Beiträge von Helmut Hofmann

    Danke für Deinen Zuspruch, lieber zweiterbass! Es ist eine eigentümlich berührende Erfahrung, wenn einem in dieser so abstrakten Internet-Welt Züge eines real existierenden menschlichen Wesens begegnen.


    Ich bin nicht entmutigt. Nur ein wenig nachdenklich, wenn ich hier im Forum so um mich blicke.


    Das Thema, um das es hier geht, ist ja eigentlich unerschöpflich.
    Wenn man sich die "Bandbreite" all dessen anschaut, was das Genie Schuberts in Sachen Lied hervorgebracht hat, dann muss man ja verzagen bei dem Versuch, das irgendwie auf einen Nenner bringen zu wollen.


    Bitte nur mal nebeneinanderstellen:
    "Im Abendrot" (Carl Lappe) und "Die Stadt" (Schwanengesang).


    Auf der einen Seite der melodieselige und fast schon -trunkene Schubert, den wir so sehr lieben.
    Auf der anderen der unheimliche, seiner Zeit musikalisch vorauseilende Schubert, der in diesem Lied mit seiner irrlichternden Chromatik die statische Harmonitechnik des Impressionismus praktiziert und all seine Verliebtheit in die Melodie preisgegeben zu haben scheint.

    Rückerts Gedicht "LIEBST DU UM SCHÖNHEIT" ist ja nicht nur von Clara Schumann, sondern auch von Gustav Mahler vertont worden. Ich hatte schon einmal bekannt, dass ich die Vertonung von Clara Schumann als durchaus "gelungen" einschätze, und zwar so sehr, dass sie nach meinem Dafürhalten neben der von Gustav Mahler sehr wohl bestehen kann. Schön wäre - und für mich höchst erfreulich - , wenn man hier zu dieser Frage weitere Meinungsäußerungen lesen könnte.


    Friedrich Rückert: LIEBST DU UM SCHÖNHEIT
    Liebst du um Schönheit, o nicht mich liebe!
    Liebe die Sonne, sie trägt ein goldnes Haar!
    Liebst du um Jugend, o nicht mich liebe!
    Liebe den Frühling, der jung ist jedes Jahr!
    Liebst du um Schätze, o nicht mich liebe!
    Liebe die Meerfrau, sie hat viel Perlen klar!
    Liebst du um Liebe, o ja - mich liebe!
    Liebe mich immer, dich lieb´ich immerdar!


    Clara Schumanns Lied wird thematisch von der Melodiezeile geprägt, die den ersten Vers umgreift. Sie besteht musikalisch aus einem einfachen Quartsprung, der gleichsam aus einem Anlauf auf dem jeweils gleichen Ton bei den Worten "Liebst du um" erfolgt. Danach bewegt sich die Singstimme in einem ruhigen, eindrucksvollen und von verminderten Akkorden getragenen Bogen über den Worten "o nicht mich liebe" wieder nach unten. Bei dem Vers "Liebe die Sonne ..." erfolgt wiederum eine Abwärtsbewegung der melodischen Linie, die in eine aufgelöste Moll-Akkordik im Klavier eingebettet ist.


    Höchst eindrucksvoll ist die Modifikation in der musikalischen Faktur, wie sie jeweils mit Blick auf die Aussage der einzelnen Strophen vorgenommen wird. Die melodische Linie bewegt sich in der Grundanlage ähnlich wie in der ersten Strophe, reflektiert aber den Inhalt der jeweiligen Verse durch eine Abwandlung in der Harmonik und in den einzelnen Tonschritten. Eindrucksvoll zu hören ist das z.B. bei der Zeile "der jung ist jedes Jahr". Von beschwörender Eindringlichkeit ist der Schluss des Liedes: "Liebe mich immer ..."


    Das Lied von Gustav Mahler muss nicht detailliert besprochen werden, da es vermutlich jedermann bekannt ist. Es wirkt im Vergleich zu dem von Clara Schumann schlichter in seiner musikalischen Faktur, - mit Ausnahme des Schlusses allerdings. Bis dorthin hört man durchweg eine nahe am lyrischen Wort sich vollziehende Deklamation in einem homophonen Klangbett. Bei der letzten Zeile entwickelt allerdings auch Mahler großes klangliches Pathos und ein regelrecht bezauberndes Melos.


    Man kann jetzt darüber streiten, ob er Clara Schuman darin übertrifft. Wahrscheinlich ist das der Fall, - hauptsächlich wegen der weiter ausgreifenden Phrasierung der melodischen Linie. Aber es wäre wirklich schön, andere Meinungen dazu zu hören.

    Zitat farinelli (Beitrag 245):


    " ...aber ein Gespräch ist es nicht, was Du hier führst."


    Diese Feststellung ist zutreffend! Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass unter "GESPRÄCH" der intellektualistisch-brillante Disput auf personaler Ebene verstanden wird. Für diese Art von "Gespräch" falle ich in der Tat als Partner künftig aus. Ich bitte um Verständnis. Mir fehlen ganz einfach die Nerven dafür und - damit zusammenhängend! - die Freude daran.


    Um ein sachbezogenes Gespräch über das Kunstlied habe ich vom ersten Tag meiner Anwesenheit hier im Forum mit Begeisterung - und manchmal wohl auch ein wenig aufdringlich - geworben. Das ist vielfältig dokumentiert.


    ERGEBNIS?


    Ich bin inzwischen aus allen Threads mit der herkömmlichen Thematik und den den Taminoanern altvertrauten Inhalten draußen und drücke mich in den Ecken des Forums herum, in denen keiner sonst verkehrt. Dabei war dies nie meine Absicht und mein Interesse. Hoffentlich errege ich mit diesem Verhalten keinen Anstoß, verdrücke mich dann noch weiter und stürze über den Forumsrand.


    So viel zu dem Vorwurf (Zitat farinelli): "Noli turbare" , - den man übrigens auch für jedermann verständlich hätte formulieren können!

    Wenn ich Deine Reaktion auf meinen letzten Beitrag lese, lieber zweiterbass, dann wird mir wieder einmal bewusst, dass ich wohl das in dieser Internet-Welt bin, was man, in meiner Sprache formuliert, einen "Fremdling" nennen würde.
    Wahrscheinlich gibt´s dafür aber aber einen viel deftigeren internettauglichen Fachterminus.


    Ich meine schon, dass solche Bedenken, wie ich sie geäußert habe, berechtigt sind. Wenn man die Frage eines Threads ernst nimmt, dann muss man die eigenen Beiträge daraufhin prüfen, wie weit sie sachlich begründet sind und von ihrer Substanz her dazu dienen können, der Antwort ein wenig näher zu kommen.
    Und sie müssen sich auch daran messen lassen, in welchem Maß sie kommunikationsförderlich sind!
    Was andere in den vielen Threads schreiben, kann für mich in diesem Zusammenhang kein Maßstab sein.


    Im übrigen habe ich gelernt, dass auch ein schlichtes Bekenntnis, das hier im Forum ohne jeglichen Kommentar daherkommt, seinen Wert haben kann. Dann nämlich, wenn aus ihm die Liebe zum Kunstlied spricht.


    Der Hinweis, den Du gibst, lieber Bernward Gerlach, liegt argumentativ auf der gleichen Linie wie der Beitrag von Siegfried letztens. Der Ausnahmerang Schuberts wird sozusagen mit einer Art Indizienbeweis bestätigt. Und der ist natürlich stichhaltig.


    Schubert hatte wirklich eine recht gut klingende Tenorstimme, wie wir von seinen Freunden wissen. Sie war allerdings nicht voll ausgebildet und wies wenig Substanz auf.


    Für uns hier, und deshalb bin ich dankbar für Deinen Hinweis, ist die Tatsache wichtig, dass Schubert offensichtlich überaus empfänglich war für das Singen und die Stimme von Sängern und Sängerinnen.
    Das könnte mit eine Erklärung dafür sein, warum er bei seinen Liedern so großen Wert auf den Aspekt Kantabilität legte und die melodische Linie seiner Lieder an der des Volksliedes orientierte.


    Josef von Spaun berichtet in seinen "Erinnerungen" von 1858:


    "In den Ferien erbot ich mich, ihn zuweilen in die Oper zu führen. (...) Über alles ergriff ihn Iphigenie auf Tauris von Gluck. Er war ganz außer sich über die Wirkung dieser großartigen Musik und behauptete, Schöneres könne es auf der Welt nicht geben.
    Er sagte, die Stimme der Milder durchdringe sein Herz. (...) Er bedauerte Vogl nicht zu lennen, um ihm für seine Leistung als Orestes zu Füßen zu fallen."

    Zitat zweiterbass:


    "Aber wenn ich mir die Inhaltsangaben zu seinen Opern "Das Herz" und "Christelflein" ansehe - und er diesen...vertont hat - kein weiterer Kommentar."


    Hier ist nur von den Eichendorff-Liedern Pfitzners die Rede. Und dies auch nur deshalb, weil er nun einmal viele und bedeutende davon hinterlassen hat. Dass Pfitzner als Komponist umstritten ist, wurde hier angesprochen.


