Beiträge von Walter.T

    Hallo liebe Musikfreunde,


    zu meiner Freude mögen in diesem Forum viele Bruckner und auch bei den Skeptikern scheint echtes Interesse zu bestehen. Nun ist jedoch sicher kein neuer Eintrag für einen Konzertführer notwendig, und ich bin auch kein Musikwissenschaftler, der mit neuen Entdeckungen kommen kann. So geht es mir eher um subjektive Höreindrücke und die Frage, wie sich diesem Werk nähern.


    Bruckner selbst sagte: "Meine Achte ist ein Mysterium". Bestätigt das wie auch das Unmäßige dieses Werks die üblichen Vorurteile: Bruckner als der nekrophile Kirchturmkletterer, vom Zählzwang heimgesucht, unfähig um eine Frau zu werben, Biertrinker und unersättlich beim Essen? Und das in einem Wien, das sich auf dem Höhepunkt des Reichtums und der öffentlichen Präsentation bewegte (Ring-Architektur, Makart etc.), unmittelbar vor dem Absturz. Oder ist umgekehrt Bruckner ähnlich den ihm geistesverwandten Grillparzer oder Stifter ein Beispiel, wie das imperiale Österreich die eigenständigsten Persönlichkeiten geistig zu ersticken suchte? Bei aller Zurückgezogenheit war Bruckner zu ganz überraschenden Schritten fähig, zum Beispiel seine Reise nach London, um dort vor Tausenden von Zuhörern auf der Orgel im Kristallpalast zu spielen.



    Wer bei Bruckner die barocke Pracht, das Baden in den Klangmassen und Schwelgen im unendlichen Gesang liebt und genießen will, wird von der 8. Sinfonie sicher enttäuscht. Gleich die ersten Takte des ersten Satzes: Da scheint alles rückwärts zu gehen, sich in sich zu verschließen. Es ist dem Dirigenten offen gelassen: geht die Bewegung eher nach oben oder nach unten, öffnet sich ein dunkler Raum oder beginnt eine Stimme sich durch verschiedene Instrumente hindurch zu finden, leuchten die Bläser auf oder ist es der Widerschein einer jenseitigen Welt? Schweben, hängen oder fliegen die Streicher über den sich steigernden Bläsern?


    Der zweite Satz soll den „deutschen Michl“ zeigen. Da ist nichts Schlafmütziges, auch das Gewalttätige ist noch kaum zu erkennen, vielmehr große Unsicherheit und Fremdheit in einer Welt, in der der eigene Platz noch nicht gefunden ist.


    Was ist übrig geblieben aus der Zeit, als die Menschen ihre Vorfahren und die Verstorbenen um sich spürten und sich ihnen geradezu körperlich verbunden fühlten, ihnen zum Beispiel regelmäßig Gaben zu essen und zu trinken reichten? Einige Jahrhunderte hat es gedauert, das zu vertreiben, und es hat in eine Epoche geführt, in der nun zwei Jahrtausende vergangen sind und „keine neuen Götter“ (Nietzsche). Niemand will sich der Frage stellen, was es da heißt, sich auf den Tod vorzubereiten. Der Tod hat jede Süße verloren, jede Geborgenheit, dort wieder bei denen Trost zu finden, die gestorben sind, und endlich aus der Welt der Toten denen Trost zu geben, wo es im Leben nicht möglich war. Wenn von der Todessehnsucht in dieser Sinfonie gesprochen wird, höre ich den dritten Satz so, dass Bruckner hier in dieser Weise in Töne fasst, was sich in Worte nicht sagen lässt, weil heute offenbar nicht die Zeit dazu ist. Mir ist bewusst, wie auch dieser Kommentar sich selbst aufzulösen droht. Das Denken in diese Grenzen zu rücken, das kann diese Sinfonie helfen.


    Von dort zurückgekehrt, kann die Welt so erscheinen, wie sie im letzten Satz dargestellt wird. Auch das gehört für mich zu Bruckner, das Übertönende und Riesenhafte in seiner ganzen Gestalt zum Vorschein zu bringen.


