Beiträge von Zauberton

    Premieren im Großen Haus:


    18.10.2009
    Wagner: SIEGFRIED
    Inszenierung: Claus Guth
    Musikalische Leitung: Simone Young


    17.01.2010
    Donizetti: LUCIA DI LAMMERMOOR
    Inszenierung: Sandra Leupold
    Musikalische Leitung: Simone Young


    07.02.2010
    Giordano: ANDREA CHÉNIER
    Musikalische Leitung: Simone Young
    Konzertante Aufführung (mit J. Botha)


    07.03.2010
    "Trilogie der Frauen":
    Schönberg: ERWARTUNG
    Oscar Strasnoy: LE BAL (Uraufführung)
    Rihm: DAS GEHEGE
    Inszenierung: Matthew Jocelyn
    Musikalische Leitung: Simone Young


    16.05.2010
    Verdi: AIDA
    Inszenierung: Guy Joosten
    Musikalische Leitung: Carlo Montanaro




    Wiederaufnahmen / Repertoire (u.a.):


    La Bohème (Joosten) mit J. Calleja
    Arabella mit A. Harteros
    Lohengrin (Konwitschny) mit K.F. Vogt
    Der Freischütz (Konwitschny) mit D. Halbwachs, T. Kerl
    Chowanschtschina (Kupfer) mit M. Salminen

    Bei Di Stefanos Edgardo war es lange so, dass ich das wirklich für die ultimative Interpretation hielt. Und ich war, als ich mich - mit einem Sack voll Aufnahmen, aber ansonsten etwas unbedarft - in diesem Forum anmeldete, ziemlich überrascht, dass man das auch anders sehen kann. Ich höre ihn in der Rolle immer noch sehr gern, kann aber inzwischen auch nachvollziehen, wenn man da Zweifel anmeldet und etwas flexiblere Stimmen bevorzugt. Und Callas und Di Stefano passen immerhin besser zusammen als andere Paarungen, die in den 1950er Jahren Lucia und Edgardo gesungen haben. Ich denke da z.B. an Pons/Tucker, Peters/Peerce – auch alles Aufnahmen, die man heute anders besetzen würde. Und wenn schon der Name Tucker fällt: In dessen Lucia-Aufnahme (mit Lily Pons) kann man dann tatsächlich erleben, wie man eine Schlussszene komplett versaut: leises Jammern nach "Lucia più non è", beständiges Schluchzen bei "o bell’alma innamorata" - da ist auch bei mir die Grenze dessen erreicht, was ich noch an Weinerlichkeit ertragen kann. Im Vergleich dazu ist Giuseppe Di Stefano wirklich noch ein Belcantist reinsten Wassers.


    Ich stimme allerdings insoweit zu, dass auch unter den Aufnahmen mit Maria Callas einige dabei sind, die Di Stefano in Rollen dokumentieren, für die er einfach nicht die Stimme oder die Technik hatte: Mehr noch als die Lucia würde ich die Puritani, den Trovatore und mit Abstrichen auch Rigoletto dazuzählen – drei Aufnahmen, die meines Erachtens nicht unbedingt ein Ruhmesblatt für den Sänger sind. Eher ist es so, dass Di Stefano aufgrund seines Gefühls für Sprache und Sprachmelodie ein idealer Puccini-Tenor war. Dort schätze ich auch gerade die Direktheit des Singens, eine Verve, die aber meines Erachtens eben nicht in aufgesetzten oder affektierten Naturalismus umschlägt.


    Aber auch bei der Cavalleria Rusticana, die ich gestern abend nochmals gehört habe, neigt Di Stefano nicht zu übermäßiger Entäußerung. So ist er zum Beispiel am Ende des Duetts mit Santuzza bei der Textzeile (con moltissima forza): "Dell’ira tua non mi curo!" einer der ganz wenigen Tenöre, die das zumindest näherungsweise in der geforderten Tonhöhe singen, ohne dass es in wenig kontrolliertes Sprechen oder Brüllen ausartet. Auch bei den Pagliacci sind es bei Di Stefano meines Erachtens eher stimmliche als stilistische Grenzen, die die Aufnahme problematisch machen.

    Hallo Bernd,


    auch ich habe Deine bisherigen Beiträge sehr gern gelesen. Die Aufnahmen von Maria Callas und Giuseppe Di Stefano standen bei mir am Anfang meiner Sammlung von Operngesamtaufnahmen, und ich kenne sie lange und gut. Deine Besprechungen machen Lust auf eine Wiederbegegnung. Ich will hier aber noch einmal kurz auf Giuseppe Di Stefano eingehen, den Du meines Erachtens in Deinen Besprechungen, sozusagen nebenbei, ziemlich pauschal abgefertigt hast.


    Zunächst die Puritani: Die Leistung Di Stefanos in der Studioaufnahme halte ich aus den von Dir genannten Gründen eher für schwach. Er ist falsch besetzt und noch dazu nicht gut in Form. Es gibt aber immerhin einen Livemitschnitt vom Mai 1952 aus Mexiko (leider auch in sehr mexikanischer Tonqualität), in dem er mit der Höhe etwas besser zurecht kommt und beweist, dass er der Rolle zumindest annähernd gewachsen war.


    Ich erinnere mich dunkel an ein Interview mit Di Stefano, in dem er nach Callas' Tod berichtete, es sei für ihn unvergesslich, wie er 1952 in Mexiko wie elektrisiert hinter der Bühne gesessen habe - Arturo hat im zweiten Akt der Puritani Pause - und Maria Callas erstmals mit "Qui la voce sua soave" gehört habe. Callas und Di Stefano waren damals bis auf ein paar vereinzelte Aufführungen in Südamerika noch nicht zusammen aufgetreten und kannten einander kaum. Di Stefano beschreibt dieses Erlebnis – egal, ob Dichtung oder Wahrheit – euphorisch als einen der bewegendsten Momente seiner musikalischen Karriere. Wenn er nur eine Aufnahme mit auf "die einsame Insel" nehmen dürfe, sei das eine Aufnahme von Maria Callas mit dieser Arie. Ich denke, wir sind uns einig, dass das bestimmt keine schlechte Wahl ist. Denn Callas' Gesang ist da wirklich von einer Schönheit, die den Hörer ganz nah an das heran führt, was sich wohl substanziell hinter dem Begriff Belcanto verbirgt. Die Aufnahme der Puritani habe ich, eben wegen Callas, wochenlang rauf und runter gespielt.


    Anderer Ansicht als Du bin ich aber, wenn Du davon ausgehst, Di Stefano habe "in den meisten Aufnahmen aus dieser Zeit" seine Partien "lieblos" heruntergesungen. Ich habe mich zu den Qualitäten von Giuseppe Di Stefano schon an anderer Stelle zu Genüge ausgelassen, so dass ich das hier nicht wiederholen muss, aber diese Aussage reizt mich jetzt doch zu sehr zum Widerspruch. Meines Erachtens war Di Stefano oft live besser als in den entsprechenden Studioaufnahmen. Und gerade aus den 1950er Jahren gibt es Aufnahmen, die für mich auch wegen der Intensität der Darstellung und der hörbaren Identifikation des Sängers mit den Rollen zu dem Besten gehören, was ich an Tenorgesang kenne. Hör Dir bei Gelegenheit neben der Lucia aus Berlin z.B. auch mal Faust (MET, 1949), Bohème (MET, 1951 u. 1952), Cavalleria (Scala, 1955), Ballo (mit Callas, Scala, 1957) oder diverse Toscas an. Das sind überwiegend Aufnahmen, in denen Di Stefano stilistisch, stimmlich oder technisch nicht unangreifbar ist, die aber einen Sänger zeigen, der, ausgehend von einer vorbildlichen Diktion, voll in seinen Rollen aufgeht und auch bei der Dynamik zu Differenzierungen in der Lage ist. Selbst in der Schlussszene der 1953er Lucia, die Du (warum?) als komplett versaut bezeichnest, fehlt es ja wohl beileibe nicht an Emphase. Dass man Di Stefano einiges vorwerfen kann, ist mir klar, aber dass er überwiegend lieblos gesungen hätte, trifft meines Erachtens nicht zu. Die Sache mit dem Totalausfall sehe ich dementsprechend auch anders. Da würde mich interessieren, welche Aufnahmen für Dich in diese Kategorie fallen.


    Ich freue mich aber auch auf weitere Besprechungen. Cavalleria Rusticana habe ich schon aufgelegt. :]

    Zitat

    Original von Diabolus in Opera
    Kennt jemand diese Aufnahme und kann etwas dazu sagen?



    Ich mag sie nicht, obwohl die Aufnahme fast schon wieder einen unfreiwilligen Unterhaltungswert hat.


    Das Beste daran ist noch Franco Bonisolli. Schön timbriert, kernig-männlich, sicher in der Höhe - dieser Turiddu gefällt mir durchaus. Ganz der bekannte Egozentriker, legt Bonisolli im Brindisi allerdings noch ein nicht notiertes hohes C ein. Caruso hat das zwar auch schon gemacht, aber in einer Studioaufnahme aus den 1980er Jahren erwartet man das nicht unbedingt.


    Martina Arroyo ist über ihre gute Zeit hinaus, die Stimme vibriert stark, klingt doch etwas zu sehr nach Mamma Lucia. Eine mehr als sonderbare Fehlbesetzung ist Bernd Weikl als Alfio mit seinem hellen, leichtgewichtigen, sehr deutsch gebildeten Bariton. Auch die italienische Aussprache ist reichlich schlecht. Ganz schwach ist auch das Dirigat von Lamberto Gardelli. Oberflächlich-knalliger geht es kaum.


    Zum Schluss hat dann noch einmal die leider unbenannte Hysterikerin, die den Tod des Turiddu vermelden darf, alle Lacher auf ihrer Seite. Was man der in den Kaffee getan hat, wüsste ich wirklich gerne.


    Die Pagliacci sind übrigens auch nicht besser.

    Insbesondere war aber auch die Personenregie nicht gelungen, die Sänger interagieren kaum; es wird nicht klar, ob die Personen der Handlung überhaupt Gefühle haben. Am deutlichsten war das für mich bei der Figur der Irene, die bis zum letzen Akt so nebensächlich behandelt wird, dass sie dramaturgisch ganz verzichtbar ist.


