Ausübung dieser herrlichen Kunst, die ich leider von Kindheit auf gezeigt, rühren vermag. – Mein Vater war gewiß ein tüchtiger Musikus; er spielte fleißig auf einem großen Flügel oft bis in die späte Nacht hinein, und wenn es einmal ein Konzert in unserm Hause gab, dann spielte er sehr lange Stücke, wozu ihn die andern auf Violinen, Bässen, auch wohl Flöten und Waldhörnern ganz wenig begleiteten. Wenn solch ein langes Stück endlich heraus war, dann schrieen alle sehr und riefen: »Bravo, Bravo! welch ein schönes Konzert! wie fertig, wie rund gespielt!« und nannten mit Ehrfurcht den Namen Emanuel Bach! – Der Vater hatte aber so viel hintereinander gehämmert und gebrauset, daß es mir immer vorkam, als sei das wohl kaum Musik, worunter ich mir so recht ans Herz gehende Melodien dachte, sondern er tue dies nur zum Spaß, und die andern hätten auch wieder ihren Spaß daran. – Ich war bei solchen Gelegenheiten immer in mein Sonntagsröckchen geknöpft und mußte auf einem hohen Stuhl neben der Mutter sitzen und zuhören, ohne mich viel zu regen und zu bewegen. Die Zeit wurde mir entsetzlich lang, und ich hätte wohl gar nicht ausdauern können, wenn ich mich nicht an den besondern Grimassen und komischen Bewegungen der Spieler ergötzt hätte. Vorzüglich erinnere ich mich noch eines alten Advokaten, der immer dicht bei meinem Vater die Geige spielte, und von dem sie immer sagten, er wäre ein ganz übertriebener Enthusiast, und die Musik mache ihn halb verrückt, so daß er in der wahnsinnigen Exaltation, zu der ihn Emanuel Bachs oder Wolfs oder Bendas Genius hinaufschraube, weder rein greife noch Takt halte. – Mir steht der Mann noch ganz vor Augen. Er trug einen pflaumfarbenen Rock mit goldbesponnenen Knöpfen, einen kleinen silbernen Degen und eine rötliche, nur wenig gepuderte Perücke, an der hinten ein kleiner runder Haarbeutel hing. Er hatte einen unbeschreiblichen komischen Ernst in allem, was er begann. »Ad Opus!« pflegte er zu rufen, wenn der Vater die Musikblätter auf die Pulte verteilte. Dann ergriff er mit der rechten Hand die Geige, mit der linken aber die Perücke, die er abnahm und an einen Nagel hing. Nun hob er an, sich immer mehr und mehr übers Blatt beugend, zu arbeiten, daß die roten Augen glänzend heraustraten und Schweißtropfen auf der Stirn standen. Es geschah ihm zuweilen, daß er früher fertig wurde als die übrigen, worüber er sich denn nicht wenig wunderte und die andern ganz böse anschaute. Oft war es mir auch, als brächte er Töne heraus, denen ähnlich, die Nachbars Peter, mit naturhistorischem Sinn die verborgenen musikalischen Talente der Katzen erforschend, unserm Hauskater ablockte durch schickliches Einklemmen des Schwanzes und sonst, weshalb er zuweilen von dem Vater etwas geprügelt wurde – (nämlich der Peter). – Kurz, der pflaumfarbene Advokat – er hieß Musewius – hielt mich ganz für die Pein des Stillsitzens schadlos, indem ich mich an seinen Grimassen, an seinen komischen Seitensprüngen, ja wohl gar an seinem Quinkelieren höchlich ergötzte. – Einmal machte er doch eine vollkommene Störung in der Musik, so daß mein Vater vom Flügel aufsprang und alle auf ihn zustürzten, einen bösen Zufall, der ihn ergriffen, befürchtend. Er fing nämlich an, erst etwas weniges mit dem Kopfe zu schütteln, dann aber in einem fortsteigenden Crescendo immer stärker und stärker den Kopf hin und her zu werfen, wozu er gräßlich mit dem Bogen über die Saiten hin und her fuhr, mit der Zunge schnalzte und mit dem Fuß stampfte. Es war aber nichts als eine kleine feindselige Fliege, die hatte ihn, mit beharrlichem Eigensinn in demselben Kreise bleibend, umsummt und sich, tausendmal verjagt, immer wieder auf die Nase gesetzt. Das hatte ihn in wilde Verzweiflung gestürzt. –

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    Original von Edwin Baumgartner
    es mag schon sein, daß man mich für arrogant hält. Allerdings sind meine persönlichen Angriffe auf Mitglieder ausschließlich dann gekommen, wenn ich von der Moderation unwidersprochen einem Dauerbashing unterzogen wurde (Du weißt, wovon ich spreche). Darf ich Dich also darauf hinweisen, daß mir Herr Köhn bereits in einem seiner ersten Postings mitteilt, daß ich "Wesentliches nicht erkannt habe"?


    Lieber Edwin,


    aus eben dieser Erfahrung bin ich bereit, gleich einzugreifen, wenn es denn notwendig ist. Christian hat seine Meinung geäußert, nun ja, er hätte noch ein "meiner Meinung nach" o.ä. dazu setzen können, aber unter dieser Voraussetzungen schreiben wir doch alle. Auch ist die Äußerung nicht allgemein, sondern nur auf Brahms bezogen .. und da ist Christian (wenn er denn mal seine Vorstellung schreibt, der ich nicht vorgreifen möchte, wird das deutlich genug werden) ein ausgewiesener Fachmann im RL.


