Beiträge von Helmut Hofmann

    „Der Einsiedler“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Mit nur drei pianissimo angeschlagenen und in einen g-Moll-Akkord übergehenden Einzeltönen in Gestalt eines „D“ setzt die Liedmusik ein. Legato geht dieser g-Moll-Akkord zu einem in d-Moll über, und dabei ereignet sich auch der auftaktige Einsatz der melodischen Linie mit einem auf eben diesem tiefen „D“ ansetzenden Quintsprung auf den Worten „Komm, Trost“. Dass es kein wirkliches Vorspiel gibt und die melodische Linie in ihrem noch im ersten Takt erfolgenden Einsatz in eine akkordische Legato-Rückung von der Moll-Subdominante zur Tonika d-Moll gebettet ist, ist typisch für das Verhältnis von Melodik und Klaviersatz in diesem Lied. Dieser reklamiert keine Eigenständigkeit in dem, was er zur melodischen Linie beizutragen hat, und tritt dementsprechend auch nicht in ein dialogisches Verhältnis zu ihr. Seine Aufgabe sieht er vielmehr darin, ihren Bewegungen auf in Diskant und Bass synchrone Weise mit zwei- und bis zu vierstimmigen Akkorden und sie immer wieder einmal verbindenden, legato ausgeführten Sechzehntel-Achtel-Figuren zu folgen.

    Ganz in ihrer Melodik entfaltet sich die Musik dieses Liedes und findet darin zu ihrer zentralen Aussage, wobei allerdings neben ihrer Struktur auch ihrer Harmonisierung eine wesentliche Funktion zukommt. In den Rückungen, die diese tonartlich und tongeschlechtlich beschreibt, ist sie – da ist eben ein Schumann am Werk – alles andere als einfach angelegt. Immer wieder einmal, bei den harmonischen Sprüngen von Kreuz- zu B-Tonarten nämlich, klingt darin phrygisch-kirchentonartlicher Geist auf.

    Dass die Liedmusik aber wesentlich aus der Melodik lebt, ist der Haltung Schumanns dieser in ihrer Sprachlichkeit und ihrer Metaphorik so vollkommen aus sich selbst lebenden und in sich geschlossenen Lyrik Eichendorffs gegenüber geschuldet. Er hat das Lied vernommen, das darin schläft und in ihrer Rezeption zu erklingen beginnt, und es scheint ihm – so möchte man vermuten – liedkompositorisch einzig geboten gewesen zu sein, es mit der eigenen Melodik gleichsam einzufangen und auf diese Weise vernehmlich werden zu lassen.

    Die Schönheit dieser Melodik mit Worten fassen zu wollen wäre ein törichtes Unterfangen. Man kann nur ihre strukturellen Merkmale konstatieren und der Frage nachgehen, auf welche Weise sie jeweils die lyrische Aussage, bzw. das evokative Potential der Metaphorik erfasst und zum Ausdruck bringt. Aber selbst hier gerät man in Schwierigkeiten, beschreibt sie doch, da sich die Variationen in der dritten Strophe auf den Klaviersatz beschränken, in allen drei Strophen die gleiche Bewegung.

    Die Entscheidung, die Liedmusik nicht als durchkomponierte anzulegen, sondern als minimal variiertes Strophenlied, ergab sich für Schumann ganz offensichtlich aus der Erkenntnis, dass bei diesem Gedicht die lyrischen Aussagen und Bilder aller drei Strophen einer Grundhaltung des lyrischen Ichs entspringen und man die poetische Aussage nicht dadurch erfasst, dass man sich im Sich-Einlassen auf die einzelnen lyrischen Bilder gleichsam liedkompositorisch verzettelt und dabei Gefahr läuft, die innere Einheit und Geschlossenheit des Gedichts zu verfehlen, ja sogar zu zerstören. Anders war für ihn vorzugehen: Es galt, eben diese Grundhaltung eines lyrischen Ichs liedmusikalisch und insbesondere melodisch zu erfassen, eines „Einsiedlers“, dessen ganzer Wunsch es ist, dass „die stille Nacht“, für ihn der „Trost der Welt“, über ihn kommen und ihm ein „Ausruhen“ von „Lust und Not“ ermöglichen werde.

    Dieses lyrische Ich bringt seine Gedanken und Gefühle in spätabendlicher Einsamkeit und Abgeschiedenheit zum Ausdruck. Nur in einer pianissimo sanft sich entfaltenden und weit ausgreifend phrasierten Melodik kann dies geschehen. Und so werden denn aus den sechs Versen der Strophe drei Melodiezeilen, wobei sich Schumann an der lyrisch-sprachlichen Binnenstruktur der Strophen orientiert. Der dritte Vers enthält jeweils eine vom Kontext der übrigen Verse sich abhebende, also gleichsam singuläre Aussage, und so wird er zum Träger einer eigenen, durch Viertelpausen am Anfang und Ende eingehegten und durch seine melodische Struktur sich von der vorangehenden und der nachfolgenden Melodiezeilen abhebende melodische Einheit. Es ist die kleinste in dieser Liedmusik. Die beiden anderen werden aus dem ersten Verspaar und den letzten drei Versen der Strophe gebildet. In dieser dritten Zeile, wird die melodische Linie zwar nach den Worten „Ein Schiffer nur noch, wandermüd'“, zwar von einer Viertelpause unterbrochen, sie setzt allerdings bei den Worten „Singt übers Meer sein Abendlied“ auf dem gleichen Ton (einem „A“ in mittlerer Lage) an, auf dem sie gerade geendet hatte, so dass sich hier nicht wirklich eine Störung ihrer Entfaltung ereignet.

    (...) Mich interessieren Volkslieder in dem Sinne nicht wirklich. Ich kann sie nett finden (je nachdem, wie sie gesungen werden) aber ich mag häufig den Kontext nicht.


    Das Volkslied ist heute tot, - tot in dem Sinn, dass es keine originale, gesellschaftlich breit gestreute Pflege mehr erfährt. Präsent ist es nur noch als von der Musikindustrie vermarktetes Produkt. Das aber ist kein wirkliches Leben mehr, es ist ein wesenhaft museales.

    Der Tod des Volksliedes ist Folge eines Niedergangs, bei dem es sich um einen unaufhaltsamen Vorgang handelt.
    Er hängt ganz wesentlich mit den umfassenden und tiefgreifenden Wandlungsprozessen zusammen, die die Entwicklung der europäischen Moderne mit sich gebracht hat. Das kann man hier im einzelnen nicht näher betrachten. Ein Kenner der Materie, L.A. Pétiet nämlich, hat das mal so auf den Punkt gebracht: "Die Volkstümlichkeit ist wie die Jugend: wenn sie vorüber ist, kommt sie niemals wieder."

    Historisch betrachtet, ist der Prozess des Untergangs des Volksliedes ein ziemlich lange währender. Schon Herder, mit dem ja eine Phase der "Wiederentdeckung des Volksliedes" einsetzt und der mit seinen "Stimmen der Völker in Liedern" ein diesbezüglich wichtiges Werk vorgelegt hat, beklagte schon den bald bevorstehenden Niedergang des Volksliedes. Und wenn man sich seine Entwicklung unter rein musikalischen Gesichtspunkten ansieht, dann ist tatsächlich mit dem neuen Volksliedttyp, der sich durch syllabisch exakte Deklamation und strenge Isometrie auszeichnet, bereits ein Verlust der Vielfalt eingetreten, durch den sich das alte Volkslied noch auszeichnete.

    In einer nun schon einige Jahrzehnte alten Untersuchung zu dieser ganzen Problematik hat W. Wiora ("Der Untergang des Volksliedes und sein zweites Dasein", Bärenreiter 1959) u.a. festgestellt:

    "Außer in der Durchsetzung mit restaurativen Zügen besteht die Problematik des zweiten Daseins hauptsächlich darin, daß Volkslieder sich weniger gut als geschlossene Kunstwerke aus ihren ursprünglichen Bindungen herauslösen lassen, ohne dabei den wesentlichen Gehalt einzubüßen, und daß sie noch mehr unter bewußter und beflissener Pflege leiden."

    Damit ist eigentlich alles gesagt: Wenn die "Milieus" nicht mehr existieren, aus denen das Volkslied hervorgegangen ist und in denen es gepflegt wurde - und das geschah eben in dem von mir angesprochenen Prozess, der im Grunde mit der Industriellen Revolution einsetzte - , dann ist das Volkslied buchstäblich zum Untergang verurteilt, - wie eine Pflanze, der man den Nährboden geraubt hat.

    „Der Einsiedler“, op. 83, Nr. 3

    Komm, Trost der Welt, du stille Nacht!
    Wie steigst du von den Bergen sacht,
    Die Lüfte alle schlafen,
    Ein Schiffer nur noch, wandermüd',
    Singt übers Meer sein Abendlied
    Zu Gottes Lob im Hafen.

    Die Jahre wie die Wolken gehn
    Und lassen mich hier einsam stehn,
    Die Welt hat mich vergessen,
    Da tratst du wunderbar zu mir,
    Wenn ich beim Waldesrauschen hier
    Gedankenvoll gesessen.

    O Trost der Welt, du stille Nacht!
    Der Tag hat mich so müd gemacht,
    Das weite Meer schon dunkelt,
    Laß ausruhn mich von Lust und Not,
    Bis daß das ew'ge Morgenrot
    Den stillen Wald durchfunkelt.

    Das Gedicht entstand 1835. Es ist Lyrik, wie man sie nur bei Eichendorff finden kann, - eine, bei der die lyrische Sprache durch in der Innigkeit und der sanften Ruhe ihrer Metaphorik zu singen anzuheben scheint. In großer, gleichwohl kunstvoll angelegter Gleichförmigkeit und Regelmäßigkeit entfaltet sie sich: Auf zwei durch Paarreim verbundene Verse folgen vier im Verbund von umarmendem Reim und Paarreim: Dritter und sechster Vers rahmen mit ihrem Reim den Paarreim des vierten und fünften, und sie heben sich von allen anderen Versen dadurch ab, dass sie in ihrem jambischen Metrum nicht vier, sondern nur dreifüßig angelegt sind, so dass mit dem letzten Vers ein Schluss-Gestus in das gleichförmig jambische Fließen der lyrischen Sprache kommt. In eben diesem reflektiert sie die große, in ihrem Potential geradezu endlich anmutende Ruhe, die die lyrischen Bilder verströmen.

    Das für die Lyrik der Romantik so zentrale und – wie von Novalis das mit seinen „Hymnen an die Nacht“ vorgelegt – in durchaus ambivalenter, weil die Dimension tödlicher Gefährdung beinhaltender Weise abgehandelte Thema „Nacht“ erfährt hier eine ausschließlich positive, von einer Kombination aus naturbezogener und christlicher Religiosität getragene Gestaltung: Das vom Tag müd gemachte und von der Welt vergessene lyrische Ich erfährt sie in den Bildern, in denen sie ihm begegnet – dem sacht von den Bergen Herabsteigen, dem sein Abendlied singenden Schiffer im Hafen und dem weiten Dunkeln des Meeres - , als Einladung zur großen existenziellen Ruhe und der Erfahrung von Ewigkeit, wie sie sich im den Wald durchfunkelnden Morgenrot zu ereignen vermag.

    Schumanns Liedmusik auf diese Verse mutet an, als habe er sie, anders als das seine sonstige, mit großem Erfolg gehandhabte Gepflogenheit ist, interpretatorisch nicht wirklich anrühren wollen. Sie entfaltet sich als fast reines, in der dritten Strophe nur im Klaviersatz variiertes Strophenlied in einem melodischen Gestus und einer statische Beharrlichkeit suchenden Harmonik, wie sie für einen dem Geist des Chorals verpflichteten religiösen Liedgesang typisch ist. Die Komposition entstand im Frühjahr 1850, und Schumann hat sie als dritten Teil seines – liedkompositorisch extrem divergenten – Opus 83 publiziert. Sie steht in d-Moll als Grundtonart, ein Viervierteltakt liegt ihr zugrunde, und sie soll „langsam“ vorgetragen werden.



    Der Silcher ist ja ganz nett, aber wenn schon "Die Loreley", dann ein wirkliches Kunstlied: Franz Liszt. Das ist eine kleine Oper, hoch romantisch, hoch dramatisch.


    Franz Liszt: Loreley

    Das ist eines von den großen und bedeutenden Liedern Liszts, das völlig zu Unrecht in der Schatten der Vertonung dieses Heine-Gedichts durch Friedrich Silcher geraten ist, die sich gegenüber dieser von Liszt regelrecht blass und unbedeutend ausnimmt. Es liegen von diesem Lied auch wieder drei Fassungen vor. Die erste entstand schon 1841, die zweite dann zwischen 1856(?) und die letzte 1860. Der folgenden Besprechung liegt die zweite Fassung zugrunde.
    Dabei ist die Bezeichnung „Lied“ ja nicht ganz zutreffend: Es ist eine Ballade in Gestalt eines Konzertstücks für Singstimme und Klavier. Wenn man es mit wenigen Worten charakterisieren sollte, müsste man von einer kompositorisch höchst gelungenen Kombination aus rezitativischen, lyrischen und dramatischen Elementen sprechen.

    Die kompositorische Größe dieses Liedes kann man zwar auf Anhieb hörend wahrnehmen, man erkennt sie aber erst wirklich richtig, wenn man etwas genauer auf die musikalische Faktur blickt. Liszt greift nämlich die Anfangszeile „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ musikalisch damit auf, dass er zunächst völlig unbestimmt lässt, welches nun die dominierende Tonart sein soll. Zunächst ist ein g-Moll zu hören, die melodische Linie der Singstimme setzt aber mit e-Moll ein. Die am Anfang angezeigte Haupttonart, G-Dur nämlich, wird erst mit Takt 107 erreicht.
    In der Klaviereinleitung sind Anklänge an Wagners „Tristan“ zu hören. Die Singstimme setzt rezitativisch ein, im Klavier nur von arpeggierten Akkorden getragen. Aber schon bei „Daß ich so traurig, so traurig bin“ erhebt sie sich mit einem leichten Klageton in hohe Lagen. Allegretto, ein wenig stockend in der Vokallinie und mit tänzerischen Achteln im Klavier, erklingen die nächsten beiden Verse („Ein Märchen aus uralten Zeiten…“).

    Mit einem Zwischenspiel aus fallenden Arpeggien wird zu den lyrischen Bildern der folgenden Strophen übergeleitet. Den Klavierzwischenspielen kommt dabei eine große Bedeutung zu. Sie verbinden nicht nur die einzelnen, in ihrer musikalischen Faktur recht unterschiedlichen Teile des Liedes, sie sind eigentlich sein musikalisches Fundament.

    Die zweite Strophe setzt mit einem musikalischen Motiv ein, das überaus lyrisch wirkt, von einem wiegenden Rhythmus getragen ist und sich auf der Stelle einprägt. Es stellt sich heraus, dass es wie eine Art Leitmotiv fungiert. In weit ausgreifender Bewegung der melodischen Linie, die in der Wiederholung dann absinkt, wird das Bild vom „Abendsonnenschein“ musikalisch beschworen.

    Die dritte Strophe wird von triolischen Achtelakkorden im Klavierdiskant klanglich geprägt. Es zeigt sich also immer wieder, dass – wie eigentlich immer in Liszts Liedern – auch hier das Klavier „den Ton angibt“. Die Singstimme setzt wieder mit dem Leitmotiv ein, dieses Mal aber in leicht abgewandelter Form. Das Bild von der „schönen Jungfrau“, die ihr „goldenes Haar“ kämmt, entfaltet sich mit großer lyrischer Emphase. Die melodische Linie der Singstimme greift in hohe Lagen aus, das Klavier kommt von den Achtelakkorden ab und entfaltet gewaltige Arpeggien. Das steigert sich sogar zu regelrechter Dramatik im nachfolgenden Zwischenspiel („Allegro agitato molto“), das das lyrische Bild von der „gewaltigen Melodei“ aufgreift.