    Auch die Entwicklung, die Rienzi nimmt, bleibt äußerlich: im ersten Akt noch ein einfacher kahlköpfiger Arbeiter, im zweiten Akt dann goldbetresste Lichtfigur, bis er dann zur blondbezopften Roma mutiert - das wird alles nicht durch Rienzis Verhalten belegt. Dass er sich im Blut der Gefallenen wälzt, geht vielleicht als kurzes Strohfeuer durch, aber letztlich ist das auch eine Idee, die ziemlich isoliert stehen bleibt.


    Und dann war da noch der Umgang mit dem Chor, der meistens hilflos herumsteht: Nicht im geringsten individualisiert, sondern vorzugsweise symmetrisch in Blöcken auf der Bühne platziert, darf er immer mal wieder auf- und abmarschieren.


    Ich denke nicht, dass Katharina Wagner die Chance genutzt hat, Werbung für diese Oper zu machen. Vieles erinnerte an eine Persiflage, als hätte die Regisseurin selbst das Werk nicht so ganz ernst genommen. "Comic-Stil" trifft es da ganz gut. Für mich war das eine lieblose langweilige Inszenierung, die bei mir überhaupt kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit der Oper wecken konnte.

    Zitat

    Original von Alviano
    Dass Katharina Wagner in Bremen so wenig mit diesem Stück und ihrer Titelfigur anzufangen wusste, enttäuscht. Wenn sie sich nicht in Opernkonvention flüchtete, pflegte sie inszenatorisch einen banal-oberflächlichen Comic-Stil, bis hin zu Wagner-Familien Streitigkeiten zwischen Schwestern - Rienzi und Irene werden am Ende als Schwesternpaar gezeigt, die den lebenden Vorbildern nicht unähnlich sind. Von den langen gut drei Stunden vermögen gerade mal 10 Minuten wirklich zu interessieren, das ist sehr wenig. Von den Dingen, die hier in aller Kürze zur Person des Rienzi zu lesen sind, findet sich in der Inszenierung der Bayreuther Festspielchefin nichts. Ich hatte währen der Aufführung das Gefühl, das Katharina Wagner das Stück überhaupt nicht verstanden hat.


    Lieber Alviano,


    da würde mich jetzt einmal interessieren, welche 10 interessanten Minuten das denn gewesen sind.


    Katharina Wagner hat anscheinend versucht, sich dem Werk mit einer gewissen ironischen Distanz zu nähern, was leider nur dazu geführt hat, dass die Oper in Bremen so präsentiert wurde, wie man sie über Jahrzehnte gesehen hat: als monumentaler, aber substanzarmer Langweiler. Ich glaube, ich habe in den Pausen selten so viele Opernbesucher gähnen gesehen und nehme mich selbst da nicht aus. Die mir bis zu diesem Tag unbekannte Dame zu meiner Linken schlummerte schon vor der ersten Pause friedlich an meiner Schulter - in dieser Form auch noch nicht erlebt. Zumindest in der von mir besuchten Vorstellung hat auch das einfallslos rasselnde Orchesterspiel nicht unbedingt dazu beigetragen, den Abend spannender zu gestalten. Ich fand die ganze Aufführung einfach nur furchtbar öde.

    Lieber Alviano,


    insgesamt lässt mich die Premiere vom Sonntag etwas ratlos zurück. Viele Bilder, das sehe ich ganz genauso wie Du, sind wirklich stark, und die bleiben auch nach dieser Vorstellung haften:


    Das fängt an bei der "Ankunft" des Goryantchikoff, der ja eigentlich kein Neuer ist. Er ist bereits am Anfang einer der Gefangenen, trägt die "Uniform" von Jeans und Sweatshirt, versucht sich dann aber abzugrenzen, indem er statt der Einheitskleidung einen weißen Anzug und glänzende Schuhe anlegt. Ein kleines Detail, das mir hier gut gefallen hat: Dem Sänger des Goryantchikoff, Jin-Ho Yoo, bleibt für den Rest der Vorstellung die Masse, die aus dem Eimer über ihn entleert wird, im Haar kleben - Zeichen dafür, dass die Demütigung Einzelner bei diesen bleibende Spuren hinterlässt.


    Den zweiten und dritten Akt hat Kosky als einheitliches Geschehen inszeniert, den Zeitsprung hat er ignoriert, sieht man einmal ab von den sprießenden Blumen, die mich nicht gestört haben. Aljeja, der am Ende des zweiten Akts vom jungen Sträfling (so etwas wie der Lagerprolet) brutal misshandelt wird, leidet noch im Schlussakt unter den zugefügten Verletzungen und erholt sich von diesen bis zum Ende der Oper nicht mehr vollständig. Die sich entwickelnde Freundschaft zwischen Goryantchikoff und Aljeja ist in der Inszenierung gut herausgekommen. Indem Goryantchikoff im letzten Akt Aljeja pflegt, revanchiert er sich für dessen Verhalten im ersten Akt, als nämlich Goryantchikoff Hilfe benötigt hat: Es ist Aljeja gewesen, der ihm zumindest Jeans und Sweatshirt zurückgebracht hat, nachdem er im ersten Akt gedemütigt und zusammengeschlagen worden war. Es war bewegend zu sehen, wie sich dann im letzten Akt der Kreis schließt.


    Auch die Idee, den Adler mit einem Statisten zu besetzen, war nicht ganz schlecht umgesetzt, einem alten Mann, der zumindest insoweit befreit wird, als er als einziger die Einheitskleidung ablegen darf und sich fortan nur mit einer Unterhose bekleidet ein wenig unsicher über die Bühne bewegt. Das einzige, was an ihm an einen Vogel erinnert, ist eine einzelne Feder, die nach Indianerart mit einem Stirnband am Hinterkopf befestigt wird. Auch er wird, wie so viele, grundlos zusammengeschlagen, nimmt dies aber - Indianer kennen keinen Schmerz? - klaglos hin. Später hat dieser Statist nicht mehr wirklich viel zu tun, aber vielleicht passt das auch zu dem phlegmatischen Charakter, der ihm von der Regie beigemessen wurde.


    Natürlich ist es auch eine große Herausforderung für die Regie, wenn etwa 50 Männer - Kosky verzichtet vollständig auf Frauen - ständig auf der Bühne sind. Die Bühne ist praktisch kahl. Alles spielt sich auf einer schiefen Ebene ab. Meistens treten die Gefangenen en bloc auf. Nur manchmal treten Einzelne heraus, die für einen kurzen Augenblick so etwas wie Individualität zeigen, dann aber wieder in der Menge verschwinden. Das ist Kosky meines Erachtens insgesamt gut gelungen.


    Trotzdem bleibt bei mir das Gefühl, dass die Stärke der Inszenierung eher bei der Darstellung von Einzelschicksalen liegt als bei der des Systems. Ungewöhnlich war ja hier, dass auch Platzmajor und Wachen Teil dieses Kollektivs sind, das Einzelne, die sich zu emanzipieren versuchen, brutal unterdrückt. Der Platzmajor führt das Wort, obwohl er, zumindest von der Kleidung her, auch ein Gefangener ist. Woraus sich seine Macht über die anderen ergibt, bleibt im Dunkeln. Einmal kurz Sonnenbrille aufsetzen, das reicht ja wohl nicht. Dass er sich am Ende bei Goryantchikoff entschuldigt, ist sinnlos. Die Rolle der Wachen ist für mich zumindest nicht ganz deutlich geworden. Ohnehin hatte ich gerade zum letzten Akt hin den Eindruck, dass bei den vielen einzelnen Ideen der rote Faden etwas verloren gegangen ist.


    Schwächen gibt es auch bei dem derben Theaterstück, das die Gefangenen im zweiten Akt aufführen. Das ist alles wild und drastisch, aber es wirkt einfach nicht. Bei den Gefangenen entladen sich unterdrückte Begierden, Sexualität, Aggressionen, das ist klar, aber ich gebe zu – mir wurde nach einigen Minuten dieses Gehampels kurz mal langweilig. Irgendwie kam da doch der Eindruck auf, diese bunte Farce in anderem Kontext schon einmal gesehen zu haben. Auf mich wirkte das leider etwas billig.


    Letztlich habe ich aber nicht bereut, die Vorstellung besucht zu haben. Es gibt genug zu sehen, was den Besuch dieser Oper rechtfertigt - und auch zu hören: An der musikalischen Wiedergabe habe ich nichts auszusetzen. Es kann schon sein, dass das Orchester phasenweise zu laut war; jedenfalls hatte ich auch den Eindruck, dass sich das Orchesterspiel im Laufe des Abends verbessert hat, kann das aber an nichts Konkretem festmachen. Insbesondere möchte ich aber auch die Ensembleleistung herausheben: Fast alle der zahlreichen Solisten sind fest in Hannover engagiert, und auch darstellerisch gelingt ihnen das alles wirklich gut.

    Seit Donnerstag gibt es den offiziellen Spielplan des Bremer Theaters für die nächste Saison:


    13.09.2009
    Vincenzo Bellini: NORMA
    Inszenierung: Philipp Himmelmann


    04.10.2009
    Alexander Zemlinsky: EINE FLORENTINISCHE TRAGÖDIE / DER ZWERG
    Inszenierung: Andreas Bode


    15.11.2009
    Peter Tschaikowsky: EUGEN ONEGIN
    Inszenierung: Tatjana Gürbaca


    11.12.2009
    Johann Strauß: DIE FLEDERMAUS
    Inszenierung: Christian Schuller
    Als besonderer Stargast: Wolfgang Stumph in der Rolle des Frosch :rolleyes:


    06.02.2010
    Wolfgang Amadeus Mozart: DON GIOVANNI
    Inszenierung: Andrea Moses


    19.03.2010
    Bernd Redmann: DIE GEHETZTEN
    Inszenierung: Kay Kuntze
    Uraufführung


    20.03.2010
    Gioacchino Rossini: IL BARBIERE DI SIVIGLIA
    Inszenierung: Michael Hampe


    15.05.2010
    BAROCKOPER
    "Erfrischendes Projekt" in Kooperation mit der Hochschule für Künste, Abteilung Alte Musik


    18.06.2010
    Giacomo Puccini: TURANDOT
    "Konzertante Aufführung in besonderer Präsentation"



    Weiterhin ist Monserrat Caballé, die es offensichtlich nicht lassen kann, für einen Liederabend eingeplant (12.12.2009). Caballé war in den Jahren 1959-1962 am Bremer Theater engagiert und soll nun nach 50 Jahren zurückkehren…


    Meines Erachtens insgesamt ein mäßig vielversprechendes Programm, wobei mein Interesse am ehesten noch den drei Premieren im Herbst 2009 gehört.

