Beiträge von Joseph II.

    In Sachen Requiems "ohne Brahms und Mozart " muss ich sofort [...] VOR ALLEM an das überwältigende Requiem von Osip Koslovsky denken - eines der herrlichsten Wunderwerke der klassischen Musik überhaupt denken!! Es stammt aus dem Jahr 1798, hat aber eine emotionale Tiefe wie kaum ein geistliches Werk in der Romantik!

    Ich zitiere mich selbst und bin absolut d'accord hinsichtlich der grundsätzlichen Einschätzung:



    Das Requiem von Józef Kozłowski (Ossip Koslowski) ist tatsächlich überaus beeindruckend. Es handelt sich um ein Auftragswerk des letzten unabhängigen Königs von Polen, Stanislaus II. August, der infolge der drei polnischen Teilungen 1795 den letzten Rest seines Reiches verlor und diese Komposition kurz nach seiner Abdankung 1796 anregte. Bei seiner eigenen Totenmesse 1798 erklang das eindrückliche Opus, das man durchaus auch als allgemeinen Abgesang auf das alte Polen-Litauen verstehen kann.


    Lange Jahre gab es genau eine einzige Einspielung, die schon erwähnte von 1988 unter Wladimir Jessipow mit dem Sinfonieorchester des Ministeriums für Kultur der UdSSR (Melodia). 2024 gesellte sich eine Neueinspielung mit dem Singapore Symphony Orchestra unter Hans Graf hinzu (Pentatone). Ich habe mittels Streaming auszugsweise hineingehört und bin eher ernüchtert. Zwar mag der Klang noch etwas besser sein, aber interpretatorisch scheint mir die Vorgängeraufnahme nicht ganz erreicht zu werden. Im Dies irae fehlt sogar aus unerfindlichen Gründen der bedrohliche Gong.


    Um die Abkunft Kozłowskis ist übrigens eine Art Streit zwischen Polen und Belarus im Gange. Ein weißrussischer Historiker will bereits in den 1980er Jahren eine Geburt Kozłowskis 1757 in Slauharad im heutigen Belarus nachgewiesen haben, was polnischerseits zurückgewiesen wird, wo man auf Warschau 1759 als Geburtsort beharrt. Tatsächlich findet unter dem belarussischen Präsidenten Lukaschenko eine erstaunliche nationale Vereinnahmung dieses Komponisten statt (wie auch im Falle von Stanisław Moniuszko, der in der Nähe von Minsk geboren wurde).

    Das Orchester [...] hat den Staub von der Partitur gewischt.

    Dergleichen liest man häufiger in Beschreibungstexten neuer Einspielungen altbekannter Werke. Der geschätzte moderato meinte es gewiss nicht als Werbephrase. Heras-Casado kommt sogar bei Classics Today mit einem blauen Auge weg, was etwas heißen will. Hurwitz' Hauptkritik ist gewissermaßen, dass es gleichwohl ein Irrweg sei, einen Komponisten wie Mendelssohn, die idealtypische Personifizierung der Romantik, betont unromantisch (HIP) interpretieren zu wollen.

    w7h6d6pa5r3sa_300.jpg

    Dmitri Schostakowitsch

    "Das Lied von den Wäldern", Oratorium für Tenor, Bass, Kinderchor, gemischten Chor und Orchester op. 81


    Alexej Maslennikow, Tenor

    Alexander Wedernikow, Bass


    Arakawa-Kinderchor Tokio

    Chor des Allunionsrundfunks Moskau

    Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR

    Dirigent: Jewgeni Swetlanow


    Aufnahme: NHK Hall, Tokio, 21. Oktober 1978





    Mitschnitt eines Gaspiels in Japan. Intensiver wurde dieses Werk wohl kaum jemals interpretiert. Die Schlussapotheose ist ins Unermessliche gesteigert.


    Gibt es auch im Netz:


    Die Sehnsucht nach Entschleunigung nimmt nach meiner Beobachtung durchaus zu. Was sich allein in dem Vierteljahrhundert seit der Jahrtausendwende getan hat, macht zuweilen sprachlos. Auf der einen Seite ungemeine Fortschritte in einer bis dato ungeahnten Geschwindigkeit. Andererseits aber auch die berechtigte Sorge, bei diesem Mordstempo noch Schritt zu halten. Mahler soll gemeint haben, in Wien passiere alles 50 Jahre später. Nun ja. Ich komme mir nicht wie 1975 vor. Eine gewisse Tendenz, die Urbanisierung und ihre vermeintlichen Vorteile in Frage zu stellen, scheint sich auch zu verstärken. Eine Rückbesinnung aufs Rural-Ländliche, weg von der dekadenten Großstadt. Die klassische Musik kann da natürlich ebenfalls ein Rettungsanker sein.

