Beiträge von Amateur


    Gott bewahre! Aber wer sich nicht mit Senta identifizieren mag, dürfte wenigstens kein völlig unsympathischer Mensch sein :)

    Hallo Ripley,


    das ist eine superspannende Frage :) Allerdings auch ein bisschen zu persönlich, als dass ich Lust hätte, sie hier wahrheitsgemäß zu beantworten :O


    Generell kann ich sagen, dass ich mich mit Figuren aus Wagner-Opern so gut wie nie identifizieren mag - die meisten sind für mich zwar beeindruckende, aber auch ziemlich einseitige unsympathische und charakterlich zweifelhafte Figuren. Im Gegensatz dazu kann ich in fast jeder Figur aus den späten Mozartopern etwas von mir wiederentdecken - Tamino :stumm: und Osmin vielleicht ausgenommen.


    Und in Wirklichkeit? Da bin ich wahrscheinlich irgendein Statist. Wenn ich Glück habe, in einer Volksszene von Meyerbeer ;)


    Amateur

    Da fällt mir spontan Lotti Huber ein, die auf die wütende Frage einer Dame am Telefon "Wo bleibt die Würde des Alters" antwortete: "Die ist wohnt hier nicht."


    Zum Glück haben ältere Menschen oft eine bewundernswerte Fähigkeit zur Selbstironie und auch aus der kann noch große weil wahre Kunst entstehen. Wenn Johannes Heesters das Lied "zum Glück ich bin nicht mehr jung" singt ( so ähnlich ging der Refrain), dann ist er die Idealbesetzung. Einer der letzten Auftrtitte der Mödl war, wie ich glaube, in der Gespenstersonate von Rihm. Auch die 90jährige türkische Diva S. Berkshoy ließ sich, grell geschminkt, bei der Wiederaufführung einer Operette, an deren Uraufführung sie vor Urzeiten mitwirkte (und zu der mittlerweile schon die Musik verloren gegangen war!) buchstäblich aus der Versenkung auf die Bühne hochfahren, um mit einer brüchigen aber mächtigen Greisinnenstimme "Vissi d' arte" anzustimmen. Fazit: Komponisten, schreibt mehr Zugstücke für die geschulte gealterte Stimme!

    Hallo,


    bei vergessenen Opern ist das ein bisschen so wie mit Karrierefrauen: sie müssen nicht nur genau so gut sein wie die Konkurrenten, sondern ein entscheidenes Stück besser. Bei Opern gilt das zumindest, was die Qualität der Interpretation betrifft. Es genügt nicht, eine unbekannte Oper auszugraben, sie muss auch doppelt so schlüssig erzählt und ausgeführt werden wie der Don Giovanni, den jeder kennt.


    Jeder unbekannten Oper steht ein langer Marsch durch die Institutionen bevor, der aber zumindest im Bereich der "Barockoper" in vollem Gang ist. "Händel-Opern" sind längst von der Rarität zur Marke geworden, auch Monteverdi und Cavalli sind an den Häusern , an denen regelmäßig Barockorchester aufspielen, immer häufiger zu hören. Um so älter die Oper ist, um so weniger kommt es auf das Einzelwerk an: hier ist es der Komponist, der als Garant für Qualität gilt. Wo es Gewinner gibt, gibt es natürlich auch Verlierer - besonders die romantische Oper hat da Einbußen hinnehmen müssen. Dass die historische Auführungspraxis immer weiter ins 19. Jahrhundert vordringt, wird meines Erachtens auch dazu führen, dass man einige romantische Opern wieder neu bewerten wird.


    Dass

    Zitat

    einige [...] Werke durch andere Komponisten scheinbar entbehrlich wurden. Salieri und Haydn durch Mozart, Meyerbeer durch Verdi und Wagner etc.


    glaube ich jedenfalls ganz und gar nicht: Die Libetti, die Eugène Scribe für Meyerbeer schrieb, sind nicht nur kongenial in Musik gesetzt, sondern auch ganz anders (und für meinen Geschmack: besser ;)) als alles, was Wagner und Verdi vertont haben!


    Das breite Publikum will meiner Erfahrung nach immer das hören, was es schon kennt - wobei es gleichzeitig einen einzigartigen Abend erwartet. :P
    Will man ein unbekanntes Werk wiederbeleben, muss man es also mit Interpreten machen, die das Publikum schon kennt und wieder hören möchte. Aber auch das ist noch keine Garantie für den Erfolg: die Interpreten und Häuser müssen auch zum Stück passen.


    Größere Hoffnungen als auf den Willen zur Repertoireerweiterung an Opernhäusern, deren ganze Struktur genau auf das bekannte Repertoire abgestellt ist, setze ich auf spezialisierte Opernhäuser wie Drottningholm mit seinem ganz auf das Haus abgestimmten Repertoire des 18. Jahrhunderts. Warum sollte es so etwas nicht auch für Oper des 19. Jahrhunderts geben?
    So manches Stadttheater würde an Bedeutung gewinnen, wenn es sich spezialisierte.