    Lieber Waldi,


    Deine Bewertung des Mitropoulos-Mitschnitts teile ich vollständig. Insbesondere Mitropoulos, der mir in einigen Liveaufzeichnungen als ein mitreißender Operndirigent begegnet ist, wirkte auf mich in dieser Aufnahme etwas gehemmt. Die etwas eruptiveren Werke (z.B. Elektra, Tosca, auch Ernani) lagen ihm wohl mehr als die feingliedrigere Carmen.


    Ich weiß nicht, ob Du den MET-Mitschnitt vom 31.01.1953 kennst, aber der liegt von Besetzung und Charakter zwischen der Reiner-Studioaufnahme und dem Mitropoulos-Mitschnitt. Am Pult steht erneut Fritz Reiner, der auch hier die Frage aufwirft, warum er nicht mehr Opern dirigiert hat: rasch, präzise, aber keineswegs ohne Rücksicht auf die Sänger durchexerziert - eine dramatische Carmen im Stile der RCA-Studioaufnahme.


    Auch Mario Del Monaco überrascht hier positiv. Er singt zwar nicht unbedingt subtil, aber für seine Verhältnisse doch einigermaßen differenziert. Das Diminuendo auf dem ersten As in der Blumenarie gelingt ihm besser als 1957 und er zeigt auch an anderen Stellen, dass er sich durchaus zurücknehmen konnte, wenn er denn mal wollte. Auch gebe ich gerne zu, dass mir Del Monacos satt timbrierter, erzener Tenor mit den massiven Spitzentönen in der Rolle gar nicht schlecht gefällt. Die Stimme klingt hier auch noch völlig natürlich groß, ohne diesen forciert-blechernen Ton, den man in einigen seiner späteren Aufnahmen hören kann. Sicher, bei einigen Schluchzern im Schlussakt muss man auch hier für einen kurzen Augenblick stark sein, aber im Ganzen stört mich das nicht ernsthaft. Insgesamt gefällt mir Del Monaco in dem früheren Mitschnitt etwas besser als in dem von 1957.


    Lucine Amara singt in der Aufnahme von 1953 die Frasquita, und damit ist sie besser besetzt. Die Micaela hat man dafür Hilde Güden gegeben. Aber auch sie verlässt sich etwas zu selten auf ihre schön timbrierte Sopranstimme, versucht insbesondere im dritten Akt zu oft die dramatische Attacke, die leider etwas angestrengt klingt. Escamillo wird auch hier gesungen von Frank Guarrera; da sehe ich es wie Du: ein anständiger Escamillo der zweiten Reihe, der wenig auffällt.


    Bleibt noch die Carmen. Die ist hier Fedora Barbieri, wie Rise Stevens auch eine echte Altstimme, dennoch höre ich Stevens lieber in dieser Rolle. Schlecht gesungen ist das nicht, aber die Carmen scheint nicht unbedingt Barbieris Rollentypus zu sein. Schon im ersten Akt fehlt es etwas an verführerischem Charme, und insbesondere wenn es im zweiten Akt lebhaft wird ("Taratata"), klingt sie doch eher brav und mütterlich als nach einer feurigen Zigeunerin. Auch scheint sie mit der französischen Sprache nicht so recht warmzuwerden. Ihre Kartenszene hat keinen Hauch von Abgründigkeit und Vorahnung, zu sehr scheint sie sich mit dem Text zu quälen.


    Insgesamt ist das auch keine Carmen der französisch-idiomatischen Sorte, sondern der etwas vergröberte Ansatz, aber wer die Reiner-Studioaufnahme mag, kann vielleicht mit dieser Liveaufnahme ergänzen:


    Zitat

    Original von xingwang
    Die Termine für die Sebastien-Vorstellungen stehen schon klar auf dem Spielplan von Nürnberger Staatstheater, doch die Besetzungsliste schaut verunsichernd aus, Titelpartie wird von David Yim, der nach meiner Erfahrung aus Rosenkavalier (als italianischer Sänger) und Rigoletto (als Duka) immer eine forcierte Stimme aufweist und mir keinen positiven Eindruck hinterlassen hat (übrigens, in der herausfordernden Nummer "Deserta in terra" muss der Tenor 3 hohe C und einmal C-sharp schmettern, die Obergrenze von Herr Yim aufgrund meiner Einschätzung geht nicht über hohe B :D).


    David Yim ist mir das erste Mal vor einigen Jahren in Bremen bei einer Vorstellung von "La forza del destino" begegnet, und da war ich wirklich mittelschwer begeistert: eine kernig-metallische Tenorstimme von sehr guter Qualität, wie ich das an einem mittelgroßen Haus kaum erwartet hatte. Das war wirklich mal eine Verdi-Stimme, gut im Fokus und mit einer nach meiner Erinnerung sicheren Höhe, allenfalls etwas unflexibel und monoton eingesetzt; da besteht für den jungen Sänger vielleicht noch Potential. Jedenfalls hatte er auch Kraftreserven bis zum Schluss der Oper. Mir hat der Alvaro immerhin so gut gefallen, dass ich mir Yims Namen gemerkt habe - was mir bei ostasiatischen Sängern leider nicht immer ganz leicht fällt :O (sorry, xingwang). Jedenfalls hat es mich gefreut, dass Yim im letzten Jahr als Don Carlo auch in Hannover aufgetaucht ist.


    Wäre ich Süddeutscher, wäre für mich David Yim also eher ein Grund, vielleicht doch eine Vorstellung des Dom Sébastien zu besuchen. Ob er allerdings gerade in dieser Rolle wirklich gut aufgehoben ist, lasse ich mal dahingestellt. Für Donizetti (wie übrigens auch für den Duca) scheint er mir fast etwas zu "schwer" besetzt zu sein.

    Renato Cioni ist natürlich keineswegs ein Unbekannter: ein eher kleinstimmiger Tenor, der aber sehr gut seinen Klang konzentrieren konnte. Die Rolle des Edgardo kommt dieser flexiblen Stimme gut entgegen. Im Übrigen lässt sich zu der Pritchard-Aufnahme sagen, dass Sutherland zwar schön und technisch sauber singt, aber, vermutlich auch aufgrund von Nachlässigkeiten beim gesungenen Text, ein wenig indifferent im Ausdruck bleibt. Merrill und Siepi sind natürlich sehr üppige Besetzungen für ihre Rollen. Insgesamt ist das aber wirklich eine Aufnahme, die ich auch empfehlen würde - auch und gerade wegen Cionis Edgardo.


    Bei Renato Cioni gibt es aber doch Aufnahmen, in denen er weniger überzeugen kann. Ich denke da zum Beispiel an den Mitschnitt einer Tosca aus London, in der er 1964 unter der Leitung von Carlo Felice Cillario den Cavaradossi singt. Hier ist er nicht ideal besetzt, muss sich sehr anstrengen, klingt übermotiviert und mit der Rolle überfordert. Auch Callas und Gobbi sind da in keiner guten stimmlichen Verfassung. An der Qualität von Cionis Edgardo ändert das natürlich nichts.

    Rosa Ponselles Liveaufnahme der Traviata aus der MET (05.01.1935) ist meines Erachtens nicht geeignet, ihren Ruf als "Wunder" zu bestätigen.



    Was mir vorher nicht bewusst war, hier aber auch schon anklingt, ist Ponselles eigenwilliges Pathos, das sie in diese Rolle einbringt: Das offenkundigste Beispiel ist die zweite Szene des zweiten Akts, in dem Ponselle nach Alfredos "Questa donna conoscete?" so lange hysterisch in dessen Solo hineinquengelt, bis es zuende ist. Als Kollege der Ponselle hätte ich mich da aber auch herzlich bedankt. Dazu kommen noch einige andere ähnliche Gestaltungsideen, die ich jetzt nicht kleinlich aufzählen will, die sich aber in der Summe doch zu einem Bild zusammenfügen. Oft verschleppt Ponselle auch das Tempo; Ettore Panizza am Pult lässt es mit sich machen.


    Das "Sempre libera" singt sie transponiert, um die Cs zu vermeiden. Gerade Angst vor hohen Tönen war es wohl, die sie zur Carmen bewegte. Insgesamt erscheint es mir bemerkenswert, dass eine Sängerin, die zentrale Rollen des eigenen Repertoires (Traviata, Norma, Aida) teilweise nur transponiert singen konnte oder wollte, sich den Ruf eines Stimmwunders erwerben konnte. Aber auch die Geläufigkeit, die sicher für eine derart dramatische Stimme gut ist, ist nicht ganz ideal. So werden die Verzierungen im "Sempre libera" doch eher mit Verve als Akuratesse angegangen.


    Dennoch gibt es einiges, das es an Ponselles Violetta zu bewundern gibt: ihr Legato, der Farbenreichtum der Stimme, die Intensität im "Addio del passato" zum Beispiel. Damit man mich nicht falsch versteht: Ponselle ist sicher keine schlechte Violetta, aber ein "Wunder" ist diese Aufnahme auch nicht. Besser als Ponselle gefällt mir in diesem Mitschnitt Lawrence Tibbett als Giorgio Germont. Der ist wirklich richtig gut!


    Einige einzelne Arienaufnahmen von Rosa Ponselle haben einen anderen Charakter. Hier ist vielleicht eher eine "zurückgenommene Noblesse" zu hören, die der Live-Traviata abgeht. Die satte Üppigkeit der "Suicidio"-Arie über alle Registergrenzen hinweg ist beeindruckend. Auch kommen in den Einzelaufnahmen die technischen Fähigkeiten Ponselles besser zur Geltung. So hatte sie anscheinend tatsächlich perfekte Triller, zum Beispiel zu hören in der Cabaletta ihrer Aufnahme der Arie aus dem ersten Ernani-Akt.


    Dass Ponselle so oft in eine Reihe mit Maria Callas gestellt wird, ist möglicherweise vor allem der Ähnlichkeit im Repertoire geschuldet. Einige stimmliche Gemeinsamkeiten gibt es aber auch mit Renata Tebaldi: das reiche, warme, eher dunkle Timbre, die Probleme mit der Höhe. Ponselle hatte freilich die bessere Agilität.