    Es soll in diesem Thread keine Propaganda für ihn gemacht werden. Ich erlaube mir nur den - sachdienlichen und nicht als Belehrung misszuverstehenden! - Hinweis, dass Pfitzner in den letzten Jahren in der ausländischen, insbesondere der englischen Musikwissenschaft neu und wesentlich positiver beurteilt wird. Das hat ganz wesentlich damit zu tun, dass man heute mehr Verständnis für einen Menschen aufbringt, der künstlerisch einen ganz eigenen, höchst individuellen und auch originellen Weg eingeschlagen hat.

    Der Liedkomponist Pfitzner orientiert sich an einem Prinzip, das er selbst so formuliert hat: "Etwas Außermusikalisches kann nie etwas Musikalisches ersetzen." Damit ist der Primat der Musik vor dem lyrischen Text klar formuliert. Es stellt sich die Frage: Warum komponiert dieser Mann dann überhaupt Lieder, wo doch dem lyrischen Text eigentlich der zeitliche Primat zukommt? Schließlich ist ein Gedicht von Eichendorff längst schon da, bevor ein Hans Pfitzner es in ein Lied verwandeln will.


    Die Antwort auf diese Frage liegt in dem, was Pfitzner den "Ureinfall" nennt. Mit diesem Begriff landelt man unmittelbar und auf direktem Weg bei dem Phänomen, das ich hier mit dem Begriff "Betroffenheit" zu benennen versucht habe. Der Komponist fühlt sich durch einen lyrischen Text angesprochen, in seinem subjektiven Empfinden betroffen, und diese Betroffenheit löst den musikalischen "Ureinfall" aus.


    Man muss sich das als eine musikalisch-thematische Klangfigur vorstellen, aus der dann das ganze Lied hervorgeht, indem sie sich entfaltet und über viele Takte hin weiter entwickelt, immer auf diesen "Ureinfall" zurückgreifend, wie auf ein Zitat, das man braucht, um den Faden nicht zu verlieren und den Geist des lyrischen Textes zu bewahren. Dieses kompositorische Prinzip beinhaltet natürlich dann auch, dass die Musik nicht in detaillierter Weise auf Elemente des lyrischen Textes reagiert. Ein Hans Pfitzner ist also liedkompositorisch meilenweit weg von einem Hugo Wolf!


    Am Beispiel des Eichendorff-Liedes "DIE EINSAME" soll gezeigt werden, wie der "Ureinfall" die musikalische Faktur des Liedes bestimmt und prägt.


    Eichendorff: DIE EINSAME
    Wär´s dunkel, ich läg´ im Walde,
    Im Walde rauscht´s so sacht,
    Mit ihrem Sternenmantel
    Bedeckt mich da die Nacht.


    Da kommen die Bächlein gegangen,
    Ob ich schon schlafen tu?
    Ich schlaf nicht, ich hör noch lang
    Den Nachtigallen zu.


    Wenn die Wipfel über mir schwanken,
    Das klingt die ganze Nacht,
    Das sind im Herzen die Gedanken,
    Die singen, wenn niemand wacht.


    Der musikalische "Ureinfall" erklingt bei diesem Lied schon am Anfang der ersten Zeile: Es ist ein tonaler Sekundschritt nach unten von "Wär´s" zu "dunkel", von der zugehörigen verminderten Akkordik im Klavier getragen. Daraus entwickelt sich musikalische Substanz des ganzen Liedes. Bei "ich läg im Walde" holt die melodische Linie zu einem Bogen aus, der aber gleich wieder zurückwill zu den kleinen Sekundschritten, die sich im Klavier beharrlich halten.


    Die melodische Linie setzt dann bei "Da kommen die Bächlein ..." hoch an und bewegt sich zögerlich nach unten, über Moll-Klänge und verminderte Akkorde sich tastend. Bei "Ich schlaf nicht" scheint sie einen Augenblick innezuhalten, wie auf einem Akkord verharrend, der aber nicht von Bestand sein kann, weil er musikalisch in der Dominante angesiedelt ist.


    Und dann, mit dem ersten Vers der ditten Strophe, holt die Singstimme weit aus, wird gewichtig und bedeutsam, ohne freilich laut zu werden: "Wenn die Wipfel über mir schwanken..." Am Ende erklingt ein langes Klaviernachspiel, das wie ein Nachklang alles dessen wirkt, was sich melodisch zuvor ereignet hat.

    Der letzte Satz in meinem letzten Beitrag bedarf eines Kommentars. Er klingt so, als würde ich hier mein Steckenpferd reiten und mich nicht davon abbringen lassen wollen. Dem ist aber nicht so.


    Ich hatte, anlässlich der Einrichtung eines zusätzlichen Threads über Loewe (noch im alten Forum), schon einmal darüber geklagt, dass hier im Forum die Threads in ihrem thematischen Potential nicht voll ausgeschöpft, sondern einfach abgebrochen und durch neue ersetzt werden. Das mag internetgemäß sein, geht mir aber gegen die Natur. Deshalb möchte ich es wenigstens in diesem Thread hier anders halten. Zum Thema "Sprache und Musik im Lied" gibt es noch einiges zu sagen, und ich hoffe, dass man mir hier die Möglichkeit dazu lässt.


    Mein Beitrag mit der Überschrift "Rückwärtsgewandt" wirft zum Beispiel eine Frage auf, die mir hochinteressant erscheint:


    Könnte es sein, dass Eichendorffs Lyrik im zwanzigsten Jahrhundert nur noch einen solch rückwärtsgewandten Menschen und Komponisten ansprechen und zur Komposition von Liedern motivieren konnte, wie es Hans Pfitzner war?


    Und damit zusammenhängend die Frage: Was hat Eichendorff einem Menschen noch zu sagen, der sich ganz bewusst als moderner Liedkomponist versteht?


    Nachdenklich stimmt mich diesbezüglich eine Bemerkung, die ich bei Fischer-Dieskau fand. Zu den Eichendorff-Vertonungen Aribert Reimanns meinte er:


    "So vielfach verkannt Eichendorffs Werk in heutigen Einschätzungen erscheint, so viel hätte es uns zu sagen. Aber wir müssen befürchten, dass das Kapitel der Eichendorff-Vertonungen wohl ebenso abgeschlossen ist wie die Forschung über des Dichters Werk, das sich über die Zeiten erhebt."

    Das von farinelli vorgestellte und kommentierte Lied wurde von Pfitzner auf einen Text von Ilse Stach (1879-1941) komponiert. Sie war in erster Linie Erzählerin und Dramatikerin. Ihre Werke sind stark von ihrer katholischen Gesinnung geprägt. Zur Lyrikerin fehlte ihr offensichtlich die Begabung. Farinellis Feststellung, dass dies "ein ziemlich blödes Gedicht" sei, muss nicht kommentiert werden.


    Wohl aber erfordert sein Kommentar zum Lied eine Stellungnahme.


    Ich teile seine Auffassung absolut nicht. Bei diesem Lied ist es Pfitzner gelungen, die Atmosphäre eine stillen und weiten Landschaft musikalisch einzufangen. Man höre sich einmal an, wie er die lyrisch banalen und missglückten Verse: "Da sitzt die Schwermut schon am Waldesrand / und schreibt geheime Zeichen in den Sand" mit ganz einfachen und ruhigen Tonschritten in Musik verwandelt. Das ist hohe kompositorische Kunst, für die sich ein Vergleich mit einem Schlager schlicht verbietet.


    Das Gegenteil von dem, was farinelli moniert ist in diesem Lied zu hören. Mich wundert, dass er "Klangbrei" hört. Was ich höre, ist genau das Gegenteil:


    Spröde Akkordik, an Orgeltöne erinnernd, ein äußerst karger Klaviersatz mit regelrecht dünn gezeichneten thematischen Linien. Und vor allem: Eine Singstimme, die mit einer eigentümlich müde klingenden Stimme deklamiert, von langen Pausen unterbrochen. Und das ganze in einem völlig glanzlosen, fast trübe klingenden a-Moll.


    Das ist ein typisches Pfitzner-Lied. Allein schon die breit gestaffelte Harmonik mit ihren raffinierten Modulationen, vor allem aber die die auf die Evokation von Stille angelegte, komplexe musikalische Faktur des Liedes lassen den Vergleich mit Schlagermusik recht wunderlich erscheinen.


    Ich möchte aber gerne bei meinem Thema Eichendorff bleiben.

    Man kann durchaus, wie zweiterbass dies tut, feststellen, dass in diesem Thread einiges geklärt worden ist. Man könnte darüber sogar eine gewisse Befriedigung empfinden, gäbe es da nicht einiges zu bedenken.


