Beiträge von Helmut Hofmann

    Zit.: "Das wurde da als Klassisches Konzert verkauft."


    Was von der Musikindustrie als "klassische Musik" verkauft wird, sollte und muss uns doch eigentlich hier nicht interessieren. Hinter einer solchen Haltung steckt kein elitärer Hochmut, sondern ganz nüchternes Sachinteresse.

    Warum Du Steve Reich in unsere Überlegungen zum Wesen der sog. "E-Musik" einbezogen wissen möchtest, lieber Klaus, das kann ich noch verstehen. Immerhin handelt es sich hier um "ernste" Musik, das heißt um solche, hinter der eine künstlerisch-musikalische Aussageabsicht steht, die immerhin u.a. von Strawinsky und Webern beeinflusst ist.


    Bei "Filmmusik" will mir das aber überhaupt nicht einleuchten. Hierbei handelt es sich um eine funktional gebundene und von dieser Bindung strukturierte "Gebrauchsmusk", - eine ganz eigene Kategorie also, von der ich meine, dass wir sie hier außen vor lassen sollten.


    Vielleicht sollten wir uns das diskursive Leben hier nicht unnötig schwer machen, - jetzt, wo es dank der nun wirklich einmal "moderierenden" Eingriffe kurzstueckmeisters wieder ernsthafte Konturen angenommen hat.


    Ohnehin meine ich, dass wir den Schwerpunkt auf die Wesensbestimmung von dem legen sollten, was wir hier im Forum unter "E-Musik" oder meinetwegen auch "Klassischer Musik" (siehe oben!) verstehen möchten. Die sog. "U-Musik" könnte dabei die Funktion eines gleichsam alternativen Rasters einnehmen. Damit meine ich: Wenn man von ihr - und ihrem Wesen - aus, auf die "Klassische" oder "E-Musik" blickt, könnte man deren ganz spezifische und kategoriale Eigenart vielleicht noch leichter und besser erfassen.

    Ich weiß auch nicht, warum mich das Verhältnis von Felix und Fanny Mendelssohn (-Hensel) zu Heinrich Heine immer wieder erneut beschäftigt, - ja in Bann schlägt. Auch im Thread „Fanny Mendelssohn-Hensel“ bin ich ja schon mehrfach darauf eingegangen. Es ist eine wirklich interessante und reizvolle, weil das Thema Rezeption von Lyrik in der Liedkomposition ganz unmittelbar betreffende Angelegenheit.


    Da liegt der Fall eines – wie mir scheint – singulären Zusammentreffens von Anziehung und Abstoßung zugleich vor. Heine schlägt mit seiner dichterischen Sprache den lyrisch empfänglichen Musiker (bzw. die Musikerin) in Bann, - der Mensch in ihm (ihr) will ihr aber nicht wirklich bedingungslos und uneingeschränkt folgen. Also wird bei der Liedkomposition in diese Sprache radikal eingegriffen, oder es werden sogar wesentliche Bestandteile von ihr einfach ignoriert.


    Das wurde schon mehrfach bei Liedern von Fanny und Felix Mendelssohn aufgezeigt. Hier nun noch einmal ein besonders eindrucksvolles Beispiel. Es betrifft das Lied „Wenn der Frühling kommt“ von Fanny Hensel. An sich sollte ich das in dem ihr zugehörigen Thread besprechen, aber ich möchte mich gar nicht so sehr auf den musikalischen Aspekt einlassen, sondern auf den Aspekt „Umgang der Mendelssohns mit der Lyrik Heines“. Also gehört das hierher.


    Heines Gedicht „Wahrhaftig“ (Nr.20 aus dem Zyklus „Neue Leiden“) lautet so:


    Wenn der Frühling kommt mit dem Sonnenschein,
    Dann knospen und blühen die Blümlein auf;
    Wenn der Mond beginnt seinen Strahlenlauf,
    Dann schwimmen die Sternlein hintendrein;
    Wenn der Sänger zwei süße Äuglein sieht,
    Dann quellen ihm Lieder aus tiefem Gemüt; -
    Doch Lieder und Mondglanz und Sonnenschein,
    Wie sehr das Zeug auch gefällt,
    So machts doch noch lang keine Welt.


    Daraus macht Fanny Hensel ein Lied, dem sie folgende Montage aus diesen Heine-Versen zugrundelegt:


    Wenn der Frühling kommt mit dem Sonnenschein,
    so knospen und blühen die Blümelein auf;
    Wenn der Mond beginnt seinen Strahlenlauf
    So schwimmen die Sternlein hinterdrein.
    (Diese Verse werden wiederholt)
    Wenn der Sänger zwei süße Äuglein sieht,
    Dann quellen ihm Lieder aus tiefem Gemüt;
    Wenn der Frühling kommt mit dem Sonnenschein,
    Wenn der Mond beginnt seinen Strahlenlauf,
    Wenn der Sänger zwei süße Äuglein sieht
    So quellen ihm Lieder aus tiefem Gemüt.


    Doch Lieder und Sterne und Blümelein
    Und Äuglein und Mondglanz und Sonnenschein
    Sind alle nur tändelnder Scherz
    Und meine Welt ist dein liebendes Herz.


    Der schroffe, bewusst desillusionierende und als Denkimpuls von Heine eingesetzte Schluss seines Gedichts wird von Fanny Hensel nicht nur einfach weggelassen. Sie formuliert sich einen neuen zurecht, der die lyrische Aussage des Gedichts von Heine regelrecht verfälscht, ja pervertiert.


    Das ist hier also ein ähnlicher – eigentlich gewaltsamer! - liedkompositorischer Umgang mit Heines Lyrik, wie er bei ihrem Bruder Felix bei Heines Gedicht „Meerfahrt“ zu beobachten ist: Der Einbruch der existenziellen Einsamkeit des lyrischen Ichs in die Idyllik der lyrischen Bilder einer „Meerfahrt“ an der Seite der Geliebten will Felix Mendelssohn genauso wenig liedkompositorisch akzeptieren wie seine Schwester den Einbruch der dichterisch-selbstkritischen Reflexion in die Abfolge idyllischer Frühlingsbilder.


    Und was geschieht? Beide schaffen sich ihren eigenen, ungebrochen idyllischen Heinrich Heine.

    Du meinst, lieber Klaus: "Vielleicht ist doch der Begriff Kunstmusik hilfreicher, Musik, die mit dem Willen geschaffen wurde, Kunst zu sein,..."


    Aber ja doch. Das hatte ich ja oben auch schon einmal vorgeschlagen: "Kunstmusik" im Sinne von "künstlerisch relevanter Musik". Einer Musik also, hinter der eine in der Faktur erkenn- und erfassbare künstlerische Aussage steckt.


    Ich bin hier nur davor zurückgeschreckt, weil ich - wie noch zu besichtigen - dafür vier Lachmäuler aus der Auswahl von Smileys unten geerntet habe.


    Eben sehe ich den Einwand von hami1799: Er ist ernst zu nehmen.

    Kurzstueckmeister zitiert kommentarlos aus einem Beitrag von Klaus 2:
    Und man sieht an der Diskussion, dass es dort auch überhaupt nicht funktioniert hat.
    Also: Weiterüberlegen!“

    Ich verstehe das als eine Aufforderung, an diesem für den Thread zentral wichtigen Aspekt weiterzuarbeiten. Vielleicht ist es wirklich zunächst einmal von Bedeutung, dass wir uns über die der Diskussion zugrundgelegten Begriffe einigen.


    Ich hatte „E-Musik“ vorgeschlagen, - in Abgrenzung von „U-Musik“. Und dieser Begriff auch ja nun auch in der Formulierung für den – von kurzstueckmeister freundlicherweise eingerichteten (Dank dafür!) – neuen-alten Thread auf.