    518IcQiS1YL.jpg

    Den Kultfilm "Entführung im Kaukasus", auch bekannt unter dem Titel "Die kaukasische Gefangene oder Schuriks neue Abenteuer", gab es gestern Abend mal wieder. Die womöglich populärste sowjetische Komödie überhaupt (Mosfilm 1967). Regie führte Leonid Gaidai, der nicht nur für die Schurik-Reihe (es gibt zwei weitere Teile), sondern einiges mehr verantwortlich zeichnete. Mein Urteil von vor einigen Jahren bleibt bestehen: Zeitlos gut und urkomisch. Das Highlight bleibt für mich das trottelige Schurkentrio (Jewgeni Morgunow, Juri Nikulin, Georgi Wizin), das sich zu Sowjetzeiten einer enormen Popularität erfreute. Unbedingt im russischen Original schauen, da jede Synchronisation einen Großteil des Witzes raubt.


    Mittlerweile stellt der offizielle YT-Kanal von Mosfilm den Film komplett mit leicht verständlichen englischen Untertiteln zur freien Verfügung:


    Der Ernst von Siemens Musikpreis 2025, dotiert mit 250'000 Euro wurde an Sir Simon Rattle verliehen.

    Die Münchner "AZ" schrieb anlässlich Sir Simons Berufung zum BR-Chefdirigenten etwas süffisant: "Rattle wird ein Jahreseinkommen von etwa einer Million Euro nachgesagt. Und bei Vokalwerken lässt er zugunsten des Familieneinkommens gerne seine Gattin Magdalena Kožená mitwirken" (Quelle). In München würde man sagen: Wer ko, der ko. :pfeif:


    Friedrich Schneider

    Ouvertüre über den Dessauer Marsch D-Dur op. 50

    "Gaudeamus igitur", Festouvertüre über Motive akademischer Lieder op. 84

    "Ouverture tragique" c-Moll op. 45


    Anhaltische Philharmonie Dessau

    Dirigent: Markus L. Frank


    Aufnahme: Katharina-Saal, Stadthalle Zerbst/Anhalt, 25.-27. April 2017






    Hörenswerte Musik der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Anhalt-Dessau (heute Sachsen-Anhalt).

    w7h6d6pa5r3sa_300.jpg

    Johannes Paul Thilman

    Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 64


    Dresdner Philharmonie

    Dirigent: Heinz Bongartz


    Aufnahme: Lukaskirche, Dresden, 25.-28. November 1959








    Eine Sinfonie von 1954, dem Sozialistischen Realismus verpflichtet. Thilman galt damals als führender ostdeutscher Komponist. Die Tonsprache geht kaum über Brahms hinaus, gleichwohl hörenswert. Bezeichnenderweise wurde dieses Werk ausgewählt, die erste Stereoeigenproduktion der DDR zu werden. Eine Neuauflage durch Berlin Classics täte not.

    Die Aufnahme der 5. Sinfonie von Beethoven aus Tokio 1992 - offenbar das letzte Mal, dass Celibidache das Werk dirigierte - habe ich mir nach vielen Jahren heute noch einmal vorgenommen. Sie ist auf einem etwas obskuren japanischen Privat-Label herausgekommen und fand seinerzeit den Weg auch in meine Sammlung. (Im ersten Teil des Konzerts wurde offenbar irgendein Klavierkonzert mit ABM gegeben.) Die Spielzeiten sind weiter oben minutiös gelistet. Mein Höreindruck ist eher ernüchternd. Zwar gibt es ergreifende Momente, aber fehlt zumeist die Durchzugskraft. Dass dies nicht allein an den langsamen Tempi liegen kann, beweist Klemperer mit nahezu identischen Zeitmaßen (besonders BR 1969). Geht das Konzept im Kopfsatz noch einigermaßen auf, gibt es im Andante und Scherzo doch merkliche Hänger. Der Spannungsbogen wird schlichtweg nicht aufrechterhalten, reißt ab, man droht stellenweise wegzudösen. Wer monumentale Urgewalt im Finalsatz erhofft, wird ernüchtert sein. Stellenweise merkwürdig buchstabiert. Orchestrale Ausbrüche - passende Anlässe gäbe es bekanntlich genügend - werden gnadenlos versäumt. Die gleichförmige Dynamik liegt auch nicht einfach am eigentlich zufriedenstellenden Klangbild, sie ist offenbar Teil der Interpretation. Die Münchner Philharmoniker lassen zudem über weite Strecken die orchestrale Brillanz vermissen, die man von anderswo kennt, und tragen ihren Teil zum in diesem Fall wenig schmeichelhaften Gesamtergebnis bei.


    Auf dieses insgesamt durchaus differenzierte Video mit Hurwitz über Celibidache und insbesondere den postumen Kult bin ich in diesem Zusammenhang gestoßen. Wer einen Totalverriss erwartet, wird enttäuscht. "Bilder einer Ausstellung" und Bruckners Vierte, die er auch live mit ihm hörte, hebt er ausdrücklich als herausragend hervor.


    bach-cantatas.com ist da sehr hilfreich. Die erste Aufnahme, welche die Fassung von 1725 berücksichtigt, scheint jene von Hans-Martin Schneidt mit dem Collegium St. Emmeram und den Regensburger Domspatzen zu sein (Archiv Produktion, 1979): "including the 5 alternative Mvts. from the 1725 version". Gab es auf LP und ist 2023 digital erschienen.


    euo2b6hz2hrxc_300.jpg

    Mich würde sehr interessieren, ob und wie sich das Remastering bemerkbar macht?

    Einige der Aufnahmen aus der remasterten Box findet man bereits im Streaming. Erfahrungsgemäß dürfte sich die Zahl nach und nach erhöhen, bis alles auch dort verfügbar gemacht wurde. Vielleicht hast Du ja die Möglichkeit, da hineinzuhören.

    Noch einmal zurück zu Beethovens 5. Sinfonie:


    Es gibt davon mindestens vier Tonaufnahmen mit Sergiu Celibidache. Zwei davon erschienen offiziell auf CD, eine auf einer Bootleg CD-R, eine weitere kursiert zumindest als Rundfunkmitschnitt:


    - Schwedisches Rundfunk-Sinfonieorchester - Nacka Aula/Schweden, 06.09.1967 Stereo - CD Weitblick SSS0153/154-2

    - Radio-Sinfonieorchester Stuttgart - Liederhalle, Stuttgart, 10.02.1982 Stereo - Mitschnitt Südfunk

    - Münchner Philharmoniker - Philharmonie im Gasteig, München, 28. & 31.05.1992 Stereo - CD EMI 7243 5 56521 2 6

    - Münchner Philharmoniker - Hitomi Memorial Hall, Tokio, 16.10.1992 Stereo - CD-R "0" "0" "0" Classics TH-002


    Spielzeiten:


    Nacka/Schweden 1967: 7:15 mit Wh., ohne 5:49 - 10:28 - 5:24 - 8:46 (Überleitung 3./4. Satz: 42 Sek.)

    Stuttgart 1982: 6:04 - 11:10 - 5:41 - 9:37 (Überleitung 3./4. Satz: 44 Sek.)

    München 1992: 7:09 - 11:43 - 6:17 - 10:41 (Überleitung 3./4. Satz: 48 Sek.)

    Tokio 1992: 7:20 - 12:37 - 6:42 - 11:27 (Überleitung 3./4. Satz: 51 Sek.)


    Die (erwartbare) kontinuierliche Verlangsamung geht bereits aus diesen bloßen Zahlen hervor. Interessanter Aspekt: Die Wiederholung im Kopfsatz ließ Celibidache 1967 durchaus noch spielen, danach entfällt sie. Dieser Strich war bereits damals anachronistisch und wurde nach 1970 von fast keinem Dirigenten mehr praktiziert. Nun also der Nachweis, dass es noch bis in die 90er Jahre mindestens einen namhaften Vertreter dieses Strichs gab. Furtwängler ließ diese Wiederholung übrigens durchaus spielen, dies am Rande. Die Streichung der Wiederholung im Finalsatz, in allen vier Aufnahmen vorhanden, ist freilich keine solche Extravaganz. Das früheste zum Vergleich herangezogene Tondokument unter Celibidache, ein Mitschnitt des Schwedischen Rundfunks von 1967, zeigt erstaunlich lebhafte Tempi. Noch in Stuttgart 1982 im Mitschnitt des Südfunks sind die Zeitmaße relativ moderat. Der große Bruch kommt tatsächlich erst ein Jahrzehnt später in den beiden Aufnahmen mit den Münchner Philharmonikern. Die etwas frühere von Mai 1992 aus dem Münchner Gasteig ist die "offizielle", bei EMI erschienene. Der Kopfsatz würde mit gedachter Wiederholung die 9-Minuten-Marke überschreiten. Innerhalb nur weniger Monate hat er sich dann sogar abermals verlangsamt, wie das Tokioter Konzert von Oktober 1992 offenbart. Der erste Satz ist zwar annähernd gleich geblieben, doch erhält das Andante mit fast 13 Minuten endgültig den Charakter eines Adagios. Das Scherzo nähert sich nun fast 7 Minuten an, das Finale kommt auf elfeinhalb. Bereits 1967 gestaltete Celibidache die Überleitung zum Finalsatz mit 42 Sekunden relativ getragen. Bis 1992 kommt er auf ein Furtwänglersches Zeitmaß von 51 Sekunden. Die Spielzeiten in Tokio 1992 sind überaus zelebriert, wobei man andererseits hinzufügen muss, dass dies nicht ohne Vorbild ist. Ferenc Fricsay kam in seiner DG-Einspielung mit den Berliner Philharmonikern von 1961 auf ganz ähnliche Zeiten (9:10 mit Wh. - 13:18 - 6:23 - 9:29 ohne Wh.) und Klemperer bei seinem letzten Auftritt beim BR 1969 ebenfalls (7:41 ohne Wh. - 12:11 - 6:52 - 11:04 ohne Wh.).

    dobias_vaclav_0.jpg


    Václav Dobiáš, geboren am 22. September 1909 in Radčice, damals Königreich Böhmen/Österreich-Ungarn, gestorben am 22. Mai 1978 in Prag, Tschechoslowakei (ČSSR), war ein tschechischer bzw. tschechoslowakischer Komponist.


    Václav Dobiáš entstammte einer musikalischen Familie aus Radčice (Radschitz) im Bezirk Jablonec nad Nisou (Gablonz an der Neiße) in Nordböhmen (sein Vater spielte in einer örtlichen Kapelle, seine Onkel waren ebenfalls Musiker). Mit zehn Jahren wurde er Schüler des Violinvirtuosen Josef Muzika, seinerseits Schüler von Otakar Ševčík, und schrieb schon zu dieser Zeit seine ersten Kompositionen. Auch während seines Studiums in Jičín (1924-1928) komponierte er. Bereits 1928/29 unterrichtete er in Mukačev im Karpatenvorland und leitete während seines Militärdiensts in Josefov (1929/30) den dortigen Militärchor. Es folgten private Studien beim Komponisten Josef Bohuslav Foerster (1930/31), später in der Meisterklasse von Vítězslav Novák am Prager Konservatorium (1937-1939). Sein Komponistenkollege Alois Hába führte ihn in die sog. Mikrointervallkomposition ein. Auf diesem Felde bewies Dobiáš erkennbares Talent und ließ dieses moderne Idiom in seine eigenen Kompositionen einfließen. Erste Erfolge stellten sich mit seiner Kammersinfonie (1939, zugleich seine Abschlussarbeit), seiner Klaviersonate (1940) sowie seiner Sinfonie Nr. 1 (1943) ein. Infolge der deutschen Besatzung seines Heimatlandes fand er zunehmend zu einer von der tschechischen Nationaltradition inspirierten Tonsprache und komponierte zunächst große Männerchöre nach dem Vorbild Smetanas. Mit der Kantate "Stalingrad" (1945) erreichte dies einen frühen Höhepunkt. Nach der Befreiung Prags von der Wehrmacht und dem Einzug der sowjetischen Roten Armee im Mai 1945 wandte er sich aus Überzeugung der Sache des Kommunismus zu und wurde Mitglied der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSČ). Das tschechische Volkslied, aber auch die Intonation von Sowjetliedern in Form sog. "Aufbau-Lieder" stellten einen erheblichen Teil seines Wirkens in den ersten Nachkriegsjahren dar. Daneben wären u.a. die Kantaten "Befehl Nr. 368" nach Stalins gleichnamigem Befehl vom 9. Mai 1945 (1946), "Zeremonielle Parade - Februar 1948" (1948) sowie "Baue die Heimat auf, du wirst den Frieden festigen" (1951) zu nennen. Letztere kann als musikalisches Symbol für den Aufbau des Sozialismus stehen und orientiert sich an Smetanas "Tschechischem Lied" von 1860. Nach dem kommunistischen Februarumsturz von 1948 avancierte Dobiáš zum linientreuen offiziellen Künstler des neuen Regimes, da seine Musik den Leitnormen des Sozialistischen Realismus entsprach und diesen teilweise sogar vorweggenommen hatte. Die vom sowjetischen Politbüro-Mitglied Andrej Shdanow im Februar 1948 angestoßene "antiformalistische Kampagne" unterstützte Dobiáš leidenschaftlich. Offiziellen Kritikern wie Antonín Sychra galt das prokommunistisches Werk von Václav Dobiáš im Allgemeinen als vorbildlich. Es nimmt insofern nicht wunder, dass seine Kompositionen häufig bei wichtigen Anlässen erklangen. Er selbst wurde zum gefragten Redner bei öffentlichen Diskursen über Musik. Gleichwohl gerieten Teile seines Frühwerks auf dem Höhepunkt des Spätstalinismus um 1950 zeitweise selbst in den Verdacht des "Formalismus" (dies betraf sogar die genannte "Stalingrad"-Kantate). Den berühmten Hussitenchoral "Die ihr Gottes Streiter seid" arrangierte er 1952 in einer monumentalen Bearbeitung für Bariton, Chor und Orchester (Klangbeispiel ganz unten). Sein womöglich wichtigstes Orchesterwerk, die etwa 50-minütige Sinfonie Nr. 2, schuf er in den Jahren 1956/57 (Klangbeispiel ganz unten). Sie galt schnell als Musterbeispiel einer idealtypischen sozialistischen Sinfonik. Das viersätzige dramatische Werk ist durch eine insgesamt gedrückte Stimmung geprägt, abgerundet durch einen Optimismus versprühenden triumphalen Schluss. Zeitgenössische Kritiker meinten eine stilistische und expressive Parallele zu Schostakowitschs Sinfonie Nr. 10 (1953) zu erkennen. Tatsächlich äußerte sich Václav Dobiáš dahingehend, eine Widerspiegelung der Ereignisse zwischen 1952 und 1957 in Musik gesetzt zu haben, vom Koreakrieg über die Hinrichtungen von Gegnern der Kommunistischen Partei der ČSSR, die offizielle Enthüllung der Verbrechen Stalins bis hin zum antikommunistischen Ungarnaufstand. Nichtsdestotrotz erhielt er für die 2. Sinfonie den Klement-Gottwald-Staatspreis. Kurz nach deren Uraufführung wurde Václav Dobiáš 1958 - für einen Komponisten ungewöhnlich - auf dem XI. Parteitag der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei Mitglied des Zentralkomitees der KSČ und sollte es für 13 Jahre bleiben. Ab 1960 saß er zudem als Abgeordneter in der Nationalversammlung bzw. ab 1969 in der nachfolgenden Föderalen Volkskammer, also dem tschechoslowakischen Parlament (bis 1971). Ferner gehörte er bereits seit 1949 dem Verband tschechoslowakischer Komponisten an und amtierte von 1952 bis 1963 als dessen Vorsitzender. Als Leiter der Musikabteilung im Kulturministerium (1946-1950) hatte er bereits Jahre zuvor den Minister beraten. Gleichwohl sollte, vielleicht auch bedingt durch sein zunehmendes politisches Engagement, kein großes Orchesterwerk mehr nachfolgen. Der Liedzyklus "Prags Einziger" (1961) nach Texten der stalinistischen Schriftstellerin Marie Pujmanová sowie die Festouvertüre (1965) bildeten gleichsam den Abschluss. Eine gewisse Ernüchterung über das kommunistische Regime ließ ihn gleichwohl nicht von seinem Glauben abweichen, dass es "in der gesamten sozialistischen Welt in den nächsten 20 oder 50 Jahren [...] ein irdisches Paradies geben wird". Das Jahr 1968 sollte für Václav Dobiáš, wie für viele Tschechoslowaken, einschneidend werden. Auf Druck von Vertretern des Reformkommunismus wurde er zum Rücktritt aus dem Komponistenverband gedrängt. Wenig später überschlugen sich infolge der Niederschlagung des Prager Frühlings durch Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 die Ereignisse. Im Sommer 1969, kurz nach Beginn der "Normalisierung", erlitt Dobiáš einen Herzinfarkt. Nach seiner Genesung lehnte er das ihm vom neuen Generalsekretär Gustav Husák angebotene Amt des Kulturministers ab. Sein zwischenzeitlicher Bedeutungsverlust wurde durch das Obsiegen der konservativen Kräfte relativiert, doch zwangen ihn augenscheinlich gesundheitliche Gründe, seine Parteiämter im ZK und im Parlament auf dem XIV. Parteitag von 1971 aufzugeben. Zwischen 1974 und 1978 übernahm er noch die Leitung des Kommitees des Musikfestivals Prager Frühling. An der grundsätzlichen kommunistischen Überzeugung gibt es im Falle von Václav Dobiáš bis zuletzt keinen Zweifel, wie noch sein Alterswerk beweist, darunter das Lied "Grüße an den XV. Parteitag der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei" (1976). Von 1950 bis zu seinem Tode lehrte er als Professor für Komposition an der Akademie der Bildenden Künste in Prag. Zu seinen Schülern gehörten Josef Ceremuga, Václav Felix, Jiří Dvořáček, Ivan Řezáč, Miroslav Raichl, Zdeněk Zahradník, Eduard Dřízga, Jaroslav Rybář, Ivan Kurz, Václav Riedlbauch, František Koníček, Jaroslav Smolka, Jaroslav Kasan, Jiří Stivín und Bohuslav Ondráček. 1972 wurde er zum Verdienten Künstler und 1976 schließlich zum Volkskünstler der ČSSR ernannt. Nach seinem Ableben 1978 im 69. Lebensjahr verblasste seine über Jahrzehnte überragende Stellung in der Tschechoslowakei innerhalb kurzer Zeit.


    (Unter Zuhilfenahme des Artikels im Tschechischen Musiklexikon von Personen und Institutionen, https://slovnik.ceskyhudebnisl…int&tmpl=component&id=922)


    hqdefault.jpg

    Václav Dobiáš mit Dmitri Schostakowitsch


    Der Fall Václav Dobiáš scheint auf den ersten Blick der eines systemtreuen Vorzeigekommunisten zu sein und erinnert oberflächlich an Tichon Chrennikow, den langjährigen Generalsekretär/Ersten Sekretär des Sowjetischen Komponistenverbands. Gleichwohl verband ihn eine Freundschaft mit den Komponisten Dmitri Schostakowitsch und Arthur Honegger. Zu seinem engsten Freundeskreis gehörte das Ehepaar Jaroslav Krombholc (Dirigent) und Marie Tauberová (Sopranistin). International war Dobiáš angesehen und traf u.a. Benjamin Britten und Peter Pears. Sein Œuvre wurde von so bedeutenden Dirigenten wie Karel Ančerl, Ladislav Slovák, Václav Neumann, Rafael Kubelík, Alois Klíma, Vladimír Válek und Jiří Pinkas aufgeführt. Supraphon spielte seine wichtigsten Werke ein, teilweise mehrfach. Besonders die 2. Sinfonie würde mehr Aufmerksamkeit verdienen. Victor Carr Jr von Classics Today rezensierte die Ančerl-Einspielung von 1960 (übrigens eine der frühesten Stereoproduktionen von Supraphon) wie folgt: "Die Tschechische Philharmonie zelebriert Dobiáš' lebendige Orchestrierung, während Ančerls kraftvolles Dirigat die Sinfonie unterstreicht - sie sollte unbedingt von heutigen Orchestern gespielt werden (vor allem das Adagio wäre ein Publikumserfolg)."


    dobias-britten-pears.jpg

    Václav Dobiáš mit Benjamin Britten und Peter Pears


    Diskographie (auszugsweise):



    Sinfonie Nr. 2

    Tschechische Philharmonie

    Dirigent: Karel Ančerl

    1960 Stereo



    Kantate "Baue die Heimat auf, du wirst den Frieden festigen"

    Tschechischer Chor

    Kinderchor

    Tschechische Philharmonie

    Dirigent: Karel Ančerl

    1951 Mono



    Kantate "Stalingrad"

    Zdeněk Otava, Bariton

    Armee-Ensemble

    Männerchor Typografia

    Tschechische Philharmonie

    Dirigent: Rafael Kubelík

    1945 Mono


    472229.jpg Digital


    Kantate "Stalingrad"

    René Tuček, Bariton

    Chor und Sinfonieorchester des Tschechoslowakischen Rundfunks

    Dirigent: Jaroslav Krombholc

    1975 Stereo


    k4dx5tafhpzvc_300.jpg Digital


    "Zeremonielle Parade - Februar 1948"

    Chor des Tschechoslowakischen Rundfunks

    Prager Sinfoniker

    Dirigent: Ladislav Slovák

    1972 Stereo


    ibsa4el7dectb_300.jpg Digital


    "Festivalová"

    Chor und Sinfonieorchester des Tschechoslowakischen Rundfunks

    Dirigent: Jiří Pinkas

    1953 Mono


    q5z9rk5tu9ebb_300.jpg Digital


    "Die ihr Gottes Streiter seid" (Hussitisches Kampflied, 1420; Bearbeitung für Bariton, Chor und Orchester)

    Ilja Doležal, Bariton

    Künstlerisches Armee-Ensemble Vít Nejedlý

    Dirigent: Jaromír Nohejl

    1953 Mono



    Nochmal Danacord x 2 mit Rued Langgaard:


    un5fmrqtnvobb_300.jpg


    Sinfonien und Orchesterwerke - Frühe Aufnahmen 1957-1981

    darunter:

    Sinfonie Nr. 4 "Løvfald" (Sinfonieorchester des Dänischen Rundfunks/John Frandsen, Studio 1981)

    Sinfonie Nr. 6 "Det Himmelrivende" (Sinfonieorchester des Dänischen Rundfunks/Martellius Lundquist, Studio 1961)

    Sinfonie Nr. 16 "Syndflod af Sol" (Sinfonieorchester des Dänischen Rundfunks/Francesco Cristofoli, live 1966)


    a13lylol21p5a_300.jpg


    Klavier-, Orgel- und Vokalmusik - Frühe Aufnahmen 1963-1974

    darunter:

    Sinfonie Nr. 2 "Vaarbrud" (mit Kirsten Hermansen, Sopran, und dem Sinfonieorchester Odense unter Karol Stryja von 1974)

    pwcjbkunk3vja_300.jpg

    Durch Zufall entdeckt, noch nicht bei jpc gelistet: Danacord hat anlässlich des Ablebens von Leif Segerstam im vorigen Jahr eine 4-CD-Box mit dem dänischen Sinfonieorchester Aarhus herausgebracht. Inkludiert sind Bruckner 7 (2019), Bruckner 4 (2019), Smetana Vyšehrad, Moldau, Šárka (2020), Langgaard 5 (2021) und Beethoven 6 (2021).

    w7h6d6pa5r3sa_300.jpg

    Václav Jan Tomášek

    Sinfonie Es-Dur op. 19


    Prager Kammerorchester

    Dirigent: František Vajnar


    Aufnahme: 1973








    Heute in der Radiotéka des Tschechischen Rundfunks als verlustfreies Audio erworben (plus die Sinfonie D-Dur). Würden ORF und Co. nur in ähnlicher Weise ihre Tondokumente unkompliziert zugänglich machen.

    Irgendwo lief mir der Name dieses Komponisten in der eigenen Sammlung doch bereits über den Weg. Jetzt wurde ich fündig. Auf der Scheibe "Jagdmusik alter tschechischer Meister" (Supraphon, 1970/71) ist Družecký mit der sog. "Partita Berdlersgarn" berücksichtigt, dreisätzig und insgesamt etwa zwölfminütig. Solches Repertoire höre ich selten, aber wenn es so erfindungsreich gemacht ist, kann man schwer widerstehen. Es agiert das Collegium musicum Pragense (auf dem neueren Cover falsch geschrieben) unter František Vajnar. Nachfolgend der Kopfsatz.



    w7h6d6pa5r3sa_300.jpg

    Bedřich Smetana
    "Die Moldau" aus "Mein Vaterland"


    Sinfonieorchester des Tschechoslowakischen Rundfunks

    Dirigent: Jaroslav Krombholc


    Aufnahme: Smetana-Saal, Gemeindehaus, Prag, Juni 1973








    Heute seit langem wieder auf diesen großen Dirigenten gekommen, will ich mir zumindest spätabends zumindest noch Smetanas Gassenhauer genehmigen (es ist natürlich eine Gesamtaufnahme der sechs Sinfonischen Dichtungen). Es ist eine der stimmigsten Deutungen dieses Stücks, versehen mit einer sympathischen Note von individuellem Wiedererkennungswert. Sozusagen ein Geheimtipp abseits der üblichen Verdächtigen.


    Bedřich Smetana

    Triumph-Sinfonie E-Dur op. 6


    Sinfonieorchester des Tschechoslowakischen Rundfunks

    Dirigent: Josef Hrnčír


    Aufnahme: 1980








    Eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gehört, dieses völlig vernachlässigte Werk. Hier mit ganz idiomatischen Interpreten, offenbar aus dem tschechischen Rundfunkarchiv stammend. Schön, wie Smetana die Melodie der österreichischen Kaiserhymne eingewoben hat.

    glb3jnf7bk4fa_300.jpg


    Was große tschech(oslowak)ische Dirigenten der Dvořák-Sinfonien anbelangt, muss man noch ein paar Namen hinzufügen. Václav Smetáček spielte für Supraphon 1959 die Stereoschallplattenpremiere der 3. Sinfonie ein (von Hurwitz als Referenz bezeichnet) und legte 1983 für Panton zumindest noch die 6. Sinfonie vor (beide mit den Prager Sinfonikern). Leider scheint er ansonsten keine Sinfonie von Dvořák aufgenommen zu haben, spielte aber eine großartige Aufnahme des Te Deum ein.


    51j2dQEinOL._SL300_.jpg


    Als sehr überzeugend habe ich auch die Einspielung der 9. Sinfonie unter dem häufig vergessenen Jaroslav Krombholc in Erinnerung, die dieser 1975 mit dem Prager RSO für den Tschechoslowakischen Rundfunk machte und die später auf CD erschien.


    bs1fm6vfngtib_300.jpg grvxhrqpd79kc_300.jpg


    Mit Košler gibt es übrigens neben der slowakischen Gesamtaufnahme zumindest die 7. Sinfonie als Supraphon-Studioeinspielung mit der Tschechischen Philharmonie (1964). Die 9. wurde von Supraphon mit demselben Orchester zudem 1979 live mitgeschnitten.

    w7h6d6pa5r3sa_300.jpg

    Jiří Pauer

    "Ich rufe euch, Menschen!"

    Friedenskantate für Sopran, Tenor, Bariton, gemischten Chor und Orchester (Zum 50. Jahrestag der Gründung der KSČ)


    Zdenka Kareninová, Jaroslav Kachel, Jindřich Jindrák


    Prager Philharmonischer Chor (Ltg.: Josef Veselka)

    Tschechische Philharmonie

    Dirigent: Jiří Bělohlávek


    Aufnahme: Künstlerhaus (Rudolfinum), Prag, 1971




    Supraphon hat echte Kuriositäten im Katalog, mittlerweile digital verfügbar gemacht. Nachfolgend das LP-Cover.


    LP-Cover.jpg

    Neumann ist natürlich sehr gut und für eine Gesamteinspielung eine treffliche Wahl. Trotzdem ist es nicht so, dass dazu keine adäquaten Alternativen gäbe. Selbst wenn man allein tschechoslowakischen Orchesterklang akzeptieren will, gibt es weitere Optionen: Jiří Bělohlávek mit der Tschechischen Philharmonie (Decca), Zdeněk Mácal mit der Tschechischen Philharmonie (Exton, es fehlt offenbar Nr. 1), Zdeněk Košler mit der Slowakischen Philharmonie (Opus) sowie Ivan Anguélov mit dem Slowakischen RSO (Oehms).

    Diesen Beitrag, den ich im RIP-Thread gepostet habe, möchte ich auch an hiesiger Stelle spiegeln; er scheint hier langfristig besser aufgehoben zu sein.


    qi6c3k167dkwb_300.jpg


    Wiewohl auch für mich Alfred Brendel und seine Bedeutung unstrittig sind, findet er sich in meiner Sammlung recht spärlich. Bewusst gesammelt habe ich ihn (bisher) nicht. Natürlich kommt er trotzdem vor. Eine sehr schöne Einspielung ist seine vermutlich früheste des 1. Klavierkonzerts von Brahms, begleitet vom Concertgebouw-Orchester unter Hans Schmidt-Isserstedt. Man findet sie auf CD u.a. in Vol. 2 der dem Dirigenten gewidmeten Eloquence-Kollektion sowie einer Philips-Trio-Box. Ich muss gestehen, dass ich mir die Aufnahme seinerzeit wegen Schmidt-Isserstedt zugelegt habe. Es war nämlich dessen letzte Einspielung überhaupt, entstanden zwischen 24. und 26. Mai 1973 im Amsterdamer Concertgebouw, unmittelbar vor seinem Ableben am 28. des Monats. Nun also, mehr als ein halbes Jahrhundert später, ist auch der damalige Solist von uns gegangen. Soeben sehe ich, dass Tower Records Japan exakt diese Produktion neu gemastert in seine formidable Vintage SACD Collection als Vol. 35 aufgenommen hat (PROC-2408/9).


    s-l500.jpg