Eigentlich wollte ich ja für einige Zeit die Klappe halten, aber es geht nicht. Ich bitte um Verständnis.
Auf Siegfrieds Beitrag hin habe ich, nachdem ich erst einmal (bitte nicht lachen!) herausfinden musste , was die Buchstaben YT bedeuten, mir die Video-Schnipsel von Ian Bostridge bei You Tube angeschaut.
Alle (!), Schubert und insbesondere die Winterreise betreffend. Es war eine Tortur. Ich schwankte zwischen ungläubigem Staunen und dem Drang, auf "Herunterfahren" zu klicken.
Jetzt aber sehe ich mich Fragen gegenüber, von denen ich glaube, dass sie ernsthaft durchdacht und diskutiert werden müssten.
Fragen dieser Art:
Macht man es sich nicht zu einfach, wenn man das "Phänomen Bostridge" mit ein paar Bemerkungen als indiskutabel abqualifiziert?
Was ist eigentlich gegen seine Art, Schubert zu singen und zu interpretieren, sachlich einzuwenden?
Könnte so etwas, wie hier bei You Tube zu sehen, nicht ein Weg sein, junge Leute mit dem Kunstlied bekannt zu machen und ihr Interesse zu wecken?
Hängen wir, wenn wir das Eindringen von Elementen des Regietheaters in den Liederabend beklagen, nicht einem Verständnis von Liederabend an, das einmal auf seine Legitimation und seine sachliche Berechtigung hin befragt werden müsste?
Könnte es sein, dass dies die Zukunft des Liederabends ist, weil er nur auf diese Weise neues und junges Publikum gewinnen kann?
Konkret (und bewusst provokant): Was spricht eigentlich dagegen, "Die Nebensonnen" aus der Winterreise so vorzutragen, dass man, wie Bostridge das hier tut, mit abgespreizten Armen auf einem Stuhl vor einer kahlen Wand steht und eine Erscheinung bietet, die auffällig an das berüchtigte Folterbild von Abu Ghureib erinnert, - wenn dabei notengetreu Schubert gesungen wird?
Nachtrag (bitte nicht als Koketterie verstehen, sondern als Versuch, solchen Fragen Nachdruck zu verleihen):
Diese Fragen stellt einer, der mit einiger Wahrscheinlichkeit der Älteste hier auf dem Forum ist und dessen Verständnis von Liedinterpretation in unzähligen Fischer-Dieskau-Liederabenden herangewachsen ist.
Einer, der bei jeder Liedinterpretation, der er in einem Liederabend oder auf einer CD begegnet, unvermeidlich im Hintergrund immer die Art und Weise mithört, in der Fischer-Dieskau dieses Lied singt.
Einer, der schon mal aus einem Liederabend rausgelaufen ist, weil ihm der Sänger schlicht zu dumm war.
Aber auch einer, der jetzt wirklich überzeugt davon ist, dass man sich als Freund des Kunstliedes solchen Fragen stellen muss, so sehr einem das auch gegen den Strich gehen mag.