Danke Peter,
für diese Zusammenfassung. Hier mal ein Versuch, die Handlung auf Bieito abzubilden. Meiner Meinung nach verfälscht er die Story nicht, er überpointiert sie vielleicht. Natürlich ist er aber an der Auseinandersetzung heidnisches Damaskus - christliche Kreuzritter nicht interessiert,´Gluck meines Erachtens aber auch nicht....
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Original von pbrixius
Wir befinden uns im Zeitalter der Kreuzzüge. Kreuzritter führen einen Feldzug gegen den König von Damaskus, Hidraot. Auf der Seite des Königs ist seine Nichte Armide, die dank ihrer Zauberkraft zahlreiche Ritter gefangen genommen hat - nur bei einem ist es bislang nicht gelungen, bei Renaud. Dazu hat Armide geträumt, Renaud habe sie unterworfen und im Augenblick des Todes sei Liebe bei ihr erwacht. Armide hat alle Gefangenen dem König von Damaskus ausgeliefert, doch dann kommt die Nachricht: Ein einziger Krieger hat alle befreit - Renaud.
So weit auch bei Bieito. Armide ist - auch bei Gluck - von Anfang an auf Renaud fixiert. Sein Ruf eilt ihm wohl voraus - schon bevor er die Ritter wieder befreit. Armide ist mit ihren bisherigen Triumphen nicht zufrieden. Das ist bei Bieito sehr deutlich gemacht, aber bei Gluck / Quinault auch deutlich angelegt. Die Deutung, dass sie ihn keineswegs einfach als Feind hasst, sondern auch schon sehr von ihm fasziniert ist, drängt sich hier auch bei Gluck / Quinault auf.
Hier ist quasi Armida ein Opfer von weiblichen Männer-Projektionen und träumt vom großen Helden.
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Wegen einer Rauferei wurde Renaud vom König Godefroi aus dem Lager der Kreuzritter verbannt. Während er nun allein kämpfen will und sich sicher ist, Armide zu widerstehen, treffen sich in der Nähe Hidraot und Armide, um die Unterwelt zu beschwören. Armide entdeckt den schlafenden Renaud, vermag es nicht, den Wehrloisen zu erstechen, weil sie merkt, dass sie ihn liebt. Zwischen Liebe und Hass, Glück und Scham schwankend, befiehlt sie den Dämonen, Renaud ans Ende der Welt zu bringen, wo sie ihn bewegen will, sie zu lieben
Naja, wegen einer Rauferei. Was soll man zu so einem Helden schon sagen. Da ist die Unseriosität doch schon angelegt. Und dann läuft er völlig planlos alleine auf den Feind los, naja und fällt dem dann auch prompt in die Fänge.
Das eigentlich interessante ist natürlich die Qualen der Armide. Jetzt hat sie endlich Renaud in ihrer Gewalt, kann ihn aber nicht töten. Warum? Siehe oben - echte Liebe kann es ja noch nicht sein.
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Armide ist es zwar gelungen, Renaud zu ihrem Geliebten zu machen, doch ihre eigene Liebe zu ihm schwächt sie. Es bekümmert sie, dass Renaud sie nur ihrer Verzauberung wegen liebt, und die Liebe zu Renaud ihre Rache hemmt. Sie ruft den Hass zur Hilfe, doch mitten in der Beschwörung schickt sie ihn wieder davon. Ihre Liebe ist stärker. Der Hass verflucht sie: Die Liebe wird sie in den Abgrund stoßen.
Der Hass ist bei Bieito das Klischee-Bild einer Feministing der 20er Jahre in Männeranzug, allerdings mit kurzen Hosen. Meine Assoziation hier ist natürlich Gräfin Geschwitz...
Der Hass versucht die Liebe durch eine heisse Liebesszene (harmlos) auszutreiben, was scheitert - siehe oben. Meine Deutung: Das ist eine Anspielung auf eine bestimmte Variante des Feminismus - die ebenfalls nicht funktioniert.
Das ist natürlich eine Deutung von Bieito, die nicht zwingend aus der Oper kommt, aber durchaus überzeugend ist.
Das Armide den Hass mit einem Telefon beschwört (anruft), ist zwar ganu lustig, aber vielleicht eher überflüssig.