    Er scheint mir der inhaltlich neutralste zu sein, obgleich den Einwand von Klaus 2 weiter oben sehr wohl zur Kenntnis genommen habe (da ich hier alles noch einmal durchgegangen bin):
    Mir fällt auf Anhieb von Brahms die Festouvertüre ein. Das ist doch nie als ernsthafte Musik gedacht gewesen. Das war ein Scherz!
    Und die Stücke für Flötenuhr von Beethoven, da gibt es doch Schlager, die irgendwie ernsthafter sind. Ne, ne, so geht es erst recht nicht“

    Ich meine, dass er keinen wirklichen Einwand gegen die Verwendung des Begriffes „E-Musik“ darstellt. Denn der Aspekt des Verwendungszweckes eines musikalischen Werkes, wie er vom Komponisten intendiert wurde, sagt noch nichts über die kompositorische Qualität desselben aus.


    Der Begriff „Klassik“ ist in seinem Gehalt historisch zu verstehen, und er ist somit auch gleichsam „historisch belastet“. Im Grunde leitet er sich aus der römischen Antike her, und Cicero hat diesbezüglich maßstabgebend und prägend gewirkt. Es steckt ein normatives Element in diesem Begriff, - im Sinne von Vorbildlichkeit und Vollendetheit. Im Anschluss an die Diskussion, die von Winckelmann Mitte des achtzehnten Jahrhunderts ausgelöst wurde, hat dann Hegel den zusätzlichen inhaltlich-normativen Akzent gesetzt, indem er den Begriff „klassisch“ definiert als das, „was die wahrhafte Kunst ihrem Begriff nach ist“.


    Im Grunde orientiert sich der Begriff „Klassische Musik“ an diesem normativen Aspekt, wie er sich historisch entwickelt hat. Man versteht also – gleichsam umgangssprachlich – darunter „Kunstmusik“ (also Werke, die aus einem künstlerisch-kompositorischen Akt hervorgingen), die in ihrer jeweiligen gattungsmäßigen Differenzierung dem Anspruch des Maßstabggebenden und in sich Vollendeten gerecht zu werden vermögen.


    In diesem Sinne könnten wir den Begriff „Klassische Musik“ zur Grundlage unserer Diskussion machen. Das Problem dabei ist freilich ein Aspekt, auf den H.-G- Gadamer aufmerksam gemacht hat, wenn er darauf hinweist, „daß alle normative Bedeutung der Vergangenheit schließlich von der souverän gewordenen historischen Vernunft zersetzt wird.“.


    Mir scheint also, dass der Begriff „E-Musik“ für unsere Diskussion besser geeignet ist. Das Problem wird freilich sein, ihn – wenigstens ansatzweise – inhaltlich zu definieren.

    Kein Grund für ein "Tschuldigung", lieber s.bummer. Du nimmst - wie das leider so oft hier im Forum geschieht - etwas persönlich, was so gar nicht gemeint war. Ich wollte anhand eines Eingehens auf Deinen Beitrag nur auf die Problematik der Frage aufmerksam machen, die mich hier umtreibt. Umtreibt deshalb, weil der Thread sie für mich aufgeworfen hat.


    Es ist die - wahrscheinlich von den großen Tamino-Experten als "naiv" eingestufte - Frage nach den konstitutiven Merkmalen der Musik, die hier als "klassische" bezeichnet und in dem damit einhergehenden inhaltlich-substantiellen Kontext sogar in den Titel des ganzen Forums aufgenommen wurde.


    Nun dachte ich, - in meiner Naivität: Stell dir - und damit auch den anderen Taminoanern hier - doch mal die schlichte Frage: Was definiert eigentlich klassische Musik substantiell und strukturell als solche in der Weise, dass sie begrifflich von allen anderen Formen von Musik - also zum Beispiel U-Musik im weitesten Sinne - zu unterscheiden ist.


    Hierbei, und das deute ich jetzt schon mal an, liegt eines der speziellen Probleme in der inhaltlichen Definition der verwendeten Begriffe. "Klassische Musik" ist im Grunde ein höchst unscharfer Begriff, weil er auf den Begriff "Klassik" rekurriert, der kultur-, musik-, kunst-, und literaturgeschichtlich auf eine bestimmte historische Epoche eingegrenzt ist. Ich würde aus diesem Grund für die Verwendung des Begriffs-Kürzels "E-Musik" im Sinne von "künstlerisch relevante Musik" plädieren. Denn darin, in dieser kompositorisch-künstlerischen Relevanz, scheint mir der zentrale Ansatzpunkt für das zu liegen, worum es mir in meiner Fragestellung geht.


    Übrigens: Dein Rekurs auf Franz Kafka erfreut einen Menschen wie mich (wenn ich mir diese persönliche Bemerkung erlauben darf).

    Im Unterschied zu seiner Schwester Fanny, die, wie aus den schriftlichen Quellen hervorgeht, Heinrich Heine als Menschen wohl nicht so recht mochte, als Lyriker aber überaus schätzte (wie ihm zugehörigen Thread nachzulesen ist), konnte ich bei Felix Mendelssohn bis jetzt kein schriftliches Quellenzeugnis finden, das Auskunft darüber gibt, wie er auf der menschlichen Ebene zu Heinrich Heine stand. Was die politische Einstellung anbelangt, gibt es aber sehr wohl eindeutige Äußerungen.


    Was Felix Mendelssohn, einem recht konservativ eingestellten Menschen, wohl nicht so ganz geheuer gewesen sein muss, das war die „liberale“, sogar in einer gewissen Nähe zum „Revolutionären“ stehende Grundhaltung Heines. Während seines Aufenthaltes in dem revolutionär brodelnden Paris von 1830 fand Mendelssohn keinen so rechten Anschluss an andere deutsche Emigranten. Das galt auch für die Anhänger des „Jungen Deutschland“ Ludwig Börne und Heinrich Heine.


    Diesbezüglich findet sich in einem Brief Mendelssohns die Bemerkung: „Dr. Börne, der mir mit seinen langsamen Impromptus, feinen abgequälten Einfällen, seiner Wuth auf Deutschland und seinen französischen Freiheitsphrasen ebenso zuwider ist, wie Dr. Heine mit allen ditos.“

    Über seinen Freund Hermann Franck stellt er ein wenig verärgert fest: „Er ist sehr viel mit Heine und schimpft auf Deutschland wie ein Rohrsperling.“

    Die politisch-reflektierte und in diesem Zusammenhang äußerst kritische Grundhaltung Heinrich Heines, insbesondere den Verhältnissen in Deutschland gegenüber, muss Felix Mendelssohn zutiefst bedenklich erschienen sein. Heine war ihm von daher wohl nicht ganz geheuer. Gleichwohl fühlte er sich, wie auch seine Schwester, von dessen Lyrik ganz unmittelbar angesprochen und zur Liedkomposition motiviert.

    Wenn ich bei s.bummer lese:
    (Zit.)"Ich habe eigentlich meist keine Schwierigkeit die Genre Klassik, Jazz, Rock, Pop, Folk und Schlager und und und voneinander hinreichend zu trennen. Das trifft auf mehr als 80% aller Fälle zu. Meist mache ich es an der Instrumentierung fest und daran, ..."
    ...so freut mich das zwar für ihn, jedoch scheint mir in dieser Feststellung keine Antwort auf die (von mir aufgeworfene) zentrale Frage zu liegen. Nach welchen Kriterien wird denn "getrennt"? Die Instrumentierung ist dafür kein hinreichendes Kriterium. Viele Formen der sog. "Unterhaltungsmusik" unterscheiden sich in der Instrumentierung nicht grundsätzlich von der klassischen oder "E-Musik".