    Vor dem Beginn der fünften Strophe, in der es um den „Schiffer im kleinen Schiffe“ geht, setzt ein triolisches Pochen im Klavierdiskant ein, und auf dessen Grundlage erklingt eine stockende, chromatisch nach oben drängende melodische Bewegung, die ihren Höhepunkt ganz sinngemäß bei den Worten „in die Höh“ erreicht. Danach folgt ein regelrechter Wirbel im Klavierbass, von akkordischen Aufwärtsbewegungen im Diskant begleitet. Die melodische Linie der Singstimme steigt darüber, in stockendem Ton syllabisch exakt deklamierend, mit einer Art Klageton langsam herab, in großen und kleinen Sekundschritten, über eine ganze Oktave hin, und sie landet schließlich bei dem Wort „Kahn“ auf ihrem tiefsten Ton, einem „es“.

    Der zweitletzte Vers, wird, deutlich von der Dramatik des Zwischenspiels abgehoben, in schlichtem Erzählstil gesungen, - eher rezitiert, von einfachen Akkorden getragen. Der Schluss des Liedes, der aus einer mehrfachen Wiederholung der beiden letzten Verse besteht, ist von liedhafter, fast unschuldig wirkender Schlichtheit. Das musikalische Leitmotiv liegt ihm zugrunde, und es wird kompositorisch in mehrfach abgewandelter Form eingesetzt. Der Reiz liegt dabei darin, dass die zauberische Lieblichkeit von Melodik und in Triolen aufklingender Harmonik ja eigentlich Kommentar zum Untergang des Schiffers ist.


    Clara Schumann: Loreley


    Heines Gedicht wurde u.a. auch von Clara Schumann vertont. Ich mache wieder einen Hörvergleich in der Absicht, Liszts spezifische Liedsprache auf diese Weise noch besser fassen zu können.
    Ihre Vertonung unterscheidet sich, das ist unüberhörbar, ganz wesentlich von der Liszts dadurch, dass sie eine deutlich geringere musikalische Binnendifferenzierung aufweist. Dahinter steht offensichtlich eine andere, das Wesen der Liedkomposition betreffende Grundhaltung, die der Schuberts und Schumanns näher ist als die Liszts. Wo dieser durch die Vielfalt der lyrischen Bilder sich inspiriert fühlt, eine entsprechende Vielfalt der musikalischen Ausdrucksmittel einzusetzen und das Lied damit zu einem komplexen Gebilde mit großer innerer klanglicher Vielfalt werden zu lassen, will Clara Schumann die in sich geschlossene „Einheit des musikalischen Gebildes Lied“ möglichst weitgehend wahren. Sie tut das, indem sie ihm einen durchgehenden klanglichen Grundcharakter verleiht.

    Dieser klangliche Grundcharakter klingt schon am Anfang auf. Nicht etwa in der Klaviereinleitung, denn eine solche gibt es nicht, - auch das ein bemerkenswerter Unterschied zu Liszts Vertonung. Dieser das Lied durchgehend prägende klangliche Charakter ist schon in den ersten Takten im Zusammenspiel von Singstimme und Klavier zu vernehmen. Das Lied weist einen triolischen Rhythmus auf, der sehr stark an Schuberts „Erlkönig“ erinnert und dem Lied eine ausgeprägte Dramatik und hohe Dynamik verleiht.
    Die melodische Linie der Singstimme ist sehr eng an die lyrische Sprache angebunden. Das „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten…“ wird so rasch deklamiert, wie man es bei einem Vortrag des Gedichts sprechen würde. Dann folgt ein Klavierzwischenspiel, bei dem die Triolen so aufklingen, wie man sie aus Schuberts „Erlkönig“ kennt, - natürlich anders harmonisiert.

    Die folgenden Verse (Ein Märchen aus uralten Zeiten…“) sind im Klangcharakter, in der Melodik und der Harmonik also, nicht wesentlich von dem des ersten Verspaares abgehoben, obwohl lyrisch doch etwas anderes angesprochen wird. Das ändert sich aber bei lyrischen Bild vom „Gipfel des Berges“: Die melodische Linie fließt jetzt ruhiger – bei weiterhin triolischem Grundrhythmus allerdings - , und bei dem Wort „Abendschein“ hält die Singstimme sogar ein hoher Lage kurz inne, und ein Klavierzwischenspiel folgt nach.
    Dieses weist nun einen tänzerischen, ja heiteren Rhythmus auf. Damit wird zum Bild von der „schönen Jungfrau“ übergeleitet. Sehr lebhaft wirkt die melodische Linie jetzt. Die dramatische Innenspannung des Liedes kehrt aber wieder zurück bei dem lyrischen Bild von dem „Schiffer im kleinen Schiffe“. Bei dem Wort „Weh“ erfolgt ein melodischer Sprung in große Höhe, der fast wie ein Klageschrei wirkt. Klagend geht es dann auch weiter. Das „Ich glaube, die Wellen verschlingen“ wird in hoher Lage deklamiert.

    Wie eine einfache Feststellung kommen die Schlussverse „Und das hat mit ihrem Singen…“ melodisch daher, und zwar deshalb, weil sie aus dem fortlaufenden Rhythmus artikuliert und nicht besonders akzentuiert werden. Sie werden aber als einzige Verse des Liedes wiederholt: Jetzt in Form einer fallenden, mit deutlichem Klageton versehenen melodischen Linie.

    Der Vergleich mit der Vertonung des Heine-Gedichts durch Clara Schumann lässt erkennen, dass Liszt das kompositorische Grundmodell des Liedes, wie es Schubert und Schumann vorgelegt haben – und woran Clara Schumann sich orientiert - , für sich nicht mehr als richtungweisend gelten lassen will. Es würde ihm die Freiheit nehmen, sich im Sinne seines Konzepts von der „Dichtung in Tönen“ gleichsam ungehindert von der evokativen Kraft der lyrischen Bilder inspirieren zu lassen.

    „Frühlingsfahrt“ (IV)

    Beim Vers mit den Worten „Ach, Gott, führ' uns liebreich zu Dir!“, setzt der Zerfall der melodischen Figur ein: Aus dem Quintsprung wird nun einer über eine Sekunde, die Tonrepetitionen ereignen sich auf einer um eine weitere Terz und eine nachfolgende Sekunde abgesenkten und zudem noch im Tempo verminderten (Anweisung „langsamer) Art und Weise, und sie münden bei dem Wort „dir“ in einen ausdrucksstarken verminderten und in einer Dehnung endenden Sekundfall.

    Der sich an Gott richtenden Bitte, die das lyrische Ich hier äußert, verleiht die Liedmusik durch diese melodische Bewegung starken Nachdruck, wozu Harmonik und Klaviersatz einen gewichtigen Beitrag leisten: Dieser vollzieht sie in akkordischer Gestalt mit, und die Harmonik beschreibt zunächst eine Rückung von G-Dur hin zu dem nun als Dominante fungierenden D-Dur. Der kleine und gedehnten Legato-Sekundfall auf dem Wort „dir“ erfährt aber eine starke musikalische Akzentuierung dadurch, dass die Harmonik an dieser Stelle eine Rückung von D-Dur nach E-Dur beschreibt, das anschließend in ein A-Dur übergeht.

    Das aber fungiert nun wiederum als Dominante. Denn Schumann lässt die Worte des letzten Verses noch einmal deklamieren. Da er damit aber der tiefe Ratlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit des lyrischen Ichs bekundenden Bitte den gebotenen Nachdruck verleihen will, kann dies nicht auf einer weiter in ihrem Gestus gleichsam ermüdenden und erschlaffenden melodischen Linie geschehen. Er lässt sie sich gleichsam noch einmal aufraffen. Sie beschreibt nun ein Auf und Ab über die Intervalle zweier Quinten und einen zwischengelagerten Terzsprung, - also eine Bewegung, die – und das in einem Ritardando - weiterhin auf fallender Linie erfolgt. Und so mündet sie denn am Ende in einen Sekundsprung aus der tiefen Lage eines „Cis“ hin zum Grundton „D“, wobei die Harmonik die klassische Kadenzrückung von der Dominante zur Tonika D-Dur vollzieht.

    Dieses lyrische Ich hat sich, so wie Schumann die dichterische Aussage dieser Eichendorff-Verse aufgefasst hat, der Bipolarität seiner existenziellen Situation ergeben und weiß keinen anderen Ausweg daraus als den, sich der göttlichen Fügung anheim zu geben.
    Es ist das Dilemma der Romantik, dem Eichendorff hier einen lyrischen Ausdruck verleiht, den Schumann musikalisch aufgreift und auf höchst eindrückliche Weise in seinen existenziellen Dimensionen auslotet.

    Das viertaktige Nachspiel wirkt in der Abfolge seiner fallend angelegten und immer wieder in einen Akkord mündenden, dabei eine harmonische Rückung von D-Dur über A-Dur, fis-Moll C-Dur und neuerlichem A-Dur beschreibenden Folge von Achteln, die am Ende über einen Anstieg in einen D-Dur-Akkord mündet, wie ein auf seinen Kern verdichteter Nachvollzug dessen, was sich zuvor liedmusikalisch ereignet hat.

    (...) Neben vielem anderen kann Schuberts Musik auch gemütlich, sogar gefällig sein. Man darf sie natürlich nicht darauf reduzieren, aber eben auch nicht auf das Gegenteil. (...)

    Mit dieser Feststellung hast Du, geschätzter ChKöhn, natürlich recht. Über deine These, dass es im Scherzo der großen A-Dur-Sonate oder im Finale der in G-Dur eine "Nähe zur biedermeierlichen Hausmusik" gäbe, wäre freilich zu diskutieren. Ich vermag das nicht zu erkennen, zumal diese Sätze ja nicht isoliert, sondern im Kontext der übrigen Sonatensätze gehört und beurteilt werden müssen.

    Dieser Thread ist aber nicht der Ort dafür, und deshalb möchte ich dazu weiter nichts mehr sagen.

    D' accord :hello:


    LG aus Wien

    Alfred

    Das "D' accord :hello:" nehme ich, lieber Alfred Schmidt, gerne zur Kenntnis.

    Aber bei der Gelegenheit: Mir ist ein Formulierungsfehler unterlaufen. Es muss heißen:

    "Wer Schuberts Musik nicht wenigstens einmal auf einem historischen Pianoforte gehört hat, weiß nichts von der Aura, die sie damals bei konzertanter Aufführung im bürgerlichen Salon entfaltete."

    Das biedermeierliche Flair kann ein moderner Konzertflügel nicht vermitteln.

    "Biedermeierliches Flair" weist Schuberts Musik für Klavier in ihren großen Werken in keiner Weise auf. Dafür steckt selbst in den scheinbar heitersten von ihnen viel zu viel schmerzliche Lebenserfahrung: "Meine Erzeugnisse sind durch den Verstand für Musik und durch meinen Schmerz vorhanden...". (Tagebuch, 27. März 1824)

    Deshalb würde ich die These:

    "Wer Schubert nicht wenigstens einmal auf einem historischen Pianoforte gehört hat, der kennt Schubert nicht wirklich."

    so nicht gelten lassen, sie vielmehr in dieser Weise abwandeln:

    "Wer Schuberts Musik nicht wenigstens einmal auf einem historischen Pianoforte gehört hat, weiß nichts von der Aura, die sie damals bei konzertanter Aufführung im bürgerlichen Salon entfaltete."

    (...) Den "sensiblen Salonbewohner" ahnen wir nicht nur bei Michelangeli, wir hören ihn. Atemberaubend, was ABM da an feinsten Schattierungen aus dem Flügel herausholt. Wo Michelangeli mit dem Marderpinsel arbeitet, benutzt Schoonewoerd den groben Spachtel. Im Vergleich wirkt seine Aufnahme auf dem Pleyel grell, ungelenk und hölzern. (:::)

    Vorgestern hatte ich mir diese Aufnahme angehört und hab abgebrochen. Ich hörte keinen Chopin, nur die Töne seiner Klavierwerke. "Hölzern", - das war das Schlüsselwort für den Eindruck, der sich einstellte und immer mehr intensivierte. Schlimm war es besonders bei bei den Nocturnes.

    Einen Kommentar dazu hatte ich angefangen, konnte ihn aber (aus Zeitmangel) nicht zu Ende führen.

    Deshalb vielen Dank für diesen deinen Beitrag, lieber Dr. Holger Kaletha.

    „Frühlingsfahrt“ (III)

    Bei den drei nachfolgenden Versen beschreibt die melodische Linie diese Bewegungen in ähnlicher Gestalt immer wieder, senkt sich dabei aber in der tonalen Ebene über das Intervall einer Quarte langsam ab, wobei die Harmonik erst von B-Dur nach C- Dur rückt, dann aber ins Tongeschlecht Moll übergeht und Rückungen von a-Moll nach g-Moll und d-Moll beschreibt, bis sie dann am Ende, dort nämlich, wo die melodische Linie gleichsam in sich zusammengesunken ist, bis zur tonalen Ebene eines „D“ in tiefer absinkt, um dann sich dann mit einem Quintsprung mit Dehnung wieder zu erheben, wieder zu ihrer B-Dur-A-Dur-Rückung zurückkehrt.

    Mit diesem langsamen, in Moll-Harmonisierung übergehenden Sich-Absenken, das mit einem Verzicht auf die anfänglichen Quartsprünge einhergeht, an deren Stelle nach dem letzten Fall mit gedehnter Tonrepetition bei den Worten „buhlenden Wogen“ bei „in der Wogen farbigem Grund“ nur noch deklamatorische, mit einem Ritardando versehene Tonrepetitionen treten, reflektiert die melodische Linie auf höchst eindrückliche Weise das lyrische Bild vom Hinab-gezogen-Werden des zweiten Gesellen in „der Wogen farbigen Schlund“. Das Klavier verleiht ihr dabei in ihrer Aussage in der Weise Nachdruck, dass es die bitonalen Akkordrepetitionen, mit denen es nun im Diskant begleitet, ebenfalls in der tonalen Ebene langsam absinken und im Bass die immer gleiche Figur aus fallenden und sich wieder erhebenden Achteln erklingen lässt.

    Die fünfte Strophe ist in der Liedmusik mit der vierten identisch. Und hier offenbart der nun bei den Worten „über den Wassern weht´s kalt“ sich wieder ereignende, aus dem Absinkenden der melodischen Linie in tiefe Lage hervorgehende Quintsprung zu einem in A-Dur harmonisierten gedehnten „A“ in mittlerer Lage seinen tieferen Sinn. Der nach einer Viertelpause „a tempo“ erklingende und damit die Wiederkehr der Liedmusik der A-Strophe einleitende Quartsprung mit nachfolgendem Quartfall und zweifachem Sekundfall auf den Worten „Es klingen und singen“ wirkt wie ein Aufgreifen und in frischem Geist Fortsetzen dieses wie ein Ankämpfen gegen die Müdigkeit wirkenden Anstiegs der melodischen Linie ganz am Ende der B-Strophen.

    Es ist freilich keine identische Wiederkehr der Liedmusik der ersten beiden Strophen, was sich in der letzten nun ereignet. Zu viel ist lyrisch geschehen inzwischen, als dass es nun am Ende des Liedes keine Auswirkungen auf sie hätte. Sie zeigen sich gleich am Anfang darin, dass die melodische Linie bei den ersten beiden Versen in ihren zunächst identischen Bewegungen am Ende, bei den Worten „des Frühlings über mir“ nämlich, zu einem neuen Gestus übergeht. Es tritt ein markanter Aufschwung-Gestus in sie, in Gestalt eines Quartsprungs, der sich nach einer Tonrepetition in einem doppelten Sekundanstieg in Gestalt einer Dehnung auf der tonalen Ebene eines „Fis“ in hoher Lage fortsetzt.

