Ich habe mich schon recht früh für Weberns Musik interessiert, angeregt von einer Passage in Thomas Pynchons Gravity's Rainbow (Die Enden der Parabel), das ich ebenfalls recht früh gelesen habe. Es ist der kurze, vermutlich innere (das ist bei Pynchon häufig nicht so klar) Monolog eines der Charaktere kurz nach Kriegsende im „Zonendeutschland“ (Übersetzung folgt):
This rainy morning, in the quiet, it seems that Gustav's German Dialectic has come to its end. He has just had the word, all the way from Vienna along some musicians' grapevine, that Anton Webern is dead. “Shot in May, by the Americans. Senseless, accidental if you believe in accidents—some mess cook from North Carolina, some late draftee with a .45 he hardly knew how to use, too late for WW II, but not for Webern. The excuse for raiding the house was that Webern’s brother was in the black market. Who isn't? Do you know what kind of myth that’s going to make in a thousand years? The young barbarians coming in to murder the Last European, standing at the far end of what'd been going on since Bach, an expansion of music's polymorphous perversity till all notes were truly equal at last. . . . Where was there to go after Webern? It was the moment of maximum freedom. It all had to come down. Another Götterdämmerung—” [Thomas Pynchon, Gravity's Rainbow. London: Picador 1975. pp.440–41]
Ich habe das Buch nicht auf Deutsch, also versuche ich mich an einer ad-hoc Übersetzung (bitte keine künstlerischen Maßstäbe anlegen, es ist schon vier Uhr morgens!):
In der Stille dieses regnerischen Morgens scheint Gustavs deutsche Dialektik ihr Ende zu fnden. Gerade erfuhr er, den ganzen Weg aus Wien entlang der musikalischen Gerüchteküche, daß Anton Webern tot ist. „Erschossen im Mai, von den Amerikanern. Sinnlos, versehentlich, wenn man an Versehen glaubt — ein Kantinenkoch aus Nord-Carolina mit einer 45er, die er kaum zu benutzen wußte, zu spät eingezogen für den Zweiten Weltkrieg, aber nicht für Webern. Zur Rechtfertigung für die Hausdurchsuchung hieß es, daß Weberns Bruder auf dem Schwarzmarkt tätig war. Wer nicht! Hast du eine Ahnung, was das in tausend Jahren für einen Mythos abgeben wird? Die jungen Barbaren fallen ein, um den Letzten Europäer zu ermorden, der am fernen Ende einer Entwicklung stand, die mit Bach begann, eine Expansion der polymorphen Perversität der Musik, bis alle Noten schließlich wirklich gleichberechtigt waren . . . Wo sollte es nach Webern noch hingehen? Es war der Augenblick der maximalen Freiheit. Alles mußte zusammenbrechen. Eine weitere Götterdämmerung —“
Bei aller Ironie hat diese Stelle mich doch immer sehr bewegt und tut das auch heute noch. Ich glaube fast, daß ich Webern anders hören würde, wenn er nicht auf diese Weise gestorben wäre (oder ich nichts davon wüßte). Das ist natürlich eigentlich völlig unsinnig, und wahrscheinlich reine Einbildung. Oder? Wie würdet ihr das sehen?
Sorry für diese depressive Wendung ...
^_^J.