    Zit:" in dieser Situation war ich, vor allem in meiner Jugend, schon sehr häufig."


    Das, lieber hami1799, war auch das hinter meinem Anliegen stehende, tiefere Motiv bei mir selbst. Ich wollte es nur nicht anführen, weil ich die persönliche Dimension aus meinen Beiträgen hier im Forum möglichst herauszuhalten versuche. Diese Situation, die ich an dem fiktiven Beispiel von "Puppchen, du bist mein Augenstern" hier darstellte, ist mir im realen Leben mehrfach begegnet. Das "Anliegen", um das es dabei geht, empfindet man dann ganz unmittelbar in seiner großen Relevanz.


    Eben lese ich ín der Entgegnung von Wolfram auf meine letzten Beiträge: "Wenn jemand sagt, "Puppchen, du bist mein Augenstern" sei große Kunst, dann weiß ich nicht, was man ihm entgegenhalten könnte. Vielleicht müsste man dann erstmal eine Einigung darüber herstellen, was "große Kunst" denn sein soll."


    So ist es! Um diese Einigung über das, was "große musikalische Kunst" in ihrem Wesen ausmacht - und es zu einer solchen macht! - geht es mir ja doch!

    An sich meinte ich, zum Thema „Liedkunst Tomascheks“ das aus meiner Sicht wesentliche gesagt zu haben, Nun aber stieß ich in der FAZ vom 21. April auf eine Kritik der Aufnahme der Tomaschek-Lieder, die Gegenstand dieses Threads ist. Ich gebe sie hier einmal in ihren wesentlichen Passagen wieder, weil sie mir diskussionswürdig erscheint. Einerseits wird die Interpretation selbst gelobt, andererseits aber an Tomascheks Liedern reichlich Kritik geübt.


    Die Verfasserin Christiane Tewinkel meint:
    Wer heute diese Tomaschek-Lieder hört, versteht wiederum schnell, dass diese Musik Goethe ansprechen musste. Denn so vornehm Ildikó Raimondi auch intoniert, so ernst Leopold Hager sie dabei begleitet, nie in Versuchung geratend, diese Kompositionsart vorzuführen: Wo Tomaschek sich nicht ins Idiom der Oper flüchtet, da erscheint er über weite Strecken als Ahnvater des an Musikhochschulen unterrichteten Faches >schulpraktisches Klavierspiel< in seiner einfachsten Ausprägung: hie und da darf das Instrument aufmucken, es bleibt der Stimme aber ganz zu Diensten.“

    Zuweilen komme es allerdings durchaus „zu Tempo und Akkordbrechungen“ so etwa in „Rastlose Liebe“. Hervorgehoben werden die Mignon-Vertonungen. Sie seien „im Vergleich mit den anderen außergewöhnlich empfindsam gestaltet“. Sehr kritisch sieht sie Vertonung von „Und frische Nahrung, neues Blut“. Tomaschek kleide das Gedicht in eine Art „Ausflugsmusik, die eher nach Frühtau und Berg klingt als nach der Selbstfindung eines Dichters, der über Vergangenheit und Zukunft nachsinnt.“

    "Beim „Veilchen“ scheint Tomaschek ganz besonders intensiv an Mozart gedacht zu haben, und der „Erlkönig“ wirkt, als habe er sich bereits nach Schuberts Vertonung erkundigen können, so sehr erinnert der Duktus der Ballade, zumal die säuselnden Pianissimo-Einwürfe an dessen Komposition von 1815. Es nimmt nicht wunder, dass die zurückhaltende Vertonung des kleinen Merkspruchs „Sorge“ zu den besonders geglückten Lied-Werken aus seiner Hand zählen darf.“


    Nun finde ich es einerseits lobenswert, dass in der FAZ auf die Existenz dieser CD hingewiesen wird, handelt es sich doch hierbei um eine äußerst verdienstvolle Edition, die erstmals einen größere Anzahl von Tomaschek-Liedern einem breiten Publikum zugänglich macht.


    Ich hätte mir aber eine etwas differenziertere Kritik gewünscht. Sie ist mir, zum Beispiel was den „Erlkönig“ anbelangt, teilweise etwas zu plakativ. Es gelingt Tomaschek in diesem Lied nämlich durchaus, den narrativen Kern der Ballade und die unterschiedlichen Sprechhaltungen der Protagonisten in angemessener Weise musikalisch einzufangen. Dass „Mignons Sehnsucht“ ein durchaus gelungenes und dem Gedicht Goethes auf seine Weise gerecht werdendes Lied ist, meine ich aufgezeigt zu haben. Vielleicht aber sollte man sich doch noch einmal ein wenig näher auf die Liedkunst Tomascheks einlassen.

    Zunächst einmal: Ich verfolge hier keine "polemischen Absichten". Ich habe ein Anliegen geäußert, von dem ich glaube, dass es ein durchaus berechtigtes ist und dass es darüber einiges zu sagen gibt.


    Es geht mir nicht darum, die Vielfalt der klassischen Musik in eine Definitiion zu zwingen. Vielmehr möchte ich einfach wissen, was klassische Musik - oder allgemein die "E-Musik" - in ihrem Wesen ist, so dass sie von der sog. "U-Musik" begrifflich abgegrenzt und unterschieden wird. Nicht die "Definition" im streng begrifflichen Sinne ist also mein Anliegen, sondern die Bestimmung der substantiellen und strukturellen Merkmale klassischer Musik, wie sie für diese konstutiv sind. Meine Reklamation von "Präzision" bezog sich auf die begriffliche Bestimmung und Eingrenzung dieses Wesenskerns.


    Was sage ich denn einem Menschen, der für den Schlager "Puppchen, du bist mein Augenstern" schwärmt und nicht verstehen kann, dass es, wie ich ihm im Gespräch erklärt habe, sich dabei nicht um große musikalische Kunst handelt, sondern um "Unterhaltungsmusik", während das zum Beispiel bei dem Schumann-Lied "Lieb Liebchen, leg´s Händchen aufs Herze mein" ganz anders ist? Verfolgt dieser Mensch, wenn er darauf beharrt, ich möge ihm doch mal den Wesensunterschied zwischen der von mir gehörten "schweren Musik" (wie er das nennt) und seiner "unterhaltungsmusik" erklären, nicht ein berechtigtes Anliegen? Bin ich ihm nicht eine Antwort schuldig?

    Zit. Johannes Roehl: "Man kann nicht alles so präzise haben, wie man es gerne hätte. Solche Pseudo-Genauigkeit führt zu keinen tieferen Verständnis."


    Zit Wolfram: "Sehr richtig!"


    Darf ich Zweifel anmelden? Es geht nicht um "Pseudo-Genauigkeit", sondern um das Bemühen um eine präzise Bestimmung des Wesens klassischer Musik? Wieso soll es auf die Frage danach keine präzise Antwort geben? Wird hier allen Ernstes die Auffassung vertreten, dass es bei Fragen der Musikästhetik keine begrifflich-definitorische Präzision gebe?

    Lieber Klaus, Du bekennst: " Und ich stelle mit Ernüchterung fest, dass ich keine einzige wirklich beantworten kann."


    Das haben wir gemeinsam.


    Es ist aber leider so, dass die Frage, was nun klassische Musik als solche in ihrem Wesen ausmacht und worin sie sich von anderen Arten von Musik, der "Unterhaltungsmusik" zum Beispiel, unterscheidet, sich einem regelrecht aufdrängt, wenn man sich an diesem Thread hier diskursiv beteiligen möchte. Und deshalb - nur deshalb! - habe ich sie mal hier explizit gemacht.