    Und auch das Klavier begleitet nun, deutlich abweichend von seinem Gestus in den ersten beiden Strophen, die melodische Linie in neuer Weise: Mit drei- und vierstimmigen Achtelakkord-Repetitionen über partiell lang gehaltenen Oktaven im Bass. Dies allerdings nur so lange, wie die melodische Linie bei der Wiederholung ihrer Bewegungen in den A-Strophen bleibt. Das ist bis zu den Worten „Und seh' ich so kecke Gesellen“ der Fall. Danach geht sie noch einmal zu jenem Gestus der Entfaltung über, mit dem sie schon einmal, in der vierten Strophe nämlich, die Metaphorik des lyrischen Textes auf so eindrückliche Weise zum Ausdruck zu bringen vermochte: Die mehrfache Wiederholung einer melodischen Figur bei langsamer Absenkung der tonalen Ebene und Zerfall ihrer Grundstruktur gegen Ende hin.

    Hier ist es die melodische Figur, die auf den Worten „Und seh' ich so kecke Gesellen“ liegt: Ein Quintsprung mit rhythmisierter Tonrepetition auf der Ebene eines hohen „Fis“ mit nachfolgendem und in einen gedehnten Quartfall mündendem dreifachem Sekundfall. Bei den Worten „Die Tränen im Auge mir schwellen“ wiederholt die melodische Linie diese Bewegungen, dies allerdings auf einer um einer um eine Terz abgesenkten tonalen Ebene und einer Variation in Gestalt eines Sekundanstiegs zu dem Wort „schwellen“ und eines in sie tretenden Ritardandos. Um den semantischen Gehalt zu erfassen, ist die Figur überdies nun auch noch in Moll harmonisiert, - einem d-Moll, das bei dem gedehnten Quartfall auf „schwellen“ eine Rückung nach a- Moll beschreibt.

    „Frühlingsfahrt“ (II)

    Wenn von einem artifiziellen Spiel mit volksliedhaftem Wanderlied-Geist gesprochen wurde, so manifestiert sich dieses, neben in der mit Tonika, Dominante und Subdominante liebäugelnden, aber sich darin nicht halten könnenden Harmonik, auch in der Melodik dieses Liedes. Der vom Geist frischen und frohgemuten Aufbruchs geprägten Melodik der ersten Strophe, die in den beiden nachfolgenden in unveränderter Gestalt wiederkehrt, bei der dritten allerdings mit einem anders strukturierten Klaviersatz versehen ist, tritt in der vierten und fünften Strophe eine Melodik entgegen, die in der Art, wie sie sich deklamatorisch entfaltet, anmutet, als hätte dieser Geist eine Brechung erfahren. Denn die durch das Unisono mit dem Klaviersatz anfänglich so markant auftretende A-Strophen-Melodik ist in ihren einzelnen Zeilen von einer aufstrebenden Tendenz geprägt und entfaltet sich durch eingelagerte Rhythmisierung in Gestalt einer Folge von punktiertem Achtel und Sechzehntel in lebhafter Weise.

    Die Bewegungen, die sie bei den ersten beiden Versen vollzieht, sind repräsentativ für den sie beflügelnden Geist: Ein Forte-Auftakt in Gestalt eines Quartsprungs, eine bogenförmige und rhythmisierte Absenkung mit nachfolgendem Wiederanstieg und lang gedehntem, mit harmonischer Rückung in die Subdominante versehenem Quintfall bei den Worten „Es zogen zwei rüst'ge Gesellen“, und ein partiell in Legato-Sekundschritten vollzogener und deshalb schwungvoll wirkender Aufstieg bis hin zu einer, wiederum in der Subdominante harmonisierten Dehnung in oberer Mittelage bei den Worten „Zum erstenmal von Haus“.

    Aber damit hat sich dieser Geist noch nicht ganz ausgelebt. Bei den Worten „so jubelnd recht in die hellen“ treibt er die melodische Linie mit einem rhythmisierten Sextsprung in die tonale Lage eines hohen „Fis“, lässt sie dort in – wiederum rhythmisierte – deklamatorische Tonrepetitionen übergehen und danach in einen aus einem Sekundsprung hervorgehenden, lang gedehnten und mit der harmonisch markanten Rückung nach A-Dur einhergehenden Quintfall auf dem Wort „hellen“ übergehen. Auf den beiden letzten Versen („In die klingenden, singenden Wellen / Des vollen Frühlings hinaus“) senkt sich die melodische Linie in der tonalen Ebene zwar ab, das geschieht aber in wellenartigen, das heißt am Ende sich immer wieder aufrichtenden und überdies auch weiter rhythmisierten Bewegungen, so dass sie am Ende, bei den Worten „Frühlings hinaus“, einen dreifachen, partiell verminderten Sekundanstieg beschreibt, der in eine lange, den Takt übergreifende und in der neuen Tonika A-Dur harmonisierte Dehnung auf dem Grundton mündet.


    Wie anders die Melodik auf den Worten „Dem Zweiten sangen und logen / Die tausend Stimmen im Grund“, mit denen die Zweiergruppe der B-Strophen einsetzt. Alles ist weg: Die Frische des Forte-Quartsprung-Aufbruchs in der Tonika D-Dur, die Lebhaftigkeit der deklamatorischen Schritte in Gestalt von punktierten Achteln und Sechzehnteln, der Trend zum Aufstieg in obere tonale Lagen und zum Abstieg daraus in wellenartigen Bewegungen. Stattdessen: Ein überaus müde wirkender verminderter Sekundanstieg in mittlerer tonaler Lage mit anschließender Tonrepetition auf den Worten „dem Zweiten“, und dies verbunden mit einer die Kreuzton-Harmonik regelrecht verstörender Rückung der Harmonisierung nach B-Dur, das dann, und dies nachfolgend noch zwei weitere Male, in eine schroff anmutende Rückkehr zur alten Tonika A-Dur übergeht; und eine melodische Linie, die zwar zweimal einen Terzsprung beschreibt, danach aber in ihren Bewegungen immer wieder zu der tonalen Ebene zurückkehrt, in der sie mit eben jenem kleinen Sekundsprung einsetzte.
    In dieser Entfaltung ist sie mit der Vortragsanweisung „nach und nach immer langsamer“ versehen und endet bei den Worten „Stimmen im Grund“ ganz ihrem Geist entsprechend erst einmal in einem dreischrittigen Sekundfall mit langer und in A-Dur harmonisierter Dehnung auf dem Grundton.

    „Frühlingsfahrt“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Was die Anlage betrifft, so handelt es sich hier um ein variiertes Strophenlied nach dem Schema „A-A-A´-B-B´-A´´“. Die auf der Grundlage und im Rahmen dieses Strophenlied-Konzepts sich entfaltende Liedmusik atmet Wanderlied-Geist,
    --- von der Anlage der sich in permanenter Wiederholung ergehenden und dabei die tiefgreifende Variation ihrer Grundfiguren meidenden Melodik her,
    --- der Art und Weise, wie sie vorgetragen werden will, „frisch“ nämlich,
    --- der von der Neigung des Verbleibs im Bereich Tonika und Dominanten geprägten Harmonisierung
    --- und schließlich auch von einem Klaviersatz, der zwar durchaus Eigenständigkeit aufweist und sich nicht im Begleitungs-Gestus erschöpft, aber dabei nicht in eine dialogische Kontraposition zur Melodik tritt.

    Wäre die Liedmusik durchgängig in dieser Weise angelegt, so wäre die Antwort auf die Leitfragen ihrer Betrachtung klar und eindeutig. Dem aber ist nicht so. Diese allgemeinen Feststellungen zu ihrer formalen Anlage und ihrer Binnenstruktur gelten in ihrer Gesamtheit nur für die A-Strophen. Schumann hat aber das Konzept des variierten Strophenlieds in der Weise genutzt, dass die Liedmusik der ersten drei Strophen und die der letzten eine Art variierter Rahmen um die der vierten und fünften darstellt, wobei die Variationen der letzten Strophe sich als Reflex auf das darstellen, was die Liedmusik der Strophen vier und fünf zu sagen hat, die sich somit als das Zentrum der Komposition erweist.

    Melodik, Harmonik und Klaviersatz der ersten Strophe kehren in der zweiten in unveränderter Gestalt wieder. Der Melodik kommt dabei dadurch eine die Liedmusik in ihrem Geist prägende Funktion zu, dass sie sich im Unisono mit dem Klaviersatz entfaltet, und dies dessen Diskant und seinen Bass bestreffend. Bei den ersten beiden Versen folgen Diskant und Bass der melodischen Linie fast bis zum Ende einstimmig, so dass sie, gäbe es da nicht den kleinen, leicht gedehnten Sekundfall auf dem lang gedehnten melodischen Quintfall bei den Worten „Gesellen“ und „Dingen“, als eigenständige klangliche Komponente der Liedmusik fast gar nicht in Erscheinung treten. Erst vom dritten Vers an ändert sich das. Zwar folgt das Klavier weiterhin in Diskant und Bass synchron der melodischen Linie in ihren Bewegungen, nun aber in Gestalt von zweistimmigen, im Intervall von der Terz bis zur Oktave alles in Anspruch nehmenden Akkorden.

    Die Harmonik verbleibt dabei mit ihren Rückungen zunächst ganz brav, der vom Wanderlied-Geist beflügelten melodischen Linie entsprechend, im Bereich der Tonika D-Dur und ihren beiden Dominanten. Aber schon am Ende der sich in große Höhe aufschwingenden Melodik des dritten Verses ändert sich das. Die Harmonik verlässt ihren volksliedhaft anmutenden Gestus, beschreibt bei dem lang gedehnten auf den Worten „hellen“ und „vollbringen“ eine Rückung nach A-Dur, das nun mit einem Mal als Tonika mit Rückung zur Dominante E-Dur fungiert und in der Harmonisierung der langen, taktübergreifenden Dehnung auf den beiden Worten „hinaus“ und „Herz“ den melodischen Strophenschluss in helle Klanglichkeit bettet. Und nicht nur darin erweist sich die Liedmusik als hochgradig artifiziell und ihre Anmutung von Wanderliedhaftigkeit als Spiel mit dem Volksmusik-Geist, bei dem gedehnten melodischen Terzfall auf den Worten „Wellen“ und „gingen“ vollzieht die Harmonik gar eine Rückung nach fis-Moll, darin den affektiven Gehalt der beiden Schlussbilder zum Ausdruck bringend.

    Schumann lässt hier sein tief reichendes Eichendorff-Verständnis vernehmen: Die Wehmut, die sich für diesen bei der Imagination von weit in die Welt hinaus erfolgendem Aufbruch zu Wanderschaft einstellt. Sie ist ja zentrales Thema dieses Gedichts, wird in den auf die beiden ersten folgenden Strophen lyrisch reflektiert und in ihrer Problematik aufgezeigt, wobei der Einbruch des Tongeschlechts Moll in die sich ansonsten so dominant gebärende Dur-Harmonik nun auf markante Weise erfolgt. Hier ereignet er sich in der durchweg „frisch“ und fröhlich auftretenden Liedmusik der beiden A-Strophen wie ein nur kurzes, fast flüchtig anmutendes, darin aber vorausweisendes Aufleuchten dessen, worum es in den für die Gesamtaussage der Komposition so zentralen Strophen vier und fünf liedmusikalisch gehen wird.

    „Frühlingsfahrt“, op. 45, Nr. 2

    Es zogen zwei rüst'ge Gesellen
    Zum erstenmal von Haus,
    So jubelnd recht in die hellen,
    In die klingenden, singenden Wellen
    (E.: Klingenden, singenden Wellen)
    Des vollen Frühlings hinaus.

    Die strebten nach hohen Dingen,
    Die wollten, trotz Lust und Schmerz,
    Was Recht's in der Welt vollbringen,
    Und wem sie vorübergingen,
    Dem lachten Sinnen und Herz.

    Der Erste, der fand ein Liebchen,
    Die Schwieger kauft' Hof und Haus;
    Der wiegte gar bald ein Bübchen,
    Und sah aus heimlichen Stübchen
    Behaglich in's Feld hinaus.

    Dem Zweiten sangen und logen
    Die tausend Stimmen im Grund,
    Verlockend' Sirenen, und zogen
    Ihn in die buhlenden Wogen,
    In der Wogen farbigen Schlund.
    (E.: Ihn in der buhlenden Wogen
    Farbig klingenden Schlund.)

    Und wie er auftaucht´ vom Schlunde,
    Da war er müde und alt,
    Sein Schifflein das lag im Grunde,
    So still war's rings in der (E.: die) Runde,
    Und über den Wassern (E.: die Wasser) weht's kalt.

    Es klingen und singen (E.: singen und klingen) die Wellen
    Des Frühlings wohl über mir;
    Und seh' ich so kecke Gesellen,
    Die Tränen im Auge mir schwellen -
    Ach, Gott, führ' uns liebreich zu Dir!

    Das Gedicht entstand 1818 und trägt bei Eichendorff den Titel „Die zwei Gesellen“. Der Liedtitel „Frühlingsfahrt“ stammt also von Schumann. Es ist das zentrale Thema des Spätromantikers Eichendorff, das hier lyrisch gestaltet wird: Wanderschaft als wesenhaft ambivalenter Ausbruch aus der in der bürgerlichen Lebensform sich konstituierenden existenziellen Individuation.

    Hier wird es als lyrisch-narrativer Entwurf des Lebens zweier „Gesellen“ kontrastiv entfaltet: Hier die Verkörperung philisterhafter Existenz eines Lebens in Haus und Hof, mit „Bübchen“ auf dem Schoß und behaglichen Blick aus dem Fenster hinaus in die Welt; dort der den Aufbruch in die sirenenhaft lockende und vielversprechende Weite der Welt Wagende und darin Scheiternde.
    Das lyrische Ich, dem in der Erfahrung von Frühling diese zwei Leben als potentielle Entwürfe eigenen Lebens bewusst werden, wird tief verstört durch die Begegnung mit der eigenen existenziellen Ambivalenz, Tränen treten ihm ins Auge, und es bleibt ihm in seiner Rat-und Ausweglosigkeit nur noch der Hilferuf an Gott, er möge ihm den rechten Weg weisen.

    Wanderschaft als Gegenentwurf zur Lebensform der Bürgerlichkeit und die Erfahrung existenzieller Bipolarität, das sind Themen und Problemkomplexe, mit denen sich auch Schumann als Mensch und Künstler intensiv auseinanderzusetzen hatte. Dass er dieses Eichendorff-Gedicht zur Liedkomposition herangezogen hat, ist von daher nicht weiter verwunderlich. Hoch interessant und bedeutsam ist dabei nun allerdings, wenn man das als Akt der künstlerischen Auseinandersetzung mit diesen Fragen nimmt, was dabei herausgekommen ist, was die Liedmusik in ihrer spezifischen Anlage und ihrer Aussage über den Menschen und Künstler Schumann verrät.


    Ist existenzielle Betroffenheit darin zu vernehmen? Oder wird das Thema aus der Position einer reflexiven Distanz zu ihm in heiterer Gelassenheit liedkompositorisch abgehandelt? Ein genaueres Hinhören auf sie und ein analytischer Blick in ihre Anlage und Binnenstruktur sollte Antworten auf diese Fragen liefern.