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(Akt 4 bringt eine Nebenhandlung mit zwei Kreuzrittern und zwei Dämonen, die sich ihnen als Lucinde und Melisse nähern)
Dieser Akt ist gekürzt, die Szene mit Lucinde fehlt. Da die beiden Szenen eigentlich ziemlich redundant sind, verstehe ich das aus dramaturgischen Gründen durchaus.
In diesem Akt werden die Freunde / Waffenbrüder von Renaud eigentlich als randlierende, saufende, vergewaltigende Männerbande entlarvt. Solchen Typen ist natürlich jede halbwegs selbstständige Frau ein Dorn im Auge, weshalb sie Armide am Anfang auch mit lauten "Schlampe"-Rufen denunzieren. Armide ist in diesem Akt auf der Bühne präsent, obwohl sie nicht sing.
Melissa wird natürlich auch von dem dänischen Ritter vergewaltigt und umgebracht. Das alte Paar schaut übrigens während der anfänglichen Verführungsszene zu, ich bin nicht mehr sicher, ob sie auch während der Vergewaltigung noch auf der Bühne sind.
Hier weicht Bieitos Deutung natürlich weit von dem Originaltext ab -aber für mich ist das durchaus plausibel - ist doch das Gerede vom Ruhm, hinter den die Liebe zurückstehen muss, heute nicht unproblematisch. Hier sind natürlich die Reste des barocken Staatstheaters sehr deutlich spürbar, aber es ist Bieitos Ziel das Stück für die Gegenwart relevant zu machen - diese Premisse muss man für eine seriöse Auseinandersetzung akzeptieren.
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Armide muss sich kurzzeitig von Renaud trennen, denn für ihre Zauberkunst muss sie allein sein. Beide trennen sich ungern. In ihrer Abwesenheit dringen die beiden Kreuzritter in das Zauberschloss ein. In dem Diamantschild, den sie bei sich führen, erkennt sich Renaud wieder und wird vom Bann Armides befreit. Bevor sie fliehen können, kehrt Armide zurück. Renaud zieht Ruhm und Pflicht der Liebe vor, selbst als Gefangene will er Armide nicht mitnehmen, obwohl er sie liebt. Als Armide nach einer Ohnmacht wieder erwacht, erkennt sie, dass ihre Liebe noch immer stärker ist als ihr Hass. In ihrer Verzweiflung ruft sie die Dämonen, ihr Zauberschloss zu vernichten.
Zu meiner Deutung des SChluss have ich ja oben schon etwas geschrieben. Das die letzte Aussprache zwischen Renaud und Armide nach Art der amerikanischen Seifenopern an einem Küchentisch stattfindet ist vielleicht wieder ein etwas überflüssiger Gag. Aber liebt Renaud Armide wirklich? Hmmm, wenn mein mir sagen würden, dass ich nach seinem Ruhm das Wichtigste in seinem Leben bin, würde ich ja doch anfangen zu zweifeln.... Auch hier haben wir wieder das barocke Staatstheater, in dem die richtigen Prioritäten gesetzt werden müssen - hat Gluck daran selber geglaubt? Ich höre hier Verzweiflung bei Armide, konventionelles Singen bei Renaud. Ich vermute eher nicht.
Das der Renaud in dieser Inszenierung besonders blass war, liegt leider aber auch am Sänger, der mit der Partie doch etwas überfordert war und den man am Schluss teilweise nicht mehr hören konnte.
Ich glaube nicht, dass wir eine eindeutige Interpretation dieser Inszenierung hinbekommen und das ist auch gut so. Bringt doch jeder eigene Assoziationen mit und die Inszenierung ist durchaus vielschichtiger, wie das Stück ja auch.
Dennoch macht es Spass darüber zu schreiben und zu diskutieren. Je mehr ich schreibe, desto besser scheint mir die Inszenierung. Ist ja auch was. Ob ich sie denn richtig verstehe???
Ingrid: Schade das es Dir nicht gefallen hat. Wer hat denn die Münchner Aufführung inszeniert?
Viele Grüße,
Melanie
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Das nur mal in Kürze, damit die Handlung, so wie sie im Libretto steht, unter den Übermalungen Bietos erst einmal sichtbar wird.
Liebe Grüße Peter
Edit am 08.04.: Den originalen Text "das Gerede vom Rum" korrigiert zu "das Gerede vom Ruhm". In der Inszenierung hätte Rum zwar auch gepasst, aber ich meinte eigentlich "La Gloire"