Beiträge von Mengelberg

    Zitat

    Original von Herbert Henn
    Lieber Mengelberg,
    ich weiß ja nicht, was Du für eine Partitur von Otello hast. In meiner ist das ganze "Era la notte" im Legato zu singen.Am Anfang steht bei mir: "avvicinandosi molto ad Otello e sottovoce".In Takt 17 steht ppp und in Takt 20 pppppp, in Takt 27 "sempre sotto voce".Das ganze ist ja eine Traumerzählung, eine suggestive Beschwörung Otellos. Das macht Tibbett genau so wie sein Nachfolger Warren.Beim "Credo" sieht die Sache natürlich anders aus. Das ist vorwiegend ein Parlandostück. Das meistert Tibbett auch bravourös.


    :hello:Herbert.


    Lieber Herbert,


    ich habe die Partitur von Dover, Ausgabe 1986. Da steht ab "Desdemona soave!" Sottovoce parlate, dann ab der chromatischen Figur auf "l'estasi del ciel" wieder legato. "E disse poscia" wieder im parlando, das folgende cupo. Daß Jago da auf dem C verharrt (übrigens auch auf dem ersten parlando), scheint das Sprechen geradezu zu fordern. Das größte geforderte Pianissimo ist bei mir ein pppp auf "seguia più vago". Ich habe leider keine Taktzahlen. Benutzt Du einen Klavierauszug?


    :hello:
    M.


    Hallo Herbert,


    ich habe ja nichts gegen das, was Du sagst. Gewiß hat Tibbett mit der Stimme viel ausdrücken können, und natürlich hatte er viele Qualitäten, die andere Kollegen nicht hatten. Sonst hätte man für ihn wohl keine Rollen geschrieben.
    Nur: Mir gefällt sein Ausdruck nicht, weil er mir permanent zu nobel daherkommt. Das ist eine ähnliche Kritik, die Fischer mal gegenüber Franz Völker geäußert hat - nicht, daß Fischer etwas gegen Völkers Stimme gehabt hätte - bloß gegen seine unzerstörbare Noblesse. Die, fand Fischer, paßte überhaupt nicht zum Otello - und ich finde, daß Tibbetts Belcantoton nicht unbedingt zum Jago paßt. Jago hat, ein Blick in die Partitur zeigt es, viele Elemente, die bei Tibbett zu kurz kommen. Um ein konkretes Beispiel zu nehmen: Tibbetts Era la notte ist herrlich und stimmschön gesungen. Aber wo ist das parlando, das Verdi über weite Teile ausdrücklich fordert? Tibbett singt, er spricht nicht. Und die Voce cupa? Da singt Tibbett schön leise, aber nach Voce cupa klingt das nicht. Tibbett erinnert mich ein bißchen an viele seiner Tenorkollegen, die den Otello gesungen haben: Viele, so unterstelle ich mal, hatten nicht den Mut, den Schönklang zu durchbrechen und das Publikum mit der Voce soffoccata zu konfrontieren, die Verdi ausdrücklich forderte. Jimmy McCracken hat es sich in der Studioaufnahme getraut und hat dafür groteskerweise viel Kritik einstecken müssen.
    Also: Natürlich konnte Tibbett mit seiner Stimme spielen, aber es war in einigen Rollen für meinen Geschmack eben nicht genug. Ich mag allerdings seinen Germont (mit Ponselle). Eine sehr schöne Aufnahme.


    :hello:
    M.