    Ich rechne mit „das ist zu weit hergeholt“ oder „wo lässt sich das an den Noten zeigen“. Aber wo, wenn nicht bei Bruckner, sind solche Gedanken aufgehoben? Ein Lektürevorschlag: Peter Gülke "Brahms - Bruckner", Kasse l1989 (Bärenreiter).


    Dem Brauch in diesem Forum folgend will ich die mir wichtigen Interpretationen erst später vorstellen. Bis dahin würde ich mich auf rege Pro’s und Con’s freuen,


    Grüße nach einem lang gewordenen Abend (und musikalischer Unterstützung durch die Cello-Sonaten von Bach),


    Walter

    Hallo,


    gestern stieß ich auf den E-Mail-Konflikt vom Wochenende. Es scheint, als wäre er bereits ausgestanden. Beruflich habe ich bisweilen mit ähnlichen Problemen zu tun. Dies scheint mit dem Medium Internet und E-Mail zusammenzuhängen, es gibt inzwischen ganze psychologische Studien dazu. Die Anonymität, fehlende ausgleichende Körpersprache und ein latentes Gefühl, während der virtuellen Kommunikation die „wirkliche“ Kommunikation zu verpassen, schaffen eine künstliche Situation, in der es immer wieder zu derartigen Entladungen kommt (Flame). Ich will damit nur sagen: Jeder sollte sich dessen bewusst sein und darauf achten (Netiquette), und zugleich gelassen bleiben, wenn es dazu kommt (auch wenn ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schwer das fällt).


    Im übrigen habe ich mir für heute Abend Beethovens 5. Klavierkonzert mit Celibidache und Benedetti-Michelangeli vorgenommen. In diesem Forum ist es wohl nicht nötig, über einen der beiden noch besondere lobende Worte zu finden. Für mich begeisternd, wie zwei so ungleiche und mit so starker Durchsetzungskraft begabte Musiker zu einem gemeinsamen Ton finden, was ich sonst oft vermisse, wenn ein berühmter Solist und Dirigent aufeinander treffen.



    Viele Grüße,


    Walter

    Hallo Sagitt,


    aus Bremen kommt auch meine Lieblingsaufnahme der 4. Sinfonie von Brahms, allerdings aus dem Jahr 1952 mit Hans Knappertsbusch und dem Bremer Philharmonischen Orchester (z.B. bei Tahra erhältlich). Ich weiß, die Aufnahmen von Knappertsbusch haben ihre Eigenarten.


    Als wichtiger Brahms-Dirigent sollte auch Toscanini erwähnt werden. Mir gefällt sehr gut eine Live-Aufnahme mit dem Philharmonia-Orchestra, ebenfalls von 1952. Ganz entgegen seinem Ruf eines perfektionistischen, fast technischen Dirigenten ist ihm für meinen Geschmack die ausdrucksstärkste Interpretation des letzten Satzes gelungen, die ich kenne, besonders das Flöten-Solo habe ich sonst nirgends so gehört.


    Ansonsten folge ich gern der allgemeinen Meinung und höre Carlos Kleiber, wenn mir die historischen Aufnahmen nicht technisch gut genug sind.


    Viele Grüße in den Norden,


    Walter

    Ich weiss nicht, ob dies hier auch ein Welte Mignon ist:



    Aber diese CD enthält Aufnahmen, auf denen Prokofieff sowohl eigene Werke als auch Rachmaninoff, Scriabin und Mussorgski spielt, dazu ein paar Stückchen von Casella und Enescu. Vor allem die Einspielung der Toccata op 11 und ein Satz aus den Erzählungen der alten Großmutter op 31,3 sind zu nennen. Nur Sofronitsky spielt Prokofieff besser als Prokofieff selber ....


    Viele Grüße,


    Walter

    Hallo Markus,


    starke Idee, auch Literatur zu ergänzen. In einem Musik-Forum hat wohl besonders der "Untergeher" seinen Platz, den es jetzt auch sehr günstig in der Reihe der "Süddeutschen Zeitung" zu erwerben gibt. Für mich eins der spannendsten Bücher über Musik. Ein paar Ideen dazu:


    Heute kann nur ein Genie werden, wer sich konsequent gegen das "System" wendet und es durchbricht. Das gelang aber nur Glenn Gould. Welche Rolle spielt das Aufbegehren gegen die reichen Eltern? Wurde eher am Rande erwähnt. Die Wertheimers waren eine sehr reiche Kaufhaus-Familie in Wien. Bernhard fand erstaunlicherweise immer Zugang in diese Kreise.