    „Der Schatzgräber“ (III)

    Auf die Worte „Da stürzen Steine und Trümmer / Über den Narren herab“ legt Schumann bemerkenswerter Weise die gleiche, in ihren gewichtigen deklamatorischen Schritten nur wenig variierte melodische Linie, wie sie den Worten des ersten Verspaares zugrunde liegt. Bei identischer Harmonisierung steigert er den markanten Gestus, in dem sich die melodische Linie absenkt, dadurch, dass er jeden deklamatorischen Schritt nun mit vierstimmigen und durch Achtelpausen voneinander abgehobenen Staccato-Akkorden im Wert eines Viertels begleiten lässt. Den Schluss dieser melodischen Fallbewegung variiert er in der Weise, dass sich bei den Worten „Narren herab“ der Sturz zum abgrundtiefen „G“ über eine partiell gedehnte Tonrepetition auf der Ebene eines „D“ in tiefer Lage ereignet. Der Bedeutsamkeit des lyrischen Ereignisses wird so, auch weil die Liedmusik auf diesem Verspaar durch das vorangehende viertaktige Klavier-Zwischenspiel und die nachfolgende Fünfachtel-Pause eine herausgehobene Stellung einnimmt, hochexpressiver musikalischer Ausdruck verliehen.

    Die Liedmusik auf der letzten Strophe mutet nun wie ein Abgesang an, freilich einer, der sich als Ausklingen ihrer vorangehenden dramatisch-hochexpressiven Entfaltung ereignet. Die melodische Linie verbleibt durchgehend im Gestus der partiell gedehnten deklamatorischen Tonrepetition mit Sekundfall am Ende, der nur einmal, nämlich bei dem Wort „Kluft“ in einen gedehnten Terzsprung übergeht. Ansonsten sind die melodischen Bewegungen auf dem zweiten Verspaar im wesentlichen identisch mit denen auf dem ersten, nur dass nun, der Notwendigkeit eines Liedschlusses geschuldet, auf dem Wort „Luft“ eine lange Dehnung auf der Quinte zum Grundton „G“ liegt. Denn G-Dur-Harmonik herrscht in dieser Strophe vor, und auch das trägt wesentlich zu dem Eindruck bei, dass die Liedmusik hier zu so etwas wie einem das vorangehende Geschehen kommentierenden Abschluss kommen will.

    Es bleibt freilich, bei all der Hinneigung der Melodik zu ruhigen Tonrepetitionen auf konstanter tonaler Ebene, ein wesenhaft unruhiger. Denn das Klavier ergeht sich permanent in einer Folge von in die Tiefe stürzenden Terzen, denen aus dem Bass ein Anstieg von Achteln nachfolgt, und die Harmonik verbleibt auch nicht im Bereich von G-Dur, sondern vollzieht immer wieder Rückungen in davon weit abliegende verminderte Harmonik in der Tonalität „Fis“ und „Gis“. So ist zum Beispiel die deklamatorische Tonrepetition auf der Ebene eines „C“ in oberer Mittellage in verminderte Fis-Harmonik gebettet, und im Klaviersatz ereignet sich ein Sturz von Achteln in die Tiefe des Diskants, bevor dann die lange Schlussdehnung auf „Luft“ im Diskant mir einem reinen G-Dur-Akkord begleitet wird.

    Aber selbst da will es das Klavier damit nicht gut sein lassen. Mit dem G-Dur-Akkord zusammen lässt es im Bass die ansteigend angelegte Achtelkette erklingen, der in diesem Lied eine so bedeutende Funktion zukommt. Sie generiert verminderte Fis-Harmonik, steigt in den Diskant auf und geht dort in einen G-Dur-Akkord über.
    Das Nachspiel hat eingesetzt. Und hier nun, in seinen nur drei Takten, ereignet sich ein wirkliches Ausklingen, ja Verstummen der Liedmusik. Noch einmal vernimmt man diese in einen G-Dur-Akkord übergehende Figur aus aufsteigenden Achteln, und danach nur noch drei kurz angeschlagene, von langen Pausen gefolgte dreistimmige Achtel-Akkorde: Der erste in G-Dur, gefolgt von einem in c-Moll und am Ende erneut einer in G-Dur.

    Ein bemerkenswert lakonisches Verklingen der Liedmusik ist das. Soll das heißen, dass das ungeheuerliche Ereignis schon wieder vergessen ist, und die Natur nach dem Tod des „Schatzgräbers“ wieder zum großen gottgewollten Ruhen in sich selbst zurückgefunden hat? Man kann diesen Liedschluss durchaus so verstehen.

    „Der Schatzgräber“ (II)

    Zu dem so markant sich von dem der ersten Strophe abhebenden Grundton der Liedmusik tragen auch wesentlich der Klaviersatz und die Harmonik bei. Diese bewegt sich nun ausschließlich im Raum der Dur-Parallele der Grundtonart g-Moll, B-Dur also, und das in Gestalt von Rückungen erst zur Subdominante Es-Dur, bei den Worten „wie rote Augen drangen“ aber hin zur Dominantsept-Variante der Tonart „C“ mit anschließender Rückkehr zur Tonart B-Dur über deren Dominante F-Dur. Schumann nutzt hier das klangliche Potential der harmonischen Rückungen, um dem so ausdrucksstarken Bild von den „roten Augen“ den ihm gemäßen musikalischen Nachdruck zu verleihen. Auch das Klavier weicht in dieser Strophe in deutlicher Weise von seinem bisherigen Gestus der Begleitung und Kommentierung der melodischen Linie ab. Nun begleitet es die melodische Linie in Bass und Diskant auf lebhafte Weise mit Figuren, bei denen sich aus lang gehaltenen zwei- und dreistimmigen Akkorden wie perlend Achtel lösen und nach oben ansteigen.

    Nach der langen Dehnung auf der Ebene eines hohen „F“, die vom Klavier mit einem ebenfalls lang gehaltenen sechsstimmigen B-Dur-Akkord begleitet wird, hält die melodische Linie in einer fermatierten Viertelpause inne, derweilen im Klavierbass Achtel aufsteigen und in einen ebenfalls eine Fermate tragenden vierstimmigen B-Dur-Akkord münden. Es ist als überließe sich die Liedmusik den Nachwirkungen der klanglichen Lieblichkeit, die sie gerade bei dem zweiten Verspaar der zweiten Strophe entfaltet hat, wobei bemerkenswert ist, dass Schumann sie dabei das durchaus verstörend wirkende evokative Potential des Bildes von den „roten Augen“ ignorieren lässt.

    Hart, schroff, ja krass wirkt der Umschlag, der sich in der Liedmusik bei den Worten „und wirst doch mein“ ereignet, mit denen die dritte Strophe einsetzt. Schumann setzt sich hier über die formalen Gegebenheiten des lyrischen Textes hinweg, indem er diese Worte wiederholen und zu einer eigenständigen Melodiezeile werden lässt, der sich nach einer Fünfachtelpause zwei weitere kleine Melodiezeilen auf den Worten „Und grimmer wühlt er und wühlt hinab“ anschließen, die zwar durch eine Dreiachtelpause getrennt sind, gleichwohl eine melodische Einheit bilden, weil die zweite Zeile auf dem Ton „H“ ansetzt, zu dem bei der ersten die Kombination aus Quartsprung und –fall führt, aus der sie besteht, und sie überdies beide in neuer Weise harmonisiert sind: Einer Rückung von Fis-Dur nach e-Moll. Bei der neuerlichen und sogar zweimaligen Wiederholung des Wortes „mein“, die sich nach der zweiten Deklamation der Worte „und wirst doch mein“ ereignet, beschreibt die Harmonik einen Umschlag, indem nun statt der zwei „Bs“ drei Kreuze als Grundtonart vorgegeben sind.

    Aber das will zunächst nichts besagen: Die Harmonik beschreibt, darin einhergehend mit einem wie wild permanent aus dem Bass in den Diskant schießenden Achtelketten, eine geradezu chaotisch anmutende Folge von Rückungen von verminderter A-Tonalität über H-Dur und Cis-Dur bis nach Fis-Dur, bevor sie sich nach dem Innehalten der melodischen Linie in Gestalt einer langen Dehnung auf der zweiten Silbe des Wortes „hinab“ in der ansteigenden Achtelkette, die das Klavier in der fast zweitaktigen Pause für die Singstimme in einem e-Moll einfindet und die nochmalige Deklamation der Worte des ersten Verses, nun in der Variante „Und wirst doch mein, und wirst doch mein“, in E-Dur mit Rückung nach A-Dur harmonisiert ist. In Dur-Harmonik erklingt zunächst auch das, was sich im Anschluss an dieses wie verbohrt anmutende Sich-Einlassen der Liedmusik auf diese Worte des ersten Verses der zweiten Strophe ereignet: Eine sforzato artikulierte dreimalige Folge von Achtel-Oktaven, die aus tiefer Basslage in den Diskant aufsteigt und zuletzt in die harmonische Verminderung gerät.

    Man vernimmt hier die abschließende hochexpressive klangmalerische Imagination dessen, was Gegenstand der vorangehenden Liedmusik ist: Der gewaltsam-zerstörerische Eingriff des „Schatzgräbers“ in die göttliche Ordnung der Natur. Schumann hat hier mit seiner Liedmusik der lyrischen Aussage eine weitaus stärkere Bedeutsamkeit und Relevanz verliehen, als dies in Eichendorffs lyrischem Text der Fall ist. Dies nicht nur durch die geradezu exzessive Wiederholung dieser bei ihm geradezu zum Schrei werdenden lyrisch-sprachlichen Anrede-Figur „Und wirst doch mein“, sondern darüber hinaus auch noch durch die Art und Weise, wie er sie melodisch variiert, harmonisiert und vom Klavier begleiten lässt.

    Beim ersten Mal liegt auf diesen Worten eine aus einer dreifachen deklamatorischen Tonrepetition und einem Sekundsprung hervorgehende lange melodische Dehnung, wobei sich eine harmonische Rückung in verminderte A-Tonalität ereignet und das Klavier aus dem Bass in den hohen Diskant aufsteigende Achte-Oktaven erklingen lässt. Daraus wird dann die Variante „und wirst doch mein, mein, mein“, wobei nun die Tonrepetition in einen Quartsprung übergeht und sich die melodische Linie auf dem Wort „mein“ in gewichtigen, weil im Wert von punktierten halben Noten erfolgenden Schritten von einem hohen „E“ über ein „Des“ bis zu einem tiefen „F“, also das Intervall einer Septe, absenkt. Die Harmonik moduliert dabei von H-Dur über ein vermindertes „A“ hin zu Cis-Dur. Die dritte Variante bringt dann Entschiedenheit zum Ausdruck, und dies dergestalt, dass die melodische Linie nur noch im Gestus der Tonrepetition verbleibt und sich dabei in der tonalen Ebene erst um eine Quarte anhebt und danach über einen kleinen Sekundfall um eine Terz absenkt. Die Nachdrücklichkeit der melodischen Aussage erfährt dabei eine Steigerung dadurch, dass Dur-Harmonik vorherrscht und die melodische Linie bei „doch mein“ am Schluss einen ausdrucksstarken Quintfall in tiefe Lage mit nachfolgender Dehnung beschreibt.

    „Der Schatzgräber“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Dem Klavier kommt eine herausragende Rolle in dieser Liedmusik zu, und entsprechend komplex und vielgestaltig ist der Klaviersatz angelegt. In ihm ereignet sich über die Begleitung der melodischen Linie im Sinne eines Mitvollzugs und einer Akzentuierung ihrer Bewegungen hinaus eine hochexpressive klangliche Imagination des lyrischen Geschehens und damit einhergehend auch eine Interpretation desselben im Sinne einer Intensivierung und Verstärkung der Wertung, die Eichendorff ihm durch seine Metaphorik der lyrischen Aussage immanent beigegeben hat. Dazu wird auch die Harmonik eingesetzt, und dies nicht nur in Gestalt vielfältiger Rückungen in Tonart und Tongeschlecht, sondern auch unter reicher Nutzung des dissonanten Potentials eingesetzt, das ihrer Verminderung innewohnt.

    Schon das fünftaktige Vorspiel lässt dies vernehmlich werden. Es besteht aus in Diskant und Bass in einem sforzato angeschlagenen „G“ in tiefer Lage ansetzenden, synchron nach oben laufenden und dabei ein sich über das Intervall einer Dezime ausweitenden Achtel-Ketten, wobei sich von Takt zu Takt eine Rückung von G-Dur nach g-Moll, c-Moll und verminderte A-Tonalität ereignet, wobei das Ganze schließlich in einen lang gehaltenen, den ganzen fünften Takt einnehmenden g-Moll-Akkord mündet, in dem die melodische Linie auftaktig einsetzt.
    Das ist, so darf man das wohl aufnehmen, klanglich-imaginative Hinführung zum Wesen des Geschehens, das nachfolgend Gegenstand der Liedmusik ist: Ein Unheil beinhaltendes, weil wesenhaft gewalttätiges und zerstörerisches Verhalten des Menschen gegenüber der gottgegebenen Ordnung der Natur gegenüber.

    Es steht für Schumann in seiner Rezeption dieser Eichendorff-Verse so sehr im Zentrum der intendierten liedmusikalischen Aussage, dass er sich gar nicht auf den affektiven Gehalt der einleitenden Worte „Wenn alle Wälder schliefen“ einlässt, sondern, den syntaktischen „Wenn-dann“-Sachverhalt berücksichtigend, die melodische Linie nach einem Anstieg aus Quart- und zweifachem Sekundsprung in einen ruhigen und gewichtigen, weil in Gestalt von punktierten Vierteln erfolgenden Fall übergehen lässt, der nach einem noch gewichtigeren, weil nun in punktierten halben Noten erfolgenden deklamatorischen Sekundanstieg in der tiefen Lage eines „C“ in einen Sturz über das Intervall einer Quinte auf einem abgrundtiefen „G“ endet und mit einem langen Verharren dort verbunden ist.
    Die Gewichtigkeit dieser melodischen Fallbewegung, die auf das Erfassen des semantischen Gehalts der Worte „er an zu graben hub“ abgestellt ist, erfährt eine Verstärkung dadurch, dass das Klavier ihr mit Terzen in Diskant und Oktaven und Quinten im Bass in synchroner Weise folgt, und die Harmonik eine ausdrucksstarke Rückung von g-Moll über Es-Dur, B-Dur, c-Moll und D-Dur beschreibt, um bei der langen melodischen Dehnung in extrem tiefer Lage wieder bei der Tonika g-Moll anzugelangen.

    Die Anmutung von bevorstehendem Unheil, die der Liedmusik auf diese ersten beiden Verse eigen ist, wird vom Klavier umgehend dadurch bestätigt und intensiviert, dass es erneut seine wiederum lang gehaltenen g-Moll-Akkord mündenden Achtelketten des Vorspiels erklingen lässt. Im Anschluss beschreibt die melodische Linie bei den Worten „Rastlos in Berges Tiefen / Nach einem Schatz er grub“ im gleichen Gestus des untergründig-unheilschwangeren Berichtens verbleibend, eine ähnliche, wieder in das in der Tiefe des Basses angesiedelte „G“ mündende Bewegung noch einmal, allerdings eingeleitet mit einem aus einer langen Dehnung in hoher Lage erfolgenden Quintfall, der dem Wort „rastlos“ einen starken Akzent verleiht. Auch das Wort „Schatz“ erhält einen solchen, indem die melodische Linie auf ihm, darin abweichend von ihrer Bewegung auf dem zweiten Vers, einen gedehnten verminderten Legato-Sekundanstieg in tiefer Lage beschreibt. Und wieder kommentiert das Klavier das mit seinen aufwärts gerichteten Achtelketten in Diskant und Bass, die schon während der langen Dehnung auf „grub“ einsetzen und einen weiteren Takt in Anspruch nehmen.

