Diese Liedkomposition kann man durchaus als eine Art „Beleg“ dafür nehmen, dass Mendelssohn der inneren Gebrochenheit von Heines Lyrik, die sich etwa in seiner spezifischen Ironie oder der schroff- kontrastiven Metaphorik sprachlich-lyrisch niedergeschlagen hat, ausgewichen ist. Sie muss ihm nicht geheuer gewesen sein, - ganz so wie auch seiner Schwester Fanny. Bei ihr wurde das im zugehörigen Thread am Beispiel von „Warum sind denn die Rosen so blass“ aufgezeigt.
Schon die Eingriffe in den lyrischen Text lassen dies im Falle dieses Liedes, das 1837 entstand und unter den Titeln „Im Kahn“, „Wasserfahrt“ und „Auf dem Wasser“ publiziert wurde, erkennen. Daneben macht das natürlich auch der musikalische „Grundton“ des Liedes, den man generell als idyllisch-heiter, ja lieblich umschreiben kann, recht deutlich. Die Eingriffe Mendelssohns in Heines Text sind aus dem jeweils am Versende angegebenen Orignalwortlaut ersichtlich.
Mein Liebchen, wir saßen zusammen, (Heine: „beisammen“)
So traulich im leichten Kahn; (Heine.: „Traulich im leichten…“)
Die Nacht war still, und wir schwammen
Auf weiter Wasserbahn.
Die Geisterinsel, die schöne,
Lag dämmernd im Mondenglanz; (Heine: „dämmrig“)
Dort klangen liebe Töne,
Dort wogte der Nebeltanz.
Dort klang es lieb und lieber,
Es ward uns wohl und weh; (Heine: „Und wogt es hin und her“)
Wir schwammen leise vorüber (Heine: „schwammen vorüber“)
Allein auf weitem See. (Heine: „Trostlos auf weitem Meer“)
Es handelt sich um eine Strophenlied-Komposition. Allein schon dieses kompositorische Konzept macht ein adäquates musikalisches Aufgreifen der kontrastiven Divergenz der lyrischen Bilder Heines unmöglich. Mendelssohn musste also in den Text eingreifen, um eben diesen Eindruck einer Inadäquatheit von lyrischem Text und Musik zu vermeiden.
Das Klaviervorspiel aus aufsteigenden und wieder fallenden Klangfiguren aus akkordisch aufgelösten Achteln suggeriert zauberische Atmosphäre. Es klingt jeweils zwischen den Strophen wieder auf und verbindet damit diese in einer Art musikalischem Rahmen, der zugleich ein Fundament ist. Auch im Nachspiel ist es noch einmal zu hören.
Die melodische Linie mutet schlicht, fast volksliedhaft einfach an. Von daher wirkt sie, eben weil ihr klanglicher Grundcharakter idyllisch ist, der Untergründigkeit von Heines Metaphorik in elementarer Weise unangemessen. Sie setzt mit einem lyrischen Bogen auf „wir saßen zusammen“ ein und verbleibt beim zweiten Vers weitgehend auf einer Tonhöhe in mittlerer Lage. Bei dritten Vers der ersten Strophe steigt sie in kleinen Schritten an, erreicht bei dem Wort „schwammen“ einen ersten Höhepunkt, steigt aber danach bei den ersten Silben des vierten Verses („auf weiter…) in Form von kleinen Sekunden noch ein wenig höher.
Dieser vierte Vers wird dann auf einer fallenden, in die Tonika mündenden melodischen Linie wiederholt. Das Wort „weiter“ wird hierbei zweimal deklamiert, beim zweiten Mal, ebenso wie bei dem Wort „Wasserbahn“ mit einem kleinen Melisma versehen.
Mendelssohn hat sich bei diesem Lied ganz unüberhörbar von der situativen Idyllik der lyrischen Bilder inspirieren lassen. Die Dimension des lyrischen Ichs wurde dabei ausgeklammert. Wenn sich dieses bei Heine artikuliert und damit die innere existenzielle Verlorenheit der deskriptiven Idyllik auf fast schroffe Weise gegenübertritt, blendet Mendelssohn diese ganz bewusst durch radikale Eingriffe in den lyrischen Text aus.
Bemerkenswert ist ja schon, dass er Heines Wort „beisammen“ durch „zusammen“ ersetzt, obwohl dies unter syllabischem Aspekt gar nicht nötig gewesen wäre. Er will ganz offensichtlich dort trauliche Zweisamkeit und Gemeinsamkeit, wo Heine im Wissen um die existenzielle Vereinsamung des lyrischen Ichs ganz bewusst ein räumliches Nebeneinander („beisammen“) sprachlich artikuliert, das kein inneres „Zusammensein“ beinhaltet.