    Unverständlich, dass sie nicht die Tosca gesungen hat. Die Rolle hätte ihr meines Erachtens von Stimme und Ausdruck gut gelegen.

    Giacinto Prandelli ist ein Interpret, der mir, je mehr ich von ihm höre, immer besser gefällt, und zwar so gut, dass ich mich allen Ernstes frage, warum dieser Tenor so wenig Aufmerksamkeit erhält.


    Es ist fast schade, dass Prandelli so viel Verismo gesungen hat, da hier einige seiner sängerischen Qualitäten kaum positiv zur Geltung kommen. Was Prandelli meines Erachtens besonders auszeichnet, ist der dynamische Nuancenreichtum seines Singens: die Bereitschaft zum piano und der kluge Einsatz von Messa-di-voce-Effekten als Ausdrucksmittel, mit dem sich Prandelli in die klassische Belcanto-Tradition stellt. Trotz allem beweisen die Aufnahmen veristischer Werke, wie wandlungsfähig Prandelli in stilistischer Hinsicht war. Auch ist Prandelli ein Tenor, der sich bewusst war, dass Gesang nicht nur aus Tönen sondern auch aus Worten besteht: Auf Textverständlichkeit und Phrasierung legte er hörbar großen Wert. Jedenfalls ist dies ein Künstler, der seine stimmlichen Mittel mit Geschmack und technischer Finesse sehr geschickt einzusetzen wusste.


    Neben den oben genannten Aufnahmen kann ich sehr das Verdi-Requiem aus der Scala unter Victor de Sabata empfehlen. (Prandellis Ingemisco gibt es bei Youtube.) Einen exzellenten Des Grieux (Massenet) singt Giacinto Prandelli unter der Leitung Vittorio Gui auf Italienisch. Massenet lag ihm stimmlich wohl etwas mehr als Puccinis Manon Lescaut.


    Vielleicht ist sein morgiger 95. Geburtstag ja für den einen oder anderen ein Anlass, sich ein wenig mit Prandelli zu beschäftigen.

    Den Verlauf dieses Threads verfolge ich mit gemischten Gefühlen. Es wurde bereits angesprochen: Wenn man erst nach langwieriger Rechenarbeit herausgefunden hat, ob einem eine Sängerleistung zusagt, hat man etwas falsch gemacht. Ich hoffe auch nicht, dass sich irgendjemand mit einer Checkliste vor den Plattenspieler setzt mit dem Ziel, jetzt doch einmal Sänger zu bewerten. Der Prozess ist ja wohl meist ein umgekehrter: Man hört etwas, das gefällt oder nicht gefällt und versucht, sich bewusst zu werden, warum das so ist. Und da kann es fraglos hilfreich sein, Kriterien zu haben, an denen man sich orientieren kann.


    Bei einem anderen Punkt bin ich bin mir nicht sicher, ob das schon so selbstverständlich ist, dass es bislang noch nicht geschrieben wurde: Welche Maßstäbe an eine Sängerleistung anzulegen sind, bestimmt sich in erste Linie an der konkreten Rolle. Eine Stimme mit großem Volumen ist natürlich nicht per se besser als eine kleine. Umgekehrt wird ein Tenor, der ausschließlich Rollen wie Otello, Canio und Chenier singt, problemlos auf praktisch alle Verzierungen verzichten können, während diese für einen tenore leggiero, der den Rossini-Almaviva im Repertoire hat, zentral sind. Einem Heldentenor vorzuhalten, seine Koloraturen seien nicht gut ausgeprägt, halte ich für kontraproduktiv. Die Bedeutung einzelner Kriterien kann sich also je nach Stimmfach und Rolle verschieben. Daher würde ich auch davon Abstand nehmen, Sänger pauschal zu bewerten, sondern nur Einzelleistungen, die sich dann freilich zu einem Gesamteindruck zusammenfügen können. Der Versuch, die Lebensleistung Lauritz Melchiors und Tito Schipas anhand derselben Kriterien über einen Kamm zu scheren, wird unweigerlich fehlschlagen.


    Soweit man sich von dem Gedanken verabschiedet, die allumfassende Zauberformel für die Bewertung aller Sänger finden zu können, wird auch klar, dass die stimmlichen und technischen Parameter nicht Selbstzweck sind, sondern schlicht die Voraussetzung, bestimmte Rollen singen zu können. Wenn ich zum Beispiel eine Oper im Theater oder auf CD höre, erwarte ich einfach, dass die Sänger in stimmlicher und technischer Hinsicht ihrer Rolle gewachsen sind. Hier gibt es natürlich perfekte und weniger gelungene Ausführungen und solche, die kaum mehr akzeptabel sind. Inwieweit ein Sänger in Bezug auf Stimme und Technik den Anforderungen eines Werks genügt, kann aber meines Erachtens gut nachgeprüft werden.


    Schwierieger wird es bei der "Expression" bzw. der Gestaltung der jeweiligen Partien. Ich muss zugeben, dass es gerade das ist, was mich an einer Sängerleistung am meisten interessiert. In Bezug auf den vorliegenden Katalog ist ja schon angesprochen worden, dass hier die Grenzen verschwimmen: Ob ein Sänger über Messa di voce-Fertigkeiten verfügt, ist für mich weniger interessant als die Frage, wie er sie im konkreten Fall einsetzt. Auch sollte man nicht übersehen, dass die Gestaltung einer Partie zum großen Teil aus der phantasiereichen Nutzung der gesangstechnischen Möglichkeiten besteht. Aber dennoch gibt es ein Mehr, die "Erarbeitung des Charakters" oder die "Intensität", das kaum einer objektiven Bewertung zugänglich ist. Und gerade hier werden wir niemals auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Ein Beispiel: Ohne den zahlreichen Fans von Franco Corelli nahe treten zu wollen, finde ich die Corellische Expression in fast allen mir bekannten Aufnahmen wenig überzeugend und zwar so sehr, dass es mich bis an die Grenze der Unerträglichkeit nervt. Ich bin aber bereit zu akzeptieren, dass es nicht wenige gibt, denen dieser Ausdruck sehr gut gefällt. Auch beim Timbre erscheint mir der Versuch einer Objektivierung nicht erfolgversprechend.


    Mein Vorschlag wäre daher, die Stärken und Schwächen einer Sängerleistung soweit wie möglich zu benennen, die Mathematik aber außen vor zu lassen.


    Hallo Micha,


    da ich mich derzeit für einige Monate in Budapest aufhalte und die Erinnerung an die bisherigen Opernbesuche noch frisch ist, erlaube ich mir ein paar Anmerkungen:


    Dass das Orchester sehr gut ist, kann ich bestätigen: auch im Repertoirebetrieb stets konzentriert bei der Sache, erstaunlich wenige Patzer – unter dem Aspekt bin ich in Budapest noch nicht enttäuscht worden. Noch dazu kommt, dass das Opernhaus eine gute Akustik hat.


    Bernadett Wiedemann habe ich habe ich im November und Dezember zweimal gehört. Zuerst als Preziosilla; da war sie in Ordnung, aber nicht begeisternd: eine große, dramatische Stimme, vielleicht ein wenig unkontrolliert und nicht immer präzise bei ihrem ersten Auftritt im zweiten Akt. Besser gefallen hat sie mir als Amneris, und die war schon vom stimmlichen Aspekt eindrucksvoll. "Ihre" große Szene im vierten Akt war der einsame Höhepunkt einer ansonsten schwachen Vorstellung. Diese Sängerin würde ich auch durchaus gern nochmal hören. Gerade als Ulrica könnte ich mir Bernadett Wiedemann gut vorstellen.


    Anatolij Fokanov habe ich allerdings bisher verpasst. Ich habe gerade nachgeschaut: Er singt in Budapest erst wieder im März; während meines Aufenthalts werde ich ihn nicht mehr erwischen. Wenn er aber tatsächlich "spielwütig" ist, ist er für das Opernhaus eine echte Bereicherung. Denn Oper in Budapest ist nach meinem bisherigen Eindruck eine recht statische Angelegenheit.

    Liebe Petra,


    die Roméo-Aufnahme aus Stockholm kenne ich leider nicht. Björlings Aufnahmen aus Schweden wollte ich immer schon einmal anschaffen. Vielleicht wenn ich wieder etwas mehr Zeit zum Hören habe.


    Die MET-Aufnahme von 1947 hat mir auf ihre Art schon sehr gut gefallen. Im Finale des dritten Akts: wie da Jussi Björling das hohe C für gefühlte zehn Sekunden hält, das ist schon ein absolut elektrisierender Moment - auch wenn es nicht in der Partitur steht. Charles Hackett setzt da andere Prioritäten: Er gestaltet in dem kurzen Solo davor sehr eindringlich, macht dadurch vor allem die Gebrochenheit von Roméo glaubhaft und verzichtet dann auf das C. Was man bei Hackett auch hören kann: Er hat diese ganz breite, offene Höhe. Dadurch klingt er manchmal etwas gepresst, und in der Arie "Ah! Lève-toi, soleil" brechen ihm einige Töne etwas unvermittelt ab. Mich hat das ein wenig an Raoul Jobin erinnert, der ja auch einen Roméo eingespielt hat (nicht mein Geschmack).


    Zu Léon Rothier kann ich beitragen, dass er einiges mit Caruso aufgenommen hat. Ansonsten müsste ich aber auch näher nachforschen.

    Liebe Petra,


    ich könnte mir gut vorstellen, dass Dir die Aufnahme aus der MET gefällt. Das Interessante an dem Mitschnitt ist, dass bei der Vorstellung in den tragenden Rollen keine Sänger der damals jüngeren Generation zum Einsatz kamen, sondern fast ausschließlich Interpreten, die ihren ersten Gesangsunterricht noch im 19. Jahrhundert erhalten hatten. Dadurch glaubt man noch über das Jahr 1935 hinaus in die Gesangsgeschichte zurückzublicken. Ich habe die Aufnahme im Vergleich zu der Aufnahme mit Björling / Sayao von 1947 gehört, die Du ja sicher auch kennst. Und da hat die ältere Aufnahme einen eher verinnerlichten Eindruck gemacht, während die spätere ja doch manchmal eher auf äußere Brillanz abhebt.