    Es ist für mich tatsächlich eine Frage, auf die ich gar gern eine Antwort hätte. Man kann sich ja mal reflexiv auf sie einlassen, ohne dass man dabei eine definitiv endgültige Antwort reklamieren muss. Dass Schullehrer darauf keine Antwort wissen, heißt doch noch nicht, dass es sie vielleicht doch - wenigstens ansatzweise - geben kann.

    Zit. kurzstueckmeister: "Ich bin ja FÜR die Verwendung der Schubladen "E", "U", "Barock", "gut", "egal" etc"

    Der eine ist für "Schubladen", der andere hält sie für eine problematische Einrichtung. Mir stellen sich, wenn ich auf den Verlauf der Diskussion in diesem Thread zurückblicke, einige zentrale Fragen, auf die sich bislang niemand hier wirklich so intensiv und konkret eingelassen hat, dass ich den Beiträgen eine Antwort entnehmen könnte. Ich möchte diesen Fragenkomplex in Anknüpfung auf das obige Zitat einmal auf die bewusst naive und simpel formulierte Frage reduzieren:


    Was ist in den Schubladen denn eigentlich drin?


    Im Kern dreht sich dieser Thread ja doch in all seinen Beiträgen um das Thema "U-Musik" in ihrem Verhältnis zur "E-Musik". Wenn man einmal von dem ursprünglichen Frageansatz, der wegen seiner moralischen Komponente sich schnell als obsolet erwies, absieht, dann läuft für mich alles auf eine zentrale Frage hinaus:


    Was unterscheidet die sogenannte "Klassische Musik" denn eigentlich in ihrem Wesen so sehr von der "U-Musik" (im weitesten Sinne des Begriffs), dass man ihr einen gleichsam eigenen kategorialen Ort auf dem weiten Feld der Musik ganz allgemein zugewiesen hat?


    Im einzelnen aufgeschlüsselt und auf die Diskussion in diesem Thread zugespitzt lauten meine Fragen:


    - Was hat klassische Musik denn eigentlich an ganz Besonderem zu bieten, das man in all den vielen anderen Formen und Gattungen von Musik nicht finden kann?
    - Gibt es einen fundamental-qualitativen Unterschied zwischen klassischer und U-Musik? Wenn ja, worin besteht er?
    - Kann man diesbezüglich eine klare Abgrenzung vornehmen. Wenn ja, was sind die Kriterien?
    - Wenn verschiedentlich hier eine Kategorisierung mit dem Argument abgelehnt wurde, sie sei irrelevant, denn entscheidend sei doch allein der Aspekt "musikalische Qualität", dann stellt sich doch die Frage:
    - Was ist denn eigentlich "musikalische Qualität" im Falle von E-Musik und U-Musik? Ist das in beiden Fällen dasselbe oder gibt es diesbezüglich qualitative Unterschiede?
    - Wäre letzteres der Fall, dann wäre die Unterscheidung zwischen beiden Sachgruppen von Musik ja doch wohl berechtigt. Gäbe es den Unterschied nicht, - warum wendet man sich als Liebhaber von Musik denn dann nicht wahllos dieser und jener Form von Musik zu und rezipiert, was einem sozusagen vors Ohr kommt?


    Noch mehr Fragen dieser Art?
    Ich hätte sie, bin mir freilich der Tatsache bewusst, dass man sich möglicherweise unbeliebt macht, wenn man auf einer klaren, konkreten und sehr präzisen Antwort bestehen möchte.

    Dieses Gedicht Heines wurde auch von Johannes Brahms vertont. Ein Liedvergleich erübrigt sich hier, da ich mich im Thread „Sprache und Musik im Lied“ bereits darauf eingelassen habe. Ich darf auf die diesbezüglichen Beiträge Nr. 133 (22.11.10), Nr.136 (23.11.10) und Nr.137 (24.11.10) verweisen.


    Dort versuchte ich aufzuzeigen, dass Brahms – im Unterschied zu Mendelssohn – der von Heine intendierten lyrischen Aussage deutlich eher gerecht wird. Das Untergründige dieses Gedichts, das sich in seinen letzten beiden Versen auftut, wird von ihm musikalisch nicht nur nicht ignoriert, sondern sogar zum Zentrum der kompositorischen Aussage gemacht. Hierzu schrieb ich u.a. in „Sprache und Musik im Lied“:


    Schon das Klaviervorspiel lässt hören, dass dieses Lied aus einer gänzlich anderen kompositorischen Grundhaltung kommt. Und man weiß auch sofort, aus welcher Quelle sich diese Haltung speist: Es sind die beiden letzten Verse des Gedichts: "Wir aber schwammen vorüber, // Trostlos auf weitem Meer". Brahms hat sie - im Unterschied zu Mendelssohn - nicht abgeändert und hörbar(!) in das Zentrum seiner Komposition gestellt.


    Die Klavierklänge des Vorspiels weisen einen wiegenden Grundrhythmus auf, aber sie klingen nicht hell, wie bei Mendelssohn, sondern sie bewegen sich in unteren Lagen und sind dunkel geprägt. Die Melodie, die, von der rechten Klavierhand gespielt, in diese wiegenden Klänge einfällt, nimmt einen bohrenden, ja bedrohlichen Charakter an. Man hat sie lautmalerisch mit dem Ruf eines Gondoliere oder eines Fischers in Zusammenhang gebracht. Das überzeugt aber nicht. Sie klingen dafür nicht harmlos genug.


    Hinzufügen möchte ich an dieser Stelle noch, dass auch die eigentümliche Binnenspannung im Tongeschlecht, dieses Ausgreifen der Harmonik in den Dur-Bereich und das nachfolgende Wieder-Zurückfallen ins Moll klanglich hör- und erlebbar macht, dass Brahms die Heine-spezifische Gebrochenheit der Metaphorik kompositorisch voll reflektiert hat.

    Diese Liedkomposition kann man durchaus als eine Art „Beleg“ dafür nehmen, dass Mendelssohn der inneren Gebrochenheit von Heines Lyrik, die sich etwa in seiner spezifischen Ironie oder der schroff- kontrastiven Metaphorik sprachlich-lyrisch niedergeschlagen hat, ausgewichen ist. Sie muss ihm nicht geheuer gewesen sein, - ganz so wie auch seiner Schwester Fanny. Bei ihr wurde das im zugehörigen Thread am Beispiel von „Warum sind denn die Rosen so blass“ aufgezeigt.


    Schon die Eingriffe in den lyrischen Text lassen dies im Falle dieses Liedes, das 1837 entstand und unter den Titeln „Im Kahn“, „Wasserfahrt“ und „Auf dem Wasser“ publiziert wurde, erkennen. Daneben macht das natürlich auch der musikalische „Grundton“ des Liedes, den man generell als idyllisch-heiter, ja lieblich umschreiben kann, recht deutlich. Die Eingriffe Mendelssohns in Heines Text sind aus dem jeweils am Versende angegebenen Orignalwortlaut ersichtlich.


    Mein Liebchen, wir saßen zusammen, (Heine: „beisammen“)
    So traulich im leichten Kahn; (Heine.: „Traulich im leichten…“)
    Die Nacht war still, und wir schwammen
    Auf weiter Wasserbahn.


    Die Geisterinsel, die schöne,
    Lag dämmernd im Mondenglanz; (Heine: „dämmrig“)
    Dort klangen liebe Töne,
    Dort wogte der Nebeltanz.