    Zunächst einmal:
    Ich fragte mich immer wieder einmal, und tue das heute noch, ob man mit einer solch intensiven und detailiert analytischen Herangehensweise an das Kunstlied nicht so manche Forianerin und so manchen Forianer regelrecht vergrault.
    Es fällt doch ins Auge, dass sich an diesem Thread hier nur relativ wenige beteiligen. All die vielen Namen, auf die ich in anderen Threads stoße, tauchen hier nicht auf.
    Es gibt einige Indizien dafür, dass der strukturanalytische Umgang mit dem Lied und das damit zusammenhängende Denken vom lyrischen Text her ausdrücklich abgelehnt, wenn nicht gar als Irrweg betrachtet wird.


    Obwohl ich diese Haltung nicht teilen kann, nehme ich sie ernst. Und dies aus einem ganz einfachen Grund:
    Wenn diese Art des Umgangs mit dem Lied dazu führt, dass die Kommunikation hier im Forum gebremst oder gar blockiert wird, dann ist sie fehl am Platze oder muss zumindest überdacht werden!


    Zum anderen:
    Vieles von dem, was ich hier zum Thema Kunstlied beitrage, kann eigentlich, wenn man es mit fachwissenschaftlichen Maßstäben misst, nicht bestehen. Das ist laienhaftes Gerede.
    Man braucht sich nur einmal anzuschauen, was in der Fachliteratur zum Thema Schubertlied über die Aspekte Harmonik, Melodik, Chromatik, Terzrückung, Satztechnik und Tonartencharakteristik ausgeführt wird, und man kommt unweigerlich zu der Feststellung:
    Die eigenen Beiträge hier stellen angesichts der Komplexität der Sachverhalte eine arge Simplifizierung dar.
    Gewiss, das ist in einem solchen Forum unvermeidlich. Aber man muss es sich immer wieder einmal ins Bewusstsein rufen.


    Aus diesem Grund möchte ich meinen Feststellungen zur Eigenart der MELODIE bei Schubert folgendes im Sinne einer differenzierenden Ergänzung hinzufügen:


    1. Schuberts Melodien weisen zwar in der Regel wenig dissonante Intervalle auf und bevorzugen Dreiklangstrukturen. Stichwort: Orientierung an der Einfachheit der Volksliedmelodie.
    Das gilt jedoch nicht generell, denn er setzt immer wieder einmal Dissonanzen ganz bewusst als musikalisches Ausdrucksmittel ein, zum Beipiel in "Trännenregen" (Müllerin). Man könnte noch sehr viele weitere Beispiele nennen.


    2. Diatonik ist zwar der "Regelfall" bei der Melodiebildung, aber häufig setzt Schubert die Chromatik ein, wenn es um den Ausdruck seelischer Regungen geht (z.B. in "Der greise Kopf" und in "Wegweiser" / Winterreise).


    3. Die melodische Linie endet meistens auf dem Grundton. Das ist, wie ich feststellte, ein für Schubert typisches Merkmal der Phrasierung, und darin unterscheidet er sich von Schumann und erst recht von Hugo Wolf.
    Aber auch das gilt nicht generell. In "Frühlingssehnsucht" (Rellstab) bleibt z.B. die Singstimme auf der Quinte stehen, und im "Ständchen" (Schwanengesang) auf der Terz.
    In allen Fällen aber, - und das ist nun allerdings wirklich typisch für Schubert!" - bringt das Klaviernachspiel alles auf den Grundton.
    Nur im "Leiermann", diesem ohnehin höchst seltsamen Lied, ist der Schlussakkord einer in Moll. Man mag darüber rätseln, was das zu bedeuten hat.


    Was wollte ich doch sagen?
    Es ist alles noch viel komplizierter!

    In der Tat ist mit der Bezeichnung "rückwärtsgewandt" die menschliche und kompositorische Grundhaltung Hans Pfitzners recht gut getroffen. Er litt unter dem Geist seiner Zeit, den er, in seiner Ausrichtung auf das Prinzip des Fortschritts, als Verrat an den großen Werten abendländischer Kultur empfand.


    In der Musik seiner Zeit sah er überall den "Geist der musikalischen Impotenz" am Werk. Diese Haltung ließ ihn seinen Blick zurück in die Zeit der Romantik richten, und dies wiederum befähigte ihn dazu, das Lebensgefühl Eichendorffs aus der Retrospektive auf intensive Weise nachzuvollziehen und nachzuerleben. Dieselbe Haltung führte ihn aber in seiner weltanschaulichen und politischen Einstellung auch hin zu einem rassistisch eingefärbten Nationalismus, der ihn empfänglich für das Gedankengut der Nationalsozialisten machte. Bruno Walter nannte ihn einmal "misstrauisch bis zur Hysterie, taktlos bis zur Unerträglichkeit." Und Alma Mahler stellte lakonisch fest: "Irgendwo ist er beschränkt".


    Musikalisch fühlte er sich als Erbe der klassischen und romantischen Musiktradition und reklamierte Richard Wagner als sein unmittelbares großes Vorbild. Richard Strauss, der sich ebenfalls in dieser Tradition stehend sah, überzog er mit einer scharfen Polemik. Er sah ihn in den "Sumpf Lizstscher Auflösungstendenzen" abgleiten, und Arnold Schönberg wurde für ihn zu einem absoluten Schreckgespenst. Richard Strauss keilte zurück und bezeichnete Pfitzner als einen Musiker, der von den Deutschnationalen als "Künder der Deutschen Seele und letzter Dichter der deutschen Wald- und Wiesenromantik" gepriesen worden sei, und dabei sei er "im Innersten nur ein schäbiger Neidnickel."


    Auf seine Liedkomposition hatte diese Grundhaltung Pfitzners glücklicherweise keinen Einfluss. Man hat den Eindruck, dass die Welt des Liedes für ihn so etwas wie ein Zufluchtsort aus einer unwirtlichen Welt war, in dem er seine Idee einer den Geist der Romantik wiederbelebenden Musik voll und ungestört ausleben konnte. Von seinem nationalistisch geprägten Konservativismus findet sich darin keine Spur. Bei aller Orientierung an Robert Schumann geht er doch kompositorisch neue Wege, vor allem in der Erweiterung der Tonalität. Sein Liedwerk wurde einmal sehr treffend als "versunkener Garten der Musik" bezeichnet.

    Mein letzter Beitrag könnte den Eindruck vermitteln, dass für mich Hans Pfitzner derjenige sei, der der Lyrik Eichendorffs kompositorisch am meisten gerecht geworden sei, mehr noch als Robert Schumann. Dem ist aber nicht so. Beide Komponisten haben den Geist der Lyrik Eichendorffs musikalisch gleichermaßen voll erfasst. Nur mit unterschiedlichen kompositorischen Mitteln eben.


    Ich glaube, dass dieser Unterschied letzten Endes auch in der Haltung wurzelt, die sie zu Eichendorff als Dichter eingenommen haben. Schumann komponiert aus einer Art Zeitgenossenschaft heraus. Er teilte zwar - wie Pfitzner auch - das Lebensgefühl des Dichters. Der Unterschied besteht aber darin, dass er es nicht, wie das bei Pfitzner der Fall ist, aus der Retrospektive tat, im Nacherleben sozusagen, sondern aus der unmittelbaren Anteilhabe heraus.


    Zwar war die literarische Romantik eigentlich schon mit dem Ende der zwanziger Jahre vorbei. Aber Robert Schumann war noch in ihrem Geist aufgewachsen, und dieser "Geist der Romantik" war konstitutiv für seine menschliche und künstlerische Identität. Infolgedessen lässt sich bei der Auswahl der Eichendorff-Gedichte, die er vertonte, ein Konzept erkennen: Bevorzugt griff er nach Gedichten, in denen sich die romantische Naturerfahrung und das damit verbundene Lebensgefühl artikulierte. Er ist es zum Beispiel, der die Ambivalenz der romantischen Naturerfahrung auch in seinen Liedern aufgriff, in "ZWIELICHT" zum Beispiel. Pfitzner tat das nicht!


    Pfitzners Eichendorff-Vertonungen - es sind zwanzig und nicht neunzehn, wie Fischer-Dieskau meint - streuen thematisch viel weiter. Ich erkläre mir das aus der erwähnten Haltung der Retrospektive. Er wählte aus dem breiten Kompendium der Eichendorff-Lyrik die Gedichte aus, die ihn in seinem eigenen Lebensgefühl, das ein explizit rückwärtsgewandtes war, unmittelbar ansprachen.


    Ein Lied Robert Schumanns zeigt eine auffällige Nähe zu dem Ton, der die Eichendorff-Lieder Pfitzners prägt. Es ist "AUF EINER BURG" aus op. 39 ("Eingeschlafen auf der Lauer ...").


    Hier fühle ich mich beim Hören sehr an Pfitzner erinnert, als wäre das eine Art kompositorischer Vorgriff. In diesem Lied wird - für Schumann fast ungewöhnlich - musikalisch stark mit Stimmungen gearbeitet. Der Quintfall, mit dem das Lied einsetzt, wirkt wie ein Leitmotiv. Es gibt Hamoniewechsel, die ein vom Geheimnis geprägtes Naturgefühl musikalisch artikulieren, wie etwa die Wendung von e-Moll nach C-Dur über die Subdominante im siebten Takt, oder die vielen unaufgelösten Dissonanzen.


