Beiträge von Helmut Hofmann

    Schumann hat ein Tempo vorgegeben, und zwar "Nicht zu schnell". Jeder Interpret, der ein Gefühl für lyrische Sprache und die Art und Weise hat, wie Schumann sie in diesem Lied in Musik gesetzt hat, wird diese Tempoanweisung wörtlich nehmen.
    Das "Ich grolle nicht" am Anfang - eingebettet in repetierende Achtelakkorde im Klavierdiskant - mündet in eine halbe Note auf dem Wort "nicht". Danach folgt eine Achtelpause.
    Diese Aussage ist sprachlich und musikalisch monolithisch formuliert. Sie muss auch so gesungen werden. Ein zu schnelles Tempo nimmt ihr das Gewicht, das sie hat.

    Zuweilen, da denn nun die Zeit des Arbeitens an diesem Thread langsam zu Ende geht, frage ich mich immer wieder einmal: Welches Lied würdest du denn eigentlich einem Menschen, dem der Liedkomponist Mendelssohn noch fremd ist, zum Anhören empfehlen, auf dass er in gleichsam exemplarischer Form unmittelbaren Zugang zu diesem Komponisten finden könnte?


    Da gibt es mehrere Lieder, die in Frage kämen. Aber eines würde ganz sicher dazu gehören: Dieses großartige „Da lieg ich unter den Bäumen“. Da ist alles zu hören, was das Mendelssohn-Lied auszeichnet und seinen liedhistorischen Rang ausmacht. Vor allem ist das die singuläre Fähigkeit Mendelssohns, den Geist eines lyrischen Textes mit einer melodischen Linie musikalisch einzufangen die nicht wirkt, als sei sie der lyrischen Sprache konstruktiv abgewonnen, sondern so, als sei sie ihr gleichsam naturhaft entwachsen.


    Hier, bei diesem Lied, kann man das an vielen Stellen unmittelbar hörend erleben. Die melodische Linie auf dem Vers „Trüb ist mein Herz mir und schwer“ ist in ihrer bogenförmigen Anlage von geradezu volksliedhafter Einfachheit. Aber man meint, wenn man sie hört, dass dieser lyrische Vers gar keine andere musikalische Gestalt annehmen könne, als eben diese.


    Genauso ist das auch etwa mit der Unisono-Abwärtsbewegung der melodischen Linie bei dem Vers „Das bringt mir düstre Gedanken“. Sie geht, obgleich sie – oder vielleicht gerade deshalb? - von geradezu körperhaft schlichter musikalischer Struktur ist, unmittelbar unter die Haut. „Düstre Gedanken“ haben eben, so meint man, diese melodisch-musikalische Gestalt, - und keine andere.

    Einen kleinen Nachtrag möchte ich noch zu meiner Liedbetrachtung von „Er, der Herrlichste von allen“ machen:


    Beim Hören erinnert mich dieses Lied stark an Schumanns Lied „Widmung“, das erste aus „Myrthen“ op.25 („Du meine Seele, du mein Herz, / Du meine Wonn´, o du mein Schmerz…“). Und zwar deshalb, weil hier wie dort eine ähnlich weit ausgreifende Emphase der melodischen Linie zu vernehmen ist.


    Diese Liedersammlung hat Schumann „Seiner geliebten Braut“ gewidmet. Dem ersten Lied liegt ein Gedicht von Friedrich Rückert zugrunde, das in dessen Sammlung keinen Titel trägt. Der Titel „Widmung“ stammt also von Schumann selbst.


    Warum diese Anmerkung?
    Sie scheint mir zu bestätigen, dass Schumann in diesen Liederzyklus „Frauenliebe und Leben“ sehr viel von seinem eigenen Empfindungen Clara gegenüber hat einfließen lassen. Nur eben in der Form, dass er sich gleichsam in ihre Rolle hineinversetzte.

    Fischer-Dieskau merkt zu diesem Lied an, es sei, mehr noch als das erste des Zyklus „ein absolutes Musikstück“. Wenn ich diese Feststellung richtig verstanden habe, so zielt sie darauf ab, dass die Musik hier nicht einfach „Träger“ des lyrischen Textes ist, sondern dessen semantischen Gehalt mit den ihr eigenen Mitteln aufgreift und zu einer Art „neuem Werk“ werden lässt. Mit „Mittel“ ist hier das für Schumann so typische dialogische Zusammenspiel von Singstimme und Klavier gemeint.


    Das Klavier liest den Text auf seine ganz eigenständige Art und setzt damit Akzente in der melodischen Bewegung der Singstimme. Diese Akzente sind sowohl rhythmischer als auch harmonischer Art. Die akkordischen Achtelrepetitionen entfalten von Anfang eine gewiss rhythmisch mobilisierende Wirkung. Sie tragen die Emphase des lyrischen Textes schon in sich, noch bevor die Singstimme diese zu artikulieren vermag.


    Aber das Klavier setzt auch harmonische Akzente, die die seelische Tiefenschicht dessen, was die Singstimme zu sagen hat, musikalisch ausleuchten. Besonders in der dritten Strophe ist das zu hören. Das lyrische ich redet sich ja hier etwas ein: Es will angeblich gar nicht zu diesem Geliebten hin, ihn nur in Demut betrachten und selig sein, - und traurig. Dieser Verzicht, aus der Not geboren, lässt Traurigkeit in die Emphase der Liebe einfließen. Und das Klavier greift dies auf und bringt es klanglich zum Ausdruck.


    Septimakkorde klingen auf. Und nach der Steigerung dieses – gar nicht wirklich gewollten - Verzichts in der Aufforderung: „Höre nicht mein stilles Beten“ erklingt sogar ein verminderter Septimakkord, der die Ambivalenz dieser Aufforderung musikalisch akzentuiert. Bemerkenswert auch, dass bei der Wiederholung der ersten Strophe der Klaviersatz nicht der gleiche ist wie dort. Zwar sind auch wieder die Achtelrepetitionen zu hören, aber da und dort schleiche sich harmonische Einfärbungen in Form von Septimakkorden hinein, etwa bei dem Wort „Allen“. Und auch das Nachspiel setzt mit einem verminderten Akkord ein.


    Heißt: Das Klavier weiß um den seelischen Untergrund all dieses Jubels in der Singstimme. Und immer wieder lässt sie das in deren melodische Bewegung einfließen.

    Schwärmerische Bewunderung, ja Anbetung des Geliebten drückt dieses Gedicht aus. Er wird mit einem Stern verglichen, der fern seine Bahnen wandelt und dem ihm liebevoll Zugeneigten nur die Möglichkeit lässt, in Demut zu ihm aufzublicken.


    In diesem lyrischen Bild zeigt sich die Untergründigkeit, die es wie im ersten, so auch in diesem Gedicht gibt: Liebevolle Zuneigung geht oft mit der Erfahrung der Individuation einher. Der andere, dem man sich ganz und gar hingeben möchte, bleibt ein fernes, letzten Endes unzugängliches Wesen. Davon, und nicht nur vom Jubel der Eingangsstrophe, spricht dieses Gedicht auch.


    Und Schumann? Wie hat er es kompositorisch gelesen? Genau so! „Innig, lebhaft“ steht über diesem Lied in Es-Dur. Es weist einen Viervierteltakt auf. Im eintaktigen Vorspiel stürmen akkordische Achtelrepetitionen los. Sie reißen die Singstimme regelrecht mit, die schon im nächsten Takt ohne Vorhalt einsetzt und in der ersten Melodiezeile einen himmelstürmenden Bogen über eine ganz Oktave beschreibt.