    Das Ereignis der Aufnahme ist für mich Eidé Norena, ganz klar. Aber auch der Roméo ist gar nicht schlecht: Charles Hackett (1889-1942), für den das auch die einzige erhaltene Gesamtaufnahme ist. Das Timbre ist etwas nasal, aber nicht unangenehm. Er hat natürlich nicht ganz die Klasse von Björling, hat aber auch sehr schöne Momente, insbesondere in den Duetten mit Norena.

    Auch die Sänger der kleineren Rollen haben hier eine Erwähnung verdient: Eine besonders grandiose Überbesetzung ist der große Giuseppe de Luca (!) in der kleinen Rolle des Mercutio. Auch der Bass Léon Rothier (1874-1951) gehört noch der goldenen Caruso-Generation an. Etwas blass fand ich Gladys Swarthout als Stephano.


    Aber das kannst Du dann ja alles selbst hören. :D


    Bei Gaston Micheletti bin ich dann wieder ziemlich blank. Ich denke, da sehe ich erstmal Deiner Vorstellung mit Vorfreude entgegen und werde mich dann mit Aufnahmen eindecken, sofern sie denn nicht allzu schwer zu bekommen sind.


    :hello:

    Ich möchte hier noch kurz etwas zu meiner jüngsten Di-Stefano-Erwerbung schreiben:


    Da ich von Giuseppe Di Stefano auch die schlechten Aufnahmen sammele, habe ich nicht lange gezögert, als mir vor einigen Wochen der berüchtigte Scala-Rienzi von 1964 in die Hände fiel: Giuseppe Di Stefano singt die Titelrolle in italienischer Sprache. Es dirigiert – man höre und staune – Hermann Scherchen.


    Es handelt sich um eine eigene Bearbeitung Scherchens für die Scala: allenfalls ein Rumpf-Rienzi, bei dem Wagners sonst fast fünfstündiger Monumentalbrocken zu einem leicht verdaulichen, zweistündigen italienischen Öperchen eingedampft wurde. Ich habe irgendwann aufgegeben nachzuvollziehen, was hier wie zusammengestrichen wurde, der Wiedererkennungswert war jedenfalls nicht sehr hoch. Eine besonders fragwürdige Entscheidung war es jedenfalls, die Hosenrolle des Adriano zu einer zweiten großen Tenorpartie umzuschreiben.


    Fast nocht schlimmer ist es aber, dass man den Adriano in der Aufführungsserie dann auch noch mit Gianfranco Cecchele besetzen musste, einem damals 23-jährigen, kraftstrotzenden Tenor der Del-Monaco-Nachfolge, der Di Stefano gnadenlos den Rang abläuft. Nicht nur dass Cecchele stimmlich mindestens eine Nummer größer ist als Di Stefano, er hat auch genau die kraftvoll-höhensichere Stimme für die Titelpartie, die Giuseppe Di Stefano nicht besitzt. Di Stefano kann zwar bei Rienzis Gebet immer noch mit seiner noch unverkennbar schönen Mittellage und seiner Phrasierungskunst einiges an Effekt machen, aber vielzu oft hört man die Schmerzen eines Sängers, der seine Stimme überanstrengt, um nicht im Orchester unterzugehen. Die Stimme wirkt stumpf; es klingt alles andere als gut.


    Als wäre das nicht genug, sind auf der Veröffentlichung noch als "Bonus" Ausschnitte aus einer Vorstellung von La forza del destino an der Wiener Staatsoper ebenfalls aus dem Jahr 1964 enthalten. Das "Invano Alvaro"-Duett im vierten Akt mit dem Don Carlo von Kostas Paskalis versucht Di Stefano mit voller Stimme auf einem einfachen A zu beenden ("Andiam!"), aber er kann es nicht mehr; es kommt nur heiße Luft.


    Wir wissen, dass Giuseppe Di Stefano zu lange und dann auch noch das Falsche gesungen hat. Warum aber die Dokumente eines derart offensichtlichen Scheiterns auch noch veröffentlicht werden müssen, ist mir ein Rätsel. Niemand wird anhand dieser Aufnahmen begreifen können, warum Giuseppe Di Stefano nicht nur für mich einer der begnadetsten Tenöre seiner Zeit war.


    Darum will ich noch einmal hinweisen auf geglückte und beglückende Aufnahmen dieses Sängers aus den Jahren 1944 und 1945, also zwanzig Jahre vor den blamablen Auftritten, deren Zeugnisse unzweifelhaft zu den Aufnahmen gehören, die ich nie, nie, nie wieder hören möchte.


    Es handelt sich um einige von den allerersten Aufnahmen von Giuseppe Di Stefano überhaupt, die für Radio Suisse Romande in Lausanne entstanden. Di Stefano war damals selbst gerade 23 Jahre alt und war gerade aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden. Die Stimme ist noch nicht ausgereift, fast noch knabenhaft, was sich aber nicht als Nachteil erweist. Das runde, warme, goldene Timbre ist schon vorhanden und es begeistert die Musikalität des Vortrags und die Natürlichkeit seines Singens.


    Es sind wunderbare, bezaubernde Aufnahmen, deren Faszination sich für mich auch nach wiederholtem Hören nicht abgenutzt hat; eine bunte Mischung von Opernarien und gehobener Unterhaltungsmusik, die Giuseppe Di Stefano ganz schlicht, ja naiv, mit betörender, völlig unverbrauchter Stimme singt. Und ich denke nicht, dass irgendjemand zu einem anderen Ergebnis kommen wird: Diese Aufnahmen sind einfach schön.


    Nur beispielhaft möchte ich eine klavierbegleitete Aufnahme von Tostis "Ideale" herausgreifen. Enrico Caruso, Mattia Battistini, Renato Zanelli, Jussi Bjöling, Carlo Bergonzi – Es gibt so viele sehr gute Aufnahmen dieses Liedes, aber keine erreicht für mich die von Giuseppe Di Stefano. Das liegt auch hier an der absolut natürlichen, ungekünstelten Artikulation und der großen emotionalen Verbindung, die Di Stefano zu dem lyrischen Ich aufbauen kann. Jede Silbe des Textes bekommt eine eigene, unverkennbare Note. Und wenn Di Stefano bei der Textzeile "E ti sentii ne la luce, ne l'aria" die Stimme zittert, dann spürt man die Ergriffenheit des jungen Sängers und wird selbst ergriffen. Denn hier singt wirklich jemand, als ob er seine eigene Geschichte erzählt. Das sind diese unvergesslichen Momente, für die ich Giuseppe Di Stefano aufrichtig dankbar bin:



    Ich höre mich derzeit in loser Folge durch einige MET-Mitschnitte aus den 1930er und 1940er Jahren, darunter auch zwei Aufnahmen von Donizettis Don Pasquale: die von Waldi oben besprochene vom 21.12.1940 und außerdem eine andere Aufnahme vom 05.01.1946. Interessant ist, dass beide Aufnahmen fast identisch besetzt sind, so dass man die künstlerische Entwicklung der Sänger verfolgen kann.


    Das Hauptinteresse an der Aufnahme von 1946 gehört aber dem Dirigenten: Fritz Busch. Allein die Ouvertüre habe ich mir drei Mal in Folge angehört: Mit derart toscaninischem Furor und doch so transparent in den Nebenstimmen (Fagotte, Pauken) habe ich das noch nie gehört. Auch sonst ist die Aufführung unglaublich spannend dirigiert; bemerkenswert das halsbrecherische Tempo bei der Eröffnung des dritten Akts ("I diamanti, presto, presto"). Gennaro Papi dirigiert 1940 dagegen nicht schlecht, aber doch recht konventionell.


    Bei den Sängern ist die erste Konstante Salvatore Baccaloni in der Titelpartie. Gilt Baccaloni als einer der bedeutendsten Bassbuffos der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts, war er wohl doch in erster Line ein Bühnenkünstler, der die komödiantische Darstellung auch mal über die sängerische Form zu stellen bereit war. An der MET scheint die Rechnung aufgegangen zu sein: Insbesondere in der Vorstellung 1946 schmeißt sich das Publikum geradezu weg vor Lachen. Beim Nachhören des Aufführungsmitschnitts kann sich die Faszination von Baccalonis Pasquale naturgemäß nicht ganz erschließen. In dieser Rolle gefällt er mir aber noch besser als in anderen Aufnahmen, die ich von ihm kenne. In der späteren Vorstellung machen sich schon stimmliche Schwächen bemerkbar; hohe Töne werden nicht immer erreicht.


    Eine relative Enttäuschung war für mich Bidu Sayao, die in beiden Aufnahmen die Norina singt. Ich hatte sie unlängst als Massenet-Manon, Mélisande und Juliette gehört gehabt, demgegenüber fällt ihre Norina etwas ab. 1940 ist die Stimme noch sehr soubrettenhaft, und Sayao übertreibt es ein wenig mit den Herumgezicke, einiges klingt hier mehr gekreischt als gesungen. Im zweiten Mitschnitt ist die Darstellung dann etwas gesetzter, hier kommen ihr auch Buschs flexible Tempi entgegen. Irgendwie vermisse ich bei ihr aber noch ein Quentchen an Koketterie, das andere Norinas hatten. Nichtsdestotrotz von ihr zwei gute Vorstellungen.


    An Nino Martini in der Rolle des Ernesto habe ich allerdings wenig Freude. Die Vorstellung 1940 war für ihn die bessere, da ist er noch akzeptabel, allerdings fällt auch hier schon eine Tendenz zu monoton-gepresstem Singen auf. 1946 hingegen ist er beim besten Willen nicht mehr gut: Völlig gleichförmig in der Tongebung, ständig zu tief und mit teilweise schlimmen Aspirationen singt er sich hier phantasielos und hölzern durch seine Partie.


    Abweichende Besetzungen gibt es bei der Baritonrolle des Dottore Malatesta. Im Mitschnitt von 1946 überzeugt der Australier John Brownlee, ein Favorit von Busch, zwar mit einer gesunden, dunklen Baritonstimme, macht aber nicht unbedingt viel aus der Partie. Sechs Jahre früher war Frank Valentino in dieser Rolle dynamisch differenzierter und komödiantischer.


    Die deutlich bessere Tonqualität hat übrigens die ältere Aufnahme, die man dem bewährten Naxos-Remastering unterzogen hat; die 1946-Aufnahme wurde hingegen anscheinend weitgehend ungefiltert überspielt, so dass man gehäuft Störgeräusche hinzunehmen hat. Einige Passagen scheinen im späteren Mitschnitt auch ganz zu fehlen, zum Beispiel das Ende des Dienerchores im dritten Akt.