    Hier, beim Hören dieses Schumann-Liedes, spürt man sehr unmittelbar die große Nähe zwischen Eichendorff und Pfitzner, - sozusagen diesseits der ganz unterschiedlichen Musiksprache. Dieses Gemeinsame zwischen beiden wurzelt in der inneren Nähe zu Eichendorff. Nur ist es bei Pfitzner eben eine der Retrospektive!

    Zwei Lieder von Clara Schumann möchte ich kurz vorstellen, weil sie die ganze Bandbreite ihres kompositorischen Liedschaffens recht gut aufzeigen.


    Das erste: ER IST GEKOMMEN (Text von Friedrich Rückert).


    Es ist das erste der Lieder, die Clara zu dem gemeinsamen Projekt "Liebesfrühling" beigetragen hat. Mir scheint, dass sie bei diesem Lied sehr stark unter dem Anpsruch stand, etwas kompositorisch Anspruchsvolles zu leisten. Wenn man so will, dann ist hier zumindest eine indirekte(!) Einflussnahme von Robert Schumann zu erkennen.


    Das Lied zittert förmlich vor innerer Erregung: In der melodischen Linie wie auch in der Klavierbegleitung. Hier zeigt die Pianistin, wozu sie in der Lage ist. Erstaunlich aber, wie sich das dann alles in der letzten Strophe beruhigt. Die melodische Linie findet bei den Worten "Ich seh es heiter, / Denn er bleibt mein auf allen Wegen" zu einer wirklich anrührenden Innigkeit.


    Das zweite: SIE LIEBTEN SICH BEIDE (Text von Heinrich Heine)


    Hier habe ich mir spontan beim Hören notiert: "Das ist Clara! Hier spricht sie sich musikalisch selber aus, ohne ihrem Robert gefallen oder ihm imponieren zu wollen"


    Das Lied ist ganz von einer tastenden Moll-Akkordik geprägt, in der sich die Singstimme in großen melodischen Bögen bewegt. Musikalisch eindrucksvoll ist das Seelenleben zweier Menschen gestaltet, deren Liebe zerbricht und die sich nur noch "zuweilen im Traum" sehen. Die kompositorische Könnerschaft Claras zeigt sich besonders deutlich in der weit ausgreifenden Bewegung, mit der die Singstimme die Bitternis der Schlussverse durchmisst: "Sie waren längst gestorben / Und wußten es selber kaum".

    Ich sehe gerade, dass die von hart angezeigte CD offensichtlich auch Zitate aus dem Briefwechsel zwischen Clara und Robert Schumann enthält. Bei der Gelegenheit erlaube ich mir ebenfalls noch einen Hinweis: Der Briefwechsel zwischen den beiden ist in Buchform bei Athenäum erschienen. Titel: Robert und Clara Schumann. Briefe einer Liebe. Eingeleitet von Dietrich Fischer-Dieskau, herausgegeben von Hanns-Josef Ortheil. Ahenäum-Verlag, Königstein/Ts. 1982.


    Aus meiner Sicht ein zweifellos lesenswertes Buch. Man lernt die Persönlichkeit Clara Schumanns in unmittelbarer Begegnung mit ihren schriftlichen Äußerungen viel besser kennen, als wenn man etwas über sie liest. Davon gibt es ja auch jede Menge.


    Interessant der Hinweis von Fischer-Dieskau: "Die Demut vor dem Genie ihres Mannes rang sie sich oft nicht ohne Qualen ab."

    Zitat hart:


    "Es hat ja vor einiger Zeit ein gewisses Missfallen erregt, dass ich hier auf eine CD hingewiesen habe, auf der Bo Skovhus / Helmut Deutsch einige Clara Schumann-Lieder zur Aufführung bringen."


    Hier liegt ein Missverständnis vor, wie man oben (Beitrag 5, erster Satz) leicht nachlesen kann. Ich war schlicht und einfach der Meinung, dass es wünschenswert sei, nicht nur die Existenz von Liedern auf dieser oder jener CD anzuzeigen, sondern auch zwei drei Worte über die Lieder selbst zu verlieren, die dort zu finden sind.


    Es ging also einfach um die Artikulation eines WUNSCHES. Es ist noch nicht einmal ein rein persönlicher, sondern einer, der ganz im Sinne dieses Threads geäußert wurde: Den Liedern Clara Schumanns einen höheren Bekanntheitsgrad zukommen zu lassen.


    Sollte mein Wunsch infolge einer gewissen Ungeschicklichkeit in der Formulierung als "Missfallensäußerung" angekommen sein, so bedauere ich das!

    Der Name Hans Pfitzner ist unumgänglich, wenn man sich mit dem Thema "Rezeption Eichendorffs im Lied" beschäftigt. Neben Robert Schumann ist er derjenige, der die Lyrik dieses Dichters musikalisch am tiefsten ausgelotet hat. Für mich hat er darin sogar Schumann übertroffen, aber ich gebe gerne zu, dass man darüber streiten und unterschiedlicher Meinung sein kann.


    Das Urteil darüber hängt wohl ganz entscheidend davon ab, wie man Eichendorff liest. Geht man vom Gestus seiner lyrischen Sprache aus, von ihrem Klang, ihrem Rhythmus, dem Strömen der Laute, dem, was Heinrich Heine die "kristallhafte Klarheit" nannte, dann wird man Schumanns Liedern den Vorzug geben. Diesem ist es wie keinem sonst gelungen, die lyrische Sprache Eichendorffs musikalisch sich artikulieren zu lassen und in all ihren sprachlichen Dimensionen musikalisch zu erschließen. Das ist Schumanns große Stärke, die auch Hugo Wolf nicht in gleicher Weise aufbringen konnte, - von Brahms nicht zu reden.


    Legt man der Beurteilung der Eichendorff-Vertonungen jedoch die spezifische Aussagekraft seiner lyrischen Bilder zugrunde, dann kommt man - jedenfalls ich - zu dem Ergebnis, dass keiner deren Magie so in Musik umzusetzen verstand wie Hans Pfitzner. Verlorene Natur gewinnt in Eichendorffs lyrischen Bildern ein neues, ein sprachliches Leben. Pfitzner vermochte es musikalisch einzufangen und im Hören nacherlebbar werden zu lassen.


    Kompositorisch geht er dabei ganz anders vor als Robert Schumann. Auf die spezifische Eigenart der Lieder Pfitzners soll in weiteren Beiträgen noch näher eingegangen werden. Hier nur ein erster Eindruck. Man kann die musikalische Faktur der Eichendorff-Lieder Pfitzners am besten hörend erfassen, wenn man zwei vom lyrischen Text her motivähnliche Lieder vergleicht: Robert Schumanns MONDNACHT und Pfitzners Lied NACHTS.


    Eichendorff: NACHTS
    Ich stehe in Waldesschatten
    Wie an des Lebens Rand,
    Die Länder wie dämmernde Matten,
    Der Strom wie silbern Band.


    Von fern nur schlagen die Glocken
    Über die Wälder herein,
    Ein Reh hebt den Kopf erschrocken
    Und schlummert gleich wieder ein.


    Der Wald aber rühret die Wipfel
    Im Traum von der Felsenwand.
    Denn der Herr geht über die Gipfel
    Und segnet das stille Land.


    Das Lied soll nicht ausführlich besprochen werden. Es geht nur um den Unterschied des kompositorischen Konzepts bei Schumann und Pfitzner. Pfitzners Lied ist von Anfang an von dumpfen Moll-Akkorden im Viervierteltakt geprägt. In diese ist die melodische Linie der Singstimme eingebettet, ohne dass sie zunächst drei- bis vierschrittige Tonintervalle verlässt. Das Lied lebt in seinem musikalischen Ausdruck ganz von seiner Harmonik und den Schritten, die sie, den lyrischen Bildern entsprechend, in verschiedenen Tonarten durchmisst. Musik dient hier dazu, nächtliche Stimmung einzufangen, wie die lyrischen Bilder Eichendorffs sie evozieren.


    Ganz anders bei Schumanns MONDNACHT. Es soll hier nur auf die Klaviereinleitung eingegangen werden. Das genügt. Ansonsten sei auf den einschlägigen Thread verwiesen.


    Am Anfang stehen zwei Töne: Einer im tiefen Klavierbass und der nächste über vier Oktaven weit in der Höhe des Klavierdiskants. Die Weite der Distanz von Himmel und Erde wird musikalisch dargestellt. Was sich jetzt vollzieht, ist eine Abwärtbewegung von Sechzehnteln und Achteln in den Tonschritten eines Nonenakkords. Es ist klar, was hier musikalisch dargestellt werden soll: Die visionäre Verschmelzung von Himmel und Erde, die Inhalt der lyrischen Bilder ist: "Es war, als hätt´ der Himmel die Erde still geküsst ..."