    Dort klang es lieb und lieber,
    Es ward uns wohl und weh; (Heine: „Und wogt es hin und her“)
    Wir schwammen leise vorüber (Heine: „schwammen vorüber“)
    Allein auf weitem See. (Heine: „Trostlos auf weitem Meer“)


    Es handelt sich um eine Strophenlied-Komposition. Allein schon dieses kompositorische Konzept macht ein adäquates musikalisches Aufgreifen der kontrastiven Divergenz der lyrischen Bilder Heines unmöglich. Mendelssohn musste also in den Text eingreifen, um eben diesen Eindruck einer Inadäquatheit von lyrischem Text und Musik zu vermeiden.


    Das Klaviervorspiel aus aufsteigenden und wieder fallenden Klangfiguren aus akkordisch aufgelösten Achteln suggeriert zauberische Atmosphäre. Es klingt jeweils zwischen den Strophen wieder auf und verbindet damit diese in einer Art musikalischem Rahmen, der zugleich ein Fundament ist. Auch im Nachspiel ist es noch einmal zu hören.


    Die melodische Linie mutet schlicht, fast volksliedhaft einfach an. Von daher wirkt sie, eben weil ihr klanglicher Grundcharakter idyllisch ist, der Untergründigkeit von Heines Metaphorik in elementarer Weise unangemessen. Sie setzt mit einem lyrischen Bogen auf „wir saßen zusammen“ ein und verbleibt beim zweiten Vers weitgehend auf einer Tonhöhe in mittlerer Lage. Bei dritten Vers der ersten Strophe steigt sie in kleinen Schritten an, erreicht bei dem Wort „schwammen“ einen ersten Höhepunkt, steigt aber danach bei den ersten Silben des vierten Verses („auf weiter…) in Form von kleinen Sekunden noch ein wenig höher.


    Dieser vierte Vers wird dann auf einer fallenden, in die Tonika mündenden melodischen Linie wiederholt. Das Wort „weiter“ wird hierbei zweimal deklamiert, beim zweiten Mal, ebenso wie bei dem Wort „Wasserbahn“ mit einem kleinen Melisma versehen.


    Mendelssohn hat sich bei diesem Lied ganz unüberhörbar von der situativen Idyllik der lyrischen Bilder inspirieren lassen. Die Dimension des lyrischen Ichs wurde dabei ausgeklammert. Wenn sich dieses bei Heine artikuliert und damit die innere existenzielle Verlorenheit der deskriptiven Idyllik auf fast schroffe Weise gegenübertritt, blendet Mendelssohn diese ganz bewusst durch radikale Eingriffe in den lyrischen Text aus.


    Bemerkenswert ist ja schon, dass er Heines Wort „beisammen“ durch „zusammen“ ersetzt, obwohl dies unter syllabischem Aspekt gar nicht nötig gewesen wäre. Er will ganz offensichtlich dort trauliche Zweisamkeit und Gemeinsamkeit, wo Heine im Wissen um die existenzielle Vereinsamung des lyrischen Ichs ganz bewusst ein räumliches Nebeneinander („beisammen“) sprachlich artikuliert, das kein inneres „Zusammensein“ beinhaltet.

    Danke, lieber Glockenton!


    Du bist der erste Mensch, der - außer mir - in diesem Thread einen Eintrag gemacht hat. Ich freue mich darüber sehr (wenn ich das bekennen darf). Warum, so frage ich mich, ist die Resonanz auf diesen Thread so gering? Da es nicht an Mendelssohns Liedern liegen kann, wofür Du ja eben freundlicherweise gerade einen gleichsam empirischen Beleg geliefert hast, kann es nur so sein, dass ich da was falsch mache.
    Eigentlich liegt ja der Abbruch nahe, - hier, oder vielleicht sogar überhaupt. Das Seltsame dabei ist nur: Man fühlt sich irgendwie dem Komponisten gegenüber verpflichtet.


    Eben lese ich gerade:
    Mendelssohn bewunderte an Franz Liszt "das innerliche musikalische Empfinden, das ihm bis in die Fingerspitzen läuft". Und ich denke: Wie wünschenswert wäre es doch, wenn einem hier das "musikalische Empfinden" für seine Lieder - und für Lieder überhaupt - in ähnlicher Weise zwar nicht in die Fingerspitzen, wohl aber "in die Feder liefe".


    Na ja, genug des sinnigen - und wie immer monologischen - Nachdenkens!

    Glockenton fragt:


    "Und was ist übrigens "nur" unterhaltend? Ist denn nicht etwas dann unterhaltend, wenn es den ganzen Menschen anspricht, also Geist, Seele und Leib, um es biblisch zu sagen?

    Ich möchte mich nicht ausführlich auf diese Frage einlassen, weil das ins Uferlose führte. Nur so viel: Wenn durch Musik "Geist, Seele und Leib" angesprochen werden, der "ganze Mensch" also, dann liegt der sozusagen "klassische" Fall von "Klassischer Musik" vor. "Unterhaltungsmusik" vermag dieses nämlich eben gerade nicht zu leisten. Sie zielt primär auf den Affekt. Der "Geist" ist nicht ihr primärer Adressat.


    Ein Beispiel:


    Glockenton nimmt in seinen Ausführungen auch Bezug auf Schuberts "Winterreise". Man wird wohl kaum die Meinung vertreten, dass sich dieses Werk in dem erschöpft, was man gemeinhin unterdem Begriff "Unterhaltung" versteht. Es geht dabei im Kern darum, den Menschen mit musikalischen Mitteln einfach nur affektiv anzusprechen. Das ist ein konstituives Merkmal der sog. "Unterhaltungsmusik". Klassische Musik geht in ihrer kompositorischen Intention darüber hinaus: Sie macht im Akt der Rezeption eine musikalische Aussage, - eben die, die der Komponist in die musikalische Faktur gelegt hat.


    Um bei der "Winterreise" in gleichsam exemplarischer Weise zu bleiben und es ganz schlicht zum Ausdruck zu bringen:


    Schuberts "Der Lindenbaum" ist "klassische Musik" im genuinen Sinne. Das Lied weist eine in seiner musikalischen Faktur gründende intentionale kompostorische Aussage auf. Die Version von Friedrich Silcher ist "Unterhaltungsmusik". Sie will einfach nur affektiv rühren.

    Glockenton bemerkt zu dem Mendelssohn-Lied "Gruß" (Op.19a, Nr.5), von einer konzertanten Aufführung berichtend: "Es konnte einfach die Leute anrühren..."


    Ich erlaube mir den Hinweis, dass dieses Lied oben in Beitrag 12 vorgestellt und bespochen ist. In dieser Besprechung findet sich die Frage meinerseits: "Wie soll man die klangliche Faszination in Worte fassen, die von der melodischen Linie der Singstimme ausgeht?"


    Es ist in der Tat sehr schwer, das Anrührende, das von diesem Lied ausgeht, in Worte zu fassen. Noch schwerer ist es, die Ursachen dafür in der musikalischen Faktur auszumachen. Ich habe beides versucht, weiß aber jetzt beim nachträglichen Durchlesen meines Beitrages nicht, ob mir das - wenigstens ansatzweise - gelungen ist.


    Ein wesentlicher Faktor dürfte dabei die fast volksliedhafte Schlichtheit der melodischen Linie sein, die - wie das so oft bei Mendelssohn der Fall ist - Aussage und sprachliche Struktur des lyrischen Textes sozusagen direkt und auf Anhieb erfasst. Schaut man genau hin, so stellt man fest, dass sie aus nichts anderem als aus einem Spiel mit den Tönen des D-Dur-Dreiklangs besteht. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass die entsprechende Melodiezeile die ganz Strophe umfasst und so wirkt, als sei sie am Ende klanglich sozusagen zu sich selbst gekommen.