    Das „Wie so milde, wie so gut“ des nächsten Verses wirkt melodisch, ganz der Aussage des lyrischen Textes gemäß, wie ein Innehalten. Die melodische Linie verharrt auf einer Tonebene, und ein kleines Melisma drückt Verzückung aus. Die Verse danach wirken melodisch deskriptiv. Das jeweils zentrale lyrische Wort („Lippen“, „Auge“, „Sinn“) wird durch einen Quint, bzw. Sextsprung hervorgehoben. Aber auch hier drängt sich wieder Entzücken hinein: Ein Melisma dem Wort „fester Mut“. Danach greift das Klavier in einem eintaktigen Zwischenspiel den Jubelton der ersten Melodiezeile auf und wiederholt diese.


    In der dritten Strophe kommt ein neuer Ton in das Lied. Die Vokallinie bewegt sich ruhiger und meidet die Emphase des großen melodischen Bogens. Besinnlichkeit kehrt ein, das lyrische Ich wird sich der Ferne des Geliebten bewusst. Auch im Klavier herrscht weniger unruhige Bewegtheit. Und nicht nur das: Septimakkorde deuten die leise Traurigkeit an, die die in den Aussagen des lyrischen Ichs aufklingt. Bei den Worten „Nur in Demut ihn betrachten“ steigt die melodische Linie zwar zunächst in größere Höhe auf, fällt danach aber gleich wieder langsam und beständig ab und beschreibt bei „traurig sein“ einen höchst expressiven kleinen Sekundfall.


    Musikalisch eindrucksvoll ist die letzte Strophe des Gedichts gestaltet. Auf dem Wort „freuen“ liegt ein Sextsprung. Aber sofort danach folgt darauf bei dem Wort weinen ein Quintfall. Die Semantik des lyrischen Wortes spiegelt sich in der musikalischen Faktur. Und das gilt auch für den nächsten Vers: Bei „selig, selig“ geht die melodische Linie beschwingt in die Höhe, beim Bild vom „Brechen des Herzens“ erklingt danach wieder ein Quintfall, und die melodische Linie verharrt wie gebrochen auf einer Tonebene.


    Aber der Jubel will wiederkehren. Das Klavier artikuliert ihn schon vor der Singstimme, gibt dieser gleichsam den Ton vor, und sie braucht nur noch einzustimmen. Was es im Nachspiel zu sagen hat, ist aber schon kein ganz und gar ungebrochener Jubel mehr. Klänge der Nachdenklichkeit sind zu hören, - vor allem in den harmonischen Modulationen, in denen die melodische Linie wie gebrochen wirkt.

    Die Feststellung von wok (Beitrag 60): "...sondern er verkörpert jedes gesungene Wort gewissermaßen als selbst Betroffener, und dies in stimmlichen Schattierungen und Feinstabstufungen, die einfach faszinieren, die man als höchste musikalische Ästhetik bezeichnen könnte, die aber auch jede empfindsame Seele erreichen dürften."


    ... genau den Punkt. "Zeitlos gültig" kann wohl keine Interpretation sein, weil sie aus der Zeit heraus geschaffen wird und Zeit somit wesenhaft in sie eingeht. Aber mastabgebend und -setzend kann eine Interpretation sehr wohl sein. Und dieses trifft auf die Liedinterpretation Fischer-Dieskaus ganz sicher zu.


    Das "Sich-in-das-Lied-Hineinversetzen, das Sich-Identifzieren mit seiner lyrisch-muskialische Aussage ist ja nur die Grundlage seiner Interpretation. Das, was als Folge daraus hervorgeht, ist das im Augenblick der Rezeption Singuläre: Der Ton, der auf einem lyrischen Wort liegt, wird dessen sprachlicher Aussage gemäß klanglich eingefärbt; die Semantik fließt in die Färbung und Akzentuierung der Musik ein.

    Zit.: "Aber gilt das nicht auch für die Lieder von Schubert, Brahms ... eines jeden Liedkomponisten von Rang, ist insofern eine Selbstverständlichkeit, deren Nachweis per se nicht lohnt ? "


    Brahms behandelt das Klavier anders als Schumann. Das ist hier schon mehrfach aufgezeigt worden, zum Beispiel im Thread "Sprache und Musik im Lied". Bei Brahms ist die sog. Musikalisierung des Kunstliedes deutlich weiter fortgeschritten, als dies bei Schumann der Fall ist. Das Klavier ist nicht mehr - wie bei diesem - gleichsam "Dialogpartner" der Singstimme, es bringt eigenständige musikalische Expressivität in das Lied.

    Zit: "...aber das Klavier macht einen Punkt."

    Es handelt sich hier um ganz typische Schumann-Lieder. Das Klavier ist eigenständiger Partner der Singstimme, und es hat auch selbst etwas "zu sagen", - in Form einer genuinen Interpretation des lyrischen Textes. Im folgenden Lied ist das noch deutlicher zu sehen. Ich hoffe, dass ich dies aufzeigen kann.

    Wenn man sich hörend wirklich auf die Lieder dieses Zyklus einlässt, stößt man auf vieles, das höchst interessant ist. Zum Beispiel auf dieses:


    Im ersten Lied tritt das Klavier zwar einerseits als eine Art rhythmische Bremse der Singstimme auf, andererseits aber bewegt es sich vor dieser in melodisch höhere Lagen und zieht sie gleichsam hinter sich her. Im zweiten Lied unterlegt es die melodische Linie der Singstimme dort, wo diese sich emphatisch zur Bewunderung des Geliebten aufschwingt, mit verminderten Septimakkorden.


    Das Klavier hat - und wen wundert das bei Schumann - in diesem Liederzyklus jede Menge Eigenes zu sagen. Schumann macht also mit den ihm ganz eigenen und ihn als Liedkomposnisten auszeichnenden kompositorischen Mitteln aus den Gedichten Chamissos weitaus mehr, als diese selbst lyrisch zu bieten haben.


    [.....]

    Wenn ich Anlass zu einer solch heftigen Reaktion von hart - "Es reicht" (fett gedruckt) - gegeben haben sollte, dann tut mir das leid. Leider verstehe ich den Grund nicht.


    Ich habe in einem - an SchallundWahn gerichteten - Beitrag mein Verständnis von Betätigung in einem Thread zum Kunstlied zum Ausdruck gebracht und ausdrücklich hinzugefügt, dass dies meine ganz persönliche Sicht ist. Mir war dabei bewusst, dass diese selbstverständlich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben kann, - die Art und Weise der Betätigung hier im Forum betreffend. Es versteht sich, dass jeder das so handhaben kann, wie er kann und mag. Warum fühlt hart sich angesprochen?


    Der Liederzyklus "Frauenliebe und Leben" wurde hier zum Gegenstand eines Threads gemacht. Er wirft - abgesehen davon, dass es hier um schöne Lieder geht - eine ganze Reihe von hochinteressanten Fragen auf. Theodor Storm schrieb zum Beispiel im Jahre 1874 an Paule Heyse: "Mörike sagte einstmals zu mir: das ist mir sehr zuwider - das ist auch meine Empfindung."


    Ein Liederzyklus mit solch kompositorisch höchst gelungenen Liedern ist einem Dichter wie Mörike "zuwider". Und Theodor Storm stimmt ihm darin zu. Mir aber ist er nicht nur nicht zuwider, - ich finde ihn sogar großartig. Das dürfte aus meiner Besprechung des ersten Lieds deutlich geworden sein.


    Wären solche Fragen nicht einen lebendigen Diskurs wert?
    Warum also diese Verärgerung des Thread-Starters? Lebhafte Betätigung in seinem Thread müsste doch in seinem Sinne sein.