    Zitat

    Meine Frage an Dich: Habe ich es wirklich notwendig, mich so anpflaumen zu lassen, weil ich mit Herrn Köhn in einer Sachfrage nicht übereinstimme?
    Mit der Zeit reichen mir diese persönlichen Untergriffe wirklich...


    Ich glaube nicht, dass das persönlich gemeint war, es war nur die Reaktion auf eine pauschale Aussage. Bei pauschalen Aussagen liegen leider solche Reaktionen nahe. Es wird hier kein Bashing geben, ein Dauerbashing ohnedies nicht, allerdings hoffe ich auf eine sachliche Diskussion auf hohem Niveau ... und wenn da die persönlichen Schärfen ausbleiben, werden wir alle sie genießen können.


    Liebe Grüße Peter

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    Original von Edwin Baumgartner
    Hallo Christian,


    Gratuliere zu Deinem bemerkenswert arroganten Einstieg.


    Das nenne ich nun mal eine herzliche Begrüßung! Ich bin dem Wort "arrogant" oft genug im Usenet begegnet. Es hat Leute getroffen, die ihr Wissen nicht verbargen, sondern es an der richtigen Stelle anwendeten zum Nutzen aller. Nun gut, ich bin arrogant, Christian ist arrogant, es wird auch genügend Leute in diesem Forum geben, die Dich so nennen werden.


    Eigentlich hätte ich nicht geglaubt, dieser Vokabel hier im Forum zu begegnen, denn sie klärt nichts, bringt aber Gift in die Debatte. Ich übersetze mal, dass Du der Meinung bist, dass Christian in seinem Wissen irre geht - und das werdet ihr also so sachlich klären können, ohne persönlich verunglimpfende Vokabeln, die im Internet immer bedeuteten, dass jemand gemerkt hat, dass er die schlechteren Argumente hat. Das kann ich aber doch bei Dir nicht glauben :)


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    Vielleicht hast Du aber Wesentliches nicht erkannt, etwa daß F im C-Dominantseptakkord die vierte Stufe ist, Ges enharmonisch verwechselt (das tut der Brahms fallweise) ist die Hoch-Alteration dieses Fis.
    Die "große Seltenheit am Anfang eines Stücks" - mein Gott ja, bei Brahms sicher. Bei einem Gesualdo ist es die Regel...
    :hello:


    Denn mal weiter ...


    Liebe Grüße Peter

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    Original von Fairy Queen
    Hzerzlcih willkommen bei Tamino lieber Christian- schön, Dich hier zu lesen!!!! :hello:


    Liebe Fairy Queen,


    da schließe ich mich mit großer Freude an. Christian ist mir seit Jahren als kompetenter (nicht nur bei Brahms) Schreiber aus dem Usenet bekannt und nicht nur aus dem Usenet. Wer im CD-Katalog nachschaut, wird eine Reihe von Einspielungen (viele auch als Teil eines Klavierduos) finden, die eine spannende Kost nicht nur versprechen sondern auch bieten.



    Da viel Brahms dabei ist, hoffe ich, dass er die eine oder andere Einspielung hier selbst einmal vorstellt, gerade auch weil das die Frage im Titel dieses Threads beantworten kann: Es könnte sein, dass man über die Klavierfassungen etwa der Sinfonien als Jugendlicher leichter zu Brahms findet als über die orchestralen Einspielungen.



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    Die Lieder entdecke ich nach und nach.
    Mein derzeitger Favorit ist Feldeinsamkeit.
    Aber das gehört dann in unseren Brahms-Lied-Thread im Kunstliedforum.


    Wie man in dem entsprechenden Thread lesen kann, höre ich mich im Moment durch die Brahms-Lieder durch (und katalogisiere dabei meine Aufnahmen in meine Datenbank). Es ist ein unermesslicher Kosmos, in den ich eingetreten bin und in dem ich im Moment noch um Übersicht kämpfe.


    Ich bewundere das Bemühen von Uwe, der von Rückschlägen unbeirrt seinen Weg zu Brahms sucht. Die Lieder sind sicher ein Zugang für einen Sänger, könnte ich mir vorstellen - oder eben die Kammermusik.


    Liebe Grüße Peter

    Il est plus difficile de s'empêcher d'être gouverné que de gouverner les autres.


    (La Rochefoucauld, 151)


    Es ist schwerer, die anderen daran zu hindern, einen zu beherrschen, als selbst die anderen zu beherrschen.





    Liebe Grüße Peter

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    Original von ChKöhn
    Genau die! Meines Wissens gab es auch mal eine Aufnahme mit Edith Mathis, Peter Schreier und Karl Engel, die aber zumindest als Gesamtaufnahme wohl im Moment vom Markt ist.


    Lieber Christian,


    die Gesamteinspielung gibt es im Marketplace, wenn auch nicht gerade wohlfeil



    Daraus (?) eine sehr preiswerte Auwahl



    Liebe Grüße Peter