    Wenn ich mir zu einem Werk Zugang verschaffen möchte, dann esse ich erstmal was - auf nüchternen Magen tendiert meine Bereitschaft, die Widerstände zu überwinden, die mir ein Musikstück entegegen bringt, gegen Null. Sollte sich das Problem beim Spielen oder Hören danach nicht von selbst erledigt haben, dann gibt es noch ein paar weitere Möglichkeiten. Am liebsten lasse ich mir von jemandem, der das betreffende Stück oder den Komponisten liebt, hemmungslos vorschwärmen - am besten live: ich will glänzende Augen, zum Himmel erhobene Hände etc. sehen. Begeisterte Menschen lassen mich selten kalt und das überträgt sich dann manchmal auch auf die Musik. Hilft das nicht oder ist gerade kein begabter Schwärmer verfügbar, dann lese ich, wobei mir ausführliche begeisterte Kommentare von Zeitgenossen eines Komponisten besonders wichtig sind. Es gibt aber auch den rein intellektuellen Zugang. Leere Quinten in der mitteralterlichen Musik habe ich erst zu schätzen gelernt, nachdem ich erfuhr, dass die Zeitgenossen fasziniert von der Idee waren, dass dieses reine Intervall aus einfachsten Teilungsverhältnissen einer Saite zu gewinnen ist. Denn das galt als ein Beweis für die Existenz Gottes, der ja alles "nach Maß Zahl und Gewicht" geordnet haben soll.

    Joseph Martin Kraus: "Seht dort das kalter Nachtgesicht" nach Matthias Claudius. Beschreibt, wie ein Dieb von einer kalten Hand ergriffen und zur Strafe für seine Tat auf den Mond bugsiert wird. Zugleich ein unheimliches Wiegenlied.

    Mein Wunschthema betrifft Untertexte zu klassischen Musikstücken. In dem Thread zur Werbung klangen ja schon ein paar an (Ja der Mais ja der Mais ja der Mais marschiert...), aber es gibt ja noch andere Beispiele: Auf den ersten Satz von Brahms 4. Symphonie singen Gegner des Komponisten bekanntlich "Mir fällt - schon wie- der gar - nichts ein", der Beginn von Tschaikowskys Fünfter hört auf die Worte "Peeter Iiil-jitschtschaikówski". Aber bestimmt gibt es mehr davon, oder?

    Zitat

    Musik und Text erreichen bei den mir bekannten Opern selten gleichhohes Niveau. Manchmal höre ich Opern mit ziemlich guter oder interessanter Musik; da der Text oder Inhalt allerdings auch in diesen Fällen meist den Qualitätsansprüchen der Musik nicht entsprechen, taugen die Opern in diesen, also den meisten Fällen, als Gesamtkunstwerk wenig.


    Dem würde ich sanft wiedersprechen wollen. Natürlich taugen viele Libretti als Text für sich genommen wenig. Aber genau das macht ihre Qualität aus - dass sie Lücken lassen, welche die Musik zu füllen hat oder besser: dass sie nicht zu sagen versuchen, was die Musik sagen kann. Wie es bei einem Musikstück Meldodiestimmen und Begleitstimmen geben kann, ohne dass dies die Qualität beeinträchtigt, so kann es auch bei Opern Werke geben, in denen entweder die Musik oder der Text dominiert.

    Liebe Severina


    Zitat

    Und wie Brangaene sagt: Oper braucht die Bühne, ich könnte mich nie damit begnügen, wie so viele Taminos, Oper nur per CD oder DVD zu konsumieren.



    Das wäre dann eine interessante weitergehende Forderung: Denn der Satz "Oper braucht Bühne" bedeutet ja im Umgekehrschluss, dass eine gute Oper ist nur dann gut ist, wenn sie ohne Bühne schlecht ist. Wobei die Bühne natürlich auch im Kopf sein kann. Nicht einfach, für einen Regisseur, all den tollen Bilder in den Köpfen der Zuhörer etwas Beeiindruckenderes entgegenzusetzen.


    Meint der


    Amateur

    Zitat

    der Thread über "miese" Opern hat mich zum folgenden inspiriert, der da heißt: "Was soll eine Oper leisten"


    Ich habe zwei Forderungen, die sich einfach anhören, aber in der Praxis gar nicht so einfach zu erfüllen sind:


    1) Eine Oper muss einen Konflikt darstellen, der mich interessiert.


    2) Die Musik der Oper muss in einem unmittelbaren Zusammenhang mit diesem Konflikt stehen.


    Beides ist übrigens völlig unabhängig davon, ob es sich um ein altes oder ein brandneues Werk handelt.

    Zitat

    Original von Ulli
    Salut,


    na, dann fange ich mal mit einem aktuellen Negativbeispiel an: Der neueste Schrei in Klassikradio ist eine Werbung für Käse, untermalt mit Händels "Halleluja" aus dem Messias. Dazu der Spruch "Hallelujah, is' der guat..." - So ein KÄSE!