    Zitat

    Original von GiselherHH
    Da kann ich nur sagen: Gott sei Dank! Gott sei Dank bedient sich Tibbett nicht aus dem Fundus veristischer Unarten und Pseudogefühligkeiten, die nur peinlich sind, sondern interpretiert seine Rollen mit rein musikalischen Mitteln und überdies durchaus sehr fesselnd.GiselherHH


    Ich widerspreche vehement. Denn das, was die Neuerung in Verdis Otello - jetzt einmal auf gesangliche Aspekte bezogen - ausmacht, das ist genau die Abkehr vom Belcanto hin zum Wagnerschen Expressionismus. Das hat mit "veristischen Unarten" nichts zu tun. Wenn man im Otello Belcanto macht, dann hat man daran vorbeigesungen. Ein Blick in die Partitur macht dies klar, Verdis Anweisungen sind unmißverständlich. Bei Tibbett fehlt es mir für diese Rolle ein bißchen an Ausdruck. Und "peinlich" finde ich das, was Du da nennst, auch nicht - nur dann, wenn es schlecht gemacht wird.


    :hello:
    M.

    Ich muß gestehen, daß mir Tibbett wesentlich weniger gut gefällt als viele seiner Kollegen, und ich werde Euch nicht vorenthalten, warum. Mit gefällt seine Stimme durchaus, Tibbett hatte ohne Zweifel großartiges Material. Aber wie er manchmal damit umging... Ich meine folgendes: Tibbett mag zwar in Rollen wie Jago "intellektuelle Bösartigkeit" demonstriert haben, ebenso als Scarpia oder als Michele (Tabarro); und er war ein stimmlich tadelloser Rigoletto. Aber was mir fehlt, ist die Fähigkeit, aus dem ewig noblem Schönklang auszutreten. Mit anderen Worten: Tibbett klingt fast immer schön. Vulgäre Gesten wird man vergeblich suchen, kein Schreien, kein Brüllen, kein wirkliches Aus-sich-heraus-Gehen. Seinen Jago (ich glaube ich habe deren zwei oder drei, immer mit Giovanni Martinelli) finde ich deshalb eher langweilig. Stimmlich tadellos, aber langweilig. Ich ziehe da Tito Gobbi vor, der viel mehr mit der Stimme spielt und sich auch Töne jenseits des Belcanto-Schönklangs erlaubt.
    Tibbett ist deshalb als Sängerpersönlichkeit von einer merkwürdigen Diskrepanz charakterisiert, denn er war äußerlich ein wahrhafter singing actor wie es nur wenige gab - aber eben nicht mit der Stimme. Wenn ich mir sein Video als Escamillo anschaue, dann wünsche ich mir, daß er mal so singen würde, wie er spielt.
    Er tut dies in einigen wenigen Aufnahmen, die meine Lieblingsaufnahmen von Tibbett sind. Es handelt sich dabei um zwei amerikanische Lieder sowie Schuberts Erlkönig (auf Englisch). Diese Sachen sind, glaube ich, schwer zu bekommen und schon seit langem "Out of print". Ich könnte sie den Tibbett-Fans gerne ins Netz stellen, wenn's denn erlaubt ist. Diese Aufnahmen gehören nämlich zu dem besten, was Tibbet überhaupt je gemacht hat.


    :hello:
    M.

    Lieber Herbert,


    Titta Ruffo ist ein sehr interessanter Sänger. Laut Jens Malte Fischer soll Ruffo ja einen enormen Stimmumfang (bis hinauf zum hohen C) gehabt haben - bei einem Volumen, das nahezu unmenschlich gewesen sein soll. Ich finde es ein bißchen schade, daß man all dies auf den zum großen Teil akustischen Aufnahmen nicht so mitbekommt. Freilich: Um zu erkennen, daß die Stimme sehr groß war, braucht man kein besonders geschultes Ohr. Aber was die Stimmfarbe angeht, wünschte ich mir doch, daß es bessere Aufnahmen gäbe.


    Meine erste Titta-Ruffo-Platte war eine russische Melodya mit Ausschnitten aus Rigoletto und Hamlet. Der Rigoletto hat mich damals hellauf begeistert. Da ist eine warme, dunkle und männliche Stimme mit stählernem Kern zu hören, welche diese schwere Partie mühelos bewältigt und überzeugend gestaltet. Wenige schwere Baritone (und Ruffo war ein solcher) haben diese Partie so mühelos gesungen. Auf der Liste der großen Baritone des 20. Jahrhunderts gehört er für mich neben Apollo Granforte auf jeden Fall zu den besten Vertretern seines Fachs.


