Hallo zusammen,
am Samstag hatte ich Gelegenheit in der Opéra Comique eine Aufführung von Lullys "Cadmus et Hermione" zu sehen und zu hören. Federführend verantwortlich waren:
Vincent Dumestre - Musikalische Leitung
Benjamin Lazar - Inszenierung
Das ist die gleiche Equipe, die auch für die Aufführung von Le Bourgois Gentilhomme, die bei Alpha auf DVD erhältlich ist, verantwortlich zeichnet.
Zum Stück:
Cadmus et Hermione ist die erste Tragédie Lyrique von Lully - und damit die erste Tragédie Lyrique überhaupt. Lully und Quinault haben dabei bereits einen großen Wurf getan, aber von der "Stringenz" oder "inneren Logik" ist Cadmus doch noch ein Stück von den späten Werken entfernt. So sind zum Beispiel die Divertissements noch weniger in die Handlung integriert, als in späteren Stücken. Etwas vereinfacht gesagt beginnt jeder Akt mit der Partie, die die Handlung treibt - hier dominiert das Rezitativ - und dann folgt ein mehr oder weniger logisches Divertissements. Das ist mein erster Eindruck, ich kannte die Oper vorher nichts.
Nichtsdestotrotz gibt es wunderschöne Musik. Es gibt beeindruckende dramatische Szenen, vor allem von Hermione, die Tänze und Divertissements sind natürlich auch nicht zu verachten.
Ungewöhnlich empfinde ich in der französischen Oper auch, dass komische Partien in die Oper eingebaut wurden. So gibt es zum Beispiel eine mannstolle Nourrice, die auch von einem Mann gesungen wird. Da denkt man eigentlich eher an Cavalli - OK, verglichen mit manchen Cavalli-Opern ist das natürlich sehr französisch zurückhaltend.
Wie war die Inszenierung?
Zunächst sollte die Inszenierung jeden "Staubi" in diesem Forum entzücken. Eine Art "HIP"-Zugang auch der Inszenierung war hier angestrebt. Die Kulissen auf der Bühne waren gemalt. Mindestens ein Teil der Beleuchtung waren Kerzen - möglicherweise wurde auch überhaupt kein künsltiches Licht benutzt, dafür würde ich meine Hand aber nicht ins Feuer legen. In jedem Fall war somit die ganze Atmosphäre verändert: Die Bühne war mit einem sehr warmen Licht beleuchtet, was vermutlich auch die ein- oder andere Imperfektion der Kulissen in ein freundliches Licht getaucht hat.
Weiterhin hat natürlich auch nichts an der Theatermaschinerie gefehlt, die in den Original-Aufführung ausgiebig genutzt wurde: Die Götter schwebten auf diversen Wagen vom Himmel, der furchterregende Drache spie Rauch, auch Tänzer tanzten befestigt an Seilen quasi schwebend. Das ganz darf man sich aber nicht allzu realistisch vorstellen: Beim Drachen war sehr gut erkennbar, dass ein Mench in ihm für die Bewegungen verantwortlich war - und er wirkte eigentlich eher süß als furchterregend. Eigentlich ergab sich dadurch schon wieder ein Verfremdungseffekt, der schon wieder Richtung Regietheater weisst.
Die Gestik der Sänger war offensichtlich aufs genaueste nach alten Quellen erarbeitet. Laut Textheft wurde für diese Aufführung ein dickes Buch mit allen Anweisungen erstellt. Auch hier ergibt sich ein zunächst unerwarteter "Abstraktions"-Effekt: Die Gestik war sehr fließend und auch schön, wirkte aber künstlich und weckte in mir eher Erinnerungen an die alte chinesische Oper, in der auch die Gestik extrem kodiert und damit abstrakt ist.
Die Kostüme waren wunderschön farbenprächtig, die Tänze mitreissend (inwieweit sie original waren, kann ich nicht beurteilen), insgesamt ein sehr interessantes und sehenswertes Spektabel, in dem man sich "verzaubern" und "in eine andere Welt" versetzen lässt, ohne ja das Bewusstsein zu verlieren, dass man nur im Theater ist.
So sehr ich diese Inszenierung genossen habe, so wenig möchte ich nur diese Art von Inszenierung in Barock-Oper sehen.
Und musikalisch?
Orchester und Cadmus (André Morsch) haben mich voll überzeugt. So gerne ich Claire Lefiliatre höre, bei ihrer Hermione hat mir doch etwas die große Tragödin gefehlt. Aber ihre feine Gesangskunst, mit sehr ausgefeilten Verzierungen hat für vieles entschädigt.
Der Rest der Sänger-Schar war gut, aber meines Erachtens nicht unbedingt herausragend.
Lobenswert ist das Programm. Der komplette text ist zweispaltig abgedruckt: Links der text, rechts Kommentare zur Musik, einschließlich jeder Menge Notenbeispiele. Sowas hätte ich gerne für mehr meiner Opern. Da ist 10,- Euro auch nicht zu viel verlangt.
Die DVD soll erscheinen - ich werde sie auf jeden Fall kaufen.
Jetzt wäre ich noch an Thésée interessiert, die im Februar im Théatre des Champs Elysées läuft. Hier ist Emmanuelle Haim verantwortlich für die musikalische Leitung und Martinoty inszeniert. Wer spendiert mir denn diese Reise? 
Viele Grüße,
Melanie