Nachdem ich Dudamel vor kurzem erstmalig bei der TV-Uebertragung eines Konzertes bei den Londoner Proms erlebte, habe ich die Beiträge dieses Threads mit grossem Interesse gelesen - zugegeben diejenigen Alfreds mit grosser Verwunderung und einiger Kritik an seinen Äusserungen.
Zunächst einmal etwas zu seiner kritischen Haltung gegenueber "Jugendorchestern". Vor sehr vielen Jahren, als diese Orchester noch nicht so en vogue waren wie heute, hörte ich einmal ein deutsches Jugendorchester (welches, weiss ich nicht mehr) mit einem Wagner-Programm unter Hans Wallat und den Solisten Nilsson und Nimsgern. Meine anfängliche Skepsis (von Alfreds Vorurteil war ich gar nicht so weit entfernt) verflog, als ich sah und hörte, mit welchem Engagement und mit welcher Qualität diese jungen Leute sich ins Zeug legten und sich damit von einigen quasi verbeamteten Musikern abhoben, deren Haltung oftmals nichts anderes ausdrueckte als :"Alter, nun motiviere mich mal!". Heute gibt es jede Menge Jugendorchester auf einem hohen Niveau, dass sich z.B. Dirigenten wie Claudio Abbado gluecklich schätzen, mit den Kollegen von morgen zu arbeiten.
Auf der Suche nach einem kleinen von mir akzeptierten Ansatz in Alfreds Beiträgen stiess ich auf seine Angst, die Klassikszene könnte sich zur Popszene wandeln, wie sie ja auch in manchen Beiträgen zum Netrebko-Thread durchscheint. Meine Antwort : Solange Kuenstler wie Netrebko und auch Dudamel am Abend Seriös-Professionelles abliefern, kann mir die Art der Vermarktung egal sein.
Dudamel als Spass-Dirigenten zu bezeichnen, scheint mir gar nicht mal so abwegig zu sein; war dies nicht ein Etikett, das auch einem Bernstein oft angeheftet wurde? Jedenfalls hatte ich Spass, einem Dudamel bei seinem Londoner Konzert zuzuschauen, der offenbar auch Spass am Dirigieren zu haben schien. Typisch fuer die Proms das Prorgamm : im ersten Teil Shostakovichs Zehnte, im zweiten Teil Musik z.T. aus Lateinamerika und in einem Stil, der der Popszene gefährlich nahe kam, nämlich den Sinfonischen Tänzen aus Bernsteins West Side Story.
Ob Dudamel das ganze Programm nun auswendig dirigierte, ist mir egal. Ich unterstelle einmal, dass er Noten lesen kann. Wie er aber mit einer an Kleiber Sohn erinnernden Leichtigkeit den Taktstock fuehrte und damit seine Intentionen an das Orchester uebertrug, fand ich faszinierend und ueberzeigend. Natuerlich werde ich mich hueten, von DSch auf das Mainstream-Repertoire zu schliessen, aber : Seit wann ist Mainstream ein Vorwurf? Schliesslich macht sich Dudamel das Leben schwerer, wenn er sich mit diesen Werken einfuehrt, in dem die Vergleichsmöglichkeiten auf der Strasse liegen. Ich werde jedenfalls versuchen, im Internet an die Uebertragungen seiner Konzerte heranzukommen.
Unterstreichen wuerde ich auf jeden Fall die kritischen Einwände Edwins gegen Dudamels Vermarktung durch die DG, nicht jedoch gegen sein Engagement bei den LA Philharmonikern. Ist er gut, wird er sich durchsetzen, besonders als einer, der auf Salonen nachfolgt.
Die Tamino eigenen Threadtitel verfuehren zu Polarisierung und Polemisierung; dadurch "verkauft" sich ein Forum besser. Ich denke, Alfred hat zuviel Ahnung von Musik, als dass ich in seinen Dudamel-Beiträgen etwas anderes als gewollte Anheizung eines Threads sehen könnte. Oder sollte ich mich irren?
Nichts fuer ungut, Alfred.
Schöne Gruesse von einem, aus dessen Land ein ebenfalls blutjunger Dirigent (Mikko Franck) kommt.
Mikko