    Zit. wiesengrund: "Sorry, das ist schlichtweg falsch, es ist eher umgekehrt;"
    Zit. Wolfram: "Das möchte ich auch stark bezweifeln. "

    Mir ging es in meiner Darstellung um das Aufkommen der begrifflich-kategorialen Unterscheidung zwischen "Unterhaltungsmusik" und "Ernster Musik". Diese ist historisch tatsächlich Ende des 18. , Anfang des 19. Jahrhunderts zu verorten. Das ist allein deshalb schon so, weil der moderne Begriff "Unterhaltung" erst damals entstand. (Ich empfehle einen Blick ins Grimmsche Wörterbuch). Dass es das Phänomen der Unterhaltungsmusik längst vorher gegeben hat, ist natürlich bekannt.


    Der Fehler lag bei mir. Zwar geht aus dem Kontext hervor, dass es mir eben um die begriffliche Differenzierung ging und geht, ich hätte aber nicht schreiben dürfen:"Die sog. "U-Musik" entstand im Verlauf des 18. Jahrhunderts"., sondern "Der Begriff der Unterhaltungsmusik und die ihm zugrundeliegende musikalisch-qualitative Urteilskategorie bildeten sich....". Hier war ich sprachlich ungenau. Tut mir leid!


    Man kann das Bewusstsein eines solchen Unterschieds übrigens sehr schön an den kritischen Urteilen über damalige Musikpraxis etwa bei Schumann oder bei Liszt nachweisen. Letzterer beklagt sich zum Beispiel mehrfach darüber, dass es den Komponisten seiner Zeit in vielen Fällen nicht um die Kunst, sondern ums Geld gehe. Zugrunde liegt bei solchen Urteilen, wie man sie einem in noch vielen anderen kritischen Urteilen aus eben dieser Zeit begegnen, eben genau diese Unterscheidung zwischen "ernster", also künstlerisch ernst zu nehmender Musik, und solcher, die nur auf vordergründige Unterhaltung aus ist.


    Die Genese dieser Unterscheidung ist historisch im bürgerlichen Verständnis von Kunst, hier speziell von künstlerisch relevanter Musik zu verorten.

    Immer wieder von neuem fesselnd ist es, hörend zu erleben, wie Liedkomponisten auf den Lyriker Heine reagieren. Sie sind als Musiker von der Faszination, die von seiner lyrischen Sprache ausgeht, in Bann geschlagen, und seine lyrischen Bilder beflügeln sie musikalisch im wahrsten Sinne des Wortes.


    Aber es ist immer das gleiche: Es ist gleichsam nur die Oberfläche dieser lyrischen Sprache, von der die faszinierende Wirkung auf sie ausgeht, nicht deren poetische Tiefe, in der sie sich als letzten Endes gebrochen erweist, - gebrochen in Form von Ironie, harter metaphorischer Kontrastivität oder einfach nur maliziöser Sentimentalität.


    Mendelssohn ist ein Musterbeispiel für diese Form der kompositorischen Reaktion auf den Lyriker Heine. Ich meine manchmal: Er ist sozusagen die Reinkultur. Heines Ironie weicht er kompositorisch nicht nur aus. Sie ist ihm aus tiefstem Herzen zuwider. Für ihn ist sie ein elementarer Verstoß gegen sein musikalisch-kompositorisches, aber auch gegen sein rein menschliches Weltbild. Hierin unterscheidet er sich wesentlich von Schumann.


    Mendelssohn beschwört – so meine ich immer mehr - musikalisch die heile Welt. Auch liedkompositorisch tut er das. Heine hat ihn mit seiner lyrischen Sprache zwar in Bann geschlagen. Deren Brüche wehrt er aber ab, - mit allen seinen kompositorischen Kräften.

    Zit. Glockenton: "
    Zu U- und E-Musik: Das ist ein völliger begrifflicher Unsinn, denn die E-Musik will doch immer auch unterhalten. "


    Etwas als begrifflichen Unsinn zu bezeichnen ist immer eine riskante Sache, weil es ja wohl einen Grund haben muss, dass eine solche begriffliche Unterscheidung vorgenommen wurde, bzw. sich eingebürgert hat. Natürlich will auch die sog. E-Musik "unterhalten". Der entscheidende Faktor, der sie von der U-Musik unterscheidet, ist, dass sie es nicht nur(!), bzw. nicht primär oder gar ausschließlich will.


    Die sog. "U-Musik" entstand im Verlauf des 18. Jahrhunderts. Man verstand darunter - in Abgrenzung von der Musik, der eine bewusste künstlerische Aussageabsicht zugrundelag und die für die öffentliche Präsentation im Konzertsaal oder in der Kirche gedacht war - die häusliche Salonmusik, das kleine Klavierstück, Duett, Terzett oder Potpourri, das für den häuslichen Gebrauch und vorwiegend zur vergnüglich musikalischen Unterhaltung benutzt wurde.


    Im 20.Jahrhundert weitete sich diese musikalische Spezies aus, vor allem durch die wachsende Kommerzialisierung im Bereich der sog. Gebrauchsmusik und des "Schlagers".

    Nachtrag:
    Ach ja!
    Warum bin ich nur nicht gleich draufgekommen?! Hier ist man ja bei You Tube zugange. Ich Einfaltspinsel habe in der mir vorliegenden Diskographie von Gérard Souzay nachgesehen, und da fand sich diese Aufnahme nicht. Vermutlich ist sie unvollständig, wie so vieles im Bereich der Lieddiskographie. Die Nachfrage bei Theophilus erübrigt sich also.


    Ich habe mir die Aufnahme angehört. So sehr ich Souzay auch als Liedinterpreten schätze, in diesem Fall kann er - was die von mir hier, bei diesem(!) Lied, angeführten sängerisch- interpretatorischen Kriterien anbelangt - mit Fischer-Dieskau "nicht mithalten", um es mal ein wenig grob zu formulieren.

    Ich hatte dieses Lied ja in Beitrag Nr.48 (vom 31.7.2011) hier besprochen. Ich schrieb damals u.a.:


    Es ist ja vieles, von dem dieses lyrische Ich Abschied nimmt: Von der fröhlichen Stadt, den Bäumen und Gärten, den freundlichen Mägdlein, der Sonne, die über all dem liegt, und dem „schimmernden Fensterlein hell“. Es klingt – bei aller rhythmischen Munterkeit – unterschwellige Trauer auf, - vor allem in den beiden letzten Strophen. Der „dämmernde Schein“ des „Hüttchens“, der als große Verheißung der Einladung in den Raum menschlicher Gemeinschaft aufschimmert, muss verlassen werden. Selbst die Sterne können ihn nicht ersetzen. Sie sollen sich deshalb grau verhüllen.


    Nun möchte ich hier nicht die Uralt-Geschichte über die Tugenden und Schwächen des Liedinterpreten Fischer-Dieskau erneut wiederbeleben. Sie ist ausdiskutiert - im wahrsten Sinn des Wortes. Mir geht es hier nur um dieses Lied. Ich kenne viele Interpretationen desselben, es sind - hab gerade mal nachgeschaut - fünfzehn (die Liste der Namen spare ich mir). Aber Gérard Souzay kommt dabei nicht vor.


    Meine Frage an Theophilus also: In welcher Aufnahme liegt diese Interpretation von Gérard Souzay vor?


    Nun aber zu diesem Lied. Sein ganz spezifisches lyrisches - und damit auch musikalisches, weil Schubert lyrische Sprache in musikalische verwandelt - Merkmal ist die "Vielfalt der Abschiede", wie ich oben dargestellt hatte. Es werden viele "Adressaten" angesprochen, - die Stadt selbst, die Bäume, die Gärten, die "Mägdelein", die Sonne, das "schimmernde Fensterlein", die Sterne ....