    Heute werden die Pianisten immer perfekter und schneller. Horowitz und Gould lehnten auch deshalb Unterricht zu geben ab, weil alle zu früh schnell spielen wollen.


    Ein ewiger Monolog, der so von unten statt oben spricht, wie Gould Bach spielt. Bedrängnis und Selbstzweifel.


    Im Moment lese ich allerdings etwas ganz anderes: Michail Lermontow "Ein Held unserer Zeit".


    Viele Grüße,


    Walter

    Hallo,


    ja tatsächlich, Google bestätigt es, es gab nicht nur diese sondern noch zahlreiche andere Aufnahmen von Maderna, vielen Dank für den Tip. Maderna mit "La Valse"? Das wäre es. Ich werde bei Gelegenheit im Internet suchen, ob diese CDs irgendwo angeboten werden.


    Zu Giehlen habe ich bisher keine klare Meinung finden können, viele Enttäuschungen, aber auch großartige Konzerte. Aber diese Empfehlung werde ich aufgreifen.


    Viele Grüße,


    Walter

    Hallo Cosima,


    im Grundansatz kann ich dir voll und ganz folgen, ziehe aber bezüglich der Gewitter-Szene eine entgegengesetzte Konsequenz. „Weltuntergangsstimmung“ soll etwas Übertriebenes kritisieren, ich würde eher „Schicksalsschlag“ einsetzen. Davon getroffen, kann ein Gang durch die Natur bisweilen das einzige sein, was einen zu halten vermag. Wenn Beethoven seine Gefühle in der Natur ausdrücken will, sehe ich daher beides: das Erlebnis eines Gewitters und das Aufrühren eigener, unlösbar erscheinender Konflikte. Der von ihm gewählte Ausdruck „Sturm“ bringt das wunderbar auf den Punkt. Die Natur kann zeigen, wie ein Gewitter kommt und geht, und kann helfen, sich selbst gegenüber wieder zu mehr Distanz zu finden und aus der eigenen Verzweiflung herauszufinden. Das finde ich selten in der Musik besser gestaltet als in dieser Sinfonie. Die Gewitter-Szene kann daher für meinen Geschmack nicht bedrohlich genug dargestellt werden, und dann sind die „frohen und dankbaren Gefühle nach dem Sturm“ um so erleichternder, ein tiefes Aufatmen.


    Leider kenne ich die Aufnahme von Carlos Kleiber nicht, wobei ich mir gut vorstellen kann, dass sie dies trifft (und vielleicht besser noch sein Vater, dessen Aufnahme ich ebenfalls nicht kenne). Ich habe bisher eigentlich nur zwei Aufnahmen gefunden, die meiner Vorstellung entsprechen: Willem Mengelberg mit dem Concertgebouw Amsterdam 1939 (?, habe die Aufnahme im Radio aufgenommen), Fritz Reiner und Chicago SO 1963.


    Viele Grüße,


    Walter

    Kein anderes Werk hat mich so zum Nachdenken angeregt, was beim Musikhören geschieht und wie zu erklären ist, dass mal ein Funke überspringt und mal nicht. Die Beiträge bestätigen für mich eine Erfahrung, die ich in dieser Weise nur bei dieser Sinfonie gemacht habe: Wenn ich mich über andere Werke unterhalten habe – sei es Mozart, Beethoven, Mahler oder Schönberg, war es immer möglich, über unterschiedliche Eindrücke oder Vorlieben zu sprechen. Bei Schuberts 9. Sinfonie dagegen: entweder unausgesprochene Übereinstimmung oder Abwinken („damit müsste ich mich mal beschäftigen“). Ist es die exponierte Lage dieser Sinfonie unmittelbar nach der Klassik oder, wie Ulli es auf den Punkt gebracht hat: Sie lässt nur erahnen, was Schubert eigentlich sinfonisch im Sinne hatte?