    Dieses Liedes, einer der großen Lieder Mendelssohns, entstand 1834 auf den Text eines unbekannten Verfassers. Einige vermuten, dass es sich dabei um Gustav Droysen handeln könnte, der ja ein enger Freund der Familie Mendelssohn war und von dessen Gedichten Fanny Hensel sechs vertont hat. Das Lied steht in E-Dur, weist einen Viervierteltakt auf und mit „Espressivo, non lento“ überschrieben.


    Da lieg´ ich unter den Bäumen,
    Trüb´ ist mein Herz mir und schwer,
    O sage, sag´ mir getreulich,
    Mein Herz, was drückt dich so sehr?


    Der Himmel ist düster umzogen,
    Die Winde so schaurig weh´n,
    Das bringt mir düst´re Gedanken,
    Drum muß in Trauer ich gehen.


    Du hast die Freude verlassen,
    Es schweift in die Ferne dein Blick,
    O komm zurück zu den Frohen,
    O kehr´ den Deinen zurück!


    Es hat mich die Freude verlassen,
    Wo alles erstirbt in dem Hain,
    Schon sinkt die herbstliche Sonne,
    Bald bricht das Dunkel herein.


    Laß schwinden die Tage der Wonne,
    Laß fallen die Blätter herab!
    Sie kehren ja alle dir wieder,
    Verjüngt aus dunkelem Grab.


    Wohl klärt sich der Himmel, die Sonne
    Ersteht, es verjüngt sich der Hain,
    Mein Hoffen schwand und ersteht nicht.
    Das mag meine Trauer wohl sein.


    Das dreitaktige Klaviervorspiel, in das sich die Singstimme mit einem Vorhalt einfügt, ist geprägt von durch Sechzehntelpausen getrennte Akkordgruppen, die in eine immer weiter nach oben ausgreifende Figur aus Achtelakkorden münden. Klanglich mutet das wie ein leise verhallender Klageruf an.


    Der Ton der Klage prägt auch durchweg die melodische Linie dieses Liedes. Die Struktur ihrer Bewegung ist die eines wie müde wirkenden Sich-Erhebens, das alsbald wieder in sich zusammensinkt. Gleich bei der ersten Melodiezeile, die die beiden ersten Verse umfasst, ist das zu vernehmen. Zunächst verbleibt die Vokallinie bei den Worten „Da lieg ich unter den Bäumen“ auf einer Tonebene: Sie weicht von dem Ton „gis“ nur um eine Sekunde ab. Danach (zweiter Vers) bewegt sie sich zwar in Sekundschritten aufwärts und erreicht bei dem Wort „Herz ihren Höhepunkt. Dann aber geht es abwärts.


    Wie klanglich verdichtet hört man diese klagend fallende Bewegung der melodischen Linie beim letzten Vers der ersten Strophe, bei dem Mendelssohn wieder mit dem Prinzip der Wiederholung arbeitet. Beim ersten „Mein Herz, was drückt dich so sehr“ fällt die Vokallinie von einem „h“ herunter auf ein „fis“. Danach wird noch zweimal wiederholt (in zum Teil sprachlich modifizierter Form), und bei der zweiten Wiederholung wird die Expressivität der melodischen Linie noch dadurch gesteigert, dass ihre „Fallhöhe“ auf eine ganze Oktave ausgeweitet wird.


    Mit dem ersten Vers der zweiten Strophe kommt eine leichte Dramatik in die Bewegung der Vokallinie. „Agitato“ gibt Mendelssohn vor. Die Singstimme deklamiert zunächst in tiefer Lage auf einer Tonebene, erhebt sich von dort ganz langsam (im Intervall einer Sekunde nämlich) um nicht mehr als eine Quart, und das Klavier akzentuiert diese klanglich schwer wirkende Aufwärtsbewegung mit rhythmisch pochenden Akkorden.


    Überaus eindrucksvoll ist die melodische Fallbewegung bei dem Vers „Das bringt mir düstre Gedanken“. Wieder im Sekundschritt geht es von einem hohen „h“ abwärts. Dieses Mal aber folgt der Klavierbass dieser Bewegung unisono und verleiht ihr damit eine hohe klangliche Eindringlichkeit. Beide Verse der Strophe werden jetzt in die Wiederholung einbezogen. Und wieder dominiert die Fallbewegung in der Melodik, von Sechzehntelakkorden akzentuiert. Auf dem Wort „Trauer“ liegt bei der Wiederholung eine lange melodische Dehnung mit einer Fermate.


    Es handelt sich bei diesem Lied um ein variiertes Doppel-Strophenlied, - ein kompositorisches Konzept, das Mendelssohn offensichtlich sehr liebte. Die dritte und die vierte Strophe weisen dieselbe musikalische Faktur auf wie die erste und die zweite. Die fünfte Strophe ist, was die Bewegung der melodischen Linie anbelangt, mit der ersten und der dritten noch weitgehend baugleich, allerdings wird das Prinzip der Wiederholung beim letzten Vers ein wenig anders gehandhabt. Bei dem Bild vom „dunklen Grab“ erfolgt eine Steigerung der Expressivität dadurch, dass ein sprachliches „ja“ eingefügt wird, auf dem die melodische Linie in hoher Lage ansetzt, um danach wieder ihre Abwärtsbewegung zu vollziehen.


    Deutlich anders angelegt ist die musikalische Faktur der letzten Strophe. Wie ein lebhaftes Rufen wirkt die Vokallinie auf dem ersten Vers. Zweimal holt sie mit einem Terzsprung, der mit einem Sforzato versehen ist, in gleicher Bewegung nach oben aus. Danach aber folgt eine Pause, und was sich anschließt, ist die altbekannte Klageton-Fallbewegung. Dieses Mal geht es sogar noch weiter herunter, - bis zum tiefen „c“.


    Die Aussage des lyrischen Textes fordert dies: Das Hoffen ist geschwunden, und „Trauer“ ist das den Schluss des Liedes beherrschende Wort. Die Wiederholung des letzten Verspaares stellt dieses Wort ganz und gar in den klanglichen Mittelpunkt. Und ganz folgerichtig liegt auf ihm am Ende wieder die lange melodische Dehnung mit Fermate.

    Im Nachspiel des Zyklus tauchen die musikalischen Motive des ersten Liedes wieder auf. Ich hatte dazu in meiner Besprechung desselben gemeint: „Dem Anfang wohnt das Ende inne.“ Das kann man so sehen, denn dieses Lied weist vom lyrischen Text, aber erst recht von seiner Faktur her, einen hohen Grad an Reflektiertheit auf. Die tiefgreifende existenzielle Verunsicherung, die die Erfahrung der Liebe für das lyrische Ich mit sich bringt, beinhaltet, wie man an der Zögerlichkeit der Deklamation hören kann, auch die Ahnung der Vergänglichkeit.


    Hinzu kommt dieser Akkord am Ende der ersten und zweiten Strophe (nach „empor“ und „sein“), der zwar an sich nicht dissonant ist, aber auf der Grundlage des harmonischen Kontexts diese Wirkung entfaltet. Er wirkt einen Augenblick lang verstörend: Wie ein musikalischer Reflex eben dieser existenziellen Verstörtheit, in der das lyrische Ich sich in diesem ersten Lied sieht.


    Man kann diesen Sachverhalt aber auch anders deuten, und es spricht einiges dafür, dass diese Deutung näher liegt. Wenn im Nachspiel die Motive des ersten Liedes wieder aufklingen, so ist das auch so zu verstehen: Nach dem letzten Lied, das die Erfahrung des Todes musikalisch artikuliert und in dessen Zentrum die Worte stehen: „Die Welt ist leer, ist leer“, weist das Nachspiel darauf hin, dass die Liebe den Tod zu überdauern vermag.