    Ich würde gern mehr schreiben, muß aber dringend ins Bett. Da war irgendwo einmal ein Thread über die peinlichsten Klassikerlebnisse... ein solches werde ich morgen früh haben: Da muß ich Nessun dorma auf einer Trauerfeier singen...! :angry:


    :hello:
    M.

    Ein wunderschöner Moment, in dem das Meer eine zentrale Rolle spielt, befindet sich in dem Liederzyklus "Sogni di terre lontane" von Ildebrando Pizzetti (Text von Gabriele d'Annunzio):


    "(...) Ora in terra d'Abruzzi i miei pastori
    lasciano gli stazzi e vanno verso il mare...
    Scendono all'Adriatico selvaggio
    che è verde come i pascoli dei monti..."


    "(...) O voce di colui che primamente
    conosce il tremolar della marina."


    Dort wird die Wanderung der Hirten im September beschrieben, wenn sie von den Abruzzen zur Adria heruntersteigen. Höhepunkt sind die zitierten zwei Verse, in denen die "Stimme des Hirten, der das Meer zuerst entdeckt" beschworen wird (Hervorhebungen von mir).


    Außerdem liegt mir besonders am Herzen die "Zuiderzee"-Symphonie von Cornelis Dopper. Natürlich am besten in der Aufnahme mit Willem Mengelberg und dem Concertgebouw Orchester! ;)

    Also dann meint Ihr, daß Völker trotz einwandfreier Technik entweder wegen Überbelastung oder Krankheit eine längere Karriere versagt blieb? Inwieweit beeinflußt Diabetes denn den Körper bei entsprechender Behandlung und wie hinderlich ist das beim Singen? Kennt sich da jemand genauer aus? Gab es andere berühmte Sänger die mit und trotz Diabetes gesungen haben?


    :hello:
    M.

    Liebe Freunde,


    in einem anderen Thread über den besten Lohengrin habe ich mehrmals den Namen Franz Völker gelesen, natürlich nicht zu meiner Überraschung, denn Franz Völker wäre auch der Lohengrin meiner Wahl gewesen. Aber: An einer Stelle wurden zwei Aufnahmen Völkers empfohlen, die berühmte 1936-er Studio-Produktion aus Bayreuth sowie der 1943er Mitschnitt aus der Statsoper Berlin. Letztere Aufnahme halte ich allerdings für so problematisch, daß ich ihr, bzw. dem rapiden stimmlichen Niedergang Völkers gerne einen kleinen Thread widmen möchte.


    Franz Völker verfügte, so meint man es auf seinen frühen Aufnahmen (Ende 1920er, frühe 1930er Jahre) herauszuhören, über eine gesunde und sattelfeste Technik. Die Stimme war schlank, kernig, durchschlagend und wurde mit betörendem Legato geführt. Einige seiner Aufnahmen zähle ich zum besten, das jemals von einem Sänger auf Tonträgern festgehalten wurde. So entstand dann auch der grandiose Lohengrin aus dem Jahre 1936 unter Tietjen, und Ausschnitte unter Furtwängler aus demselben Jahr bestätigen, daß Völker anscheinend in der Lage war, konstant derartige Leistungen zu bringen.


    Der Lohengrin aus dem Jahre 1943 hingegen spricht eine ganz andere Sprache. Völkers Stimme wirkt, nach nur etwas über 10 Jahren auf der Bühne, abgesungen, angestrengt und überansprucht. Schon ein Siegmund aus Bayreuth von 1941 klingt so, und Liedaufnahmen der RRG (Anfang 1940er Jahre) bestätigen diesen Eindruck. Ohne Zweifel: Anfang 1940 war Völker nur noch ein Schatten seiner selbst. Nach lediglich 10 Jahren im "lyrischen Heldentenorfach" war von der einst so gesunden Stimme nicht mehr viel übrig!


    Woran lag das? Hat sich Völker überansprucht? War schon der Lohengrin zu viel für seine Stimme? Oder lag es an einer mangelhaften Technik? Ich habe den Mangel jedenfalls auch bei genauem Hören nicht ausmachen können.


    Franz Völker war gewiß ein wunderbarer Sänger, wenn auch nur in der kurzen Zeit, in welcher seine Stimme intakt war. All seine Kollegen im außerdem schwereren Fach - Melchior, Laubenthal, Svanholm, Althouse, Maison, Lorenz etc. - haben bedeutend länger durchgehalten. Oder um es provokant zu sagen: Stimmlich war Franz Völker irgendwie (man verzeihe den etwas schiefen Vergleich) wie Peter Hofmann ein Strohfeuer.


    Meinungen?


    :hello:
    M.

    Zitat

    Original von DonBasilio
    In meinem Opernhaus, dass ich diese Saison in "Teatro Italiana" umtaufen werden, werdet ihr nur italienische Opern von ca.1650 bis ca.1900, mit dem Schwerpunkt Belcanto und Barock/Klassik finden.


    Nur ein Tip: Es sollte dann "Teatro Italiano" oder "Teatro all'Italiana" sein. Oder hast Du da was anderes im Sinn gehabt? ;)


    Zitat

    Original von DonBasilio
    Alle Opern werden sehr werkgetreu inszeniert und mit prächtigen Kostümen aufgeführt.
    Also schön konservativ und altmodisch, so wie sichs gehört! :D
    Wer will sich das anschauen?


    Bäh. Ich sicher nicht. ;)
    Aber für Belcanto-Fans ist das sicher sehr interessant...


    :pfeif:
    M.

    Hallo Basilio und Zauberton,


    ich würde von dieser Sonnambula eher abraten, vor allem dann, wenn Callas nicht genügt - wobei sich natürlich die Frage auftut, was man von dieser Rolle eigentlich erwartet: dramatische Gestaltung und/oder bloßen Schönklang. Pagliughi besticht m.E. durch einwandfreies Belcantosingen, d.h. Koloraturen rauf und runter in makelloser Präzision. Dies finde ich allerdings nicht sehr spannend, da ich meine, daß sie die Rollen ansonsten kaum gestaltet. Vielleicht muß man das bei Belcanto auch nicht, aber bei Rollen wie der Lucia vermisse ich es sehr. Die Pagliaghi habe ich, bei allem Respekt, bisher immer mit Langeweile assoziiert.
    Aber zurück zu der Sonnambula: Ich denke, daß Pagliughi nach 1950 bereits ihren Zenit weit überschritten hat. Stimmlich ist die Lucia viel, viel besser. Und Malipiero ist für mich ein wahrer Referenz-Edgardo. Diese Aufnahme würde ich empfehlen, bei der Sonnambula bin ich mir hingegen nicht so sicher.
    Ich besitze noch eine Aufnahme der Puritani aus dem Jahre 1952 mit Pagliughi und Mario Filippeschi. Auch hier ist Pagliughi nicht mehr in Bestform - Filippeschi allerdings schon.


    :hello:
    M.

    Der ernste Rossini ist der einzige, den ich hören mag. Dazu kann ich zwei Aufnahmen empfehlen:


    WILHELM TELL - Filippeschi, Bechi, Fineschi, Bellezza - S. Carlo in London (live)
    MOSÉ - Filippeschi, Rossi Lemeni, Taddei, Serafin - S. Carlo 1955 (Studio)


    Beste Grüße


    :hello:
    M.

    Noch ein kleines PS:


    Hier hat sich Furtwängler wirklich selbst übertroffen:



    Grandios ist auch folgende Aufnahme:



    Furtwängler dirigiert Sibelius, En Saga und das Violinkonzert. Eine der spannendsten Aufnahmen, die ich kenne. Das Knistern zwischen Dirigent, Orchester und Publikum ist geradezu mit den Händen greifbar.


    Generell würde ich zu Furtwängler die Aufnamen aus seiner "mittleren" Schaffensperiode empfehlen (späte 1930er bis 1945).

    Ich darf zu diesem gelungenen Thread beglückwünschen. Die Lektüre finde ich äußerst interessant, und ich werde mir demnächst viele der empfohlenen Aufnahmen anschaffen.



    Zu Willem Mengelberg möchte ich folgende Aufnahmen empfehlen:



    Besonders das C-moll-Konzert ist einfach atemberaubend. Hinter kaum einer anderen Aufnahme Mengelbergs hört man die Kombination aus Präzision der Proben und romantischer Inspiration während der Aufführung mehr als bei dieser. Gieseking ist ein kongenialer Partner.


    Und der Klassiker:


    Näher kommt man an den Original-Mahler wohl kaum heran...

    Hallo Zauberton,


    auf einen gemeinsamen Nenner kommen wir bestimmt! Ich glaube nämlich auch, daß das Nachdunkeln durch die Überstrapazierung der Bruststimme entstanden ist (oder umgekehrt... es ist wie mit dem Ei und der Henne). Das hat übrigens dazu geführt, daß sowohl Di Stefano als auch Tagliavini zeitweise brustiger gesungen haben als die meisten ihrer Kollegen, vor allem in der hohen Lage - was natürlich ein echter Stimmkiller ist. Höre Dir mal die Aufnahme der Puritani mit Di Stefano von 1952 an. Da ist seine Stimme noch ganz gut in Schuß, und es gelingt ihm da, die hohen und höchsten Töne wirklich fast vollkommen "in petto" herauszustemmen. Wahnsinn - und vielleicht gerade so faszinierend, weil es gleichzeitig so risikobehaftet war.
    Zurück zu Tagliavini und ein kleines postscriptum meinerseits: Schau' doch mal bei Youtube nach dem Duett aus L'amico Fritz mit Magda Olivero. Da taucht dann ein Video auf - nicht mit Tagliavini sondern mit Claudio Villa. Ein Canzoniere, der allerdings in der besten Tagliavini-Tradition stand. Diese Kopfstimme...
    Daß der Moderator ihn als "Tenore di grazia" vorstellt, findet er allerdings übertrieben...


    :hello:
    Gute Nacht!
    M.

    Hallo Zauberton,


    ich stimme in den meisten Punkten mit Dir überein. Irgendwie ist für mich Tagliavini ein ähnlicher Fall wie Giuseppe di Stefano, der in ganz jungen Jahren über einen guten Registerausgleich verfügte - und ihn dann sehr bald wieder verlor (nämlich auch so um die Mitte der 1950er Jahre) und dann Rollen wie Andrea Chenier und Radames sang. Nur was Tagliavinis Anlage angeht, bin ich mit Dir nicht ganz einer Meinung. Daß Tagliavini überhaupt in der Lage war, einen Riccardo oder einen Cavaradossi mit Erfolg auf der Bühne zu singen, scheint mir ein Beweis dafür, daß es sich bei ihm um mehr als "nur" um einen Tenore di Grazia handelt. Oder anders herum: Ich glaube nicht, daß ein astreiner Tenore di Grazia wie Juan Diego Floréz so etwas könnte.
    Ich habe eine Doppel-LP mit Live-Mitschnitten, auf der ein Höhepunkt die große Arie aus Massenets Manon ist (Ah dispar vision) - die Dramatik und der packende Ton, den Tagliavini da anschlägt, gehen für mich weit über das hinaus, was ein Tenore di Grazia zu leisten imstande wäre. Freilich singt er da schon brustig, wenn auch moderat. Wäre er bei der starken Falsett-Mischung geblieben, dann OK, dann wäre er vielleicht auch in meinem Buch ein Tenore di Grazia geblieben.
    Tagliavini gefällt mir übrigens als Liedinterpret außerordentlich gut. Es gibt ein paar schöne neapolitanische Lieder und Filmsongs (bei TIMA erschienen und zur Zeit vergriffen) und Aufnahmen einiger Sizilianischer Volkslieder, die einfach betörend sind.


    Beste Grüße


    :hello:
    M.

    Liebe Freunde,


    unter der folgenden Adresse gibt es eine Unzahl von restaurierten 78er-Opern-Sets zum kostenlosen Download. Es ist eine große Zahl seltener und teilweise nicht ohne weiteres erhältlicher Aufnahmen dabei. Selbst bin ich kein Anhänger des Gratis-Downloadens von kompletten Musikstücken, da es meine Hörgewohnheiten zum Schlechten beeinflußt, aber diese Seite ist ein wirklicher Schatz für den Freund historischer Gesangsaufnahmen.


    http://wwwsys.informatik.fh-wi…opera/shellac/welcome.htm


    Viel Spaß wünscht


    :hello:
    M.

    Den Enthusiasmus für Tagliavini kann ich nicht voll und ganz teilen. Er war meiner Meinung nach weder ein Tenore di grazia (das wurde ihm zu Anfang seiner Karriere unterstellt) noch ein Lirico spinto (der versuchte er am Ende seiner Karriere zu sein). Deshalb paßt zu ihm auch nicht der Titel Gigli-Epigone. Tagliavini haftete ein ganz großes Manko an: Es gelang ihm nicht, seine außerordentlich süß klingende Kopfstimme mit der etwas stumpfen, bronzenen Bruststimme zu vereinen. Das Resultat war besonders nach 1945 entweder falsettiges Säuseln oder brustiges Bellen (man höre seine La Bohème für Cetra). Dazu kam der Verlust der hohen Töne. Nach Mitte der 1950er Jahre vermied er alles, was jenseits des hohen B lag und ging wohl deshalb auch ganz gezielt ins für ihn ganz schwere Repertoire über. Seine Sternstunden hatte er ohne Zweifel in der oben genannten Cilea-Partie, aber auch als Almaviva in Rossinis Barbiere (zu sehen/hören auf einem Video, gemeinsam mit Tito Gobbi als Figaro). Dazu natürlich die frühen Aufnahmen für Cetra (1941), besonders das Duett aus L'amico Fritz mit Magda Olivero.


    Hätte er seinen oben genannten Fehler in den Griff bekommen, dann bin ich mir sicher, daß er ein zweiter Gigli hätte werden können.

    Interessant, hier auf den Namen Tveitt zu stoßen... habe das 5. Kl.Konzert im Regal und werde es wohl auch bald wieder mal hören.


    Höre/restauriere zur Zeit folgendes:
    DVORAK: AUS DER NEUEN WELT - VICTOR DE SABATA, NYPO 1951


    Einfach phantastisch - um diese Aufführung angemessen zu beschreiben sind Worte aber leider zu banal...


    :hello:
    M.

    Zitat

    Original von DonBasilio
    Warum meinst du das der Rest zu recht vergessen worden ist?
    Ein Liebestrank, Regimentstochter, Don Pasquale sollen auch vergessen werden, oder verstehe ich das falsch? ?
    Klar klingen nicht alle hervorragend, aber der Großteil der Opern die wir aus seiner Feder kennen, sind großartige, spannende und gesanglich höchst anspruchsvolle Opern.
    LG joschi


    Der Liebestrank mag eine Oper mit gewissen Qualitäten sein, die mich aber nicht ansprechen, weil mich Buffoopern des Belcanto anscheinend generell kalt lassen. Mir geht es ähnlich mit dem Barbiere und anderen Opern dieser Gattung. Regimentstochter und Don Pasquale sind auch nicht so mein Fall. Ich persönlich habe sie wohl bereits vergessen: sie stauben in meinem Plattenregal ein. Das heißt natürlich nicht, daß es sich nicht trotzdem um gute Opern handeln könnte. Aber das ständige Up-and-down des Belcanto gefällt mir nicht, mir gefallen die Opern nicht, und ich habe sie schon so gut wie vergessen.

    Zitat

    Original von c.m.d
    Und klingen wenigstens alle seine Opern gut, oder gibt es nur ein paar gelungene Werke und der Rest bleibt vergessen? Ich frage mal, ich kenne relativ wenig von Donizetti.


    Ich persönlich finde eben nicht, daß sie alle gut klingen (mit der Einschränkung, daß ich aber auch nicht alle aus der langen Liste der vergessenen Donizetti-Opern kenne). Die Lucia höre ich ab und zu gerne, dazu einige Szenen aus Poliuto, aber das wars für mich. Kurz: Alles andere, was ich gehört habe, ist zu Recht vergessen worden - finde ich.


    Hallo Herbert,


    es war ja auch gar nicht abwertend gemeint. Ich gab nur meiner Verwunderung Ausdruck, daß ein Sänger, der ein solch ausgesprochenes Tenor-Timbre hat, zu einem Bariton werden kann.


    :hello:
    M

    Wie gesagt kann der Computer nicht kreativ sein. Es ist ihm unmöglich, von der syntaktischen auf die semantische Ebene umzusteigen. Das hat Searle sehr anschaulich in seinem Chinesischen Zimmer dargestellt.
    Und was ist dann der Sinn von so einem Hokuspokus? Das ist ungefähr so, wie wenn ich ins El Bulli gehe, um Astronautenfutter zu essen.
    Man sollte das Geld lieber nach Kuba oder sonst wohin schicken, damit sich echte Musiker echte Instrumente leisten können.

    Corelli mag ich nicht besonders. Das liegt an dem ständigen "Heraufziehen" von hohen Tönen, den ausufernden Portamenti, dem Lispeln und dem manchmal tatsächlich ziemlich undifferenzierten Forte-Ton. Wenn man eine Oper hört, dann sagt man nicht: "Ah, es ist Verdi", sondern man sagt "aha, Corelli". Ausnahmen gibt es aber auch bei ihm. Ich mag die Aufnahme von Prokofiews Krieg und Frieden (1953 unter Rodzinsky - sing Corelli deshalb so sauber?), sein Johnson (s.o) war auch OK, aber vor allem die Neapolitanischen Lieder habe es mir angetan. Da gab es m.E. wenige, die es besser konnten.


    :hello:
    M.

    Maria Curtis Verna war eine großartige Tosca in einem Mitschnitt mit Jussi Björling und Cornell McNeill aus dem Jahre 1959 aus New York. Außerdem gibt es mit ihr einen Don Giovanni (in welchem Carla Gavazzi die Elvira ist), der zwar etwas unsauber gesungen ist, aber dafür mit viel stimmlichem Einsatz. Eine Aida (Venedig 1953) mit Curtis Verna kann ich nicht empfehlen. Interessant ist dabei aber der Amonasro von Ettore Bastianini.


    Carla Gavazzi habe ich als phantastische Minnie in einer Gesamtaufnahme von der Fanciulla del West in Erinnerung, ebenso als Nedda in einer Aufnahme von Pagliacci (mit Carlo Bergonzi, der 1951 - als die Aufnahme gemacht wurde - gerade frisch ins Tenorfach gewechselt hatte). Ich erinnere mich auch an eine eindrucksvolle Aufnahme von Il Tabarro mit Carla Gavazzi, die allerdings durch den Tenor (ein Komprimario als Luigi!) für mich etwas an Attraktivität eingebüßt hat.
    Sie hat soweit ich weiß durch Krankheit ihre Karriere sehr früh aufgeben müssen.


    Clara Petrella - eine Sängerin, die in vielen Besetzungen der beginnenden 1950er Jahre dabei war. U.a. in dem eindrucksvollen Otello mit Del Monaco und Taddei. Sie war eine tolle Manon Lescaut (an der Seite von Vasco Campagnano als Des Grieux. oder in einer anderen Aufnahme mit del Monaco, der aber nur brüllt) und eine gute Iris (mit Di Stefano).


    Gigliola Frazzoni ist mir hauptsächlich als Minnie aus La Fanciulla del West in Erinnerung. Da gibt es eine gute Aufnahme mit Franco Corelli und Tito Gobbi (Scala 1956), aber auch ein Video mit ihr als Minie an der Seite von Kenneth Neate als Johnson.


    Antonietta Stella hat unzählige Aufnahmen vorzuweisen. Viele davon allerdings live in nicht immer in bester Qualität. Ich habe mehrere Aidas (die beste ist von 1956 aus der Scala - es gibt allerdings eine aus demselben Jahr aus Tokyo in Stereo!), Il Trovatore (mit einem tollen Mario Filippeschi) und Madama Butterfly mit Flaviano Labò.


    Mit Marcella Pobbe konnte ich bis jetzt noch nicht warm werden. Habe mit ihr einige obskure Mascagni-Aufnahmen (Isabeau u.a.) und einen Otello (mit Di Stefano, der sich quält, es aber besser kann als Pavarotti). Eine Tosca (mit Gianni Raimondi) hat mich wenig begeistern können.


    Zu den anderen fällt mir jetzt spontan nichts ein. Außer, daß ich der Liste Luisa Malagrida hinzufügen würde, die ein heute fast vergessener und dennoch ausgezeichneter Sopran war.

    Ich stimme vollkommen mit Melot überein. Eine Meinung kann sich ja nur im Dialog entwickeln, und solange der Ton nicht entgleist, sehe ich keinen Grund, Diskussionen abzuwürgen.


    Zum Thema möchte ich eines anmerken, da beim Namen Zeffirelli stets von Realismus gesprochen wird. Dies halte ich für einen kapitalen Irrtum. Zeffirellis Bühnenbilder haben meist mit Realismus überhaupt nichts zu tun. Im Falle Aida wird es ihm schon durch die Unglaubwürdigkeit und historische Inkorrektheit des Librettos unmöglich gemacht. Darüber hinaus versetzt er ja die Bühnen geradezu mit Objekten, die einjeder mit Ägypten identifiziert, ohne daß es dabei auf historische Korrektheit ankäme - und dies so plakativ, daß man dabei eigentlich nur von Kitsch reden kann. Gigantische Ankhs, Sphinxen und Hieroglyphen, die schlechterdings keinen Sinn ergeben, das ist ein Zeffirelli-Bühnenbild. Oder man nehme seinen Otello. Zeffirelli macht rein appollinische Bühnenbilder. Scharfe Kanten, Schmutz und Häßlichkeit des Mittelalters sind bei ihm von vornherein ausgeschlossen. Reden wir von seinem Film mit Domingo und Ricciarelli: ein spanischer tenor als Mohr, mit Lippen, so rot, daß sie jede Desdemona vor Neid erblassen lassen und voller brauner Farbe, so daß er aussieht wie - naja, wie ein Italienischer Regisseur sich eben ein Theatermohr vorstellt. Dann Partnerin des Klingonen: ein blonder Engel, stets umgeben von einer Aura von Licht, dazu der grimmige Jago (der seinen schlechten Charakter *natürlich* hinter einem Bart versteckt)... Realismus? Das ist ungefähr so realistisch wie Zeffirellis Jesus mit den türkisblauen Augen (Terence Hill?) Also bitte...!