    Der einzige all der Interpreten, die ich kenne, der dieser situativen lyrisch-musikalischen Vielfalt in wirklich vollkommener Weise gerecht wird, ist Fischer-Dieskau. Wenn das "Rößlein scharrt", ist das bei ihm zu hören, und es ist auch zu hören, wenn die "Mägdelein" mit "schelmischen, lockenden Blicken" herausschauen. Überall schlägt in seiner Interpretation die Expressivität der lyrischen Bilder Rellstabs im Timbre der Stimme und in der spezifischen Form der Deklamation durch.


    Es tut mir leid, aber ich muss wok recht geben.

    Zu dem Beitrag von kurzstueckmeister:


    Mag sein, dass das Streicherspiel dieser Gruppe dilettantisch ist (im empfand es übrigens nicht so, weil es ja wohl vom "Sound" her auf "Wildheit", also "klangliches Chaos" angelegt war), aber es ging mir ja darum, dass dieser Musik die strukturelle Einfachheit, wie sie Pop-Musik von ihrem Wesen und ihrer kompositorischen Zielsetzung her aufweist, eben abgeht.


    Die "Einfachheit", die klassische Musik zuweilen aufweist, ist nicht mit jener "Einfachheit" der Pop-Musik vergleichbar, weil sie musikstrukturelles Element der kompositorischen Aussage ist. Ich verweise in diesem Zusammenhang - beliebig herausgegriffenes Beispiel - auf das Lied "Der Leiermann" in Schuberts "Winterreise".

    Ich möchte es mit dem liedanalytischen Vergleichen hier nicht übertreiben, um der Freude am Hören der – in vielen Fällen wirklich faszinierend schönen – Lieder Mendelssohns nicht zu schaden. Aber mich reizt es nun einmal, einen ganz kurzen Blick auf das Lied Robert Schumanns auf dieses Gedicht von Heine zu werfen. Irgendwie ist das für mich zwingend, und ich bitte um Nachsicht.


    Zwingend warum? Nun, dieses Gedicht Heines weist ja nun durchaus Elemente seiner ganz spezifischen ironischen Verfremdung des lyrischen Bildes auf, - im Sinne einer gleichsam maliziösen Sentimentalität. Da ist das kontrastive Aufeinanderstoßen von „freundlichem Grüßen“ und „lautem Aufweinen“; da ist der überzuckerte Binnenreim „süße Füße“; da ist das übertrieben bombastische Kompositum „Perlentränentröpfchen“; und da ist das am Ende sprachlich verblüffend lakonische, ja fast grobe: „Und´s Wort hab´ ich vergessen.“ Als Heine, so ist überliefert, das Gedicht im Freundeskreis vorlas, kam es zu schallendem Gelächter.


    Mendelssohns Vertonung dieses Gedichts reagiert auf diese Heine-spezifischen Eigenarten des lyrischen Textes allenfalls beim Schlussvers. Aber auch in diesem Fall nicht auf die sprachliche Lakonie des Verses, sondern auf seinen semantischen Gehalt. Heines maliziöse Sentimentalität ignoriert der Komponist Mendelssohn in diesem seinem Lied völlig, - was nichts Neues ist.


    Und Schumann? Hier scheint mir die Sache anders zu liegen. Ich möchte nicht in eine detaillierte Liedanalyse einsteigen, sondern nur auf diesbezüglich relevante Strukturmerkmale hinweisen. Auffällig ist die permanent von Pausen unterbrochene, gleichsam kurzatmige melodische Linie. Sie isoliert die einzelnen lyrischen Bilder, gibt ihnen ein ganz besonderes musikalisches Gewicht und dient damit der Spannungssteigerung auf die musikalische Lakonie des Schlusses hin.


    Ins Ohr fällt das Herabsteigen der melodischen Linie bei den „süßen Füßen“. Das geht hinunter bis zum tiefen „a“ und purzelt melodisch mit einem rhythmisch schroffen Sechzehntel um das tiefe „cis“ herum. Schumann hat dieses Bild mitsamt seiner lyrisch-sprachlichen Überzuckerung sehr wohl musikalisch reflektiert.


    Und dann der Schluss des Liedes bei Schumann. Es wird zweimal auf einer Tonebene mit den Notenwerten von Sechzehnteln deklamiert: „Ich wache auf“, Pause, „und der Strauß ist fort“… Nun erwartet man wieder eine Pause, aber nichts da. Mit Sechzehnteln hüpft die melodische Linie bei „und´s Wort hab ich vergessen“ in vier raschen Schritten von einem hohen „dis“ herunter zu einem „fis“.


    Rhythmisch und melodisch lakonischer geht es kaum mehr. Auch hier hat Schumann – im Unterschied zu Mendelssohn – mit musikalischen Mitteln auf die lyrische Sprache Heines kompositorisch reagiert. Das macht sein Lied nicht besser als das Mendelssohns, es erschließt musikalisch nur eine andere Dimension des lyrischen Textes.

    Lieber hami1799, Du sagst:


    "Es wurde von ´seriöser´Seite behauptet, dass das Hören klassischer Musik mehr Konzentration erfordert als das der Pop-musik. Ich habe das durchaus akzeptiert, aber auch ein Gegenbeispiel gebracht,
    nämlich Gentle Giant contra Di provenza il mar, il suol."
    Und fügst hinzu: "Die Antwort dazu steht übrigens noch aus."


    Das hat einen einfachen Grund. Ich kannte diese Gruppe nicht und habe erst jetzt bermerkt, dass man die ja anklicken und spielen lassen kann. Danke! (ich brauche immer ein wenig Zeit in dieser Computerwelt, bis ich mich orientiert habe).


    Aber zu dieser Gruppe nun. Hier wird deutlich, dass der Begriff "Pop-Musik", wie wir ihn hier verwenden, äußerst unscharf ist. Es wurde darauf ja auch schon verwiesen. Die Musik dieser Gruppe würde ich auf keinen Fall dazuzählen. Allein das Vorspiel ist homplexe Kammermusik mit insgesamt fünf (wenn ich richtig gezählt habe) zum Teil polyphon agierenden Instrumenten. Dass man da geau hinhören muss, wird schon nach den ersten fünf Takten klar. Es hört sich übrigens hochinteressant an, und es war ein ganz neues musiklaisches Erlebnis für mich.


    Was ich damit aber nun sagen will:
    Diese Gruppe ist durchaus keine Widerlegung meiner These, dass das, was man herkömmlicherweise unter Pop-Musik versteht, ein anderes Hör-Verhalten, eine andere Form der Rezeption also, reklamiert, als dies klassische Musik tut. Ich hatte mich ja auf einen Song bezogen, der von der Art ist, wie man das in den sog. "Charts" zu hören bekommt. Diese Songs der "Charts" würde ich als Inbegriff - und wesentlicher Teil! - dessen verstehen, was hier mit dem Begriff "Pop-Musik" von meiner Seite aus gemeint war.


    Zum Thema "Abweichung vom Thread":
    Es war eigentlich von vornherein klar, dass die ursprüngliche Fragestellung des Threads sich rasch erledigt hatte, zumal sie eine moralische Komponente enthielt, die in die Irre führte. Im Grunde kreist dieser Thread um die Thematik "Pop-Musik" - "Klassische Musik", die Frage ihres Verhältnisses zueinander und ihrer "Wertigkeit" im Sinne der Rezeption von Musik ganz allgemein. In diesem Sinne habe ich den Aspekt "Anspruch an das Rezeptionsverhalten" auch nicht als Abweichung vom Thema des Threads verstanden.