    Sie verbleiben nun aber beide Male im Bereich von g-Moll-Harmonik, sind also nun nicht mehr mit den vorangehenden Rückungen in die Dominante oder gar, wie im Vorspiel, in verminderte A-Tonalität verbunden. Und das hat seinen Grund wohl darin, dass die unmittelbar darauf einsetzende Liedmusik auf den Worten der zweiten Strophe einen deutlich anderen Ton anschlägt. Es ist ein nach dem von dem deklamatorisch harten Fall-Gestus der melodischen Linie geprägten auf den Worten des ersten Verspaares geradezu überraschend mild anmutender, ja geradezu inniger, klanglich lieblicher. Nun geht die melodische Linie nämlich, das lyrische Bild von den „Engeln Gottes“ reflektierend, zu einer kantabel-gebundenen, lange auf der eingenommenen tonalen Ebene in Gestalt von deklamatorischen Tonrepetitionen verharrender Entfaltung über.

    Das geschieht bei allen vier Versen in von der Grundstruktur her in sich wiederholender Weise und geht deshalb mit großer Eindringlichkeit einher. Drei Mal ereignet sich die, partiell im Legato erfolgende deklamatorische Tonrepetition auf der tonalen Ebene eines „B“ in mittlerer Lage und beschreibt danach einen Quartfall, von dem aus sie sich zweimal in einer Aufwärtsbewegung erhebt, am Ende aber, bei dem Wort „drangen“, darin verharrt. Dies aber nur deshalb, um ihre Bewegung auf den Worten „Metalle aus dem Schacht“ umso eindrücklicher werden zu lassen. Das ist nämlich ein Sprung über eine ganze Oktave zur tonalen Ebene eines hohen „F“, mit den üblichen Tonrepetitionen dort und einem langen, mit einer Fermate versehenen Verharren dort bei dem Wort „Schacht“.

    „Der Schatzgräber“, op. 45, Nr. 1

    Wenn alle Wälder schliefen,
    Er an zu graben hub,
    Rastlos in Berges Tiefen
    Nach einem Schatz er grub.

    Die Engel Gottes sangen
    Dieweil in stiller Nacht,
    Wie rote Augen drangen
    Metalle aus dem Schacht.

    "Und wirst doch mein", und grimmer
    Wühlt er und wühlt hinab!
    Da stürzen Steine und Trümmer
    Über den Narren herab.

    Hohnlachen wild erschallte
    Aus der verfallnen Kluft,
    Der Engelsang verhallte
    Wehmütig in der Luft.

    Thema dieser Verse ist der aus Habgier hervorgehende und deshalb gewaltsame und zerstörerische Eingriff in die durch die göttliche Schöpfung zustande gekommene Gestalt und Ordnung der Natur. Das bedingt einen starken Kontrast in der lyrischen Sprache und der Metaphorik des Gedichts, der so stark ausgeprägt ist, dass er – ungewöhnlich für Eichendorff – als deren innere Stimmigkeit störend wirkender Faktor auftritt. Da sind die anfänglichen Bilder von den „schlafenden Wäldern“ und dem Singen der „Engel Gottes“ in „stiller Nacht“. Und mit einem Mal brechen in sie, sich andeutend mit dem Bild von den „roten Augen“, solch schroffe Bilder herein wie ein „grimm wühlender“ und dabei herumbrüllender Schatzgräber und das „wilde Hohnlachen“, das seinen Tod unter herabstürzenden Steinen und Trümmern begleitet. Am Ende dann nur noch „wehmütiger“, das heißt dieses ungeheuerliche Ereignis still beklagender „Engelsang“.

    Es ist ein den Spätromantiker Eichendorff, der den durch die industrielle Entwicklung maßgeblich vorangetriebenen Aufbruch seiner Lebenswelt in die Moderne erlebt, innerlich stark bewegendes, ja aufwühlendes Thema. Und eben deshalb diese durch starke expressive Kontraste geprägte lyrische Sprache und Metaphorik. Der über ein ähnlich waches Sensorium für den Zeitgeist verfügende Zeitgenosse Robert Schumann dürfte sich in diesen Versen wiedergefunden haben. Und wohl deshalb kam es zu liedkompositorischen Zugriff auf sie.

    Er erfolgte im Spätherbst 1840, und die Liedkomposition wurde als Opus 1 – zusammen mit der Vertonung des Eichendorff-Gedichts „Frühlingsfahrt“ als Opus 2 - unter dem Titel „Romanzen und Balladen für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte“ 1843 bei Whistling, Leipzig publiziert. Werner Oehlmann kommentiert sie mit den Worten „zu Unrecht wenig bekannt“, und Fischer-Dieskau stimmt ihm indirekt darin zu, wenn er anmerkt: Ein selten gelungenes, der Wiederbelebung harrendes Stück“.

    Man vernimmt eine in hohem Maß auf klangliche Kontraste hin angelegte und deshalb große Expressivität entfaltende Liedmusik, die darin, insbesondere aber auch deshalb, weil Eichendorff in einer ansonsten von ihm nur selten praktizierte Weise klangmalerische Mittel zum Einsatz bringt, eine herausragende Stellung in seinem liedkompositorischen Schaffen einnimmt. G-Moll ist al Grundtonart vorgegeben, ein Zwölfachteltakt liegt zugrunde, und die Tempo- und Vortragsanweisung lautet „Andante“.


    „Der frohe Wandersmann“ (III)

    Bei den Worten „will erhalten“ beschreibt die melodische Linie eine mit einer leichten Dehnung einsetzende wellenartige Bewegung in tiefer Lage, die, weil sie in einem Ritardando erfolgt und in der Dominante A-Dur harmonisiert ist, wie ein kurzes, zu neuem Schwung in der Bewegung einsetzendes Innehalten anmutet. Und das ereignet sich dann auch bei den Worten des Schlussverses „Hat auch mein Sach' aufs Best' bestellt“, bei denen Schumann zum Mittel der Wiederholung greift, wohl weil er sie als höchst bemerkenswerten Ausdruck der Lebenshaltung dieses lyrischen Ichs aufgefasst hat.

    In syllabisch exakter und wie im Gestus rüstigen Schreitens erfolgender Deklamation senkt sich die melodische Linie in einem Terz- und einem Quartsprung in der tonalen Ebene um eine Sekunde ab, hält bei „Best´“ in Gestalt einer Dehnung kurz inne, um bei „bestellt“ zu einem in eine kleine Dehnung mündenden Sekundsprung überzugehen. Das Klavier begleitet das wieder, wie es das ja schon bei den vorangehenden Bewegungen der melodischen Linie tat, mit Akkorden, die synchron zu jedem deklamatorischen Schritt angeschlagen werden und ihm – und damit auch der lyrischen Aussage - auf diese Weise starkes Gewicht verleihen. Die Harmonik beschreibt eine Rückung von der Tonika D-Dur erst zur Subdominante G-Dur, dann zur Dominante A-Dur und schließlich bei dem Sekundsprung auf „bestellt“ eine nach Fis-Dur, womit sich eine Art Sich-Öffnen der Liedmusik für die Wiederholung des Verses ereignet.

    Bei dieser setzt sich dann aber der bislang nur unterschwellig wirksame hymnische Geist durch. Die melodische Linie geht, nun in Harmonisierung, erst zu einem Aufstieg in mittlere Lage über, beschreibt dann bei den Worten „mein Sach auf´s“ einen kurzen Fall in Sekundschritten, das aber nur, um ihrer nachfolgenden Bewegung umso größere Expressivität zu verleihen: Der aus einem Quartsprung hervorgehenden langen Legato-Sekundfall-Dehnung auf dem Wort „Best´“ und dem nun die Melodik im Gestus der Endgültigkeit beschließenden und deshalb in den lang gedehnten Grundton „D“ in tiefer Lage mündenden Quintfall auf dem Wort „bestellt“. Und natürlich muss das in klassischer Kadenzmanier in einer Rückung von der Subdominante über die Dominante hin zur Tonika harmonisiert sein. Dieses lyrische Ich ist sich seines Glaubens vollkommen sicher.

    Bleibt noch das Nachspiel, - in dem für Schumann gehörigen, weil zur Liedmusik Wesentliches beitragenden Anspruch acht Takte einnehmend. Was will es sagen?
    Fischer-Dieskau vernimmt darin ein „mit Erleichterung“ erfolgendes Sich-Lösen Schumanns aus „Eichendorffs Fröhlichkeit“. Ich vermag ihm darin nicht zu folgen.
    Zunächst vollzieht das Klavier unter Beibehaltung des die ganze Strophe über praktizierten Begleitungs-Gestus in akkordischer Gestalt die Bewegungen der melodischen Linie auf dem letzten Vers noch einmal nach. Von einem Sich-Lösen kann hier also keine Rede sein. In den letzten vier Takten geht es zu einer sich wiederholenden und dabei in der tonalen Ebene sich in tiefe Basslage absenkenden Bewegung über: Einem in eine lang gehaltenen zweischrittigen Sekundanstieg, der im letzten Fall zu einem fünfschrittigen, am Ende akkordischen und in einen wiederum lang gehaltenen D-Dur-Schlussakkord mündenden wird.

    Bedeutsam daran ist: Auch diese Figur ist im Geist dieses Liedes rhythmisiert, weil aus einer Folge von punktierten Achteln und Sechzehnteln bestehend. Und das will doch wohl so verstanden werden, dass sich die Liedmusik am Ende zum vollkommen einvernehmlichen Ruhen in dieser zuvor in durchaus differenzierter Weise zum Ausdruck gebrachten Lebenshaltung des „frohen Wandersmannes“ einfindet.

    „Der frohe Wandersmann“ (II)

    In der zweiten Strophe ereignet sich ein lyrischer Entwurf der Lebenswelt, der der „frohe Wandersmann“ in seiner „Taugenichts“-Mentalität entflieht. Und weil dies in völliger Unbekümmertheit erfolgt, ist sein Blick auf sie sprachlich von einem nüchtern-konstatierenden Gestus geprägt. Und das schlägt sich natürlich bei Schumanns immenser liedkompositorischen Nähe zur lyrischen Sprache in der Liedmusik dieser Strophe nieder, die sich von der der ersten deutlich abhebt. Die melodische Linie hat den Aufschwung-Gestus abgelegt, und an seine Stelle tritt bei jedem der vier Verse die Neigung, nach einem kurzen, mit einem Sechzehntel-Sprung über eine Sekunde oder Quarte eingeleiteten Anstieg in eine das Intervall einer Sexte in Anspruch nehmende Fallbewegung überzugehen. Das geschieht beim ersten und beim zweiten Verpaar in strukturell ähnlicher Weise, und durchweg dominiert dabei in der Harmonisierung das Tongeschlecht Moll mit nur kurzen Zwischenrückungen zur Dur-Dominante.

    Das Klavier begleitet auch hier zwar mit seinen von Achtelpausen unterbrochenen Achtel-Akkord-Folgen, dies nun aber in weitaus stärker ausgeprägter Bindung an die melodische Linie im Sinne eines Begleitens und sogar des Repetierens ihrer Bewegungen in Gestalt einer nachträglichen Wiederholung ihrer einleitenden Bewegungen mit Achteln und Oktaven in Diskant und Bass. Was sich diesbezüglich auf den Worten „Die Trägen, die zu Hause liegen,/ Erquicket nicht das Morgenrot“ ereignet, kehrt bei den Worten des zweiten Verspaares in ähnlicher, nun allerdings in der tonalen Ebene um eine Sekunde angehobener und mit einer Rückung von a-Moll nach h-Moll als Ausgangstonart wieder.

    Der dreifache Sekundanstieg, den die melodische Linie bei den Worten „die Trägen“ beschreibt, wird vom Klavier nach einer Viertelpause im Diskant nachvollzogen, und nach einer weiteren Viertelpause noch einmal in Gestalt von Oktaven im Bass. Und anschließend vollziehen Diskant und Bass in um eine Viertelpause zeitlich versetzter Weise auch den melodischen Fall auf den Worten „Trägen, die zu Hause“ mit Oktaven und einem dreistimmigen Akkord nach. Harmonisiert ist das in a-Moll, dieses geht aber bei dem Quartsprung, den die melodische Linie bei dem Wort „liegen“ beschreibt, in ein H-Dur über, dem alsbald bei dem melodischen Quartsprung zu dem Wort „nicht“ hin ein e-Moll nachfolgt, das im neuerlichen Fall der melodischen Linie auf „nicht das Morgenrot“ von fis-Moll , g-Moll, einem neuerlichen kurzen H-Dur und schließlich e-Moll abgelöst wird.
    Moll-Harmonik prägt also die Liedmusik der zweiten Strophe, und sie bringt – im Einklang mit den Fallbewegungen der melodischen Linie - auf diese Weise die beklagenswerte, weil von existenzieller Trägheit und Sorgen geprägte Situation derer zum Ausdruck, die, anders als der „frohe Wandersmann“, ihr Leben in den Fesseln häuslicher Lebenswelt verbringen.

    Das aber will dieses lyrische Ich nicht. Und es meint, sich das in seinem grenzenlosen Vertrauen auf Gott, wie die letzte Strophe zum Ausdruck bringt, auch leisten zu können. Ein wenig hat sich hier der sich dem Führen eines ganz und gar geordneten Lebens als preußischer Beamter verpflichtet fühlende Poet Eichendorff dem Traum von der Gültigkeit des biblischen „Sie säen nicht, sie ernten nicht…“ hingegeben, und Schumann folgt ihm darin gar zu gerne, wie man seiner Liedmusik darauf entnehmen kann. In der vierten Strophe kehrt ein ruhiger, inniger und leicht hymnisch angehauchter Gestus in sie ein. Weg ist der drängende Aufbruchsgeist der beiden A-Strophen, weg auch die rhythmische Beschwingtheit des Klaviersatzes und weg schließlich auch die Kühnheit der harmonischen Rückungen, die deren Liedmusik prägen.

    In die Melodik kehrt die syllabisch exakte deklamatorische Tonrepetition ein, wie sie einem auf den Worten „Den lieben Gott nur lass ich walten“ entgegentritt, gefolgt von einem deklamatorisch ebenso syllabisch exakten Fall der melodischen Linie in Sekundsprüngen auf den Worten „Wald und Feld und Erd´ und Himmel“. Wobei das Klavier mit einer schlichten, den deklamatorischen Schritten auf exakt synchrone Weise zugeordneten Folge von mehrstimmigen Achtelakkorden in Bass und Diskant begleitet und die Harmonik ebenso schlichte Rückungen zwischen den Tonarten A-Dur, H-Dur und D-Dur vollzieht, - mit einer kleinen Rückung bei dem melodischen Ritardando-Terzfall auf den Worten „und Himmel“ freilich. Schumann will auf diese Weise die diesen Worten immanenten affektiven Dimensionen zum Ausdruck bringen.

    „Der frohe Wandersmann“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Damit ist die Betrachtung dieses Liedes gleich am Anfang, noch bevor sie sich den Details seiner Faktur zuwenden kann, an einem bedeutsamen Punkt angelangt. Bedeutsam deshalb, weil er nicht nur beiläufig, sondern in fundamentaler Weise Schumanns Opus 39, den großen „Eichendorff-Liederkreis“ betrifft.
    Dieses Lied sollte diesen nämlich einleiten. Es sollte nicht nur, es tat es in der 1842 bei Tobias Haslinger in Wien erschienenen Erst-Ausgabe tatsächlich. In der „Neuen Ausgabe“, die im April 1852 bei Whistling publiziert wurde, hat Schumann es durch das Lied „In der Fremde“ („Aus der Heimat hinter den Blitzen rot…) ersetzt.