    Wenn es mir gelungen sein sollte, dass Du, liebe SchallundWahn, das erste Lied dieses Zyklus und die kompositorische Intention Schumanns ein wenig besser zu verstehen vermagst, dann freue ich mich ganz einfach darüber. Nicht mehr und nicht weniger. Denn aus diesem Grund - und keinem anderen - mache ich von Anfang an Liedbetrachtungen hier im Forum.


    Und ich meine - und werde dafür, wie man hier wieder einmal nachlesen kann - dafür angefeindet, dass man, wenn man einen Thread zu einem Liedkomponisten oder einem Liederzyklus hier im Forum startet, sich als Thread-Initiator nicht darauf beschränken und damit begnügen sollte, die Liedtexte einfach nur abzudrucken und sie allenfalls mit einem kurzen Kommentar zu versehen. Für mich heißt das Starten eines Threads zu einem Liedthema, dass man sich selbst gründlich in das Thema hineinkniet. Alles andere ist für mich - ich betone das "für mich" - schlichte Bequemlichkeit.


    Das ist freilich nicht Dein Thema hier. Obwohl, - Du trägst unter Deinem Namen die grüne Bezeichnung "Anfänger". Sie besagt zwar überhaupt nichts über die eigentliche Qualifikation als Mitglied dieses Forums. Aber sie sagt etwas über die Kenntnisse hinsichtlich der internen Kommunikationsstrukturen und -intentionen in diesem Forum aus. Diesbezüglich dürftest Du tatsächlich noch "grün" sein. Und das ist auch der Hintergedanke bei meinen Anmerkungen eben gerade.


    Nun kommt aber ein dickes ...


    ABER: Ein "demütiges Verneigen" vor einer solch einfachen Liedbesprechung ist, wenn ich mir diese Anmerkung erlauben darf, ganz und gar unangebracht. Ich bin wie Du ein musikwissenschaftlicher Laie, der schon an der einfachen Aufgabe scheitert, eine harmonische Modulation in einem Notentext auf Anhieb zu erkennen oder einen verminderten Septimakkord als solchen ohne mühsames Buchstabieren (wie ein Viertklässler) zu erkennen. "Demütiges Verneigen" wäre einem Dietrich Fischer-Dieskau gegenüber angebracht gewesen. Und ich hätte das gar zu gerne getan, wenn ich ein einziges Mal in meinem Leben vor ihm gestanden und ihm nicht nur aus der großen Distanz der Sitzreihe fünf, sechs oder sieben gegenüber gesessen hätte. Der hätte sich übrigens - aus Respekt vor dem Komponisten - sehr wohl gehütet, einen Liederzyklus, der aus der Perspektive einer Frau und für eine Frauenstimme komponiert wurde, als Bariton auf der Bühne oder vor dem Mikrophon zu interpretieren. Aber heutzutage ist das Wort "Respekt" ja zu einem Fremdwort geworden.


    Eben habe ich gerade das erste Lied in der Interpretation von Kathleen Ferrier gehört. "Möchte lieber weinen, still im Kämmerlein" kann niemand so unmittelbar anrührend singen wie sie.

    Dem Gedicht liegt als Versfuß ein Trochäus zugrunde. Rhythmisch ist das ein ruhiges Fließen der lyrischen Sprache, das am Ende der Verse in eine Pause mündet. Das ist dem gedanklichen Inhalt derselben voll gemäß, denn das lyrische Ich hat sich gerade in einen anderen Menschen verliebt. Es ist aber durch dieses „Ereignis“ – bei allen glücklichen Gefühlen - in eine tiefe existenzielle Verunsicherung geraten. Sie geht so weit, dass es meint „blind“ zu sein. Nur noch dieses eine Wesen vermag es zu sehen, und rings um es herum ist alles licht- und farblos. Das alte Mädchen-Leben ist auf den Kopf gestellt; das alte Spiel mit den Freundinnen geht nicht mehr. Und nicht nur das. Dieses verliebte junge Wesen möchte „weinen, still im Kämmerlein“.


    Wie greift Schumann diese hochkomplexe seelische Situation des lyrischen Ichs kompositorisch auf? Er schreibt, - bei einem Dreivierteltakt – ein „Larghetto“ vor und unterlegt dem Lied den Rhythmus einer Sarabande. Das ist klanglich-musikalisch ernste Feierlichkeit, die dem lyrischen Trochäus entspricht und allen Aussagen musikalisches Gewicht verleiht. Es geht um etwas existenziell Wesentliches und Wichtiges.


    Man kann darüber nachdenken, dass dieser Sarabande-Rhythmus auch dem Totentanz zugrundliegt und dass die musikalische Faktur des Liedanfangs im Nachspiel des letzten Liedes – bei dem es um den Tod geht – wiederkehrt. Zweifellos steckt kompositorische Absicht dahinter: Das erste Lied soll mit dem letzten musikalisch verkoppelt werden. Dem Anfang wohnt das Ende inne.


    Die Faktur des Liedes spiegelt in vollkommener und bewundernswerter Weise die Seelenlage des lyrischen Ichs, wie sie sich in den beiden Strophen darstellt. Bei der Melodiezeile, die auf dem ersten Vers liegt, wird auf einem Ton, einem „f“, deklamiert, - mit einem einzigen Sekundschritt nach oben. Das hat etwas Zögerliches an sich. Und prompt folgt auch eine Viertelpause. Bei der zweiten Melodiezeile verläuft das ähnlich. Auch sie mündet in eine Pause. Warum?


    Das lyrische Ich ist durch die Erfahrung der Liebe tief verunsichert. Es muss sich erst dessen vergewissern, was geschehen ist, „seit es ihn gesehen“. Die musikalischen Pausen sind Augenblicke der Selbstfindung und Selbstvergewisserung. Und die Feststellung des vermeintlichen „Blind-Seins“ bekommt mit der Rahmung durch Pausen darüber hinaus mehr musikalisches Gewicht.


    Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass diese Pause beim ersten und zweiten Vers der zweiten Strophe fehlt. Das ist in der Aussage des lyrischen Textes begründet: Hier trifft das lyrische Ich eine Feststellung (Sonst ist licht- und farblos / Alles um mich her“). Eine Pause der Selbstbesinnung und –vergewisserung ist hier nicht angebracht.


    Anlass zum Nachdenken bietet auch der Klaviersatz, mit dem das Lied einsetzt: Staccatierte Viertel, die gleichwohl durch Bögen miteinander verbunden sind. Warum? Man kann nur Vermutungen aufgrund des klanglichen Eindruckes anstellen. Wollte Schumann ein zu starkes klangliches Fließen der ersten Aussagen vermeiden, um ihnen nicht das Gewicht zu nehmen, das ihnen vom lyrischen Text her zukommt? Deshalb also das Staccato, das genau der Deklamation folgt und ihr zusätzlichen Nachdruck verleiht.


    Dafür würde auch sprechen, dass er in die erste Pause der Vokallinie einen Akkord in der Klavierbegleitung setzt, der wie eine Überleitung wirkt und der melodischen Linie gleichsam einen Ansatzpunkt bietet, ihre gleichsam stockende, weil in innerer Verunsicherung wurzelnde Bewegung fortzusetzen.


    Nach diesem stockenden Einsatz der melodischen Linie bei den ersten drei Versen, bei der diese sich bezeichnenderweise auf einer Tonebene bewegt, kommt es dann aber, wenn „ER“ ins Blickfeld gerät, zu einem melodischen Aufschwung. Bei den Worten „ich ihn“ bewegt sich die Vokallinie jetzt um eine Terz höher, und Schumann schreibt ein Ritardando vor, um dieser musikalischen Aussage größeres Gewicht zu verleihen. Und wenn gar „sein Bild“ in die Imagination des lyrischen Ichs eintritt, kommt große Emphase in die Vokallinie: Bei den Worten „wachen“ und „Bild“ beschreibt sie einen bis zum hohen „es“ ausgreifenden und mit einer leichten Dehnung (punktierte Viertelnote) versehenen Bogen.


    Wunderbar ist Schumann die kompositorische Gestaltung der letzten beiden Verse der ersten Strophe gelungen. Bei dem Wort „tiefstem Dunkel“ macht die Vokallinie einen überaus expressiven Septfall, dem gleich darauf ein Sextsprung nach oben folgt. Das ist musikalische Evokation des lyrischen Bildes vom aus „tiefstem Dunkel“ aufsteigenden Bild des Geliebten. Das Wort „heller“ wird dabei, seiner lyrischen Bedeutung entsprechend, wiederholt, - dieses Mal mit einem Quartsprung musikalisch akzentuiert.


    Es scheint mir – auch um nicht zu ausführlich zu werden – nicht erforderlich zu sein, in gleich differenzierter Weise auch auf die zweite Strophe einzugehen. Das ist auch nicht erforderlich, weil dort die Bewegung der melodischen Linie in ihrer Grundstruktur ähnlich ist. Es dürfte deutlich geworden sein, warum dieser Liedzyklus mit einem solch ernsten Grundton einsetzt:


    Es geht Schumann nicht um die musikalische Expression des Verliebtseins, sondern um das kompositorische Aufgreifen der im lyrischen Text zum Ausdruck kommenden existenziellen Bedeutsamkeit dessen, was sich in der Begegnung mit einem anderen Menschen ereignet, - einem Ereignis, dem das Wort „Liebe“ zugemessen ist.

    SchallundWahn fragt: "Ist er nun eine Beschwörung Schumanns seines gemeinsamen Lebens als Komponist und Ehemann, wie helmut sagt, oder greift das nicht vielleicht etwas kurz?"


    Wieso wäre das ein Zu-kurz-Greifen"? Diese Aussage bezog sich ja nur auf die Frage nach der der zugrundliegenden Motivation. Sie sagt noch nichts über die künstlerische Aussage der einzelnen Lieder und des ganzen Werkes aus.


    Aber: Schön wäre doch, wenn wir dieser Frage im Verlauf der Besprechung des Zyklus nachgehen könnten. Ich versuche gerade, mich auf das erste Lied ein wenig näher einzulassen. Vielleicht bietet sich da ja schon ein Ansatz, um die Frage nach dem "dunklen Ton" zu klären.

    Und ich meine, wir sollten uns nun mit dem Liederzyklus selbst beschäftigen und den biographischen Hintergrund als hinreichend ausgeleuchtet betrachten. Was den Zyklus selbst betrifft, ist hierzu alles Wesentliche gesagt worden:


    Das Werk entstand im "Liederjahr" 1840 an nur zwei Tagen im Monat Juli. Robert Schumann identifiziert sich ohne Abstriche mit den lyrischen Aussagen der Gedichte Chamissos. Dessen letztes Gedicht klammerte er aus, - worauf noch einzugehen sein wird. Was das Motiv zur Komposition anbelangt, so gibt es dazu keine Erkenntnisse aus den schriftlichen Quellen. Es darf angenommen werden, dass Robert Schumann - so meine These - diesen Liederzyklus als eine Art kompositorische Beschwörung seines gemeinsamen Lebens als Komponist und Ehemann verstand. Er versetzte sich dabei in den weiblichen Partner.

    Ich habe den Artikel gelesen. Der Journalist, der folgenden Satz schrieb:


    "Dass Schumann, im Reich der Töne ein Götterliebling, charakterliche Schwächen besaß, war vielen Biografen peinlich."


    ...hätte besser mal einen Blick in die neuesten Schumann-Biographien geworfen. Dieses Schumann- Bild, das er für revisionsbedürftig hält, gibt es schon seit längerer Zeit nicht mehr. Die "charakterlichen Schwächen" Schumanns sind sattsam bekannt. Und man weißt sie inzwischen im Kontext seiner Biographie als Mensch und Komponist richtig einzuschätzen. Außer den juristischen Aspekten - die mich herzlich wenig interessieren, muss ich gestehen - habe ich dem Artikel nichts Neues entnehmen können.


    Er hätte beispielsweise mal nachlesen sollen, wie sehr Robert Schumann darunter gelitten hat, dass man ihn bei der gemeinsamen Konzertreise nach Rußland (25.Januar - 24.Mai 1844) in gar keiner Weise beachtete, sondern die Pianistin Clara bejubelte. Das Verhältnis von Robert und Clara Schumann war ein wenig komplexer, als es in diesem Artikel erscheint. Völlig ausgeblendet wird, dass Robert Schumann unter extremen Minderwertigkeitskomplexen litt und seine Tätigkeit als Komponist als eine Art Beruf (und Berufung) verstand, mit dem er unter Beweis stellen konnte, dass die Selbstzweifel - und die Zweifel Wiecks! - unberechtigt waren. Auch seiner Frau Clara gegenüber sah er sich unter diesem Beweiszwang.

    Gerade lese ich da etwas von "Links" und "Schumann, das eiskalte Genie". Wer diesen Titel erfunden hat, kann garantiert keine Ahnung von Robert Schumann haben. Wenn einer kein(!) "eiskaltes Genie" war, dann dieser Komponist. Bei einem Artikel, dem eine solche Überschrift vorangestellt wird, kann es sich nur um oberflächlichen Journalismus handeln. Ich plädiere noch einmal für das eigene Nachdenken über die Lieder dieses Zyklus.

    Lieber hart, nicht böse sein!


    Aber mit "Nachdenken" über Lieder meine ich nicht das Zitieren aus Reclams Liedführer (wie ich das nun eben zweimal lesen muss), sondern das eigene nachdenkliche Sich-Einlassen auf das, was da zu hören ist. Ich klammere dabei ganz bewusst den Aspekt "Was in den Noten zu lesen ist" aus.


    Das erste Gedicht von Chamisso hat das Gerade-Verliebt-Sein einer jungen Frau zum Thema. Schumann unterlegt diesem lyrischen Text aber einen feierlich ernsten Sarabande-Rhythmus und schreibt ein "Larghetto" vor. WARUM?


    Unter "Nachdenken über das Lied" verstehe ich, dass man sich einer solchen Frage widmet und das, was einem dazu einfällt, hier ins Forum stellt.
    Ich räume freilich gerne ein, dass man diese Haltung nicht teilen muss. Ich werde mich allerdings nicht davon abhalten lassen, sie auch in Threads wie diesem zu verfolgen und meine Verwunderung darüber zum Ausdruck zu bringen, dass ein Thread-Initiator sich mit dem Zitieren von Reclam begnügt.
    Nichts für ungut!

    Zit.: "Bevor ich das nächste Lied einstelle..."


    Nanu! Das erste Lied ist doch noch gar nicht richtig besprochen worden. Da ist eine junge Frau verliebt und bekennt: "Seit ich ihn gesehen, / Glaub ich blind zu sein...". Aber dieses Lied klingt in keiner Weise beschwingt und beflügelt. Fast möchte man meinen, eine Spur von Traurigkeit darin zu hören. ShallundWahn hat sich schon darüber gewundert. Was will Schumann mit diesem Lied musikalisch ausdrücken? Wie ist die Komposition aufgebaut, so dass dieser Eindruck von Ernst sich einstellt?


    Sollte man darüber nicht erst einmal nachdenken?

    Dieses Lied weist tatsächlich in der Struktur seines Klaviersatzes eine für Mendelssohn ungewöhnliche Vielfalt auf. Und es ist nicht nur die vordergründige Vielfalt, die bemerkenswert ist, es ist auch die Tatsache, dass das Klavier hier zum eigenständigen „Mitspieler“ wird, der der lyrischen Aussage musikalische Akzente verleiht.


    Bei den Versen der ersten Strophe besteht die Klavierbegleitung im wesentlichen aus einer Aufeinanderfolge von Achtelakkorden, die aber nicht nur die Deklamation der Singstimme stützen, sondern in ihrer harmonischen Binnenstruktur dieser auch folgen, also der melodischen Linie klanglich Farbe verleihen.


    Bei der zweiten Strophe entfaltet sich im Klavierbass eine melodische Linie, über der im Diskant, von Pausen getrennt, einzelne Akkorde eingelagert sind. Es wird beim Hören recht deutlich, dass hier das Klavier die seelischen Regungen des lyrischen Ichs musikalisch aufgreift: Dieses „Entfernt-Sein“ von dem Geliebten, das dazu führt, dass „die Gedanken in die Runde geführt“ werden. Seelisches Bewegt-Sein spiegelt sich im Klaviersatz.


    Bei dem Sich-Hineinsteigern des lyrischen Ichs in die Erinnerung an „jene“ Stunde kommt große Emphase in die melodische Linie: Sie steigt in große Höhe auf und verharrt dort in Form einer langen Dehnung. Hier nun erklingen parallel im Bass und Diskant volle Achtelakkorde. Die in diesen eingelagert melodische Linie folgt der Bewegung der Singstimme, - steigert also deren Emphase.


    Wieder anders stellt sich die Struktur des Klaviersatzes in den beiden letzten Strophen des Gedichts dar. Hier, wo es um die Besinnung des lyrischen Ichs auf den Reichtum geht, den die Liebe für es bedeutet, erklingt im Diskant dieses Auf und Ab von Sechzehnteln und Achteln, das, eben weil es eine ausgeprägte rhythmische Dynamik aufweist, klanglich beschwingt und beflügelnd wirkt.

    Zit. SchallundWahn: "Beinah will es mir so scheinen, als wolle Schumann mit seiner Gestaltung das innewohnende Frauenbild dieser Gedichte kritisieren bzw. seine Betroffenheit darüber ausdrücken, dass dies zu seinr Zeit das Ideal darstellte...es ist alls ironisiere er auf gewisse Weise die Verherrlichung des Mannes, dieses Nur-für-ihn-leben, das er es auch bei seiner eigenen Frau erblickte."


    Das ist in der Tat eine "steile These", liebe SchallundWahn. Es gibt dafür keinerlei Anhaltspunkte in der Faktur der Lieder: Schumann identifiziert sich ohne erkennbare Brüche in der Melodik und Harmonik voll und ganz mit dem Inhalt der lyrischen Texte. Was er in seinen Liedkompositionen "leistet", das ist eine musikalische Ausleuchtung der dichterischen Aussage. So stimmt er beispielsweise musikalisch voll und ganz in den dichterischen Jubel von "Er, der Herrlichste von allen..." ein (2.Lied), - aber in der dritten Strophe, wo es um "selig nur und traurig sein" geht, tauchen Septimakkorde auf.


    Nein, - diese These ist garantiert unhaltbar! Tut mir leid, das so "knallhart" formulieren zu müssen.

    Zit. Schallundwahn: ..."die von ihm erwähnten deutlichen Zeichen in der Faktur erläutern würde."


    Oh, oh! Ich hatte gar nicht vor, mich näher auf die Lieder einzulassen (das "Oh Oh" bitte als Aufstöhnen nehmen), denn ich beiße mir gerade an einer anderen Lied-Sache die Zähne aus und will auch den Mendelssohn-Thread noch abschließen. Auf alle Lieder dieses Zyklus werde ich ganz bestimmt nicht eingehen können, - aber auf einige Aspekte in der Faktur einzelner Lieder wohl doch.


    Auf den dunklen Grundton dieses Zyklus, den SchallundWahn erwähnt, hatte ich auch schon verwiesen. Das hängt ganz wesentlich mit der Wahl der Tonarten und mit der Art, wie die Harmonik eingesetzt wird, zusammen. In den ersten Liedern wählt Schumann B-Tonarten(B-Dur, Es-Dur, c-Moll, Es-Dur- B-Dur.) Die Zeit nach der Hochzeit wird in wesentlich heller wirkenden Kreuztonarten kompositorisch gestaltet. Bemerkenswert ist dann das d-Moll beim letzten Lied.


    Zu den weiteren Fragen von Schallundwahn: Es kann kaum ein Zweifel bestehen, dass Schumann die Empfindungen von Clara ihm gegenüber in diese lyrischen Texte Chamissos hineinprojizierte. Wenn man den Briefwechsel zwischen beiden unter diesem Aspekt studiert und ihre Tagebücher liest, hat man da kaum einen Zweifel mehr. Eine durchaus typische Stelle: "Sei Du mein Alles, auch mein Vater, nicht wahr, Robert." Dass sie ihre eheliches Leben als ein "Leben in ihrem Robert und für ihn" verstand, war diesem bewusst.


    Ich hatte ja oben die These vertreten, dass man die Komposition dieses Liederzyklus unter biographischem Aspekt durchaus als eine Art künstlerische Beschwörung des Glücks, das Liebe und Ehe mit sich zu bringen vermögen, verstehen kann, - im Wissen um die Vergänglichkeit dessen.


    Ob Robert Schumann hinsichtlich seines Frauenbildes "ein Kind seiner Zeit " war? Nein, das war er nicht, - allenfalls mit Einschränkungen. Vergleicht man die Biographien von Clara Schumann und Fanny Mendelssohn (Hensel), dann fällt auf, wieviel Freiraum Clara zur eigenen künstlerischen Entfaltung hatte. Sie war gerade nicht - wie Fanny Hensel - zu einem Leben im engen Raum der Häuslichkeit und zur totalen Ausfüllung der Rolle als Ehefrau und Mutter verdammt.

    Alfred Schmidt meint: "Wenn man das sooo sieht, dann ist VIELES, was Chamisso und Zeitgenossen schrieben - eine poetische Katastrophe."

    Es ist - leider - zu allen Zeiten schlechte Poesie verfasst worden, - auch in der Zeit der Romantik. Adalbert von Chamisso ist als Dichter am besten, wenn er in einen balladesken Ton verfällt. Ansonsten ist bei ihm leider eine fatale Neigung zur Süßlichkeit und zur Übertreibung in der lyrisch-sprachlichen Gestaltung von Affekten festzustellen. So auch in dem Zyklus "Frauenliebe und Leben". Kein Mensch würde diese Gedichte heute noch zur Kenntnis nehmen oder gar lesen, hätte Schumann nicht Lieder daraus gemacht.


    Übrigens: Schumanns Tochter Eugenie berichtete, eine Sängerin habe ihren Unmut darüber zum Ausdruck gebracht, dass in diesem Liedrzyklus zwei Männer die Frau in dieser Weise beweihräuchern. (Ob sie wohl von den homoerotischen Neigungen Chamissos wusste?)


