Noch einmal: „Der Gärtner“
Noch ein anderer von den Großen hat Mörikes Gedicht vertont: Hugo Wolf. Eine Besprechung seines Liedes findet sich hier: Hugo Wolf und Eduard Mörike
Und hier ist das Lied zu hören:
Dietrich Fischer-Dieskau fügte seinem nur einen Satz umfassenden Kommentar zu Schumanns Lied „Der Gärtner“ diese Bemerkung hinzu:
„Wolf scheint durch Ende und Nachspiel dieses Liedes bei der eigenen Vertonung des Textes stark beeinflußt. Daß er auch en Galopprhythmus der punktierten Triolen von Schumann übernahm, verhinderte nicht, daß er ein ungleich treffsichereres Lied formte.“ (in seinem Schumann-Buch, S.187)
Was aber meinte er mit dem Komparativ „treffsicherer“? Die lyrische Aussage, das, was Mörike zu poetisch zu sagen hat und die Art und Weise, wie dies lyrisch-sprachlich geschieht, kann doch nicht gemeint sein. Das liedkompositorisch zu erfassen ist, wie in der analytischen Betrachtung doch wohl aufgezeigt und nachgewiesen ist, Schumann auf vollkommene Weise gelungen. Was aber gibt es noch, das Wolf „sicherer“ als Schumann getroffen haben könnte? Der Publikumsgeschmack kann es doch ganz sicher nicht sein, der hat weder Schumann noch Hugo Wolf interessiert.
Ich setze mal an einer Erfahrung an, die viele Liebhaber des Kunstliedes kennen: Man liest einen lyrischen Text, und automatisch stellt sich eine bestimmte Liedmusik ein. Und das ereignet sich auch - jedenfalls bei mir - im Fall dieses Mörike-Gedichts. Ich höre beim Lesen automatisch die Wolf-Melodik. Sie hat sich mir so eingeprägt, dass ich sie ohne Notenvorlage singen kann. Und in dieser Erfahrung ist wohl die Antwort zu finden, was Hugo Wolf besser getroffen hat als Schumann. Melodik und lyrische Sprache sind eine innige Verbindung eingegangen, sind auf vollkommene Weise miteinander verschmolzen, so dass man das Gefühl hat, die lyrische Sprache hat die Melodik aus sich hervorbracht, hat sie geboren.
Man könnte also, an Fischer-Dieskaus Wort „treffsicherer“ ansetzend sagen: Besser als Robert Schumann ist es Hugo Wolf gelungen, in einer ihr Melos auf vollkommen gebundene und in sich stimmige Weise entfaltenden Melodik musikalisch den Geist einzufangen und zu erfassen, der Mörikes Lyrik innewohnt: Es ist der einer Begegnung eines lyrischen Ich mit einem es bezaubernden und seelisch beflügelnden Prinzessinnen-Traumgesicht.
Anders als Robert Schumann setzt Hugo Wolf nicht silbengetreu-deklamatorisch am einzelnen Vers an, vielmehr, und dies in einem radikal melodischen Ansatz, am zentralen lyrischen Bild. Und das ist ja doch ein höchst erstaunlicher Sachverhalt, denn es müsste ja eigentlich genau umgekehrt sein. Vielsagend ist: Hier, leistet sich der ansonsten so sehr auf syllabisch exakte Deklamation achtende Hugo Wolf zwei „Fehler“ im Skandieren: Bei dem Wort „Leibrößlein“ trägt die Silbe „-röß“ einen Ton (er müsste eigentlich auf „Leib-„ sitzen), und auch das Wort „durch“ im vierten Vers der ersten Strophe wird durch einen tonalen Akzent zu stark hervorgehoben.
Die in schöner Kantabilität dahinfließende melodische Linie fordert ihr eigenes Recht. Und das darf sie, denn sie reflektiert auf vollkommene Weise die Beglückung, die sich beim lyrischen Ich im Augenblick des Sich-Hingebens an seine Wunschträume einstellt. Wolf folgt in der Struktur der melodischen Linie ja eigentlich der Metrik der Mörike-Verse. Dort tragen, wenn man metrisch korrekt skandiert, die Silbe („Leib“-) –„röss-„ („lein“) und das Wort „durch“ nämlich einen Ton. Hört man sich die melodische Linie der Singstimme unter diesem Aspekt an, dann liegt die These nahe, dass die klangliche Faszination, die von ihr ausgeht, in eben diesem Sich-Anschmiegen an die metrischen Akzente der Sprachmelodie gründet.
Korrekte Deklamation war ein ehernes Grundprinzip der Wagnerianer. Hugo Wolf, der sich immer wieder leidenschaftlich als solcher bekannte, zeigt in seiner Liedkomposition aber nicht nur hier, sondern auch in vielen anderen Fällen, dass er durchaus kompositorische Eigenständigkeit zu wahren wusste. Dies hier in der Weise, dass ihm die Ungebrochenheit der Melodik und die Beibehaltung des tänzerischen Grundrhythmus´ des Liedes so wichtig war, dass er die Korrektheit der Deklamation guten Gewissens zu opfern vermochte.
Eine Anmerkung noch:
Auf Hugo Wolfs Vertonung dieser Mörike Verse wurde deshalb hier kurz eingegangen, weil es in diesem Thread um das Erfassen der Wesensmerkmale von Schumanns später Liedsprache geht. In ihrer Ausrichtung auf das musikalische Erfassen der lyrischen Aussage in ihren affektiven Dimensionen, die kompositorische Interpretation derselben also, kommt der Melodik eine wichtige und klar definierte Funktion zu, dies aber immer im Zusammenhang mit dem Klaviersatz. Und Schumann war in der Hochzeit seines liedmusikalischen Schaffens selbstverständlich in der Lage, Melodik so einzusetzen wie Hugo Wolf dies hier tut.
Es fällt aber auf, dass er dies in der sich anschließenden liedkompositorischen Phase mehr und mehr meidet und der wortbezogen deklamatorische Gestus in den Vordergrund rückt. Und hier, bei diesem Lied „Der Gärtner“ zeigt sich auch einer der Gründe dafür. Es ist, wie sich in der Besprechung gezeigt haben dürfte, sein spezifisches Verständnis des lyrischen Ichs. Und in dieses, so kann man vermuten, floss wiederum seine eigene existenzielle Daseinsbefindlichkeit zur Zeit der Entstehung des Liedes ein.
Es wird sich im weiteren Verlauf des Threads herausstellen, dass dies ein Sachverhalt ist, dem hinsichtlich der spezifischen Eigenart von Schumanns später Liedsprache eine maßgeblich prägende Funktion zukommt.