Ich möchte nochmal auf das gute alte Steuerzahlerargument zurückkommen - es wäre einfach und richtig, wenn es nicht in die Sackgasse führen würde.
Für Wirtschaftlichkeit muß man den kleinsten gemeinsamen Nenner im Geschmack des zahlenden Publikums treffen, und das möglichst kostengünstig - gehen wir die Schritte einmal durch. Die Grundprämisse ist die Privatisierung.
1. Laut Alfred Schmidt wäre das Regietheater aus dem Spiel, weil kaum jemand dafür bezahlen würde (siehe Parallelthread). Übrig bleiben konservative Inszenierungen.
Denken wir das konsequent zu Ende, kommen die folgenden Schritte:
2. Alle Stücke, die nicht volle Häuser bringen, wären raus. Nur das Populärste von Mozart, Donizetti, Verdi, Wagner, Puccini und ein paar anderen blieben übrig. Selbst unbekanntere Werke der genannten Komponisten hätten keine Chance.
3. Warum sollen die Massen der Steuerzahler überhaupt den Betrieb von 80 deutschen Bühnen bezahlen? Die Zahl der deutschen Opernhäuser würde radikal gekürzt (die Komische Oper Berlin stand bereits kurz vor dem Aus, ebenso übrigens damals die Met). Hier beginnt das Steuerzahlerargument nach hinten loszugehen, denn nicht alle Steuerzahler gehen gerne in die Oper, Regietheater hin- oder her. Dasselbe Problem haben wir in Berlin mit den Orchestern, die niemand bezahlen will. Theater werden in Deutschland reihenweise abgewickelt.
4. Die übriggebliebenen Häuser müssen zusehen, daß sich der Betrieb lohnt. Neben dem eingeschränkten Spielplan wird weniger gespielt werden. Darüber hinaus müssen massenwirksame Akteure her: Netrebko, Schrott, Villazon etc. Die sind teuer - da alles wirtschaftlich bleiben muß, muß der Rest so billig und damit auch so schnell wie möglich produziert werden, denn Zeit ist Geld.
Qualität ist nicht mehr der absolute Wert. Sie ist nun relativ gegenüber der Wirtschaftlichkeit.
5. Die Klassik wird sich immer mehr mit dem Pop vermischen (Pop heißt populär, und das ist hier der Punkt - siehe Entwicklung seit Pavarotti, Bocelli, Potts), und ein Opernhaus wird nicht mehr nur Opern spielen, weil man die Häuser mit anderen Happenings billiger füllen kann. Opern, zumal in pompösen Inszenierungen, sind teuer. Hier kommen Musicals in Spiel.
6. Orchester werden für solche Events ganz abgeschafft. So bereits zu beobachten bei manchen Veranstaltungen am Theater des Westens und der Komischen Oper Berlin. Die Begleitung kommt vom Band, ergänzt durch einige wenige Orchestermusiker. Die Existenz und die Qualität der Orchester wird in Frage gestellt.
7. Es muß im allgemeinen billiger und schneller produziert werden. Bei Ausstattung und Werkstätten wird radikal gekürzt werden. Die Werkstätten werden zusammengelegt, so daß nicht mehr jedes Theater eine eigene hat. Unter höherem Zeitdruck muß auf weniger Raum mit minderwertigem Material produziert werden.
Fazit: Die Privatisierung setzt Wirtschaftlichkeit als absoluten Wert. Qualität ist nicht mit Wirtschaftlichkeit vereinbar, weil Wirtschaftlichkeit auf den kleinsten gemeinsamen Nenner im Publikumsgeschmack abzielt. Wer vom Steuerzahler redet, der redet für die Abschaffung der Oper und Theater - denn die meisten Steuerzahler wollen in der Regel gar keine Opern und Theater finanzieren. Wer von Privatisierung träumt, der träumt von einer Musicalisierung der Oper auf Kosten der Qualität und letztenendes der Existenz der Künstler. Denn nur, wer gut verkauft wird und damit populär ist, wird auch eingekauft.
Billig, schnell, populär - drei für die Wirtschaftlichkeit essentielle Werte, die für künstlerische Qualität ein Todesurteil sind.
Draugur: Ich "beschimpfe" hier niemanden als niveaulos, ich sage, daß die Gegenposition zur Niveaulosgkeit führt. Gegenpositionen sind mir in Form von Argumenten, nicht in der Form von Anschuldigungen
willkommen.

M.