    Hinsichtlich der sich regelrecht aufdrängenden Frage nach dem Warum ist man, da es keine diesbezüglich aufschlussreichen Äußerungen Schumanns gibt, auf hypothetische Überlegungen angewiesen. Und natürlich gibt es sie in der einschlägigen Literatur reichlich, wobei Schumann jeweils spekulativ ein aus seiner damaligen Lebenssituation hergeleitetes Motiv unterstellt wird, etwa, dass die Liedfolge von ihrer Harmonik her ursprünglich durch das Motiv „E-H-E“ motiviert gewesen sei und der die Ehe mit Clara betreffende Gerichtsentscheid ihn dazu bewogen habe, von der ursprünglichen Anordnung der Lieder Abstand zu nehmen.


    Ich halte davon nichts. Es gibt eine im Grunde naheliegende und plausible, weil aus der kompositorischen Intention des „Liederkreises“ herleitbare Erklärung. Absolute Ungebrochenheit von in der Liedmusik sich niederschlagende Natur- und Lebenserfahrung gibt es in der den „Liederkreis“ bildenden Folge von Kompositionen nicht, die in dem Lied „Zwielicht“ zum Kern ihrer musikalischen Aussage findet. Das Lied „Der frohe Wandersmann“ stellt darin schlicht und einfach einen Fremdkörper dar und ist als Eröffnungslied von daher ungeeignet.
    Schumann muss das schon früh bemerkt haben und korrigierte seinen „Fehler“ in der zweiten Ausgabe. Mit dem Lied „In der Fremde“ wurde das Konzept nun stimmig. Das diese Komposition prägende Quintintervall hat Hans Joachim Köhler zu Recht als „semantische Sinnzelle“ des Liederkreises bezeichnet, und Adorno hat mit dem gleichen Recht darauf hingewiesen, dass sich die innere Geschlossenheit des Liederkreises aus der Tonart „Fis“ konstituiert, die ihn mit „In der Fremde“ der Moll-Variante eröffnet und bei „Frühlingsnacht“ in der Dur-Variante beschließt.

    Den Geist dieser mit allen guten Gründen von Schumann aus dem „Liederkreis“ herausgenommenen und 1850 in seinen „Liedern und Gesängen“ Opus 77 publizierten Komposition verkörpert das viertaktige Vorspiel auf solch komprimierte und treffende Weise, dass man ihm darin unmittelbar zu begegnen vermag. Und eben deshalb lässt es Schumann in allen Pausen zwischen den Liedstrophen in nur unwesentlich variierter Gestalt erklingen. In seiner schwungvollen Rhythmisierung, wie sie sich aus der von Sechzehntelpausen unterbrochenen Abfolge von Akkorden im Wert eines Achtels und eines Sechzehntels ergibt, in der Aufwärtsrichtung, in der diese angelegt ist und der Schlichtheit seiner nur kurz in die beiden Dominanten ausgreifenden Harmonisierung in der Tonika D-Dur entfaltet dieses Vor- und Zwischenspiel eine zweifellos beflügelnde, ja mitreißende Wirkung. Es ist eben ein wesenhaft „froher“ Wandersmann, der hier seinen Auftritt hat.

    Und von diesem Geist ist auch die Melodik des Liedes beflügelt. In der es klanglich maßgeblich prägenden, weil in variierter Gestalt als dritte wiederkehrenden ersten Strophe ist es der einer gleichsam nach oben drängenden Entfaltung. Das Reizvolle und den kompositorischen Könner Verratende daran ist, dass die melodische Linie nicht geradewegs nach oben stürmt, sondern diesen Weg gleichsam in sich in der tonalen Ebene langsam nach oben bewegenden Weise nimmt. Darin drückt sich die innere Beschwingtheit aus, die Schumann aus diesen Versen Eichendorffs herausgelesen hat. Bei den Worten „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“ geht es erst einmal melodisch in unterer Mittellage auf und ab. Die harmonische Rückung von der Dominante A-Dur nach Fis-Dur, die sich bei dem in eine Tonrepetition übergehenden Sekundsprung auf dem Wort „erweisen“ ereignet, lässt freilich erahnen, dass es bei diesem Verhaltenheit ausdrückenden Gestus der melodischen Linie nicht bleiben wird.

    Und tatsächlich geht die melodische Linie bei den Worten „den schickt er in die weite Welt“ in eine Aufstiegsbewegung über, die auf einem tiefen „D“ ansetzt und ihre innere Dynamik nicht nur dadurch bekundet, dass sie das große Intervall einer None übergreift, sondern auch dadurch, dass sie auf die Worte „er“ und „in“ zwei deklamatorische schritte legt und den zweiten davon sogar im Legato vollzieht. Das Klavier begleitet das – wie durchgängig bis zur dritten Strophe einschließlich - mit seinen beschwingt anmutenden, weil durch Achtelpausen unterbrochenen Achtelakkorden, und die Harmonik vollzieht eine Rückung von einem kurzen anfänglichen h-Moll nach H-Dur, das bei dem Quartsprung auf „weite Welt“ eine Rückung in die Dominantsept-Variante der Tonart „E“ beschreibt, was dieser Aufgipfelung der melodischen Linie auf einem hohen „E“ einen besonderen Akzent verleiht.

    Aber dabei bleibt es ja nicht. Nach einer kurzen Absenkbewegung bei den Worten „dem will er“ geht die melodischen Linie erst noch einmal zu einem bogenförmigen Auf und ab in mittlerer tonaler Lage über, um dann bei den Worten „in Berg und Wald und Strom und Feld“ erneut ihren Aufstiegsdrang auszuleben, und dies noch sogar noch auf stärker ausgeprägte Weise: In Gestalt eines aus zwei Sekundschritten hervorgehenden Quartsprungs zu einem hohen „Fis“, einer um eine Sekund angehobenen tonalen Lage also. Erst danach, bei den letzten beiden Worten „und Feld“ nämlich, überlässt sie sich in ihren Bewegungen den Notwendigkeiten einer Kadenzbildung und geht mit einem verminderten Sextfall in einen Sekundanstieg hin zum Grundton „A“ über, wobei die Harmonik eine Rückung von dem nun als Dominante fungierenden E-Dur nach A-Dur vollzieht.

    Hier verfährt Schumann in der Harmonisierung der melodischen Linie zwar konventionell, davor aber brachte er, wie er das ja immer wieder in dieser Komposition tut und sie auf diese Weise zu einer herausragenden werden lässt, die Harmonik mit ihrem spezifischen Aussage-Potential zum Einsatz. Bei den Worten „will er seine Wunder“ beschreibt sie eine Rückung von der Dominante A-Dur über die Tonika D-Dur zur Subdominante G-Dur und vollzieht dann bei dem Wort „weisen“ einen geradezu überraschenden Sprung nach Cis-Dur, der die Bedeutsamkeit der lyrischen Aussage hervorhebt.

    Schumann und Eichendorff. Teil II: Die weiteren Eichendorff-Lieder


    „Der frohe Wandersmann“, op.77

    Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
    Den schickt er in die weite Welt;
    Dem will er seine Wunder weisen
    In Berg und Wald und Strom und Feld.

    Die Trägen, die zu Hause liegen,
    Erquicket nicht das Morgenrot,
    Sie wissen nur vom Kinderwiegen,
    Von Sorgen, Last und Not um Brot.

    Die Bächlein von den Bergen springen,
    Die Lerchen schwirren hoch vor Lust,
    Was sollt' ich nicht mit ihnen singen
    Aus voller Kehl' und frischer Brust?

    Den lieben Gott laß ich nur walten;
    Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld,
    Und Erd' und Himmel will erhalten,
    Hat auch mein Sach' aufs Best' bestellt.

    Das Gedicht stellt gleichsam die Einleitung der Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ dar, insofern sich darin der Geist und die Lebenshaltung des Protagonisten ausdrücken, in denen er aus seiner Lebenswelt aus- und in die freie Welt hinaus aufbricht. „Mir war es wie ein ewiger Sonntag im Gemüt“, bekennt er dort, „und als ich endlich ins freie Feld hinauskam, da nahm ich meine liebe Geige vor und spielte und sang, auf der Landstraße fortgehend“. Und er sang eben dieses Lied.

    Schumann fand diese Verse in seiner Eichendorff-Ausgabe von 1847 vor. Den 1826 erschienenen „Taugenichts“ kannte er zum Zeitpunkt der Komposition des Liedes auf diese Verse (22. Juni 1840) noch nicht. Er las ihn erst im Winter 1840/41. Vermutlich war es dieser Geist des in sonntäglicher Gemütsverfassung und absolutem Vertrauen auf Gott erfolgenden Aufbruchs zur Wanderschaft durch die als überaus beglückende Schöpfung erfahrene Welt, was ihn zum liedkompositorischen Griff nach diesen Versen animierte.


    Wanderschaft und Reise war ein die Künstler der Zeit der Haupt- und der Spätromantik in ihrer Kreativität inspirierender Faktor des Lebens. Zwar war Schumann in seiner Lebenshaltung weitab von jenem Geist, der in diesem Eichendorff-Gedicht lyrische Gestalt angenommen hatte, aber vielleicht war es ja gerade das, was es an ihm für ihn so anziehend machte: Der Wunschtraum eines von allen Zwängen bürgerlicher Existenz freien Lebens.

    Die Liedmusik verrät in dem beschwingt-heiteren Frohsinn, in dem sie sich entfaltet, dass er diesen „Taugenichts“-Geist tatsächlich kompositorisch ausgelebt hat. Zwar geschieht dies auf durchaus kunstvolle, den eindimensionalen Wanderlied-Gestus weit hinter sich lassende Art und Weise, entfaltet sich die Melodik doch in einer hoch komplexen Harmonisierung. Und auch das Spiel mit der diesem Gestus eigentlich gemäßen Strophenlied-Form ist ein artifizielles.

    In der dritten Strophe kehrt die Liedmusik der ersten zwar wieder, dies aber mit einen hohen Grad an Variation, so dass sich das Lied von seiner strophischen Anlage her im Schema „A-B-A´-C“ präsentiert. Und der Grund dafür ist die – für Schumann obligatorische – Notwendigkeit der Reflexion und Interpretation der lyrischen Aussage der einzelnen Strophen. Der die letzte Strophe beflügelnde Lobpreis Gottes kann für ihn nicht mit der Liedmusik der A-Strophe erfasst werden, - Wanderlied-Musik hin oder her.

    Gleichwohl ereignet sich liedmusikalisch all dies ohne die geringste Spur einer reflexiven Distanzierung von diesem „Taugenichts“-Geist, - wenn man, worüber noch nachzudenken sein wird, nicht das Nachspiel in diesem Sinne verstehen möchte.


    „Frühlingsnacht“ (IV)

    Herausragend ist diese Liedmusik aus gleich mehreren Gründen. Die melodische Linie bricht aus ihrem bisherigen Piano und Pianissimo aus und will nun forte vorgetragen werden. Sie entfaltet sich nun ausschließlich in hoher Lage, setzt mit einem von einem hohen „E“ her kommenden zweifachen Sekundfall ein, geht bei dem Wort „Deine“ in eine lange Dehnung auf der tonalen Ebene eines „Cis“ in hoher Lage über, vollzieht darin am Ende einen verminderter Sekundfall, um danach aber bei den Worten „sie ist dein! mit einem Sekundsprung in einem kleinen Sekundfall eingeleiteten Sturz über das Intervall einer Quinte hin zu einem „Fis“ in tiefer Lage überzugehen.

    Das Klavier begleitet das zunächst noch mit seinen üblichen triolischen Akkordrepetitionen. Bei dem melodischen Auf und Ab in kleinen Sekundschritten auf dem letzten Vokal von „Deine“ und den Wort „sie ist“, gehen diese Repetitionen ins Stocken über und werden zu einzelnen, ihre Gestalt wechselnden und diese melodischen Schritte akzentuierenden Sechzehntel-Akkorden, und die Harmonik beschreibt eine Rückung von der Tonika zur Dominante, um danach, mit der Rückkehr zur Dominante, das „Fis“, in dem die Melodik bei dem lyrisch so bedeutsamen Wort „dein“ endet, zum Grundton werden zu lassen

    Vielsagend und bedeutsam ist dann auch noch das, was sich im sechstaktigen Nachspiel ereignet. Unter den üblichen Sechzehntel-Akkordtriolen in Gestalt von Sexten und Terzen senken sich im Bass, unterbrochen von einer kurzen und mit einer Rückung von Fis-Dur nach H-Dur einhergehenden Phase des Anstiegs, Sechzehntel aus hoher in abgrundtiefe Lage ab. Und am Ende erklingt piano ein vier Oktaven übergreifender sechsstimmiger Fis-Dur-Akkord.

    Wie ist dieses auf die Emphase des „Sie ist Deine, sie ist dein“ folgende Nachspiel, und wie damit überhaupt die Aussage der ganzen Liedmusik zu deuten?
    Man könnte es so verstehen, dass sich das lyrische Ich nach diesem emphatischen Ausbruch in das Wohlgefühl seines Glücks zurückzieht und sich darin einfindet.
    Aber auch eine andere Deutung wäre möglich. Bei Walther Dürr („Das deutsche Sololied im 19. Jahrhundert“) bin ich auf sie gestoßen. In das allgemein übliche Verständnis des Liedes als „Ausdruck von zitterndem Jubel und Glücksrausch“ (D. Fischer-Dieskau) will er nicht einstimmen, und gibt angesichts der Tatsache, dass dieses Lied auf „Zwielicht“ und „Im Walde“ folgt, zu bedenken:
    „Man glaubt dem Aufschwung, dem Jubel nicht. Das Lied ist im Ton >romantisch< wie >Schöne Fremde< - und Mond und Sterne sind´s, die dem Sänger sagen:>Sie ist Deine, sie ist dein!<. Der Sänger hat sich in die Traumwelt zurückgezogen, in der allein er glücklich zu sein vermag. Die Tonart Fis-Dur bestätigt das. In Fis-Dur schloß das erste Lied. Es ist >die schöne Waldeinsamkeit“, in der >keiner mich mehr hier kennt<, in der man träumen und lieben kann.“

    Das ist eine Interpretation dieses Liedes, der ich mich mit Blick auf seine den ganzen Liederkreis beschießende Funktion durchaus anschließen kann. Dies weniger wegen des Schließens der Liedmusik in der Tonart Fis-Dur ganz allgemein, sondern wegen der Art und Weise, in der es das tut: Im langsamen In-die-Tiefe-Sinken und dort Zur-Ruhe-Finden der Klavierbässe im Nachspiel.

    „Frühlingsnacht“ (III)

    Nach einem zweitaktigen Zwischenspiel, in dem das Klavier nach anfänglichen triolischen Akkordrepetitionen in Cis-Dur auf die sich im oberen Intervall verringernden Akkorde des Vorspiels zurückgreift, wobei sich eine Rückung hin zur Tonika Fis-Dur ereignet, setzt die melodische Linie auf den Worten „und der Mond“, die den ersten Vers der dritten Strophe einleiten, mit einem zweifachen, zur tonalen Ebene eines „Dis“ in tiefer Lage führenden zweifachen Sekundfall ein. Darin reflektiert sie – und das zeigt wieder die immense Nähe von Schumanns Melodik zum lyrischen Text – die Tatsache, dass Eichendorff diesen und die beiden nachfolgenden Verse jeweils mit der Konjunktion „und“ einleitet. Denn dieser Einsatz der melodischen Linie mit einem doppelten, zunächst in tiefe Lage führenden Sekundfall ermöglicht es ihm, diese lyrisch-sprachliche Konjunktion einen liedmusikalischen Steigerungseffekt einzubringen, der ihre poetische Funktion enthüllt: Die einer kontinuierlichen Steigerung der Expressivität der lyrischen Aussage, die dem jubilierenden Geist des Ausrufs am Ende erst zu seiner vollen Entfaltung verhilft.