    Schumann, und das ist der entscheidende Unterschied zwischen ihm und Pfitzner, gestaltet in seinem Lied musikalisch keine Stimmung. Er bildet in der Faktur der Klavier-Einleitung, die das ganze Lied prägt, musikalisch das ab, was die lyrische Sprache ausdrückt. Dieser also, der lyrischen Sprache fühlt sich Schumann kompositorisch verpflichtet. Hans Pfitzner hingegen geht kompositorisch von der Expressität der lyrischen Bilder und den Stimmungen aus, die sie bewirken.

    Der Hinweis von Walter.T auf das Phänomen der "glatten", bzw. "harten Fügung" ist, was die zentrale Frage dieses Threads anbelangt, überaus hilfreich.
    Unter "glatter Fügung" versteht man in der Lyrik das ungebrochene rhythmische Fließen der lyrischen Sprache innerhalb des Metrums und die Offenheit der Versenden für diesen Fluss.
    Und mit dem Begriff "Ungebrochenheit" sind wir bei Schubert!


    Ich darf verweisen auf das, was ich hier bezüglich der Eigenarten der Schubertschen Melodie festgestellt habe.
    Schubert hat in seinen Liedern nicht durchweg eine ungebrochene Melodik eingesetzt (siehe etwa Winterreise!), aber er hat sie, wenn irgend möglich, angestrebt.
    Und vor allem:
    Er hat sie offensichtlich ungern als musikstilistisches Ausdrucksmittel verwendet, wie das dann Schumann immer wieder einmal tat, mehr aber noch Hugo Wolf, und wie es ab Endes des 19. Jahrhunderts selbstverständlich wurde.


    Ich bin, nach vielen Jahren der Beschäftigung mit diesem Fragenkomplex, fest davon überzeugt, dass das "Rätsel des Schubertliedes" in der ganz spezifischen Art und Weise gründet, wie Schubert kompositorisch mit dem lyrischen Text umgeht.
    Vergleicht man ihn unter diesem Aspekt mit den beiden anderen herausragenden (weil stilprägenden) Exponenten des Kunstliedes, dann stellt man fest:
    Schubert ist der einzige, der einen lyrischen Text rein musikalisch liest.


    Schumann las Lyrik auch mit einem literarischen Auge. Ihn interessierte, wie weit ein Gedicht ihn in seinem spezifischen literarischen Gehalt ansprach und welche Qualität es aufwies. Die Gedichte Kerners komponierte er z.B., weil er sich in dem dort artikulierten Lebens- und Naturgefühl wiederfand.
    Hugo Wolf las ausschließlich mit der literarischen Brille: Ein Gedicht war für ihn eine Herausforderung zu einer Komposition, die den spezifischen dichterischen Gehalt eines Textes musikalisch interpretierte, in Form eines musikalisch evokativen Äquivalents nämlich. ( Alles holzschnittartig vereinfacht!)


    Schubert las Gedichte primär als Musiker.
    Es spricht (auch nach der Quellenlage!) alles dafür, dass er beim Lesen eines Gedichts schon mit dem ersten Vers der Musik nachspürte, die er in der lyrischen Sprache erklingen hörte.
    Und das Lied war in dem Augenblick im Ansatz geboren, wo er die Melodie gefunden hatte, die dem Klang und dem Rhythmus der lyrischen Sprache voll korrespondierte.
    In diesem Augenblick konnte er sprachlichen Text in musikalischen verwandeln.
    Bei Texten mit glatter Fügung, wie bei denen Goethes etwa, konnte er seinem Leitprinzip der möglichst ungebrochenen melodischen Linie am leichtesten folgen.


    Ein kleines BEISPIEL (zur Vergegenständlichung).


    "Der du von dem Himmel bist, // Alles Leid und Schmerzen stillst ..." (Goethe: "stillest"!)


    Wenn man diese beiden Verse rein metrisch betrachtet, dann liegt ein ungebrochener Trochäus-Versfuß (mit stumpfem Ende) vor:
    X x X x X x X // X x X x X x X


    Betrachtet man aber den Sprachrhythmus, so sieht das Bild ein wenig anders aus, ohne dass allerdings dieser dem Metrum in die Quere käme (glatte Fügung!).
    Das "Der" trägt einen Ton, und das Wort "Himmel" trägt ebenfalls einen, schon allein deshalb, weil es zweisilbig ist und sonore Konsonanten aufweist. Ansonsten wenig betonte Silben:
    X x x x x X x x // X x X x X x x


    Wer sich jetzt den Verlauf der Schubertschen Melodie anschaut, der sieht sofort:
    Die Struktur (Akzentuierung) und die Linienführung der Singstimme folgen so genau dem Sprachrhythmus, dass man denkt, sie wäre aus ihm erwachsen.
    Das trochäische Versmaß verwandelt sich, damit das Fließen der Sprache besser hörbar wird, in der Klavierbegleitung in ein daktylisches ( X xx, X xx).
    Damit die glatte Fügung im lyrischen Text ( und damit auch die Ungebrochenheit der melodischen Linie ) voll gewahrt bleibt, steigt die Melodie erst bei dem Wort "Himmel" leicht an, verharrt dann kurz, bleibt dabei aber in einen harmonischen Akkord eingebunden, der eine Auflösung verlangt.
    Diese Auflösung kommt dann auch prompt mit dem Wort "Alles" zu Beginn des zweiten Verses.
    Das ist in Musik verwandelte Sprache!


    Hört man im Kontrast dazu die Vertonung dieser beiden Verse durch HUGO WOLF, dann ist der Unterschied unübersehbar.
    Da Wolf nicht Sprache als Musik erklingen lassen, sondern sie interpretieren will, komponiert er für die Singstimme zwei langsam ansteigende und danach wieder absteigende Bewegungen.
    Bei "Leid und Schmerzen" erfährt diese Bewegung eine emphatische Steigerung über mehrer Tonschritte hinweg. Bei "Schmerzen" kommt dann sogar eine Art Bruch hinein, weil die melodische Linie in einen verminderten Akkord einbezogen wird.
    Das ist ein völlig anderes kompositorisches Herangehen an den lyrischen Text!


    Ist jetzt die Frage, warum man bei einem Schubertlied häufig das Gefühl hat, so(!) und nur so(!) könne dieses komponierte Gedicht eigentlich klingen, ein wenig mehr geklärt?

    Eine interessante Beobachtung:


    Die hochgelobte Schumann-Lieder-Aufnahme des Tenors Maximilian Schmitt enthält auch drei Lieder von Clara Schumann. Klickt man die CD bei Amazon an, liest man auf der Titelseite:


    "Träumend wandle ich bei Tag. Schumann-Lieder nach Heinrich Heine. Maximilian Schmitt / Gerold Huber". Als Inhalt der CD wird unter dem Komponistennamen Robert Schumann ausgewiesen: Dichterliebe op.48, 9 Lieder op. 24, zwei Lieder op.13 und "Loreley".


    Bei den Liedern "Sie liebten sich beide" und "Ich stand in dunklen Träumen" handelt es sich jedoch um Lieder Clara Schumanns aus deren opus 13. Bei der Loreley liegt ebenfalls ein Clara-Schumann-Lied vor. Der Laie kann das aus der Inhaltsangabe bei Amazon nicht erkennen. Da kein Komponistenname genannt wird, muss er denken, diese Lieder seien alle von Robert Schumann. Auf dem Titelbild kommt der Name Clara Schumann ja auch nicht vor.


    Interessant, nicht wahr? Dabei hätte Clara Schumann mehr Respekt und Anerkennung verdient. Sie hielt sich zwar nicht für eine große Lied-Komponistin, - das wohl aber vor dem Hintergrund der Maßstäbe, die ihr geliebter Robert gesetzt hatte. Ihre Lieder sind jedoch weit entfernt von leerem Musikgeplänkel. Einige weisen ein verblüffend hohes kompositorisches Format und große Ausdrucksstärke auf.

    Beim Hören von Eichendorff-Liedern Hans Pfitzners:


    Habe ich jemals gehört, dass das Lebensgefühl des Spätromantikers Eichendorff auf so vollkommene Weise musikalisch eingefangen wurde? Habe ich nicht!.


    Aber soll ich in diesem Thread mit dem Thema Eichendorff weitermachen? Ich bewege mich ins zwanzigste Jahrhundert. Wer wird mir dann noch mithörend folgen können? Bei Hugo Wolf konnte ich noch davon ausgehen, dass man die entsprechenden CDs oder Schallplatten in seiner Sammlung stehen hat. Aber bei Pfitzner? Oder gar bei den anderen Namen, die jetzt anstehen: Reger, Berg, Weismann, Zemlinsky, Korngold ...


    Wer könnte noch mithören? Und wenn nicht, - was dann? Es hätte keinen Sinn mehr, die Lieder in ihrer musikalischen Faktur zu analysieren. Ich könnte einfach nur noch beschreiben, was ich höre.


    Wenn das so einfach wäre!