    Zit. Klaus 2: " ...dass man das mit halbem Ohr hören kann, will ich nicht so stehen lassen. Obwohl vielleicht: Kann. Mag sein. "

    Wenn Du genau hinschaust, lieber Klaus, wird Dir auffallen, dass ich bei den gedanklichen Ausführungen meines letzten Beitrages auf die Anforderungen abgestellt habe, die das musikalische Werk an den Hörer stellt.


    Ich behaupte nach wie vor: Sie sind bei einem Werk der Pop-Musik qualitativ (nicht wertend gemeint, sondern deskriptiv!) anderer Art als bei einem Werk der klassischen (oder E-) Musik.


    Nur darum geht es mir in meinen Beiträgen zu diesem Thread. In gar keinem Fall um eine qualitative Abwertung von Pop-Musik. (Nebenbei: Ich bin ein langjähriger und durchaus interessierter Hörer der Sendungen von Werner Reinke im Hessischen Rundfunk. Will sagen: So fremd und unbekannt ist mir die Pop-Musik nicht).

    Eine persönliche Notiz, - aber sehr wohl hierher gehörend.


    Gerade habe ich, bei einer Tasse Kaffee und auf die Nachrichten wartend, im Radio den Song "Sweet about me" von Gabriela Cilmt gehört. Hübsche, jugendlich-weibliche Stimme, spielt melodisch mit dem Nonenfall und dem Quartfall, und immerzu hört man dasselbe: Die Worte "Sweet about me", von einem schlichten, leicht synkopisch rhythmisierten Vierviertelakt getragen.


    Mit halbem Ohr habe ich das wahrgenommen, und ich hatte nicht das Gefühl - und deshalb mache ich diese Notiz hier - , dass ich der Musik dabei etwas schuldig blieb, - in dem Sinne, dass ich ihr hörend nicht gerecht geworden wäre. Ich bin mir sicher, dass ich alles erfasst habe, was sie zu sagen hatte.


    Danach die Beschäftigung mit einem Lied von Felix Mendelssohn ("Allnächtlich im Traume"). Es ist musikalisch noch nicht einmal sehr anspruchsvoll. Aber mit halbem Ohr konnte ich ihm auf keinen Fall gerecht werden. Allein das musikalische Aufgreifen des lyrischen Textes von Heinrich Heine erforderte hohe Aufmerksamkeit. Ich muss der Bewegung der melodischen Linie folgen und darauf achten, in welcher Form das Klavier sie begleitet. Konzentriertes Hinhören wird von mir verlangt, will ich auch nur annähernd als Hörer der komplexen musikalischen Faktur gerecht werden.


    Beide Lieder haben mich als Hörer erfreut. Aber mir kam hinterher die oben mehrfach geäußerte Auffassung in den Sinn, es sei doch unsinnig, qualitative Differenzierungen zwischen Pop-Musik und klassischer Musik vorzunehmen, - wobei in einem Fall sogar der Begriff "Klassische Musik" verworfen wurde. Es komme, so die These, doch allein auf die musikalische Qualität an, das sei die entscheidende und maßgebliche Kategorie. Der Begriff "Qualität" erweist sich hier in seiner nichtssagenden Allgemeinheit als von Grund auf obsolet.


    Ich kann da nicht folgen. Beim besten Willen kann ich es nicht. Und im übrigen: Auch meine These hat sich bestätigt: Es gibt natürlich einen gleichsam qualitativen Sprung in der Art und Weise der Rezeption von Pop-Musik und klassischer Musik. Und für den, der aus dem permanenten Konsum von Pop-Muik kommt, ist es eine gewaltige Anforderung, diesen qualitativen Sprung in der Rezeption von Musik zu vollziehen.


    Mit Hochnäsigkeit oder "Snobismus" (wie mir vorgehalten wurde) hat eine solche Feststellung überhaupt nichts zu tun. Es ist schlicht die Feststellung einer Tatsache, - die jeder nachvollziehen kann, der das mal als Hörer so macht wie ich eben gerade.

    Dieses Lied auf ein Gedicht von Heinrich Heine steht im Zweivierteltakt und ist mit der Tempoanweisung „Allegro“ versehen. Hat man das bekannte Lied von Robert Schumann im Ohr, dann ist man beim ersten Hören dieser Vertonung von Mendelssohn fast verblüfft über die melodische und rhythmische Bewegtheit der Musik.


    Allnächtlich im Träume seh´ ich dich,
    Und seh´ dich freundlich grüßen,
    Und laut aufweinend stürz´ ich mich
    Zu deinen süßen Füßen.


    Du siehst mich an wehmütiglich,
    Und schüttelst das blonde Köpfchen,
    Aus deinen Augen schleichen sich
    Die Perlentränentröpfchen.


    Du sagst mir heimlich ein leises Wort,
    Und gibst mir den Strauß von Cypressen,
    Ich wache auf, und der Strauß ist fort
    Und´s Wort hab´ ich vergessen.


    Im Klaviervorspiel steigen, wie von den Tönen im Bass angetrieben, Sechzehntel-Akkorde im Diskant auf. Sie münden in eine aus fallenden Sechzehnteln bestehende Klangfigur, die in diesem Lied noch mehrfach auftaucht, maßgeblich zu seiner musikalischen Aussage beiträgt und demgemäß auch ganz konsequent nach Nachspiel beherrscht. Heißt es, etwas in das Lied hineininterpretieren, wenn man darin das musikalische Pendant zum dem lyrischen Bild von dem Sich-Stürzen zu den „süßen Füßen“ hört?


    Die melodische Linie der Singstimme eilt hurtig mit Achteln und Sechzehnteln dahin, verbleibt dabei gerne auf einer Tonebene und meidet große Intervalle. Sie übergreift als Melodiezeile die ersten drei Verse der ersten und zweiten Strophe. Deren Faktur ist identisch. Es handelt sich also um ein variiertes Strophenlied, bei dem nur die dritte Strophe kompositorisch anders angelegt ist.


    Am Ende des dritten Verses (bei „stürz ich mich“ und „schleichen sich“) bricht die Bewegung der melodischen Linie fast überraschend ab. Das geschieht nicht auf dem Grundton, sondern auf der Terz. Eine Pause tritt ein, derweilen im Klavierdiskant wieder die Figur aus fallenden Sechzehnteln aufklingt. Danach wird der Vers „Zu deinen süßen Füßen“ zweimal gesungen: Zunächst mit zwei kleinen Bogenbewegungen aus Sechzehnteln bei den Worten „deinen süßen“, danach bei denselben Worten mit einem weit (bis zum hohen „gis“) ausholenden Bogen, wonach die Vokallinie dann zu ihrem Ruhepunkt findet. Bei all diesen Bewegungen bleibt sie in Moll-Harmonien eingebettet, die in Form von tänzerischen Achtelakkorden aufklingen.


    Vor der dritten Strophe artikuliert das Klavier das komplette Vorspiel noch einmal. Danach setzt die Singstimme mit der gleichen Vokallinie ein, die auch auf den drei ersten Versen der beiden vorangehenden Strophen liegt. Auch das Abreißen der melodischen Linie am Ende wiederholt sich, nur dass dieses Mal der Ton „c“, auf dem sich das ereignet, länger gehalten wird (einen ganzen Takt lang).


    Auch die melodische Linie, die auf dem letzten Vers liegt, ist mit der der vorangehenden Strophen in der Struktur ihrer Bewegung identisch. Aber bei dem Wort „vergessen“ erfolgt nun ein aus einer langen melodischen Dehnung heraus sich vollziehender Quintfall auf der letzten Silbe. Klanglich mutet das wie ein neuerlicher, dieses Mal aber endgültiger Abbruch der Vokallinie an. Das Aufwachen ist mit aller Härte der realen Welt in die nächtlich süßen Träume eingebrochen.