    Nach dem zweifachen, auf der tonalen Ebene eines tiefen „Dis“ endenden Sekundfall auf den Worten „Und der Mond“ beschreibt die melodische Linie dort zunächst eine Tonrepetition und geht danach bei dem Wort „Sterne“ in einen Septsprung über, dem bei „sagen´s“ ein Sekundfall nachfolgt. Die Harmonik vollzieht hierbei eine Rückung von Dis-Dur nach gis-Moll. Bei den Worten „und im Traume“ ereignet sich der gleiche zweifache Sekundfall wie bei „und der Mond“, er setzt nun aber eine Sekunde höher an, was mit einer harmonischen Rückung nach Eis-Dur einhergeht und einen deutlichen Steigerungseffekt beinhaltet. Und dieser kompositorischen Intention entsprechend lässt Schumann die melodische Linie dann auch bei den Worten „rauscht´s der Haim“ einen dreifachen Sechzehntel-Anstieg beschreiben und in einen Sekundfall übergehen, wobei die Harmonik eine Rückung nach ais-Moll vollzieht. Das Klavier, das hier, wie ja durchweg in diesem Lied, permanent mit seinen Sechzehntel-Triolen begleitet, akzentuiert die Bewegungen der melodischen Linie mittels Anstiegs- und Fallbewegungen derselben. So setzt es den Sekundfall bei „sagen´s“ mit sich im Intervall verengenden bitonalen Akkorden im Diskant fort und lässt in der Pause nach „Hain“ die dreistimmig repetierenden Sechzehntel-Akkorde in hoher Lage erklingen.

    Aus dem zweimaligen Doppel-Sekundfall als Einstieg bei den ersten beiden „und“ wird beim dritten „und“ ein auf einem hohen „Dis“ ansetzender und in gis-Moll harmonisierter Quartfall, dem bei „Nachtigallen“ ein in eine Repetition übergehender Sekundsprung nachfolgt. Auf den beiden letzten Silben dieses Wortes beschreibt die melodische Linie dann eine kleine, leicht melismatisch wirkende und darin den affektiven Gehalt des lyrischen Bildes reflektierende Legato-Bogenbewegung und endet bei „sagen´s“ in einer Tonrepetition auf der tonalen Ebene eines „As“ in mittlerer Lage. Die Harmonik hebt dieses Bild klanglich dadurch hervor, dass sie vom anfänglichen gis-Moll nach Cis-Dur und dann nach Fis-Dur übergeht, und das Klavier trägt das Seine dazu bei, indem es bei „schlagen´s“ von seinen Akkordrepetitionen im Diskant ablässt und eine lieblich wirkende fünfschrittige Sechzehntel-Sekundfallbewegung in hoher Lage erklingen lässt.

    Alle diese drei, von Eichendorff mit der Konjunktion „und“ eingeleiteten Verse werden in der Art, wie Schumann sie melodisch anlegt und aufeinander folgen lässt, zu einer sich in ihrer Expressivität steigernden Einleitung und Hinführung zu dem Höhepunkt der Liedmusik, als welcher die Melodiezeile auf den Worten „Sie ist Deine, sie ist dein!“ sich präsentiert. Sie nimmt von ihrer kompositorischen Anlage her durchaus eine Sonderstellung in diesem Lied ein und wirkt darin wie ein eine Befreiung ausdrückendes Ausbrechen des lyrischen Ichs aus als den stürmischen Gefühlsaufwallungen, die sein Inneres bedrängen.

    „Frühlingsnacht“ (II)

    Gleich am Anfang klingt der Geist dieses Liedes in unmittelbarer und gleichsam spontaner Weise auf: In diesem Ausbruch der melodischen Linie aus allen harmonischen Bindungen in Gestalt einer sich im Intervall einer Septe entfaltenden, einen Dominant-Septakkord umschreibenden und überdies darin auch noch zu einer von Dis- nach Eis-Harmonik, also ansteigend angelegten Rückung überzugehen.
    Es ist der Geist eines innerlich aufgewühlten, zwischen Jauchzen und Weinen hin und her gerissenen lyrischen Ichs, der auf diese Weise seinen liedmusikalischen Niederschlag findet. Aber Schumann beschränkt sich nicht darauf, ihm dergestalt Ausdruck zu verschaffen. Er will ihn in all seinen seelischen Dimensionen ausloten, und so lässt er denn die melodische Linie bei den Worten „Das bedeutet Frühlingsdüfte, / Unten fängt's schon an zu blühn“ erst einmal in ruhigere Bewegungen übergehen: Einer in kurzen Tonrepetitionen sich absenkenden und wieder erhebenden Entfaltung in mittlerer tonaler Lage, die sich danach bei dem Wort „unten“ über einen Quintfall sogar in tiefe absenkt, und nach kleinschrittiger Erhebung daraus sogar dort verbleibt.

    In der zweiten Strophe artikuliert sich das lyrische Ich in seinem innerlichen Aufgewühlt-Sein, das sich zwischen den Extremen „Jauchzen“ und „Weinen“ ereignet und, wie der zweite Vers in seiner konjunktivischen Anlage bekundet, von ihm nicht rational bewältigt werden kann, vielmehr auf die Ebene irrationaler Wundergläubigkeit gehoben wird. Schumann vernimmt ein seelisches Drängen darin, und er bringt dies mit einer melodischen Linie zum Ausdruck, die bei den beiden ersten Versen die strukturell gleiche Bewegung beschreibt: Eine deklamatorische Tonrepetition, die in einen Sekundanstieg übergeht, beim ersten Mal dort ebenfalls eine Tonrepetition beschreibt, beim zweiten Mal aber in einen triolischen Sechzehntel-Sekundfall übergeht, um von dort über einen mit einem Vorschlag versehenen Quartsprung wieder zu der tonalen Ebene zu gelangen, auf der sie bei dem Wort „weinen“ die Tonrepetition vollzog. Und da sich in beiden Fällen eine harmonische Rückung von der Tonika Fis-Dur zur Dominante Cis-Dur ereignet und das Klavier über beharrlich repetierenden Sechzehntel-Oktavtriolen im Bass einen vierfachen Sechzehntel-Fall im Diskant erklingen lässt, weist die Liedmusik hier die Anmutung einer sich steigernden Expressivität auf, - Niederschlag der drängenden seelischen Unruhe des lyrischen Ichs.

    Das Sich-berührt-Fühlen von „alten Wundern“ führt dazu, dass die melodische Linie nun, in Fis-Dur harmonisiert, einen Sekundanstieg von eben dieser tonalen Ebene eines „H“ beschreibt, auf dem sie gerade zweimal endete, zu Tonrepetitionen auf der Ebene eines „Cis“ übergeht, von dem es sich um eine kleine Sekunde weiter erhebt, um schließlich bei „scheinen“ noch einmal einen Sekundschritt nach oben zu machen, wobei die Harmonik eine ausdrucksstarke Rückung nach H-Dur vollzieht. Das ist Ausdruck eines starken inneren Beflügelt- und Beschwingt-Seins, und so setzt die melodische Linie diesen Gestus ihrer Entfaltung nach einer kurzen Achtelpause denn auch fort und steigert sich nach einer auftaktigen Sechzehntel-Tonrepetition bei den Worten „Mondesglanz hinein“ in eine lange Dehnung auf dieser tonalen Ebene eines hohen „Dis“, aus der sie mit einem Terzsprung zu einem hohen „Fis“ zu einem ritardando vollzogenen Fall erst über eine Sekunde, dann über eine verminderte Terz übergeht, um auf der Ebene eines „Cis“ in oberer Mittellage zu enden.
    Die lange Dehnung auf dem „o“ von „Mondesglanz“ entfaltet deshalb einen so hohen Grad an – durchaus klanglich lieblich anmutender – Expressivität, weil die Dynamik sich hier ins Forte steigert und die Harmonik eine ausdrucksstarke Rückung vom vorangehenden H-Dur nach Gis-Dur vollzieht, das am Ende, bei dem melodischen Fall auf „herein“ in Cis-Dur übergeht.

    „Frühlingsnacht“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Folgt man nicht einfach nur rezeptiv, sondern in aktiv-analytischem Hören der Liedmusik Schumanns auf diese Verse, dann stellt man fest: Sie bildet mit ihren Mitteln das lyrische Geschehen und die Reaktion des Ichs darauf im Nachvollzug nicht nur in vollkommener Weise ab, sie verleiht ihm darüber hinaus noch zusätzliche Aussage-Dimensionen, indem sie die seelische Innenwelt des lyrischen Ichs in ihren Affekten und Emotionen aufgreift und einbezieht. Mit ihren Mitteln, das heißt: In der spezifischen Struktur der melodischen Linie, in der Eigenart ihrer Harmonisierung und in dem sie begleitenden und akzentuierenden Klaviersatz. Ein Zweivierteltakt liegt ihr zugrunde, als Grundtonart ist Fis-Dur vorgegeben, und sie soll „ziemlich rasch“ und „leidenschaftlich“ vorgetragen werden.

    Ein kurzes, nur einen Takt in Anspruch nehmendes Vorspiel weist sie auf. Seine Anlage und die Tatsache, dass sich die melodische Linie noch vor seinem Ende auftaktig geradezu in es hineindrängt, vermitteln gleich am Anfang den Geist leidenschaftlicher Bewegtheit, der die Liedmusik bis zu ihrem Ende durchwehen wird. Wesentlich trägt dazu der Klaviersatz bei, der mit nur zwei – bemerkenswerten - Ausnahmen im Bass durchweg und im Diskant zumeist aus repetierend angelegten akkordischen und darin zwei- und dreistimmigen Sechzehntel-Triolen besteht.
    Drängend, die Liedmusik vorantreibend mutet dieser Klaviersatz an, und das ist im darin als Einleitung fungierenden Vorspiel dadurch besonders stark ausgeprägt, dass die bitonalen Sechzehntel-Triolen ein von der Sexte über die Quinte, die Quarte und die Terz sich kontinuierlich verkleinerndes Intervall aufweisen. Und hinzu kommt ein weiterer Sachverhalt. Zwar erklingen diese einleitenden Akkord-Triolen in Fis-Dur. Dieses geht jedoch schon im zweiten Takt nach Dis-Dur über, und das heißt: Es fungiert hier nicht als Tonika, vielmehr als Subdominante.

    Hier, gleich am Liedanfang, zeigt sich die Harmonik in der für diese Komposition typischen Gestalt und für die liedmusikalische Aussage höchst bedeutsamen Funktion: Sie ist von geradezu schweifender, in den Tonarten und im Tongeschlecht weit ausgreifender Instabilität und greift damit die in den lyrischen Bildern sich manifestierende innere Bewegtheit des lyrischen Ichs auf, dieses tiefe seelische Aufgewühlt-Sein, das am Ende in den erlösenden Ausruf ausbricht: „Sie ist Deine, sie ist dein!“. Vielsagend ist ja doch: Das Fis-Dur erklingt in seiner Tonika-Funktion erst in Takt 10, also – und das ist bemerkenswert – als Harmonisierung der das Bekenntnis des lyrischen Ichs „Jauchzend möcht´ ich, möchte weinen“ beinhaltenden melodischen Linie. Die ganze erste Strophe über beschreibt die Harmonik geradezu unruhige Rückungen von dem anfänglich nicht-tonikalen Fis-Dur über Dis-Dur, gis-Moll, Eis-Dur, ais-Moll , gis-Moll, Ais-Dur bis hin zu Gis-Dur.

    Und sie hat darin natürlich eine die jeweilige Aussage der melodischen Linie mit einem bedeutsamen klanglichen Akzent versehende Funktion. So die Rückung von Eis-Dur nach ais-Moll, die dem Aufschwung, den die melodische Linie bei den Worten „hört´ ich Wandervögel ziehn“ nimmt, starke Nachdrücklichkeit verleiht. So die Rückung von gis-Moll über Ais-Dur nach dis-Moll, die sich bei dem ruhig anmutenden Auf und Ab der melodischen Linie auf den Worten „das bedeutet Frühlingsdüfte“ ereignet, und zum Ausdruck bringt, dass sich hier lyrisch doch höchst Bedeutsames ereignet. So schließlich bei dem Quintfall, der die melodische Linie bei den Worten „unten fängt´s schon an zu blühn“ in die tiefe Lage eines „Dis“ führt, aus der sie sich nur „ritardando“ in zwei Sekundschritten erhebt, um dann doch wieder auf die tonale Ebene eines „E“ zurückzufallen. Die harmonische Rückung vom vorangehenden dis-Moll nach Gis-Dur, die sich bei dem Quintfall auf „unten“ ereignet, verleiht der Raum konstituierenden Metaphorik des lyrischen Textes starken Ausdruck.

    Das Zentrum der Liedmusik, der Kern, aus dem sich ihre Melodik entfaltet, ist ein Dominant-Septakkord. In der melodischen Linie auf den Worten „Übern Garten durch die Lüfte“ klingt er erstmals in umschriebener Form auf. Die melodische Linie beschreibt hier tatsächlich eine Bewegung im tonalen Raum einer Septe, und dies in deklamatorischen Schritten, die in der Summe Dominantsept-Harmonik generieren. Über zwei Sekundschritte senkt sie sich in tiefe Lage ab, geht bei „Garten“ in eine diesem Wort einen Akzent verleihende gedehnte Tonrepetition über, und beschreibt anschließend mit einer Sechzehntel-Triole einen Aufstieg über das Intervall einer Septe, dem bei „Lüfte“ ein Sekundfall nachfolgt.

    Diese ganze Melodiezeile ist in Dis-Dur harmonisiert, dem das Klavier im kurzen, die Viertelpause für die Singstimme ausfüllenden Zwischenspiel ein gis-Moll in Gestalt im oberen Intervall sich verengender Sechzehntel-Akkordtriolen nachfolgen lässt. In dieser Struktur und in ihrer Harmonisierung reflektiert die melodische Linie das anfängliche lyrische Bild von den hoch in den Lüften dahinziehenden Wandervögeln. Und um das zu intensivieren, beschreibt sie bei den Worten „hört´ ich Wandervögel zieh´n“ noch einmal eine aus einer neuerlichen Tonrepetition in tiefer Lage hervorgehende Anstiegsbewegung. Diese setzt nun aber, um einen Steigerungseffekt zu erreichen, auf einer um eine kleine Sekund angehobenen tonalen Ebene an, nimmt das Intervall der Septe in stürmischer anmutenden Schritten, nämlich über Terzen und eine Quarte, und ist überdies nun auch noch in Eis-Dur mit Rückung nach ais-Moll am Ende harmonisiert.

    „Frühlingsnacht“, op. 39, Nr. 12

    Übern Garten durch die Lüfte
    Hört' ich Wandervögel ziehn,
    Das bedeutet Frühlingsdüfte,
    Unten fängt's schon an zu blühn.

    Jauchzen möcht' ich, möchte weinen,
    Ist mir's doch, als könnt's nicht sein!
    Alte Wunder wieder scheinen
    Mit dem Mondesglanz herein.

    Und der Mond, die Sterne sagen's,
    Und im Traume (E: „in Träumen“) rauscht's der Hain,
    Und die Nachtigallen schlagen's:
    Sie ist Deine, sie ist dein!

    Die poetische Aussage dieses Gedichts entfaltet sich in einer ausgeprägten Binnenspannung zwischen Gehalt und Gestalt: Hier ein regelmäßiger Bau der drei Strophen, und dies ohne Ausbrüche daraus: Vierfüßiger Trochäus mit abwechselnd klingender und stumpfer Kadenz und Kreuzreim. Da eine jeglicher Regularität sich verweigernde, weil wesenhaft schweifend angelegte, viele Perspektiven und einen weiten Raum in Anspruch nehmende Metaphorik, die in ihrer Aussage erst im letzten Vers auf den Punkt kommt, - dies dann allerdings auf markante, weil in schroffer Abkehr vom Schweifen erfolgenden Art und Weise.

    Es ist ein Liebesgedicht, und, wie Adorno es treffend charakterisiert hat, eines „der passioniertesten der deutschen Sprache“. Gewiss hat es Schumann eben deshalb, gerade vor der Erfüllung seiner Liebe zu Clara stehend, in diesen Liederkreis aufgenommen. Das in der Wiederholung emphatisch sich steigernde „Sie ist Deine, sie ist dein“ muss er damals als lyrischen Widerklang seiner seelisch-existenziellen Befindlichkeit empfunden haben.

    Alle Welt ist sich einig darin, dass seine Liedkomposition darauf als großartige, ganz und gar adäquate und keinerlei innere Gebrochenheit aufweisende Umsetzung dieser im Schlussvers emphatisch zu ihrer Kernaussage findenden Lyrik zu rezipieren und zu verstehen ist. Und wenn man als analytisch ausgerichteter Betrachter den Kommentar Adornos wörtlich nehmen sollte, dass sie nämlich „so sehr aus einem Guß“ sei, „als spottete sie des analytischen Blicks“, dann müsste man sich eigentlich mit dem Bekenntnis des eigenen Entzückt-Seins von ihr zufriedengeben und sich mit der Feststellung begnügen, dass es sich bei diesem Lied um das in seiner kompositorischen Faktur komplexeste des ganzen Liederkreises handelt.

    Aber der „analytische Blick“ wird ja geradezu herausgefordert durch die spezifische klangliche Eigenart dieses Liedes, dieses „Aus-einem-Guss-Sein“, in dem es sich präsentiert und seine Hörer so tief zu beeindrucken vermag.
    Gründet das darin, so fragt man sich, dass die für das Opus 39 so typische und es zu einem singulären liedkompositorischen Werk machende Synthese der lyrischen Sprache Eichendorffs und der Liedsprache Schumanns einen ganz besonders hohen Grad an Vollkommenheit erreicht hat, - darin vergleichbar mit jenem anderen, der „Mondnacht“?
    Die sich im Akt der unmittelbaren Rezeption der Liedmusik einstellende Vermutung, dass dem so sein dürfte, bedarf freilich eines Nachweises. Und dieser erfordert sowohl ein Sich-Einlassen auf die Eigenart der lyrischen Sprache und ihre Metaphorik, als auch auf die spezifische Struktur der sie aufgreifenden Liedsprache.

    In der ersten Strophe konstituiert sich der typisch Eichendorffsche Raum aus Bewegung. Und es ist ein weiter: Wandervögel ziehen hoch überm Garten durch die Lüfte, und das „Unten“, in dem es schon zu blühen anfängt, verbleibt in Unbestimmtheit. Das gilt auch für das lyrische Ich, das sich in dieses Naturgeschehen einbezogen fühlt. Es sieht sich in seiner seelischen Befindlichkeit zwischen den Extremen „Lachen“ und „Weinen“ hin und her gerissen, und verbleibt dabei, das romantische „Ahnung und Gegenwart“ verkörpernd, im konjunktivischen „Als ob“. „Alte Wunder“ fühlt es mit dem „Mondesglanz“ hereinscheinen. Auch hier wieder eine Raum konstituierende Bewegung.

    Die dritte Strophe entfaltet in ihrer lyrischen Aussage eine besondere Eindringlichkeit. Und das hängt ganz wesentlich damit zusammen, dass Eichendorff drei Verse hintereinander mit der Konjunktion „und“ einsetzen lässt, die durch das trochäische Metrum auch noch eine besondere Akzentuierung erfährt. „Mond“, „Sterne“, der „Hain“ und die „Nachtigallen“, die den Raum um ihn herum konstituierenden naturhaften Dinge, beginnen zu sprechen.
    Ein in der Unbestimmtheit verbleibendes Sprechen bleibt das zunächst, es ist ein lyrisch-sprachlich mit dem apostrophierten Neutrum-S versehenes „Sagen“, ein „Rauschen“ und ein „Schlagen“. Aber – und hier zeigt sich die tiefe Verwandtschaft mit der „Mondnacht“ - für das seine Seele öffnende und mit der ihm umgebenden Natur Eins werdende lyrische Ich wird dieses Sprechen mit einem Mal vernehmlich: Dieses Eins-Werden wird auch zu einem mit dem geliebten Du.


    Nachtrag


    Ich muss mal wieder Adorno zitieren, - weil er auf eine Eigenart dieses Liedes hingewiesen hat, die mir, bei meinem Fixiert-Sein auf die Mikrostruktur des kompositorischen Satzes, mal wieder entgangen ist. Er hat eben den großen, das Ganze im Auge habenden, aber darin tiefdringenden Blick auf die Sache.
    Sein Kommentar zu diesem Lied lautet:
    „Das (…) Lied >Im Walde< wird erzeugt aus der anschlagenden Tonwiederholung des Horns und dem immer wiederkehrenden Gegensatz von Ritardando und a tempo, der übrigens der Darstellung außerordentliche Schwierigkeiten bereitet.“
    Das habe ich natürlich auch bemerkt, nicht aber dieses:
    „Schumanns Formsinn triumphiert darin, daß er, gleichsam um die retardierenden Momente auszugleichen, einen fast widerstandslos gleitenden und gerade dadurch höchst unheimlichen Abgesang schreibt, der doch stets den Hornrhythmus markiert bis in die beiden letzten Noten der Singstimme hinein.“


    In dieser Interpretation kann man das sehr schön hören. (Sie ist übrigens beeindruckend, aber ich bin mir nicht sicher, wie sie in ihrer höchst markanten deklamatorischen Wortbetontheit zu beurteilen ist.)


    „Im Walde“ (III)

    Mit den Worten „Nur von den Bergen noch rauschet der Wald“ tritt ein neuer Ton in die Liedmusik. Die melodische Linie lässt von der bogenförmigen Grundfigur ihrer Entfaltung ab und geht zu einer auf der tonalen Ebene eines „E“ in tiefer Lage verbleibenden deklamatorischen Tonrepetition über, von der sie sich nur zwei Mal erhebt: In Gestalt eines leicht gedehnten Quartsprungs bei „Bergen“ und eines ebenfalls gedehnten und in eine kleine Dehnung mündenden Quintsprungs auf dem Wort „Wald“. Auch das Klavier verharrt n partiell gedehnten Quinten, Quarten und Terzen in tiefer tonaler Lage, und die Harmonik beschränkt sich auf eine Rückung von der Tonika A-Dur zur Dominante E-Dur. Das alles wirkt wie eine einleitende Vorbereitung auf das, was die Melodik beim letzten, die zentrale lyrische Aussage beinhaltenden Vers zu sagen hat.

    Sie ist – und das natürlich zu Recht – für Schumann von solcher Bedeutung, dass er zum kompositorischen Mittel der Wiederholung greift und die damit ihm zur Verfügung stehende Möglichkeit nutzt, das semantische Potential der lyrischen Aussage voll auszuschöpfen. Zunächst lässt er die melodische Linie wieder in der Weise einsetzen, wie das durchweg in diesem Lied der Fall ist: Mit einer – nun allerdings nicht auftaktig eingeleiteten – deklamatorischen Tonrepetition. Danach geht sie bei dem Wort „schauert´s“ mit einem leicht gedehnten und ihm damit einen Akzent verleihenden Sextsprung zu einem Auf und Ab in oberer Mittellage über, um anschließend bei dem Wort „Herzensgrunde“ eine ausdrucksstarke, weil im Intervall einer Terz sich entfaltende, weit ausgreifende, nämlich vier Takte überspannende auf dem Höhepunkt sogar noch eine lange Dehnung aufweisende Bewegung zu beschreiben. Das Klavier begleitet sie dabei durchweg mit lang gehaltenen fünfstimmigen Akkorden und die Harmonik rückt zwei Mal von der Tonika A-Dur zur Dominante E-Dur.

    Hier, in der ersten Fassung, will die Liedmusik die tief reichende innere Bewegtheit des lyrischen Ichs durch die nächtlichen Erfahrungen zum Ausdruck bringen. Das aber ist nicht alles, was Schumann in dieser lyrischen Aussage vernommen hat. Da ist noch das Aussagepotential, das den Worten „mich schauert`s“ innewohnt. Dieses wird in der Liedmusik in der Wiederholung des Verses zum Ausdruck gebracht. Nun lässt die melodische Linie vom Gestus der einleitenden Tonrepetition ab und beschreibt stattdessen bei „mich schauert´s“ einen in eine lange Dehnung in hoher Lage übergehende und in mittlerer Lage ansetzende Kombination aus kleinem und großem Sekundanstieg.
    Sie ist, und das ist bemerkenswert, in Moll-Harmonik gebettet, ein h-Moll nämlich, und damit reflektiert die Liedmusik den das lyrische Ich in seiner existenziellen Befindlichkeit verstörenden Charakter dieser Erfahrungen. Danach ereignet sich eine wiederum ausdrucksstarke, weil in Gestalt von partiell gedehnten Tonrepetitionen auf sich langsam absenkender tonaler Ebene erfolgende und bei dem Wortteil „-grunde“ nach einer langen Dehnung auf einem „A“ in mittlerer Lage in einen regelrechten Absturz über eine ganze Oktave sich erstreckende Fallbewegung.

    Sie ist erst in einer Rückung von A-Dur nach E-Dur harmonisiert. Dann aber, bei eben diesem aus langer Dehnung hervorgehenden melodischen Sturz zu einem „A“ in tiefer Lage, ereignet sich eine Rückung vom vorangehenden E-Dur nach D-Dur, das schließlich am ohne mit einem Nachspiel versehenen Ende der melodischen Linie in die Tonika A-Dur übergeht.
    Das ist ein kirchentonartlicher Plagalschluss der Liedmusik. Und er will wohl in seiner klanglichen Nachdrücklichkeit als Ausdruck der existenziellen Relevanz dessen verstanden werden, was das lyrische Ich in seiner Begegnung mit der nächtlichen Wald-Welt an Erfahrungen gemacht hat.

    Nike Wagner in einem Interview mit der DW, anlässlich des 100. Geburtstages von Richard Wagner:


    Es gibt den Spruch: "Wenn man die Hitze nicht aushalten kann, sollte man aus der Küche raus." Nach den heftigen Reaktionen auf seine Inszenierungen muss er auch Angst bekommen haben, oder?

    Ja, die Ablehnung war extrem. Heute kommt es uns ganz altmodisch vor, was er verteidigen musste - immer ging es um den Begriff der "Werktreue". Mein Gott, heute redet kein Mensch mehr so. Aber damals waren die alten Gralshüter alle noch da: die Wagner-Vereine, Wagner-Gesellschaften, das Wagnerpublikum. Und dabei war er "werktreu"! Nur nicht dem Buchstaben, sondern dem Geist eines Werks nach. Durch alles Zeitbedingte hindurch wollte er immer zu einem Kern vordringen - zu einem "Archetypischen". Dieser Kern war dann paradoxerweise auch das, was ihm die moderne Neudeutung eines Werkes erlaubte. "Walhall ist Wall Street" sagte er einmal.

    „Im Walde“ (II)

    Schumann lässt auf alle fünf, die Verse der der ersten und den Anfangsvers der zweiten Strophe beinhaltenden Melodiezeilen ein Klaviernachspiel folgen, das einen sich von zwei bis zu vier Takten erstreckenden Umfang aufweist und als Kommentar zu dem verstanden wissen will, was die melodische Linie jeweils zu sagen hat. Seine Anlage verrät es. Denn das Klavier verlässt hier seinen auf der tonalen Ebene verbleibenden Gestus der Akkordrepetition, von dem es sich in der Begleitung der melodischen Linie leiten lässt, und übernimmt deren Grundstruktur der aus Repetitionen hervorgehenden bogenförmigen Erhebung und Senkung. Dabei setzt es allerdings dann vielsagende Akzente und nutzt dabei auch das klangliche Aussage-Potential der Harmonik.

    Beispielhaft soll das bei den beiden ersten Melodiezeilen der beiden Strophen aufgezeigt werden. Bei den Worten „Es zog eine Hochzeit den Berg entlang“ beschreibt die melodische Linie eine Tonrepetition auf einem „A“ in mittlerer Lage, geht bei dem Wort „Hochzeit“ in einen durch einen Sechzehntel-Schritt geprägten Sekundanstieg über und senkt sich nach einem weiteren Sekundschritt über zwei fallend angelegte Sekundschritte zu jenem „A“ ab, von der sie ausging, um dort nach einer neuerlichen Tonrepetition in einer kleinen Dehnung auf der Silbe „-lang“ zu enden. Das Klavier begleitet das mit repetierenden dreistimmigen Akkorden im Diskant und ebenfalls repetierenden Vierteln und Achteln im Bass.

    Die Aussage der melodischen Linie kommentiert es danach in einem vier Takte einnehmenden Zwischenspiel dergestalt, dass es, zu dem Original-Tempo zurückkehrend, eine Figur erklingen lässt, bei der auf zunächst repetierende und dann ansteigende Terzen ein mit einem Sprung in oberer Mittellage einsetzender in einen langsam sich absenkender Fall von bitonalen Akkorden nachfolgt. Diese Figur wirkt in ihrer Grundstruktur wie eine Metamorphose der vorangehenden melodischen Bewegung, und zwar deshalb, weil der Bogen, den sie beschreibt, viel weiter nach oben ausgreift, kein Ritardando in sie tritt und die Harmonik nun nicht in A-Dur verharrt, sondern eine Rückung von anfänglichem Fis-Dur über H-Dur und E-Dur zur Tonika A-Dur beschreibt.

    Die geradezu heiter anmutende Beschwingtheit, die von dieser Figur ausgeht, fügt, so kann man sie auffassen, der gleichsam verhaltenen Art und Weise, wie die melodische Linie das lyrische Bild von der Hochzeit zum Ausdruck bringt, den Kommentar hinzu, dass es sich dabei doch eigentlich um ein erfreuliches Bild handelt. Und so geschieht das gleich anschließend noch einmal, denn bei dem Bild von den „schlagenden Vögeln“ ist die melodische Bewegung bis auf den Legato-Achtel-Sekundanstieg auf „Vögel“ die gleiche, und so lässt denn das Klavier diese Figur unverändert noch einmal erklingen.

    In der zweiten Strophe ist das lyrische Ich auf sich selbst zurückgeworfen und lässt nun, so wie Schumann Eichendorff gelesen hat, in seine Aussagen die mit den Außenwelterfahrungen einhergehenden eigenen Emotionen unmittelbar einfließen, dies allerdings unter Beibehaltung des sprachlich deskriptiv-berichtenden Gestus. Das hat zur Folge, dass die melodische Linie bei den Worten „Und eh ich´s gedacht, war alles verhallt“ zwar die Grundstruktur ihrer Bewegung beibehält, aber in viel stärker Weise in den Gestus der deklamatorischen Tonrepetition verfällt und deshalb die Bogenbewegung nur noch über das Intervall einer Terz ausführen kann. Und dies auch noch auf einer um eine Terz abgesenkten tonalen Ebene und in klanglich dunkel anmutender Fis-Dur-Harmonisierung.

    Dementsprechend fällt nun auch der Kommentar im – wiederum viertaktigen – Nach- und Zwischenspiel anders aus. Zwar wieder eine anfängliche Terzen-Repetition mit nachfolgender, über einen Sprung eingeleiteter Fallbewegung. Nun ist sie aber in gis-Moll mit kurzen Zwischenrückungen nach Dis-Dur harmonisiert, der Sprung erfolgt nicht mehr über ein so großes Intervall und der Fall beschränkt sich auf drei akkordisch ausgeführte Sekundschritte, denen eine lange, nämlich siebenfache Repetition von Terzen in tiefer Lage nachfolgt. Das mutet an, als wolle das Klavier in die düstere Sicht der Dinge einstimmen, wie sie die melodische Linie zum Ausdruck bringt.