    In seiner historischen Bedeutung für die Geschichte des Kunstlieds steht Hugo Wolf Franz Schubert und Robert Schumann nicht nach. Wie kommt es dann aber, dass seine Lieder allgemein - und wohl auch hier im Forum - auf weniger Resonanz stoßen?


    Das hängt wohl, wie ich glaube, ganz wesentlich mit dem kompositorischen Konzept zusammen, das seinen Liedern zugrundeliegt. Wenn Schubert melodienselig im lyrischen Wort zu schwelgen vermag und es dabei in Musiksprache verwandelt, - wenn Robert Schumann die lyrische Sprache sich auf der Ebene der Musik wie zwanglos selbst artikulieren lässt, so geht Hugo Wolf musikalisch geradezu analytisch mit der lyrischen Sprache um, und zwar über die Metaphorik hinaus bis ins einzelne Wort hinein.


    Die Intensität, mit der Hugo Wolf sich der lyrischen Sprache mit den Mitteln der Musik zuwendet, sie geistig durchdringt und aus dieser Durchdringung schließlich die Lied-Komposition entwickelt, ist einzigartig in der Geschichte des Kunstliedes. Er weist damit weit hinaus in dessen Zukunft, auch was die Kühnheit der Harmonik und die Komplexität der Melodik anbelangt.


    Hugo Wolf war als Komponist von Anfang an umstritten. Diejenigen, die ihn als Liedkomponisten ablehnen - und diese gibt es auch hier im Forum, wie man im zugehörigen Thread nachlesen kann - , finden sich in guter Gesellschaft. In einem Brief (1896) schreibt der Dichter Richard Dehmel:


    "Ich begreife nicht, wie man eine solche Leiermannseele für einen neuen Schubert halten kann. Es ist ja alles aus zweiter Hand bei ihm! Lauter angenehme Mache!" - Und Theodor W. Adorno hält Wolfs Lieder für "gespensterhafte Photographien dessen, was sogleich vergeht und nicht gehalten werden soll."


    Diese Urteile sind für mich schwer verständlich. Der Schrifsteller Hermann Bahr wird Hugo Wolf wohl eher gerecht, wenn er 1898 schreibt: "Hugo Wolf ist der einzige, der uns die Gedichte nicht entfremdet, sondern seine Musik empfinden wir als die eigentliche Natur der Gedichte, als dasselbe, was sie in Versen sind, als die natürliche Luft, die zu ihnen gehört und ohne die sie gar nicht leben können."


    Bemerkenswert ist dieses Urteil, weil es das eines Schriftstellers ist: Die Lyrik, die den Liedern Hugo Wolfs zugrundeliegt, ist in ihnen dasselbe, was sie in Versen ist.


    Was die Lyrik Eichendorffs betrifft, um die es ja in diesem Thread ja im Augenblick geht, würde ich allerdings nicht so weit gehen wie Hermann Bahr und behaupten, sie könne ohne Wolfs Musik nicht leben. Eichendorffs Gedichte können sehr wohl ohne die Musik Hugo Wolfs leben. Ebenso wie sie auch ohne die Musik zum Beispiel von Robert Schumann oder Hans Pfitzner leben können. Jedoch hat Hugo Wolf mit seinen Liedern eine Dimension in ihnen musikalisch erschlossen, die ihnen zwar sprachlich inhärent ist, aber nun über das Medium der Musik sinnlich erfahrbar und emotional erlebbar gemacht wird.

    Lieber farinelli, lieber zweiterbass,


    aus dem Unternehmen, das zweiterbass vorgeschlagen hat, ist genau das geworden, was ich von Anfang an erwartet und befürchtet habe: EIN SPIEL ZU DREIEN.


    Mir ist nicht wohl dabei!


    Ich werde die Bemerkung von Berward Gerlach nicht los (Beitrag 60):


    "Hier können nur User mitmachen, die vom Interpretieren und Sezieren des Textes etwas verstehen."


    Hier wird das artikuliert, was ich schon lange denke, aber immer wieder verdrängt habe.


    Für mich ist dieser Satz höchst beachtens- und bedenkenswert.

    Mir ist ein Fehler passiert. Ich korrigiere: Die erste große Hugo Wolf-Kassette von Dietrich Fischer-Dieskau erschien nicht 1976, sondern sondern 1967 bei der Emi Electrola. Begleiter war Gerald Moore. Die zweite erschien in den Jahren 1972-74 bei der Deutschen Grammophon. Begleiter dieses Mal: Daniel Barenboim. Und der schlägt mich jedes Mal aufs Neue beim Hören wieder in Bann.


    Aber das ist ja gar nicht mein Thema hier!

    Lieber farinelli,


    ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich das begriffen habe:


    Zitat: "Ich fand es passend, um daran Deine These zu illustrieren, wie Wolf "dem Gedicht musikalisch etwas hinzufügen [will], indem er 'herausholt', was in der Semantik seiner lyrischen Sprache und der Expressivität seiner Bilder und Metaphern enthalten ist."


    Natürlich ist das ein glänzender Beleg für die Art, wie Hugo Wolf komponiert. Ich habe mich nur zunächst einfach gewundert, wie Mörike zu meinem Eichendorff passen soll.


    Zu Deiner Feststellung: "Ich wage die These, daß es kein einziges wirklich populäres Wolf-Lied gibt, das es in die Wunschkonzerte und damit in die Herzen des breiten Publikums gebracht hat."


    Da dürftest Du - leider! - recht haben.


    Zu Fischer-Dieskaus Wolf-Interpretation könnte ich zwar einiges sagen, verkneife mir das aber (aus guten Gründen!). Seine Hugo-Wolf- Kassette ist allen schon deshalb eine lohnenswerte Anschaffung, weil man, wenn man an Wolfs Liedern interessiert ist, dann alles schön beisammen hat. Fischer-Dieskau hat übrigens schon einmal davor, im Jahre 1976, eine große Hugo-Wolf-Kassette bei EMI Electrola aufgenommen. Ich mache mir manchmal das Vergnügen, diese Interpretationen mit denen der DG-Kassette zu vergleichen. Interessant! Ist aber nur was für Fischer-Dieskau-Fachleute.

    Lieber farinelli,


    nur kurze Anmerkung zu Deiner Feststellung: "Niemand stört sich an dem grammatikalisch vorgegebenen Adressaten masculinum singularis "wüßt es nur einer, nur einer", gesungen von einem Mann"


    Warum sollte man sich daran stören? Seit dem 14. Jahrhundert wird im Deutschen "einer" auch geschlechtsneutral verwendet, im Sinne des lateinischen "aliquis, aliquid". Die Belege dafür finden sich im dritten Band des Grimmschen Wörterbuchs auf Seite 121.


    Das Gedicht "DIE STILLE" findet sich als eigenständiges Gedicht, abgelöst von seiner Rolle, die es in AHNUNG UND GEGENWART spielt, im lyrischen Gesamtwerk von Eichendorff. Hier spielt es keine Rolle mehr, dass es ursprünglich ein von einem Mädchen gesungenes Lied war. Das Indefinitpronomen "einer" im dritten Vers der ersten Strophe ist, so meine ich, geschlechtsneutral im Sinne von "eine Person" zu lesen.


    Nachtrag: Eben lese ich - wieder einmal eine Überschneidung - dass zweiterbass auf Deinen Beitrag schon in meinem Sinn geantwortet hatte, während ich noch schrieb. Ich lass meinen Sermon dennoch stehen.


    Zu der Klage von zweiterbass: "...für mich allerdings erneut die ungelöste Frage der Gedichtauswahl."


    Diese Frage, lieber zweiterbass, wird nicht zu lösen sein. Da bin ich mir völllig sicher. Warum ist sie Dir denn so wichtig?

    Lieber farinelli,


    da hast Du mich, - wie sagt man doch? - "ziemlich kalt erwischt". Ich war gerade in der stillen Einsamkeit meines geliebten Eichendorff, an den Waldesseen, wo die Marmorbilder stehen, - und da präsentierst Du mir Wolfs "Nimmersatte Liebe". Warum?


    Das ist nun genau das Lied von Hugo Wolf, das ich am wenigsten mag. Ich mag schon das Gedicht von Mörike nicht, weil da der gute Pastor allzu weit in die Abgründe seiner zerrissenen Seele hinabsteigt. Und Hugo Wolf hat natürlich keinerlei Probleme damit, ihm dabei hinterherzusteigen.


    Ich mag das Lied nicht, weil es mir zu raffiniert angelegt ist. Hier zeigt Wolf, was er kompositorisch "drauf hat". Man merkt die Absicht, - und ist verstimmt. Schon der verrückte Nonensprung "B - Fes" ist mir zu raffiniert. Und noch mehr die verminderten Quartrückungen! Der penetrant wiederholte Halbtonschritt bei "Wir bissen uns die Lippen wund" nervt mich regelrecht. Und dann der Schluss! Der reinste Brettl-Ton, der aber - wir sind ja bei Wolf! - dann auf wiederum raffinierte Weise zurückgenommen wird.


