Es ist schon erstaunlich, was man hier im Forum zuweilen lesen kann. Manches verschlägt einem die Sprache, manches ist schlicht unzutreffend und manches wirkt wie ein äußerst heftiger Stoß, mal gefälligst nachzudenken.
Gut so!
Ein paar Anmerkungen und Fragen zum Beitrag farinellis:
Goethe hat seine Meinung zu Schubert nicht geändert. Es gibt dafür keinerlei Belege in seinen Briefen und den sonstigen Quellen, über die wir verfügen.
Beim Vortrag des "Erkönig" durch Schröder-Devrient war er, da ist der Quellenbeleg eindeutig, von dem beeindruckt, was diese große Sängerin konnte (und da war er bekanntlich nicht der einzige).
Wir erfahren, dass er sie danach auf die Stirn küsste und sagte, so(!) vorgetragen, gestalte sich das ganze zu einem sichtbaren Bilde. Mehr sagte er nicht.
Goethe ist seiner Auffassung über das durchkomponierte Lied sein Leben lang treu geblieben.
1803 schreibt er an Wilhelm von Humboldt:
"Er (gemeint ist Zelter) trifft den Charakter eines solchen, in gleichen Strophen wiederkehrenden Ganzen trefflich, so dass es in jedem einzelnen Teile wieder gefühlet wird, da wo andere, durch ein sogenanntes Durchkomponieren, den Eindruck des Ganzen durch vordringende Einzelheiten zerstören."
Dass Schuberts Freunde nur den "Lindenbaum" goutiert hätten, ist in dieser Formulierung schlicht falsch. Das gilt nur(!!) für die Lieder der Winterreise. Es gibt gar nicht so viel Platz hier, dass ich alle überlieferten Belege für die Hochschätzung der Lieder Schuberts durch seine Freunde abdrucken könnte.
Nur eine Anmerkung dazu.
Josef von Spaun schreibt in seinen Erinnerungen, dass Schubert "im Lied unübertroffen" dastehe. Und er fährt fort: "In dieser Art von Kompositionen hat er seinen Ruhm erreicht, den er mit niemandem teilt."
Zu der Feststellung, Schubert habe aus "Gretchen am Spinnrad" "ein Stück purer Hysterie gemacht" kann ich nichts sagen. Das hat mir die Sprache verschlagen.
Vielleicht, wenn man sich schon nicht die Mühe macht, die Komposition genauzu studieren, ein Tip:
Das Lied nicht in der Interpretation von Elisabeth Schwarzkopf hören , sondern in der von Kathleen Ferrier.
Von Hysterie ist da nichts zu spüren. Nur sehr viel von einer Erschütterung durch eine Liebe, die wie das Ungeheuerliche schlechthin in die kleine, geordnete Lebenswelt eines einfachen Mädchens hereinbricht.
Ich kenne insgesamt sieben Vertonungen dieses Gedichts. Die von Schubert steht in einsamer Höhe über allen!
Frage:
Was ist eigentlich der "Schubert-Stil"?
Daran rätsele ich schon so lange herum, wie ich Schubertlieder höre.
Und was heißt "selbstverständlich" in diesem Zusammenhang?
Ich sitze eben gerade an einem Vergleich von Schuberts "Vertonung" von Goethes "Nähe des Geliebten" mit der von Conradin Kreutzer. Wenn mir einer mal sagen könnte, was in diesem Fall der "Schubert-Stil" ist, würde ich ihm vor Dankbarkeit um den Hals fallen. Ich weiß es nämlich nicht.
Ich weiß nur:
Schuberts "Nähe des Geliebten" geht mir unter die Haut. Kreutzers "Nähe des Geliebten" ist ein äußerst kunstvolles Lied, das man sogar schön findet. Aber es geht mir eben nicht unter die Haut.
Bin ich etwa einer von den völlig verkorksten Lied-Hörern, die, weil Schubert ihnen "selbstverständlich" geworden ist, die Qualität der Lieder anderer Komponisten nicht mehr objektiv einschätzen können?
Was - und dies als letzte Frage - ist "die tödlich besonnene Note" der Prosa Goethes?
Der Roman "Die Wahlverwandtschaften", um nur ein einziges Beispiel zu nehmen, wird von Walter Benjamin(!) als "beispielhaft für eine moderne Kunst" eingeschätzt, die sich in wachsendem Maße von der subjektiven Erlebnisaussprache entfernt."
Goethes Sprache ist in ihrer kontrollierten "Besonnenheit" die Basis für die Großartigkeit dieses Werkes.
Farinellis Beitrag hat mich verblüfft und in Staunen versetzt, obwohl er ja nur aus wenigen Bemerkungen besteht.
Ich habe versucht, wortreich (und vielleicht ein wenig zu spontan) dazu Stellung zu nehmen.
Schubert als Wegbereiter Wagners? Wieder so eine wundersame Feststellung. Im Augenblick ahne ich nicht, wieso er das sein könnte. Ich denke aber nach!
Versprochen, lieber farinelli!