    Nun kommen aber gleich mehrere "ABER":


    1. Liest man in Tagebüchern von Frauen aus dieser Zeit, dann stellt man fest, dass diese Gefühlsüberladenheit, mit der Liebe und Ehe damals sprachlich artikuliert wurden, allgemein verbreitet war. Ich gebe mal gerade ei Beispiel aus dem Mädchentagebuch Clara Wiecks (letzter Eintrag 12. Sept.): "Mein ganzes innere war von Dank erfüllt Dem, der uns doch endlich über so viele Felsen und Klippen einenander zugeführt; mein inbrünstiges Gebet war, daß es Ihm gefallen möchte, mir meinen Robert recht lange, lange Jahre zu erhalten - ach!, der Gedanke, ich möchte ihn einmal verlieren, wenn der über mich kömmt, dann verwirren sich gleich alle meine Sinne (...). Jetzt geht ein neues Leben an, ein schönes Leben, das Leben in dem, den man über Alles und sich selbst liebt...". Chamisso bringt also - freilich poetisch überstilisiert - durchaus den Zeitgeist zum Ausdruck. Insofern ist Alfred Schmidt durchaus, zuzustimmen, wenn er sagt: "Aber ich finde, gerade das Museale, Antiquierte, den Blick in das - wenn auch nachempfundene - Seelenleben von Menschen der Vergangenheit (hier: Romantik) interessant...."


    2. Man kann, wenn man einmal über die Chamisso-typische lyrische Sprachlichkeit hinweg - oder hindurch - auf den Kern dieser Gedichte blickt, diese als dichterische Gestaltung der Lebenstationen einer Frau lesen, - gleichsam im antiken Gestus poetisch-exemplarischer Stiliierung und Überhöhung. So hat Robert Schumann wohl auch diese Gedichte gelesen und sie aus dieser Perspektive heraus für kompositionswürdig befunden.


    3. Es wäre ein schwerer Fehler, die musikalische Qualität dieses Liederzyklus an der dichterischen Qualität der zugrundeliegenden Texte zu messen. Jede(r) von uns weiß, dass es unzählige großartige Lieder auf mittelmäßige lyrische Texte gibt. Gerade Schubert ist dafür ein gutes Beispiel. Die Tatsache, dass Schumann, der ansonsten großen Wert auf poetische Qualität legte und diesbezüglich über ein ausgezeichnetes Urteilsvermögen verfügte, zu diesen Gedichten von Chamisso gegriffen hat, sollte nachdenklich machen. Hört man sich die Lieder dieses Zyklus gerade mit Blick auf die zugrundliegenden Texte an, dann stellt man fest, dass die poetischen Übertreibungen Chamissos von Schumanns Musik in manchmal erstaunlicher Weise aufgefangen und kompensiert werden. In Schumans Vertonung klingen diese Gedichte anders, als wenn man sie laut liest. Ein Blick in die Faktur der Lieder lässt auch deutlich werden, woran das liegt.

    Deinen Beitrag, lieber SchallundWahn, habe ich mit großem Interesse - und auch mit Freude - gelesen. Du stellst die Frage:
    "Dann stelle ich mir die Frage, warum hat Schumann sich diese Texte gewählt? Sah er darin etwas, dem er durch seine Musik etwas Tiefes, 'Zeitloses' geben kann oder wollte der den Text gar etwas an seiner Musik brechen?"


    Ich habe das jetzt nicht noch einmal gründlich nachgeprüft. Aber soweit ich weiß, gibt es in den Quellen, die wir zu Schumanns Liedkomposition haben, keinen Hinweis auf das Motiv für den Entschluss, diesen Gedichtzyklus von Chamisso zur Grundlage eine Liederzyklus zu machen. Die Biographen sind diesbezüglich auf Spekulationen angewiesen. Was man gesichert weiß, ist: Die Komposition entstand in nur zwei Tagen Mitte Juli 1840.


    Ich spekuliere mal meinerseits. In diesem "Liederjahr" hat Schumann (u.a.) zwei große Liedwerke komponiert, die zutiefst romantischen Geist atmen. Sowohl in der "Dichterliebe" als auch im Eichendorff-Liederkreis op.39 gibt es diese eben für diesen "romantischen Geist" typische Untergründigkeit und innere Zerrissenheit, bei gleichzeitiger - aber im Grund vergeblicher - Suche nach einem Halt. Ich erinnere an solche Lieder wie "Zwielicht" oder "Ich hab´im Traum geweinet".


    Schumann war als Mensch und Komponist ein innerlich zutiefst zerrissenes Wesen. Vielleicht, so denke ich, wollte er einfach einmal seine Gefühle als künftiger Ehemann in einer gleichsam ungebrochenen und gesteigert emphatischen Weise kompositorisch ausleben. Nein besser: Beschwören! - Ich glaube, das trifft´s!


    Obwohl, - so ganz und gar "ungebrochen" ist ja auch dieser Liederzyklus nicht, - wenngleich nicht in jener radikalen Form, wie man sie in der "Dichterliebe" erleben und erfahren kann. Immerhin ist auffällig, dass Schumann verwandte B-Tonarten bevorzugt, die dem Zyklus eine gewisse klangliche Dunkelheit verleihen. Lediglich bei jenen Liedern, bei denen es um Mutterglück geht, tauchen Kreuztonarten auf.


    Wie überhaupt man sich auf das kompositorische Innere dieses Werkes noch ein wenig näher einlassen sollte. Meine Frage übrigens, ob es sich dabei um ein wirklich bedeutendes Werk Schumanns handele, war eine rein rhetorische.

    Zit hart: "Menschliche Gefühle sind zeitlos - Schmerz, Leid, Trauer und Freude oder auch eine gewisse "Verrücktheit" hat es praktisch schon immer gegeben,"


    Diese Feststellung ist zweifellos zutreffend. Nur wird dabei ein wesentlicher Sachverhalt übersehen: Es geht hier darum, wie diese "meschlichen Gefühle" künstlerisch artikuliert werden. Nicht die "Gefühle selbst" sind hier der Gegenstand unserer Reflexion, sondern die sprachliche und die musikalische Form, in der sie in diesem Zyklus zum Ausdruck gebracht werden.


    Der Hinweis: "die Literatur ist schließlich voll von Beispielen" müsste deshalb um einen wesentlichen Zusatz ergänzt werden: In dieser Literatur gibt es künsterisch gelungene - und noch heute nachvollziehbare - Gestaltungen dieser "menschlichen Gefühle" und daneben auch solche, die nicht gelungen sind, weil sie zum Beispiel ihrer Zeitgebundenheit verhaftet blieben. Solches gilt - unbestreitbar - für diese Chamisso-Gedichte.


    Mathias Walz hat darauf hingewiesen, dass es sich um typische Biedermeier-Poesie handelt: "Dichterische Meisterschaft bedeutete um 1830 (...) die Beherrschung der Formen und der Techniken: in der Modifikation und Funktionalisierung der poetischen Elemente beweist sich der nachklassische Lyriker." So - und nur so! - kann man diese Gedichte heute noch lesen.


    Ein Vers wie:
    "Höre nicht mein stilles Beten,
    Deinem Glücke nur geweiht;
    Darfst mich niedre Magd nicht kennen,
    Hoher Stern der Herrlichkeit!" ...
    ist -gelinde gesagt - eine poetische Katastrophe!


    Das, was ich hier an Beiträgen zu diesem Zyklus, insbesondere in Beitrag Nr.20 an Fragen gestellt habe, zielt auf eine "genauere" Betrachtung der einzelnen Lieder und der inneren kompositorischen Architektur des Zyklus ab. Das meinte das von hart kritisierte Wort "genau" in meinem Beitrag. Das Aufzeigen der Art und Weise zum Beispiel, wie Schumann die gewaltige Emphase, die das von Strano Sognatur mit dem Verdikt "ungesunde Gefühlslage" versehene Gedicht "Er, der Herrlichste von allen" aufweist, von Schumann musikalisch aufgegriffen und liedmäßg umgesetzt wurde.