    Nein! Man darf ja mal auch ein Lied nicht mögen. Hier ist das bei mir der Fall.


    Aber eine brillante Präsentation hast Du hier vorgelegt. Hat mich beeindruckt!

    Du kannst Dir nicht vorstellen, lieber Walter.T, wie sehr ich mich gefreut habe, Deinen Beitrag hier zu lesen.


    Als ich "glatte Fügung" las, blieb mir erst einmal der Mund offen stehen, denn ich sitze gerade an der Frage, warum Hölderklin erst so spät von den Liedkomponisten "entdeckt" wurde.


    Das ist eine höchst interessante Frage, die sehr viel mit der Entwicklung der Kunstliedes zu tun hat.
    Hölderlins "Abendphantasie" wurde, wenn ich das richtig sehe, von Reutter und Ullmann vertont. Und diese beiden Lieder sind bedeutende Liedkompositionen.


    Schubert wurde von der "glatten Fügung" der frühen Lyrik Goethes offensichtlich regelrecht angezogen. Für den ganz und gar musikalisch denkenden und fühlenden Menschen Schubert schien diese Lyrik geradezu nach Verwandlung in Musik zu rufen.


    Nicht ohne Grund wurde er durch die Begegnung mit Goethes Lyrik zu dem Liedkompionisten, den wir heute als so einzigartig empfinden.


    Falls dieser Beitrag zu wenig gedanklich geordnet erscheinen sollte: Er ist spontan erfolgt!

    Auch auf die Gefahr hin, mich ein wenig lächerlich zu machen, weil ein Bemühen um sprachliche Präzision so gar nicht "internetgemäß" sein mag: Ich muss mich korrigieren.


    Im Beitrag Nr. 213 hatte ich geschrieben:


    "Ein Komponist wie Schumann, dem es bei seinen Lied-Kompositionen darum ging, lyrische Sprache musikalisch zu interpretieren und expressiv zu potenzieren, kann die Verse Eichendorffs, die Naturbilder in einer selbst schon musikalischen Sprache evozieren, in ein kongeniales Lied verwandeln."


    Das kann ich, nach meiner vergleichenden Betrachtung der Eichendorff-Vertonungen von Robert Schumann und Hugo Wolf, so nicht stehenlassen. Diese Formulierung trifft eher auf Hugo Wolf zu als auf Robert Schumann. Er, Hugo Wolf, ist derjenige, der lyrische Sprache in seinen Liedern interpretiert und musikalisch ausleuchtet. Er will dem Gedicht musikalisch etwas hinzufügen, indem er "herausholt", was in der Semantik seiner lyrischen Sprache und der Expressivität seiner Bilder und Metaphern enthalten ist. Insofern ist er es, der Lyrik "expressiv potenziert". Schumann tut das in dieser Weise nicht.


    Für Schumann glaube ich jetzt eine Formulierung gefunden zu haben, die dem Wesen seiner Lied-Komposition wohl am ehesten gerecht wird. In der Literatur über Schumann taucht sie so nicht auf, ich wage sie aber dennoch:


    Schumanns Lieder sind für mich sprachbezogene musikalische Protokolle der Rezeption von Lyrik. Ich sprach davon, dass er in seinen Liedern die lyrische Sprache sich selbst artikulieren lässt. In dieser Formulierung ist diese Eigenart der Schumannschen Liedkomposition wohl sprachlich am besten getroffen.


    Das ist mir besonders bei meiner Vorbereitung auf den Thread "Schumanns Liederkreis op. 39" wieder einmal bewusst geworden. Bei der Beschäftigung mit dem Lied "DIE STILLE" zum Beispiel. Ich möchte nichts vorwegnehmen, aber man höre sich einmal das Lied "ZWIELICHT" an. In den ersten beiden Strophen, und nicht nur dort, folgt die musikalische Linie genau dem Duktus des lyrischen Sprechens. Infolgedessen hält sie im letzten Vers dieser beiden Strophen jeweils wie erschrocken inne. Die Musik protokolliert, was sich beim Lesen des Gedichts ereignet.

    Lieber zweiterbass,


    eben sehe ich, dass ich, vor lauter Fixiertsein auf die Sache, zu wenig explizit auf Deinen Beitrag eingegangen bin. Das bedauere ich. Indirekt habe ich aber, so denke ich, einiges von dem aufgegriffen, was Du, sozusagen deskriptiv, zu dem Lied DIE STILLE festgestellt hast. Die Pausen, die Du konstatierst, sind Folge einer stark auf Deklamation angelegten Melodik. Der Duktus des Sprechens schlägt gleichsam in dieser durch, und Sprechen ist nun einmal auch immer eine Sache des Pause-Machens.


    Wenn ich es recht verstanden habe, wunderst Du Dich ein wenig über den verschmitzten Ton bei Dietrich Fischer-Dieskau. Zitat:


    "DFD" macht aus "immer leise" einen "kecken, verschmitzten" Vortrag, so als würde das Lied eine heimliche Freude über ein Geheimnis ausdrücken..."


    Ich wundere mich auch ein wenig darüber. Er spricht in seiner Schumann-Biographie von der "beseligt-verschmitzten Grundstimmung des Gedichts". Die kann ich nicht erkennen. Wenn er das aus der Situation im Roman AHNUNG UND GEGENWART hergeleitet haben sollte, dann hat er aus meiner Sicht diese Situation falsch gedeutet.


    Das Mädchen Angelina ist unglücklich in den Grafen Friedrich verliebt. In dieser Situation schlägt sie, in der Rolle des Dieners Erwin, dem Grafen vor: "Reisen wir aus der Stadt und weit fort von den Menschen, ich führ dich in den großen Wald." Dann malt sie sich dieses gemeinsame Ausbrechen aus ihrer bisherigen Welt aus, und dabei rührt sie den Grafen so sehr, dass dieser "den begeisterten Knaben auf die Stirn" küsst. Der, also Angelina, fällt ihm darauf um den Hals "und küßte ihn heftig", was den Grafen, der ja keine Ahnung hat, wiederum sehr verwundert. Er macht "etwas ungewöhnlich Verändertes in seinem (also Angelinas = Erwins) Gesicht aus".


    Dann heißt es weiter: "...seine Lippen brannten, das Herz schlug fast hörbar, er hatte ihn noch niemals so gesehen. Der Bediente trat eben ein, um Friedrich auszukleiden. Erwin war verschwunden. Friedrich hörte, wie er darauf in seiner Stube sang: >Es weiß und rät es doch keiner...<. Es folgt das vierstrophige Lied. Die von Schumann ausgelassene Strophe lautet übrigens:


    Ich wünscht, es wäre schon Morgen,
    Da fliegen zwei Lerchen auf,
    Die überfliegen einander,
    Mein Herze folgt ihrem Lauf.


    Wieso Angelina in dieser Situation in einer seelischen Verfassung sein soll, der etwas von "Verschmitztheit" innewohnt, das kann ich beim besten Willen nicht nachempfinden. Und das Lied, losgelöst von seinem narrativen Kontext, enthält aus meiner Sicht auch keine Spur von dieser "Verschmitztheit". Es ist ganz geprägt von der Glückseligkeit des Augenblicks. Sie ist geküsst worden, - und dieses Glück klingt in ihr mächtig nach. So sehr, dass sie davonfliegen möchte, - bis in den Himmel!

    Lieber farinelli,


    schön und erfreulich zu lesen, dass wir uns weitgehend einig zu sein scheinen, was die hier besprochenen Eichendorff-Vertonungen von Hugo Wolf anbelangt. Ich hoffe und erwartete aber, von Dir bald mal wieder einen Deiner spitzfedrigen und brillanten Einsprüche lesen zu können. Die haben mich zwar schon manchmal ziemlich geärgert, aber ich gebe unumwunden zu: Sie sind sehr befruchtend hier im Forum.


    Dein Unbehagen, das Du im vorigen Beitrag geäußert hast, das Verhältnis Eichendorff- Hugo Wolf betreffend, lässt mich nicht los. Du stelltest fest:


    "Und doch, und doch, und doch - immer habe ich (wie z.B. bei Schumann nie) das Gefühl einer Inkongruenz..."


    Damit dürftest Du nicht allein stehen. Und ich frage mich, worin dieses "Gefühl einer Inkongruenz" bei Hugo Wolf wurzelt, und weshalb es bei Schumann "nie" auftritt, wie Du schreibst. Was Schumann anbelangt, so liegt das sicher nicht nur daran, dass er - im Unterschied zu Hugo Wolf - bis auf zwei Gedichte nur solche von Eichendorff vertont hat, die man als ganz charakteristisch und typisch für diesen Dichter erachtet. Die Ausnahmen sind: "DER EIDGENOSSEN NACHTWACHE" und "TAMBURINSCHLÄGERIN", letzteres aus dem Spanischen.


    Ich glaube, des "Rätsels Lösung" liegt woanders. Fischer-Dieskau hat einmal im Zusammenhang mit Schumanns Eichendorff-Liedern Opus 39 von der "selbstverständlichen Anstrengungslosigkeit" dieser Lieder gesprochen. Diese "Anstrengungslosigkeit" hört man bei den Eichendoff-Liedern Hugo Wolfs nicht. Viele von ihnen sind zweifellos kongeniale Kompositionen. Aber Ihre Genialität wurzelt in der einmaligen Fähigkeit Wolfs, die semantische und die linguistische Ebene der Gedichte bis in ihre feinsten Verästelungen musikalisch auszuleuchten. Manchmal, so scheint mir, schimmert dabei die Anstrengung durch, die mit dem kompositorischen Akt verbunden ist.


    Bei Schumann ist das anders. Er will Eichendorffs Sprache nicht semantisch-musikalisch ausleuchten, er will sie sich auf der Ebene der Musik selbst artikulieren lassen. In der Besprechung des Liedes "DIE STILLE" haben ich das im Thread "Schumanns Liederkreis op.39" aufzuzeigen versucht.


    In diesem Zusammenhang ist vielleicht ein Tagebuch-Notiz von Clara Schumann interessant. Eichendorff war bei der Abschiedsmatinee, die die Schumanns am 15. Januar 1847 in Wien gaben, anwesend. Hinterher notierte Clara Schumann: "Er sagte mir, Robert habe seinen Liedern erst Leben gegeben."


    Das ist zwar sicher zum Teil höfliche Übertreibung. Aber ich glaube, einen Wahrheitskern hat es doch. Eben weil Schumann die Lieder nicht musikalisch "illustriert" oder auf die Empfindungen reduziert, die er bei der Rezeption hatte, sondern statt dessen von der lyrischen Sprache her komponiert, kann er die Gedichte musikalisch zum Klingen bringen und ihnen, gleichsam auf einer höheren Ebene, "Leben geben", wie Schumann sagte.


    Ich stelle mir die Frage (weil ich so gerne spekuliere), ob Eichendorff auch von den Liedern Hugo Wolfs gesagt hätte, sie würden seinen Gedichten "Leben geben". Ich glaube, er hätte das verneint. Aber vielleicht tue ich Hugo Wolf damit ja unrecht?

    Zur Frage: Warum wird in diesem Lied die erste Strophe wiederholt?


    Ich glaube, dass diese Wiederholung der ersten Strophe mehr ist als nur eine Verstärkung und Intensivierung der musikalischen Aussage. Es liegt eine tiefere Logik darin, die sich für Schumann aus dem Lesen des Gedichts ergab. Das zeigt wieder einmal, wie sehr Schumann bei der Komposition seiner Lieder vom lyrischen Text selbst ausgeht und nicht - jedenfalls nicht primär oder gar ausschließlich! - von den Gefühlen, die dieser bei ihm auslöst.


    Die Situation, die in diesem Gedicht lyrisch gestaltet wird, weist sozusagen zwei Ebenen auf, die sich sprachlich am Indikativ und am Konjunktiv festmachen lassen. In der "Realsituation" wird indikativisch ausgesagt: Dem lyrischen Ich "ist" so wohl, dass es sich gedanklich-visionär aus ihr herausbewegt. Sprachlich ist das in konjunktivisch eingekleideten Bildern, bzw. Wünschen gestaltet ( "Ich wünscht, ich wär...und flöge"). Gedanklich bewegt sich das lyrische Ich dabei weg aus seiner realen Situation in eine visiionäre, aber eben nur gedanklich. Es verlässt die Situation, in der ihm "so wohl ist", nicht wirklich.


    Genau diesen Sachverhalt greift Schumann nun auf, indem er die erste Strophe wiederholt. Nach den konjunktivischen Ausflügen in eine visionäre Welt erfolgt musikalisch die Rückkehr zu dem "ist" der "Realsituation". Dadurch bekommt das Lied eine musikalische Geschlossenheit, die im Gedicht angelegt ist: In der situativen Gebundenheit des in sich hineinsprechenden lyrischen Ichs.


    Der Dichter muss diesen Sachverhalt der situativen Gebundenheit nicht eigens aussprechen, denn er ist dem Leser des Gedichts ja bewusst. Dieser versetzt sich in dieses lyrische Ich und vollzieht mit ihm den gedanklichen Vorgang der visionären Entgrenzung, wohl wissend, dass dies ein imaginärer Vorgang ist.


    Das, was der Leser des Gedichts bei der Rezeption des lyrischen Werkes, beim Lesen des Gedichts also, gedanklich vollzieht, spricht der Komponist musikalisch aus. Ich glaube man gewinnt hier einen tiefen Einblick in das Wesen der Liedkomposition Schumanns:


    In Schumanns Lieder spricht sich der lyrische Text selbst aus. Er wird als solcher auf eine musikalische Ebene gehoben, auf der er sich mit den Mitteln der Musik selbst artikulieren kann.


    Schumann ist ein kompositorischer Leser. Ein musikalischer Lyriker, - wenn man so will.

    Man versteht die Eigenart der Schumannschen Komposition und ihre Großartigkeit besser, wenn man sich ein wenig auf das Gedicht selbst einlässt, das ihr zugrundeliegt. Es findet sich im 15. Kapitel von Eichendorffs Roman "AHNUNG UND GEGENWART". Dort hört Graf Friedrich seinen Bediensteten Erwin dieses Lied in einem Nebenzimmer singen. Er hatte ihn aus Rührung gerade auf die Stirn geküsst. Erwin ist in Wirklichkeit die verkleidete Angelina, die den Grafen heimlich liebt.


    Das Gedicht besteht aus vier Strophen, von denen Eichendorff die dritte weggelassen hat. Es handelt sich um einen Monolog, ein stilles, heimliches In-sich-Hineinsprechen. Niemand weiß, was das lyrische Ich in seinem Innersten fühlt. Es möchte zwar, dass es einer weiß, aber eben nur dieser und sonst kein weiterer Mensch mehr. Es möchte alle seine Empfindungen und Gefühle, die in diesem Augenblick solche des Glücks und des größten Wohlseins sind, mit dem Menschen teilen, der sie ausgelöst hat.


    Aber die lyrische Sprache bleibt zumeist im Konjunktiv, - bis auf das "ist" im zweiten Vers der ersten Strophe und Metaphorik in der zweiten. Sie artikuliert Wünsche, die sich nicht erfüllen werden. So bleiben alle Gedanken und Gefühle in der absoluten Stille des Innern verborgen. Sie sind stummer als die Sterne "in der Höhe". Aus den Glücksgefühlen erwächst der Wunsch nach Entgrenzung, nach einem Sich-Auflösen des Ichs, nach einem Eingehen in die Weite de Raums, das am Ende zu einem visionären Eingehen in den Himmel wird.


    Schumann greift diese lyrische Grundsituation mit musikalischen Mitteln auf, die ihr vollkommen entsprechen: Dem monologischen Charakter entspricht musikalisch ein Parlando-Stil im Sechsachteltakt und eine melodische Linie, die ganz bewusst schlicht angelegt ist und innerhalb enger Intervalle verläuft- "Nicht schnell, immer sehr leise" soll musiziert werden.


    In der ersten Strophe wird weitgehend syllabisch exakt deklamiert, und das innerhalb eines engen Ton-Intervalls. Das entspricht dem Vor-sich-Hinsprechen des lyrischen Ichs. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass das Deklamieren durch leichte Stakkato-Akkorde im Klavier gestützt und akzentuiert wird.


    In der zweiten Strophe wird die enge Anbindung der melodischen Linie an das Versmaß und die syntaktische Struktur ein wenig gelockert. Die Stille, größer als "draußen im Schnee", wird mit fünf Achteln auf dem Ton "a" mit anschließender Pause musikalisch evoziert. Und erst, wenn es um die stummen und verschwiegenen Gedanken geht, steigt die melodische Linie hoch zum "d", um dort kurz innezuhalten.


    Mit der dritten Strophe kommt ein neuer Ton in das Lied. "Etwas lebhafter" heißt die Anweisung, und das Klavier nimmt sie auf. Das akkordische Stakkato wird von wie flüchtig hingetupften Achteln abgelöst. In die melodische Linie kommt ein schwärmerischer, emphatischer Ton, und sie bewegt sich in höhere Lagen, - ganz dem Wunsch des lyrischen Ichs nach Entgrenzung entsprechend. Mit der Vision "Bis daß ich im Himmel wär!" kommt wieder dieses Innehalten der melodischen Linie auf drei aufeinanderfolgenden hohen "d" mit anschließendem Abstieg und nachfolgender Pause.


    Wie im Lied "INTERMEZZO" wird auch hier die erste Strophe wiederholt. Ich hatte bei der Besprechung dieses Liedes darauf hingewiesen, dass dieser Wiederholung eine kompositorische Logik innewohnt, die nicht allein mit einer Intensivierung und Verstärkung des Eindrucks zu erklären ist. Sie leitet sich aus dem Verständnis des Gedichts durch den Komponisten selbst her. So ähnlich ist es auch hier. Das müsste noch gezeigt werden.