Zitat
Original von Barezzi
Hallo,
ich dachte immer, die Pekinger Operntradition ist schon wesentlich älter? 

Stefan
Hallo Stefan,
die Ursprünge der chineischen Oper sind natürlich viel früher, allerdings scheint vieles im Dunkel der Geschichte verschwunden zu sein. Seit dem 12. Jhdt. bildeten sich jeweils im Norden und im Süden Theaterformen mit Musik heraus. Nach meinen Quellen war dabei der nördliche Stil "volkstümlicher" und benutzte auch Alltagssprache. Der südliche Stil hingegen war gelehrter, bnenutzte eine gehobene Sprache und war im Gegensatz zum nördlichen Stil rein pentatonisch.
Aus diesen beiden Strömungen entwickelte sich eine Reihe regionaler Schulen. Aus den südlichen Schulen wiederum entwickelte sich Ende des 16. Jhdts (also zeitgleich zur Geburt unserer Oper) das Kunqu. Das oben zitierte Beispiel "Der Pfingstrosen-Pavillon" ist eine solche Kunqu-Oper. Sie ist 1598 entstanden!
Die Kunqu-Oper war das wichtigste musikalische Schauspiel der Literaten-Beamten und der Aristokratie. Neben dieser vornehmen Gattung haben aber andere lokale und volkstümlichere Stile ebenfalls überlebt.
Die Kunqu-Blüte endete ungefähr Mitte des 19. Jhdts als Folge eines Bürgerkriegs. Mittlerweile hatte sich ja auch die Peking-Oper etabliert, wie Joschi oben beschrieben hat. Die Pekingoper heisst auf chinesisch übrigens wörtlich "Theater der Hauptstadt". Weitere lokale Traditionen, wie zum Beispiel die Szechuan-Oper sind aber ebenfalls nicht ausgestorben und werden weiter gepflegt.
Insgesamt gibt es in der Geschichte der chinesischen Oper eine - für mich - unüberschaubare Menge an lokalen Traditionen, sowie an gehobeneren und volkstümlicheren Traditionen.
Der Zugang zur chinesischen Oper ist auch nicht leicht, und das liegt nicht nur an den schon geschilderten Eingangsschwierigkeiten. Ich habe leider auch den Eindruck, dass die Tradition der chinesischen Oper durch die Katastrophen der chinesischen Geschichte nicht unbeschadet überlebt hat. Ich war bereits zweimal in Peking, habe es aber nicht geschafft eine Aufführung zu finden, die nicht vor allem für Touristen gemacht wurde. Es gibt keine "Pekinger Staatsoper", die sich der Pflege der chinesischen Oper auf hohem Niveau widmet und die sowohl Touristen als auch Einheimische besuchen. Das heisst natürlich nicht, dass es keine guten Aufführungen gibt, aber für Touristen sind die praktisch nicht zu finden.
Die schönsten Aufführungen habe ich definitiv im Westen erlebt. Vor allem an die HIP-Aufführung aus der Zeit der Geburt der europäischen Oper (siehe oben) denke ich immer sehr gerne zurück. Aber ganz ausschließen kann ich natürlich nicht, dass diese Aufführungen auch für den westlichen Geschmack "getunt" waren und eben keine originalen Aufführungen. Original Peking-Oper wurde meistens in Tee-Häusern aufgeführt und war alles andere als reserviert für die Aristokratie oder Beamtenschaft. Man muss natürlich bei der Beschäftigung mit fremden Kulturen höllisch aufpassen, dass man keine Kriterien aus der eigenen Kultur blind überträgt.
Als Quintessenz lerne ich bei Ausflügen in die aussereuropäische Musikwelt immer wieder, dass ich doch in Europa mit unserer Musikkultur aufgewachsen bin und das solche Ausflüge die Fremdheit keineswegs überbrücken können. Dennoch würde ich - ganz absolut - die Aufführung des Pfingstrosen-Pavillons als eines der schönsten Theatererlebnisse beschreiben, an denen ich teilnehmen durfte, auch wenn ich es sicher komplett anders (i.e. falsch) verstanden habe als ein Chinese.
Viele Grüße,
Melanie