    Insgesamt zwei interessante historische Liveaufnahmen, die mir gefallen, mich aber nicht begeistert haben. Meine Lieblingsaufnahme bleibt nach wie vor die RAI-Aufnahme von Mario Rossi mit Noni, Bruscantini, Valletti und Borriello.


    Beide MET-Mitschnitte gibt es billig bei Cantus Classics (links 1940, rechts 1946):



    Dass Anna Moffo in dieser Aufnahme die Carmen singt, hast Du allerdings - verständlicherweise - gut getarnt. :D

    Zitat

    Original von petra
    Sie hat sich auf offiziellen Fotos gern ein wenig kunstvoll-weltentrückt stilisiert, und so sang sie oft auch: Eidé Norena, die als Karoline Hansen am 26.04.1884 in Oslo geboren wurde, eine Karriere auf Umwegen machte und im französischen Fach Modellaufnahmen hinterlassen hat.


    Fée des glaces nannte sie der französische Kritiker André Tubeuf – meiner Meinung nach eine sehr zutreffende Charakterisierung: ein heller, leichter Koloratursopran von kristalliner Reinheit, allerdings wenig individuell im Timbre, was jedoch von ihr durch Stil, Geschmack und Kunstverstand mehr als ausgeglichen wurde. Und als vokaler Typus eine femme fragile - jedoch nicht das kleine Mädchen, das mit hold geflöteten Tönen auf den Märchenprinzen wartet, sondern eine zarte, träumerische, aber zugleich auch ein wenig kühl und distanziert wirkende junge Frau, also gerade nicht die innig-jugendliche Naive, die sonst von Koloratursopranen so oft dargestellt wurde.


    Gerade wollte ich einen längeren Beitrag über Eidé Norena schreiben, aber siehe da: Es gibt schon einen! Bislang war mir Norena nur vom Namen her ein Begriff. Nachdem ich in den letzten Wochen aber ihre Aufnahmen kennen gelernt habe, bin ich bereit, in jede Lobeshymne einzustimmen.


    Erstmals bewusst wahrgenommen habe ich die Sängerin leider unabhängig von Euren Beiträgen, die mich schon etwas früher auf Norena hätten aufmerksam machen können, sondern mehr oder weniger zufällig, als ich einen der ältesten Mitschnitte aus der MET hörte: Gounods Roméo et Juliette vom 26.01.1935 und zugleich die einzige Aufnahme einer vollständigen Oper mit Norena:



    Auch wenn man stellenweise hört, dass man es nicht mehr mit einer ganz jungen Sängerin zu tun hat, haben wohl bislang nur wenige Sängerinnen den Typus des schwärmerischen Teenagers derart überzeugend verkörpert wie die damals 50jährige Norwegerin. Der kleine brillante Walzer im 1. Akt ("Je veux vivre dans le rêve"), wird von Norena mit großer Präzision ausgeführt, ohne dass sie aber mechanisch wirkt; sie bleibt immer glaubwürdig als Mädchen, das sich der Vergänglichkeit von Liebe bewusst ist. Einige nicht notierte hohe Töne gibt es von ihr zusätzlich. Ansonsten sind es aber gerade die Duette mit dem Roméo von Charles Hackett, in denen sie mit praktisch endlosem Atem ihre Stimme strömen lassen kann, hier ist sie auf der Höhe ihrer Ausdruckskraft. Dass einige der Spitzentöne von Norena nicht mehr unmittelbar attackiert werden können, sondern von unten "hochgezogen" werden, verzeiht man ihr gerne.


    Jedenfalls hatte die Sängerin mein Interesse geweckt, und ich habe mir auch die übrigen Aufnahmen von Norena besorgt – allzu viele sind es ja nicht. Eine sehr leichte Stimme, wie sie gewöhnlich mit den Attributen "glockenrein" oder "nachtigallengleich" belegt wird; dennoch ist Norena tatsächlich weit entfernt von seelenlosem Gezwitscher: Ein lyrischer Sopran mit guter Geläufigkeit, klarer Artikulation und hervorragender Technik, der mich dennoch bei aller Virtuosität auch auf der sinnlichen Ebene anspricht. Norena ist nämlich auch gerade keine Sängerin der Kategorie freundliches Seelchen, sondern hat diese schwer fassbare ahnungsvolle Traurigkeit in der Stimme, eben wie eine wissende "Fee aus dem Eis".


    Am besten gefallen mir die späteren Aufnahmen französischer Opernarien: die Juwelen-Arie aus Gounods Faust, die Micaela-Arie aus dem 3.Akt von Carmen und Thomas’ Ophelia-Arie "Sa main depuis hier n’a pas". Nicht nur dass Norena alle Triller, Verzierungen und Läufe bemerkenswert akkurat ausführt, es gelingt ihr auch, diese Figuren als zerbrechliche, verträumte Gestalten zu beleben. Aber auch die Arie "Care selve" aus Händels Atalanta hat Bewunderung verdient: Nach dem wunderschön gefluteten, lang ausgehaltenen A singt Norena seelenruhig die lange Phrase zuende, ohne dass ihr wie den meisten Sängerinnen an dieser Stelle die Luft ausgeht.


    Für mich eine der schönsten musikalischen Entdeckungen der letzten Monate.

    Ich gestehe ja gerne, dass ich es nicht für möglich gehalten hätte, dass sich Bidu Sayao hier einer derartigen Beliebtheit erfreuen könnte. Noch nicht erwähnt worden ist aber eine Rolle, die Sayaos Stimme und Temperament sehr entgegenkam: Massenets Manon.


    Ein Mitschnitt vom 13.02.1937 ist deshalb von historischer Bedeutung, da er Bidu Sayaos Debüt an der MET dokumentiert. Damals war sie in den USA noch unbekannt, so unbekannt, dass ihr Name in der von Naxos mitgelieferten Anmoderation für die Radioübertragung vom Ansager Milton Cross gleich zwei Mal wiederholt und dann auch noch zum Mitschreiben buchstabiert wird.


    Den Namen werden sich damals sicher einige Hörer gemerkt haben, denn Sayao kann den Übergang von der verspielten, lebensfrohen Schönheit vom Lande zur gebrochenen Frau mit ihrer leichten, klaren, wunderschönen Stimme glaubhaft gestalten. Auch in dieser Rolle hat sie eine große Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung.


    Die übrigen Mitwirkenden an dieser Aufführung waren mir zumindest kein Begriff. Der Des Grieux von Sidney Rayner kann mit einer attraktiven, dunklen und sehr kräftigen Tenorstimme punkten, die er allerdings manchmal etwas monoton einsetzt. Naxos' Booklet-Autor Richard Caniell äußert sogar unverblümt, Rayner hätte es nach einer in der Tat reichlich unschön heruntergebrüllten Traumerzählung eigentlich verdient gehabt, ausgebuht zu werden - eine Forderung, die ich in einer CD-Beilage so auch noch nicht gelesen habe. Dennoch hat die Stimme unüberhörbare Qualitäten, was auch für den Lescaut von Richard Bonelli gilt. Es dirigiert Maurice de Abravanel.


    Die Naxos-Ausgabe ist vergriffen, aber die Aufnahme ist im Paket mit drei anderen Manons auf MP3-CD erhältlich:


    Lieber Herbert,


    damit meine ich, dass man bei Tucker hört, dass er ein Opernsänger ist, der versucht, ein armer Poet zu sein. Ich nehme ihm die Rolle einfach nicht ab. Mit dieser kernigen Stimme und dem doch etwas oberflächlichen gestalterischen Instrumentarium kann er mich einfach eher in den repräsentativen Momenten überzeugen als in den intimen. Und so kommt es in der intimen Bohème eben manchmal zu Schluchzern, die einfach falsch und aufgesetzt wirken, eben wie Operngesten, die für den äußeren Effekt angebracht werden.


    Natürlich ist das auf subjektiver Ebene argumentiert; ich weiß auch, dass der Rodolfo eine der Rollen war, die Tucker am häufigsten gesungen hat. Also darfst Du das verstehen, aber Du musst nicht. :P


    Auf diese Studio-Aufnahme von Leoncavallos Pagliacci aus dem Jahr 1951, die schon länger ungehört bei mir einlagerte, war ich jetzt ziemlich gespannt. Letztlich handelt es sich dann aber doch um eine in jeder Beziehung durchschnittliche Aufnahme. Auch Tucker überzeugt mich als Canio nicht völlig; er singt seine Rolle sehr professionell, aber auch das ist für ihn hörbar nur eine Rolle. Zuweilen wirkt er hysterisch ("il nome, il nome") und sein Zorn im Finale ist - naja - schon ein wenig clownesk. In der berüchtigten Arie setzt er einige Schluchzer, allerdings auch nicht mehr als viele andere Tenöre.

    Richard Tucker war ohne Zweifel einer der größten amerikanischen Tenöre aller Zeiten. Die Stimme ist auch für mich eine der aufregendsten der Nachkriegszeit. Seine Hauptbeschäftigung hatte er als tenoraler Dauerbrenner an der MET, und viele New Yorker schwören Stein und Bein, dass es in den letzten 50 Jahren keinen ähnlich elektrisierenden Tenor an diesem Haus gegeben hat.


    Auch deshalb würde ich dazu raten, sich diesem Sänger über seine Live-Aufnahmen zu nähern. Auf der Bühne konnte er die ihm eigene Theatralik offenbar besser kanalisieren als im Tonstudio, wo er in der Tat manchmal zum "Overdoing" neigte.


    Gerade der schon mehrfach empfohlene Hoffmann ist von einer unwiderstehlichen Souveränität. Tucker ist stimmlich voll präsent und in der Tat kein weinerliches Wrack; hier singt er völlig schluchzfrei. Auch alle übrigen Sänger sind erstklassig. Die Tempi von Pierre Monteux sind flott und lebhaft (ganz anders als bei seiner Studio-Traviata aus dem folgenden Jahr).


    Sehr gut gefällt mir auch Tuckers Riccardo in Verdis Ballo in Maschera (s.o. bei Micha). Wie auch der Hoffmann gilt der Riccardo als eine technisch anspruchsvolle Rolle, die Tucker mit einer beeindruckenden Leichtigkeit singen konnte. Erst im Schlussakt steigt der Schluchzfaktor dann wieder an. Aber auch wegen Mitropoulos ist der Mitschnitt sehr empfehlenswert.