    Zit.: "Er thematisiert auch problematische, nicht unbedingt "gesunde" Gefühlslagen. Zeitloser geht es nicht. "


    Inwiefern tut er denn das? Das wäre im einzelnen aufzuzeigen.


    Der Begriff "gesunde, bzw. ungesunde Gefühlslagen" scheint mir im übrigen an sich und in seiner Anwendung auf diesen Zyklus problematisch.

    Ich versuche, in zusammengefasster Form auf die zu meinem Beitrag hier erfolgten Stellungnahmen einzugehen. Dabei muss ich mich, denke ich, nicht auf die Feststellung einlassen: "Bevor ich Lieder höre, arbeite ich doch nicht einen ganzen Katalog von theoretischer Fragen ab." Denn das ist unstrittig. Ich bitte nur zu bedenken: Her geht es nicht ums Liederhören, sondern ums Liederreflektieren, - ums mal salopp zu formulieren.


    Aber im einzelnen:
    Zunächst einmal ist es eine gut belegte Tatsache, dass die Rezeption von Schumanns Opus 42 unter der spezifischen Eigenart seiner Textgrundlage - eben ihrer stark ausgeprägten Historizität - gelitten hat. Es wäre also, wenn man sich dieses Werk Schumanns hier vornimmt, eine sachbedingte Notwendigkeit, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen. Die Frage ist: Was hat uns ein Werk zu sagen, dem ein Frauenbild und ein Ideal von liebevoller Zweisamkeit zwischen Mann und Frau zugrundeliegt, das heute nicht mehr - oder nur sehr begrenzt - nachvollziehbar ist.


    Man komme mir bitte nicht mit "Zeitlosigkeit". Wenn es diese in diesem Werk tatsächlich gibt, dann mögen doch bitte diejenigen, die diese These vertreten - nebenbei: Ich gehöre dazu! - , genau angeben, worin diese Zeitlosigkeit denn besteht. Es gibt zu diesem Fragekomplex eine Untersuchung von Matthias Walz. Er plädiert dafür, die Gedichte Chamissos gleichsam mit historischem Blick zu lesen, sie akls typische Biedermeier-Dichtung zu verstehen. Damit ist aber noch nicht die Frage nach der künstlerischen Aussage des Liederzyklus selbst beantwortet.


    Man fragt mich, warum mir beim Lesen der Auslassungen über diese oder jene Sängerin "zum Heulen" war. Nun deshalb:


    Ich lese bei Harmut Höll: "Schumanns >Frauenliebe und Leben< ist eine in großartiger Weise durchstrukturierte Komposition, von bewundernswerter Klarheit der Architektur im einzelnen Lied wie auch das ganze Werk betreffend. Eine solche kann ich in der >Dichterliebe< nicht finden."


    Matthias Walz vertritt die These, dass Schumann, indem er mit dem Lied "Nun hast du mir den ersten Schmerz getan" endet - und nicht mit dem an neunter Stelle stehenden Lebensrückblick - endet, deutlich werden lässt, dass es ihm in seinem Zyklus um eine "Tonsprache der musikalischen Unmittelbarkeit, des Erlebens, der inneren Erfahrung" gehe. Und man kann dies bei den enzelnen Liedern, insbesondere anhand der kompositorischen Faktur des letzten Liedes, sehr schön nachweisen.


    Ich habe diesen Thread so verstanden, dass man sich hier solchen unmittelbar werkbezogenen Fragen zuwendet, der Frage der inneren Architektur des Zyklus und der spezifischen Faktur seiner Lieder. Immer die Frage im Blick, worin denn nun eigentlich die überzeitliche Gültigkeit seiner künstlerischen Aussage besteht. Gibt es diese "Tonsprache der musikalischen Unmittelbarkeit" in diesen Liedern? Wenn ja, wie sieht sie aus? Welche musikalisch-interpretativen Akzente setzt Schumann eigentlich bei der Vertonung von Chamissos Gedichten?


    Aber zum Thema sängerische Interpretation habe ich natürlich auch eine klare Auffassung: Ich höre dieses Werk gesungen von Kathleen Ferrier. Eine großartigere Interpretation ist mir bislang noch nicht begegnet. Ich könnte sogar begründen, warum diese Interpretation von Kathleen Ferrier singulär ist. Aber erst, wenn ich mich mit den viel wichtigeren Fragen der Werkinterpretation selbst auseinandergesetzt habe.


    (Das Katzenfoto bei Rheingold1876 entzückt mein Herz übrigens stets von Neuem. Gerade habe ich auf meinen fünf Katzengräbern im Garten neue Blümchen gepflanzt. Ich bitte um Nachsicht für diese nicht zu Sache gehörende persönliche Bemerkung)

    Du hast mich nicht "verärgert", lieber Schallundwahn. In gar keiner Weise. Ich hätte nur gerne, dass man sich erst einmal jenen Fragen zuwendet, die unmittelbar mit dem musikalischen Werk und seiner Aussage zu tun haben.


    Ich habe sie aufgeworfen, weil sie nicht nur meine sind, sondern auch von anderen an dieses Werk gestellt wurden. Sie sind sozusagen "sachbedingt".


    Die Frage der Interpretation dieses Liederzyklus ist sicher auch eine interessante. Aber ist sie eine sekundäre.

    Eine solche Bemerkung (Zit. zweiterbass): "ich will mich weder zur Interpretation noch zum Text äußern, auch nicht zu den Liedern selbst. Mir geht es nur um die zu den Liedern für mich passende Stimme der Sängerin. "...


    ...genügt, - und schon ist man von diesem musikalischen Werk wieder einmal weit weg und bei seiner Lieblingsbeschäftigung hier im Forum: Bei den Sängern und Sängerinnen. (Es ist zum Heulen!)


    Dabei hätte dieser Liederzyklus eine intensive Beschäftigung mit seiner spezifischen kompositorischen Eigenart und seiner künsterischen Aussage wirklich verdient. Er wirft nämlich einige Fragen auf. Ich nenne sie mal:


    - Ist er in seiner liedkompositorischen Substanz und in seiner künstlerischen Aussage wirklich ein bedeutendes Werk Robert Schumanns?


    - Ist seine künstlerische Aussage wirklich noch zeitgemäß?


    - Musikalische Werke können veralten, - dann nämlich, wenn sie sich im Akt ihrer Entstehung nicht von ihrer zeitgemäßen Bedingtheit zu lösen vermögen. Liegt bei diesem Zyklus ein solcher Fall vor?


    Mitsuko Shirai und Hartmut Höll haben dieses Werk mehrfach aufgeführt. Hartmut Höll merkt dazu an - und das war beiden ein Problem:


    "Denn immer wieder saßen einige junge Mädchen im Publikum, die zeigten, dass dieses Schwärmen von ihm, dem Herrlichsten, so nicht mehr in unsere Zeit passt."


    Es wäre doch interessant, sich einmal diesen, wirklich gegenstandsbezogenen, Fragen zuzuwenden, anstatt solche Feststellungen für bemerkenswert und thematisch relevant zu halten:


    "Opernstimmen sind häufig zu schwer und "exaltiert" in ihrem Ausdruck." Oder: "Ich hatte sie wegen ihrer für mich mangelhaften nicht so guten Textverständlichkeit (was für mich zum Stimmklang gehört) nicht genannt."