Zitat
Original von Zwielicht
Ich werde wohl nochmal im Januar hingehen, weil ich es ja auch liebe, gute Aufführungen mehrfach zu sehen - und außerdem weiß, wieviel man beim erstenmal nicht hört und sieht. Wenn das nicht immer so weit nach München wäre... :wacky:
Viele Grüße
Bernd
Lieber Bernd,
warst Du evtl. gestern auch in der Vorstellung?
Ich bekam ja erst einmal einen großen Schrecken, als wieder ein Herr vor den Vorhang kam und dachte... bitte sag bloß nicht, dass Volle krank ist. Nein, er war im wunderbaren Vollbesitz seiner Stimme und unglaublichen schauspielerischen Kräfte. Frau Schuster hatte Grippe, aber sang trotzdem und wahrscheinlich nicht viel anders als sonst. Man hatte halt noch mehr Mitgefühl, als sie im kalten Wasser rumlaufen/tanzen mußte. (In ihren Pausen wird immer mit Föhn versucht, ihren Rock wieder trocken zu bekommen, damit sie sich eben nicht erkältet)
Habe gerade noch einmal diesen Thread durchgelesen und kann nur alles so bestätigen, wie es von Dir und den anderen Taminos empfunden wurde. Für meine Begriffe kann man diese schlimme Geschichte weder musikalisch Berg/Nagano noch inszenatorisch besser machen. Habe die ganze Nacht davon geträumt (natürlich albtraummäßig) und komme aus dieser Umklammerung wohl noch lange nicht heraus.
Das ganz Besondere dieses Abends war dann natürlich das Publikumsgespräch mit Beteiligung von Kent Nagano. Man hatte das Gefühl, 80% des fast ausverkauften Hauses hatte sich vor der Königsloge und drumherum versammelt und harrte sicher bis 23 Uhr oder länger aus. Diese Gespräche werden also sehr gut angenommen und hoffentlich zum Standard.
Bevor Herr Nagano kam, wurde erst einmal heftig die mangelnde Lesbarkeit der Übertitelungsanlage bemängelt, aber über die Beseitigung des Problems gibt es wohl noch keine richtig praktikable Lösung (evtl. bei neuer Bestuhlung eingebaute Laufbänder). Was Herr Nagano dann später über Tonalität oder Atonalität des Stückes sehr engagiert erklärte, hätte ich notieren müssen, um nichts verkehrtes zu schreiben. Von seinem Empfinden, der Gesamtheit gegenüber, wäre es auf keinen Fall rein atonal. Er benutzte ein besonderes Wort dafür (es könnte volltonal gewesen sein, aber bin mir nicht sicher).
Schmunzelnd reagierte er auf die Frage, dass ein Synthesizer im Graben gesichtet worden ist, aber der Einsatz nicht erkennbar war. Das sollte wohl auch nicht sein, aber war bei dieser Oper wohl deshalb notwendig geworden, da verschiedene Sänger mehrmals pfeifen müssen und es unglaublich schwer wäre, auch wenn sie es in den Proben usw. natürlich perfekt könnten, während der Aufführung auf sein Handzeichen hin loszulegen. Da käme in der Regel nur heiße Luft und das Gerät wäre auch am Abend wieder dringend nötig gewesen (breites Grinsen von seiner Seite).
Sehr eindrucksvoll war auch der Beitrag eines blinden Mannes, der fast jeden Abend in der Oper verbringt, den Wozzeck natürlich auch kein einziges Mal ausgelassen hatte, wie einige andere Zuschauer auch. Er hat durch die Einführungen, die Musik, die Stimmen (da hob er natürlich besonders Herrn Volle hervor) und die Geräusche auf der Bühne ein ganz klares Bild vor Augen und er meinte, so tief wie dieser Wozzeck ist ihm noch keiner vorher unter die Haut gegangen und man merkte, dass er kurz davor war, zu weinen. Herr Nagano ging auch explizit auf Herrn Volle ein und beschrieb ihn als äußerst disziplinierten Sänger, der aber seine Musikalität so intensiv in sein Spiel einbringen kann, wie kaum ein anderer und ein unglaublicher Gewinn für jedes Ensemble ist.
Auch die Rolle des Kindes (Aurelius Braun) wurde zum Thema und der Dramaturg machte sogar in der Form Werbung für ihn, dass sich Regisseure um ihn bemühen sollten, da er selten so einen schauspielbegabten Jungen erlebt hätte. Herr Kriegenburg wäre aber auch ein fantastischer Regisseur und hätte mit allen sehr gut gearbeitet. Das Alter des Kindes, das oft als Kleinkind dargestellt wird (hier so als ca.10-jähriger), da Wozzeck und Marie ja erst 3 Jahre zusammen waren, könnte hier auch vermuten lassen, dass es eben Maries Kind war, er aber Wozzeck als Papa annahm, weil er ihn wohl liebte und sah, wie er sich für seine Familie abquälte.
Es wurde auch die Frage gestellt, ob es so rüberkommen sollte, dass Wozzeck eigentlich der einzig "Normale" in dieser Inszenierung wäre, was ja auch schon durch die Kleidung und die reduzierte Schminke angezeigt wurde. Das bestätigte man, denn dadurch sollte sich wohl jeder, so gut es halt geht, mit diesem Wozzeck identifizieren können, um seine Reaktionen auf diese, doch brutal überzeichneten anderen Typen und Situationen, besser nachzuvollziehen. Bei mir hat das auf jeden Fall irgendwie gut funktioniert.
So, jetzt aber endlich zurück zum wirklich "normalen" Tagesgeschehen 
Liebe Grüße
Ingrid