    Als dritte Live-Aufnahme würde ich La Gioconda aus dem Jahr 1946 nennen: mit der wunderbaren Zinka Milanov als Gioconda, Leonard Warren als Barnaba und Risë Stevens als Laura. Für Tucker ist das eine der ganz frühen Aufnahmen; erst ein Jahr zuvor hatte er in dieser Rolle an der MET debütiert. Es dirigiert Emil Cooper.


    Als Qualitäten Richard Tuckers habt ihr hier schon die Stimmqualität und die Technik herausgearbeitet. Natürlich war er kein "Baritenor", sondern ein echter Spinto mit einer eher hellen Stimmfarbe. Was Tucker die Herzen des Publikums sicherte, war ganz bestimmt auch die Höhenattacke; die Spitzentöne haben ein Squillo, dass es förmlich "ping" macht; das macht ihm kaum einer nach.


    Wenn man bei Richard Tucker überhaupt Kritik üben kann, dann ist das wohl in der Tat bei der Gestaltung der Charaktere, die doch manchmal etwas äußerlich ist. Auch wenn dieses Urteil anhand von ein paar Plattenaufnahmen möglicherweise albern ist, scheint er sich vielleicht seiner stimmlichen Qualitäten etwas zu sehr bewusst gewesen zu sein. Mir jedenfalls gefällt er in der Regel sehr gut bei den etwas schillernden Persönlichkeiten, denen auch eine gewisse Eitelkeit eigen ist, Hoffmann, Riccardo, Pinkerton, mit Abstrichen auch der Duca zählen dazu. Die echten jugendlichen Sympathieträger lagen ihm meines Erachtens nicht so sehr. Auch den Rodolfo finde ich nicht glaubwürdig; Tucker klingt hier einfach zu opernhaft. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich aber auch, zumindest was Tucker angeht, die frühere Bohème-Aufnahme mit Sayao der späteren mit Moffo vorziehen.

    Ich versuche einmal, dieses Thema (wieder) zu beleben. Für mich waren bei Mascagnis Werken schon einige interessante Überraschungen dabei, so dass ich dazu ermutigen kann, ein wenig auf Entdeckungsreise zu gehen.


    Zu dem, wie ich finde, etwas aufgeblähten Nerone habe ich ein eher zwiespältiges Verhältnis. Ein wenig verdächtig ist auch die Entstehungsgeschichte. Die Oper stammt aus der Zeit, als sich Mascagni bereits als Haus-und-Hof-Komponist für die italienischen Faschisten hatte vor den Karren spannen lassen. In der Rolle des Nerone kann man, wenn man möchte, durchaus Mussolini wiedererkennen. Insgesamt ist mir der düstere Nerone von Boito doch deutlich lieber.


    Parisina steht schon auf der Anschaffungsliste. Von Sí weiß ich hingegen praktisch gar nichts, so dass ich auf eine kleine Einführung durchaus gespannt wäre.




    Vorstellen möchte ich noch eine weitere Mascagni-Oper, nämlich Amica (1905). In dem Beiheft der unten abgebildeten Aufnahme heißt es, das Werk sei „eine Art Cavalleria Rusticana – L’amico Fritz à la Wagner“. Und in der Tat beweist Mascagni mit dem Werk erneut, was für ein vielseitiger, experimentierfreudiger Komponist er war.


    Er komponierte Amica für das Théâtre du Casino in Monte Carlo. Die Originalsprache ist - einmalig im Schaffen Mascagnis - Französisch. Das Libretto verfasste Paul Bérel, ein Pseudonym, hinter dem sich der Pariser Musikverleger Paul de Choudens verbirgt. Bei der Uraufführung wurde die Titelrolle der Amica von der jungen Geraldine Farrar verkörpert.


    Die Handlung ist in den norditalienischen Alpen angesiedelt. Die Brüder Giorgio und Rinaldo sind beide in die Dorfschönheit Amica verliebt. Amicas reicher Onkel Camoine möchte sie mit dem schwachen und kränklichen Giorgio verheiraten; Amica allerdings liebt den starken und schönen Rinaldo. Also das klassische Dreiecksschema. Das einzig Bemerkenswerte ist, dass hier ausnahmsweise der Bariton (Rinaldo) dem Tenor (Giorgio) vorgezogen wird. Erst im letzten Akt nimmt die Handlung eine unerwartete Wendung: Es kommt nämlich nicht zum blutigen Finale zwischen den Männern, sondern Rinaldo ist bereit, zugunsten von Giorgio auf Amica zu verzichten; die Liebe zu seinem Bruder ist stärker als die zu der Geliebten. Amica will sich damit nicht abfinden. Verwirrt und verstört läuft sie Rinaldo durch das Gebirge nach, dabei stürzt sie in den Tod. „Amour maudit!“ – verfluchte Liebe, dieser Ausruf der beiden Brüder beschließt die Oper.


    Das zweiaktige Werk ist reich an Schönheiten, wenn auch nicht ganz frei von Schwächen. Es beginnt – insoweit Francesco Cileas „L’Arlesiana“ nicht unähnlich – vordergründig als Idyll, das dann aber rasch in eine Katastrophe umschlägt. Zunächst entführt Mascagni in eine heile Welt und stellt dabei einmal mehr sein Talent als Stimmungsmaler unter Beweis: Zu Beginn der Oper ist nur das Bimmeln von Kuhglocken und eine Schalmei zu hören. Bald darauf setzen Hirtengesänge ein, wie schon in „Iris“ sorgt ein Chor für Morgenstimmung. Was Alberto Cantù, den oben zitierten Booklet-Autor, bei diesem Werk an Wagner erinnert, ist vor allem der textorientierte rezitativische Stil, den Mascagni noch mit Amicas direktem Vorgänger „Le Maschere“ nicht ganz umsetzen konnte. Leider führt dies meines Erachtens aber auch zu gelegentlichen Durchhängern. Bemerkenswert ist aber auch die Rolle des Orchesters, das hier gegenüber einigen früheren Werken Mascagnis deutlich aufgewertet ist. Die Schilderung der Bergwelt durch das Orchester erinnert manchmal an Catalanis „Wally“. Beinahe den Charakter einer sinfonischen Dichtung hat das zehnminütige Orchesterzwischenspiel, das die beiden Akte verbindet.


    Von „Amica“ gibt es eine Aufnahme in italienischer Sprache aus den 1990er Jahren mit Katia Ricciarelli, Fabio Armiliato und Walter Donati. Wer die Oper kennenlernen möchte, kann auch auf eine Neuerscheinung aus dem Jahr 2008 zurückgreifen. Es handelt sich um einen Livemitschnitt vom Festival della Valle d’Itria, das sich der Ausgrabung von Opernraritäten verschrieben hat. Manlio Benzi dirigiert das Orchestra International d’Italia und kann mit diesem tatsächlich einige Akzente setzen. Gesungen wird in der französischen Originalsprache. Die Titelrolle hat man Anna Malavasi anvertraut, einem stimmstarken, zu Schärfen neigenden Sopran - eine nicht sehr attraktive, aber solide Besetzung, wenn man von ihrem schlechten Französisch und einigen veristischen Exzessen einmal absieht. David Sotgiu kann mit seinem schönen, vielleicht etwas zu lyrischen Tenor als Giorgio durchaus gefallen, dennoch sehnt man sich für diese Rolle nach einem stimmlichen Großkaliber. Pierluigi Dilengite als Rinaldo steuert mit seiner fahlen, wenig reizvollen Baritonstimme nicht viel Positives zum Gelingen der Einspielung bei. Insgesamt keine schlechte Aufnahme, wobei aber insbesondere die Sänger das Potential der Oper wohl nicht ganz ausreizen.


    Liebe Theodora,


    derzeit bin ich leider nicht bei meinen CDs, kann die Aufnahme also nicht nachhören, aber meine Erinnerung an die Aufnahme ist sehr positiv; ich mag sie sehr. Auch Alviano hat sich weiter oben schon anerkennend geäußert und ich kann mich da nur anschließen.


    Vor dem Premierenmitschnitt aus der Scala kannte ich die ein Jahr ältere Studiogesamtaufnahme des Ballo (1956), auch mit Callas und Di Stefano, in der aber Antonino Votto statt Gavazzeni dirigiert und Tito Gobbi statt Bastianini den Renato singt. Das war eine meiner ersten Aufnahmen der Oper und ich habe sie unzählige Male gehört, wie so ziemlich alles, was ich von Callas und Di Stefano in die Finger bekommen habe. Als ich dann etwas später die Liveaufnahme unter Gavazzeni kennenlernte, war ich doch überrascht, dass die spätere Liveaufnahme fast in jeder Hinsicht besser ist als die Studioaufnahme (die auch nicht schlecht ist). Aber Gavazzeni hat den packenderen Zugriff als Votto, und Callas und Di Stefano befeuern sich in der Aufführung gegenseitig zu derart großartigen Leistungen, dass die Studioeinspielung dagegen doch etwas brav wirkt. Gerade das große Duett im zweiten Akt würde ich unbedingt in dieser Aufnahme mit Callas und Di Stefano empfehlen. Da hört man bei beiden die absolute Identifikation mit der Rolle.


    Wenn Du schreibst, Dir sei besonders die Betonung Di Stefanos in Erinnerung geblieben, geht mir das ganz genau so. Das ist es auch, was ich an diesem Sänger neben dem Timbre, das mich auf rein emotionaler Ebene einfach umhaut, am meisten schätze. Di Stefano hat selbst geäußert, dass er sich dem deklamationsartigen Gesangsstil der Renaissance und des Frühbarock, dem "recitar cantando", verpflichtet fühle und für ihn immer der gesungene Text die Basis der Interpretation bilde. Ich denke, das hört man auch in seinen Aufnahmen.


    Dass bei einem Sänger der Text verständlich sein sollte, ohne Verfälschung der Vokale oder verschluckte Konsonanten, ist eigentlich eine banale Selbstverständlichkeit. Das Gleiche gilt auch für eine möglichst sinnvolle Betonung und Phrasierung. Trotzdem bin ich immer wieder überrascht, dass vielen Sängern wie auch Hörern die Textbehandlung mehr oder weniger gleichgültig zu sein scheint (Originalzitat eines Opernbesuchers: "Wieso, ich hab' doch Übertitel."). Für mich habe ich aber festgestellt, dass ein überlegter Umgang mit dem gesungenen Text neben dem hauptsächlich sinnlichen Stimmerlebnis ein wesentlicher Faktor dafür ist, dass mich die Darbietung eines Sängers erreicht.