    Ein Aspekt ist sicher, in welcher Interpretation ein Werk zuerst gehört wird und welche anderen persönlichen Eindrücke damit assoziiert werden. Für mich waren das die Aufnahmen von Charles Münch und Istvan Kertesz, die ich bis heute immer wieder gern höre. Und ich habe die Sinfonie mehr oder weniger am gleichen Tag zum ersten Mal gehört, als ich auch zum ersten Mal die Bilder von Van Gogh sah und werde beide Eindrücke nie voneinander trennen können.


    Von anderen Aufnahmen möchte ich zwei hervorheben: Von Furtwängler den Konzertmitschnitt von Berlin 1942. Sicher wird sich sagen lassen, dass hier seine Persönlichkeit und die Zeitumstände möglicherweise so intensiv in den Vordergrund treten, dass sie zu dominant werden, aber für mich ist es gerade das Besondere dieser Sinfonie, dass sie zu solch extremen Deutungen fähig ist.


    Die andere Aufnahme ist von Bruno Maderna und dem Saarländischen RSO. Sie ist meines Wissens leider nicht auf dem Markt. In den 1980ern hat sie Wolf Rosenberg aus den Rundfunkarchiven vorgestellt. Auch diese Aufnahme ist extrem, der zweite Satz ist in dieser Aufnahme ohne Kürzungen gerade 11 Minuten lang. Dadurch erhält das Werk eine ungewöhnliche innere Kontinuität. Zugleich ist das die einzige Aufnahme, bei der die Bläser durchgehend aufgewertet sind und geradezu eine eigene Stimme bekommen, wodurch es zu einem langen Dialog mit den Streichern kommen. Letztlich ist das meine Lieblingsaufnahme, auch wenn ich beim Mitschnitt aus dem Radio leider die ersten und letzten Takte verloren habe.


    Viele Grüße,


    Walter

    Hallo Stefan,


    mir ging es eher umgekehrt, als ich ausgehend von der Klassik zunächst etwa die Mothers of Invention im Pop oder Miles Davis im Jazz schätzen lernte. Im Grenzbereich entdeckte ich sehr spannende Ideen bei "Bang on a Can", die ich 1996 in Darmstadt live erlebte. Sie arbeiten mit zahlreichen jüngeren amerikanischen Komponisten zusammen. Stilistisch könnten sie am ehesten in der Nachfolge des Minimalismus einzuordnen sein. Mir persönlich gefällt von ihren CDs am besten: Renegade Heaven.


    Viele Grüße,


    Walter

    Als ich die Sonaten und Partiten in der Aufnahme mit Heifetz hörte, war ich sehr enttäuscht, und fand dann auch andere Aufnahmen nicht überzeugend. Jetzt habe ich mir aber eine 3er CD Heifetz vom Verlag TIM Cz gekauft, weil sie bei jpc für praktisch umsonst angeboten wurde, und die enthält eine Aufnahme der Partita Nr 2 d mit der Charconne von 1935-1937, die wahrhaft hinreißend ist. Allein wegen dieses Stückes lohnt es schon, dieses Sonderangebot wahrzunehmen.


    Viele Grüße,


    Walter

    Bruckner 5 ist eine meher Lieblingssinfonien, die ich mit Jochum kennen gelernt habe. Wie bei zahlreichen anderen Bruckner-Sinfonien entdeckte ich dann Knappertsbusch, dessen urtümliche Gewalt mich ungeheuer anspricht. Zwar habe ich dann einiges über sein Verhalten in der NS-Zeit gelesen, dennoch ist dies nach wie vor für mich die überzeugendste Interpretation.


    Besser als die Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern gefällt mir eine Live-Aufnahme mit den Münchener Philharmonikern von 1959, die ich in den CD-Anfangszeiten erworben habe, als italienische Label (in diesem Fall Movimento Musica) alles auf den Markt warfen, was sie irgendwie greifen konnten. Insbesondere der letzte Satz ist mit ungeheurer Energie vorgetragen und einem Tempo (knapp 19 Minuten), das ist nicht für möglich gehalten hätte, und wodurch das Stück einen ganz anderen Charakter bekommt.


    Immer wieder schaue ich nach Alternativen, da diese Aufnahme technisch leider ziemlich schlecht ist, wobe mir am besten gefallen: Klemperer mit dem New PO London von 1967 und die bereits angesprochene Einspielung von Wand mit den Kölnern.