    Cordialement,
    Ulli


    Lieber Ulli,


    so negativ find ich das Beispiel gar nicht. Ich habe jedenfalls in einem seriösen wissenschaftlichen Werk gelesen, dass Händel einmal behauptet hat, er habe einige seiner besten Ideen von Straßenverkäuferrufen. Das glaube ich ihm sofort! Und ein ganz heißer Kandidat für einen sublimierten Straßenverkäuferruf ist natürlich das Hallelujah - probier doch nur einmal "Frische Fische! Frische Fische!" drauf zu singen. Wenn das einer von den Marktschreiern heute bringen würde - ich würde die Ware unbesehen kaufen!


    Viele Grüße


    Amateur

    Zitat

    Original von Radagast
    Hiermit fordere ich öffentlich auf, dass einer die folgende CD kaufen muss, und Bericht erstatten muss. :untertauch: :untertauch:




    Hallo Radagast,


    Dein Wunsch war mir Befehl. Meine Meinung: eine der besten Kraus-Einspielungen, die es überhaupt gibt. Ich hielt die Kammermusik mit Klavier immer für den schwächeren Teil im Ouevre von Kraus, aber Lohmann, Schlepp und Wakelkamp haben mich eines besseren belehrt. Unmittelbares, sprechendes, flexibles und farbenreiches Musizieren, individualistisch aber nicht die Spur manieriert, hoch emotional auch im Piano oder pianissimo: kurz, endlich mal ein Sturm und Drang der sich nicht nur in fetzigem Imponiergehabe erschöpft.


    Viele Grüße


    Amateur

    Zitat

    Willst du Alpträume erzeugen oder den Psychiatern die Kassen füllen?


    Um Himmels Willen, nein, so habe ich das nicht gemeint! Wenn ich sage, dass ich unheimliche Schlaf- und Wiegenlieder toll finde, dann meine ich Kunstlieder, die mich als Erwachsenen faszinieren! Kinder, die Marias Nini na na verstehen und verdauen können, müssten schon aus ganz besonderem Holz geschnitzt sein. Aber der Witz bei diesen Wiegenliedern ist es ja, dass die Mutter ja nicht davon ausgehen kann, dass ihr Kind die Worte schon versteht.


    An vielen guten Volks-Wiegenliedern kann man beobachten, dass die Mutter dem Kind mit dem Lied von ihren eigenen Sorgen erzählt - und das finde ich einfach rührend und echt, denn zur Liebe gehören auch Sorgen.

    Oben war ja schon ein paar Mal von Nina nanas die Rede, wobei ich nicht sicher bin, ob es sich immer um dasselbe Lied handelt. Nina na heißt jedenfalls auf Deutsch übersetzt Eia popeia - und davon gibt es ja auch ein paar Versionen.


    Obwohl ich persönlich für Marienverehrung nichts übrig habe, ist mein absolutes Lieblingsninana in jedem Fall Tarquinio Merulas geistliche Canzonetta sopra alla nanna von 1638 in der Interperetation von The Earles Viols mit Evelyn Tubb (Raumklang). Da singt Maria ihr Kind in den Schlaf und macht sich so ihre Gedanken:


    Jetzt ist es an der Zeit zu schlafen, schlaf mein Sohn, und weine nicht, denn es wird noch die Zeit kommen, wo du wirst weinen müssen. [...] - Fa la nina nina na.


    Während die Melodie wunderbar menschlich einfach bleibt, wird der Text immer heftiger:


    Diese Hände, diese Füße, die du jetzt mit Lust betrachtest, die spitzen Nägel werden sie durchbohren. Dieses liebliche Gesicht [...] wird bespuckt sein und geschlagen unter großem Leid und Qual.


    Nachdem Maria bei der Todeswunde angelangt ist heißt es


    Schlafe also ein mein Sohn, ... denn dann werden wir uns wiedersehen im Paradies.


    Das Wort Paradies ist ganz hoch zerbrechlich gesungen und so macht der darauf plötzlich wie eine Erscheinung einsetzende kunstvoll gesetzte Gambenchor eine unheimlich rührende Wirkung:


    Jetzt wo mein Leben schläft ... soll alles in reinem Eifer schweigen, sogar Erde und Himmel sollen still sein und ich werde unterdessen ... mit geneigtem Haupt verharren, bis es einschlafen wird, mein Kind.


    Rührend und ein bisschen unheimlich, aber so müssen gute Schlaflieder doch sein, oder?


    Amateur

    Unbedingt empfehlenswert ist m.E. Karl Hellers Biographie zu Antonio Vivaldi (erschienen bei Reclam Leipzig): Musikwissenschaftlich absolut wasserdicht, legendenfrei, lesbar geschrieben und mit vielen für mich überraschenden Infos über Vivaldis Finanzen.


    Wer es unterhaltsamer liebt und statt Notenbeispielen eine CD bevorzugt, dem kann ich auch Dorothea Schröders knappe, sehr lebdendige und ebenfalls absolut genau recherchierte Biographie zu Carl Philipp Emanuel Bach (Ellert & Richter Verlag) empfehlen.