    Anders als zum Beispiel Maria Callas war Giuseppe Di Stefano kein Psychoanalytiker, aber er hatte ein sensibles Gespür für die Schönheit, die Poesie in der Sprache. Und gerade das Gefühl für die natürliche Sprachmeldodie und die stets verständliche Artikulation sind es, die ihn gegenüber anderen vornehmlich auf Tonproduktion bedachten Sänger abheben. Eben so entstehen auch manchmal diese wunderschön geformten Phrasen, die sich einfach einbrennen, die eine Interpretation unvergesslich machen. Von Giuseppe Di Stefano, der insgesamt sicher nicht perfekt war, finde ich zumindest diesen Aspekt perfekt umgesetzt.


    :hello:

    Dass Bergonzi zu "Sch"-Lauten neigt, ist mir auch schon aufgefallen, ohne dass ich die Ursache benennen könnte. Aber auch wenn mir die Textverständlichkeit von Sängern eigentlich immer sehr wichtig ist, stört mich Bergonzis Artikulation überhaupt nicht. Denn es ist ja keineswegs so, dass Bergonzi Wörter vernuschelt oder Silben verschluckt. Man sollte ihm doch zu Gute halten, dass er den Text zur Kenntnis nimmt und in der Regel auch ihm auch geschickt mit ihm umgeht.



    Waldi hat oben schon ganz kurz auf Carlo Bergonzi als Interpret von italienischen Liedern hingewiesen, was ich unbedingt unterstreichen möchte. Empfehlen kann ich zwei CDs:



    Die linke CD enthält eine bunte Mischung von Bellini bis Tosti aus dem Jahr 1977, am Klavier begleitet von John Wustman. Die rechte CD enthält ausschließlich Tosti-Lieder mit Orchesterbegleitung, wurde 1983 aufgenommen und ist damit eine der letzten kommerziellen Aufnahmen von Bergonzi überhaupt.


    Es ist wunderbar, was der Bergonzi im Herbst seiner langen Karriere diesen einfach gestrickten, sentimentalen Liedern mit seinem Legato und seiner klugen Phrasierung geben kann. Die Lieder haben natürlich keinen übergroßen musikalischen Gehalt, aber Bergonzi mit seiner Erfahrung von 30 Jahren als Opernsänger vermeidet jedes Abgleiten ins Seichte. Es fehlen auch hier die neapolitanischen Schlager vom Typ "O Sole mio", wie sie zum Beispiel Di Capua schrieb. Bergonzi wählt eher die getragenen, melancholischen Lieder. Die singt er ganz schlicht, ohne falsche Schluchzer oder Schnulzigkeit. Nein, Bergonzi nimmt die Lieder als kleine Kunstwerke ernst und befreit sie so von dem Zugaben-Charakter, der ihnen doch irgendwie immer ein wenig anzuhaften scheint.


    Insgesamt ist mir die linke CD noch ein wenig lieber, was aber nicht an Bergonzi liegt sondern an der Begleitung. Die schlichte Klavierbegleitung passt meines Erachtens besser zum intimen Charakter der Lieder als das doch etwas flache Orchesterarrangement eines gewissen Daniele Gatti (zufällige Namensgleichheit?).


    So oder so gilt aber: Sofern man diese Lieder hören möchte, ist man mit Bergonzi hervorragend bedient.

    Viele spätere Werke Mascagnis stellen immense Anforderungen an den Tenor. Der bevorzugte Sänger des Komponisten in dieser Zeit war der Spanier Hipolito Lazaro, ein Tenor, der über geradezu sagenhafte Fähigkeiten verfügt haben muss, wenn man die Werke betrachtet, die Mascagni für seine Kehle schrieb.


    Ein Beispiel dafür ist Il piccolo Marat (1921), ein reißerisches Werk, das in der Zeit der französischen Revolution angesiedelt ist. Ein despotischer Präsident des Revolutionskomitees, der nur „der Oger“ genannt wird - Shrek ist übrigens ein Oger -, führt ein Terrorregime und wird schließlich beim großen Showdown mit einem Armleuchter erschlagen. Der Tenor, Prinz von Fleury, hält sich inkognito in der Stadt auf, um seine gefangen gehaltene Mutter zu befreien. Er wird vom Volk für einen großen Revolutionär gehalten und deshalb „Piccolo Marat“ genannt. Nebenbei bemüht er sich auch um Mariella, die Nichte des Ogers.


    Il piccolo Marat ist geeignet, sämtliche Vorurteile, die gegen den Verismo allgemein und Mascagnis Spätwerk im Besonderen bestehen könnten, zu bestätigen. Es handelt sich um eine abenteuerliche Mantel-und-Degen-Geschichte; das Blut fließt in Strömen. Im Ganzen nimmt sich Il piccolo Marat fast wie ein Verschnitt von Giordanos Andrea Chenier mit früheren Werken Mascagnis aus. Vom Chenier hat die Oper das revolutionäre Sujet, die effektvollen, aber etwas lärmigen Massenszenen und die dominante Rolle des Tenors. Insoweit ist Giordanos Revolutionsdichter aber die dankbarere Rolle, so dass kaum ein Bedürfnis für Mascagnis Revolutionsoper bestand. Gerade die Titelrolle ist ungemein schwer zu besetzen. Aber auch das Fehlen echter musikalischer Zugnummern hat wohl dazu geführt, dass die Oper heute praktisch nicht mehr aufgeführt wird. Dennoch kann ich mir vorstellen, dass das Werk durchaus für einen opulenten und actionreichen Opernabend gut ist.


    In meiner Aufnahme aus dem Jahr 1962 kämpft Giuseppe Gismondo mit der schwierigen Tenorpartie des Piccolo Marat und schlägt sich wacker. Besser besetzt sind die übrigen Rollen: der etwas überreife Nicola Rossi-Lemeni als Oger, Virginia Zeani in der weiblichen Hauptrolle (Mariella) sowie ein sehr naturalistischer Afro Poli als Carpentiere:




    Soviel erst einmal für den Anfang. Ich hoffe, es kommen hier noch ein paar Meinungen und Anregungen.

    Sind die drei oben genannten Mascagni-Opern zumindest noch teilweise im Bewusstsein von Operngängern verankert, wird es ganz dunkel um die neun Opern, die Mascagni im 20. Jahrhundert auf die Bühne gebracht hat. In dieser Zeit rückte Mascagni immer weiter in den Schatten von Puccini, der sich als der führende italienische Opernkomponist etablieren konnte.


    Ein ehrgeiziges Projekt war die auf Iris folgende Oper Le Maschere (1901), mit der Mascagnis eine Hommage an die Commedia dell’arte schaffen wollte. Der Versuch muss wohl als fehlgeschlagen bezeichnet werden; das Werk hat sich zu keinem Zeitpunkt im Repertoire halten können und fiel schon bei der Uraufführung, die zeitgleich an sechs (!) verschiedenen italienischen Opernhäusern stattfand, durch.


    Dabei ist das Konzept des Werks nicht uninteressant, nämlich zugleich eine Theatersatire und Mascagnis einzige echte komische Oper. Für das Libretto zeichnete wieder Illica verantwortlich: Mitten in die Ouvertüre platzt ein Impressario (eine Sprechrolle) herein und beginnt eine lautstarke Diskussion mit dem Dirigenten. Anschließend stellen sich im Prolog nacheinander die neun Masken der Handlung vor - stereotype Gestalten, wie sie aus Commedia dell’arte bekannt sind: zum Beispiel der eitle und besserwisserische Dottore Graziano, der alte und geizige Pantalone, der leidenschaftliche und quirlige Arlecchino, die flatterhafte Colombina, der Stotterer Tartaglia oder der umtriebige und geschwätzige Brighella. Die folgende eigentliche dreiaktige Opernhandlung nimmt die Konventionen der Commedia dell’arte auf: eine wendungsreiche, wenn auch etwas beliebige Handlung, in der die Masken im Wesentlichen versuchen, sich gegenseitig zu verführen oder miteinander zu verkuppeln. Am Ende singen die Masken ein Loblied auf sich selbst und die Commedia.


    Mascagni und Illica versuchen in der Opernhandlung eine für die Commedia dell’arte typische Spontaneität und Improvisation zu suggerieren, wie es sie bei einer Oper, in der verschiedene Stimmen miteinander zu koordinieren sind, naturgemäß nicht geben kann. Während die Commedia dell’arte von der Situationskomik und der Kreativität der Darsteller lebt, kann es sich in der Oper nur um kalkulierte Effekte handeln. Musikalisch verwendet Mascagni stellenweise einen rezitativischen Parlando-Stil, der, besonders bei der Figur des Tartaglia, entfernt an die Musikkomödien Rossinis erinnert. Die letzte Szene des ersten Aktes nimmt mit seinem satten Chorsatz aber auch an den mit Iris eingeschlagenen Weg auf. Insgesamt überwiegen dennoch die ariosen Momente, was meines Erachtens dem Charakter der Commedia dell’arte aber nur bedingt Rechnung trägt. Der Orchesterpart hat nicht immer ein eigenes Gewicht, sondern oft nur begleitende Aufgaben. Nichtsdestotrotz handelt es sich um ein interessantes Werk außerhalb des üblichen Schemas, das beweist, dass Mascagni durchaus bereit war, den mit Cavalleria Rusticana eingeschlagenen Weg zu verlassen. Mit dem Verismo im herkömmlichen Sinne hat dieses Werk jedenfalls nicht viel gemein.


    Die einzige Aufnahme, die ich besitze, ist nicht vollkommen, aber man muss dankbar sein, dass es sie gibt. Es handelt sich um eine Liveaufnahme aus dem Jahr 1988 aus dem Teatro Communale in Bologna, Gianluigi Gelmetti dirigiert. Die Leistung von Chor und Orchester sind mit „provinziell“ freundlich umschrieben. Zumindest bei den Herren stehen aber auch einige halbwegs bekannte Namen (Vincenzo La Scola, Giuseppe Sabbatini, Enzo Dara) auf der Besetzungsliste: