Beiträge von Zauberton

    An dieser Stelle soll die Rede sein von Léopold Simoneau, einem lyrischen Tenor und einem der ganz seltenen Sänger, bei denen technische Vollkommenheit, Stimmschönheit und sängerische Intelligenz zusammentrafen.


    Es handelt sich um eine individuelle Stimme mit großem Wiedererkennungswert, leicht nasal und farbenreich, die sehr zart wirkt, aber doch eine beachtliche Lautstärke erreichen konnte. Simoneau hatte eine obertonreiche Stimme mit viel Kopfresonanz, die er zu einer besonders einschmeichelnden Tongebung nutzte. Auch war er dank seiner französischen Schulung ein Meister der voix mixte, der variablen Mischung der Register. Diktion, Phrasierung und Atemkontrolle sind in allen seinen Aufnahmen vorbildlich.


    Alles was ich von diesem Sänger kenne, ist schön gesungen, von geradezu klassizistischer Schlichtheit, ohne die aufgesetzten Effekte und Äußerlichkeiten vieler Tenorkollegen. Aber unter der Oberfläche höre ich eine kontrollierte Leidenschaft, so dass seine Aufnahmen bei aller Eleganz einer gewissen Sinnlichkeit nicht entbehren.



    Léopold Simoneau wurde am 03.05.1916 in St.-Flavien im französischsprachigen Teil Kanadas geboren. Seine ersten 30 Lebensjahre verbrachte er hauptsächlich in Kanada, wo im Wesentlichen auch seine Ausbildung erfolgte. 1941 debütierte er in Montreal als Hadji in Leo Delibes' Lakmé. Eine lebenslange private und künstlerische Partnerschaft verband Simoneau mit seiner Ehefrau Pierrette Alarie, ebenfalls eine Frankokanadierin und eine erstklassige Sängerin im leichten Sopranfach. Beide lernten sich Anfang der 1940er Jahre in Montreal kennen und waren fortan unzertrennlich. 1949 verließ das Ehepaar Kanada und machte gemeinsam zunächst in Paris, dann in ganz Europa Karriere. Außergewöhnlich oft, selbst für ein Künstlerehepaar, traten Alarie und Simoneau gemeinsam auf.


    Am Anfang seiner Karriere sang Simoneau vor allem im französischen Repertoire, wurde aber bald für Mozart entdeckt und etablierte sich als einer der besten Mozart-Tenöre der 1950er Jahre. Großen Erfolg hatte er bei den Salzburger Festspielen, bei denen er in den Jahren 1956-1959 für verschiedene Mozart-Rollen verpflichtet wurde. Allein auf Mozart ließ er sich aber nie festlegen. Simoneau setzte sich sehr für das französische Lied ein und stand auch der Moderne offen gegenüber. So sang er 1952 in Strawinskys Oedipus Rex unter der Leitung des Komponisten. Mitte der 1960er Jahre zog sich Simoneau, wiederum im Gleichschritt mit seiner Ehefrau, von der Opernbühne zurück, als sich erste stimmliche Schwächen bemerkbar machten. Bis etwa 1970 traten beide aber noch in Konzerten und Liederabenden auf.


    Léopold Simoneau starb im August 2006 90-jährig in Kanada. Pierrette Alarie, mit der er mehr als 60 Jahre lang verheiratet war, ist noch am Leben.


    Danke, das wusste ich nicht.


    Dann gefällt mir eben die "verlängerte" Fassung besser. Ich bin da flexibel. :D


    :hello:

    Leider bieten die meisten älteren bzw. Schellack-Aufnahmen nur verkürzte Versionen des Duetts. Meist fehlt der Teil nach Nadirs Textzeile "La cherche en vain!" mit den Einwürfen "Elle fuit!" von Zurga und Nadir sowie der anschließende Abschnitt, in dem die Erzählung kurz unterbrochen wird und beide zweifeln, ob ihre Freundschaft nicht in Feindschaft umschlagen könnte. Stattdessen kommt meist gleich der abschließende Treueschwur "Oui, c'est elle! C'est la déesse!" usw. Ich finde das immer schade, weil die fehlende Passage abseits von der Schwelgerei noch eine dramatische Wendung in das Duett einbringt. Alternativ gibt es auch die "italienische" Variante, die den Treueschwur komplett weglässt und mit dem "Elle fuit!" respektive einem italienischen "Dispari" endet – meines Erachtens noch schlimmer, da in diesem Fall sehr abrupt Schluss ist.


    Die Aufnahme von Björling und Merrill will ich gar nicht schlechtreden. Was die Qualität der Tonproduktion und die Harmonie der beiden Stimmen angeht, ist das eine wunderbare Aufnahme und auch sicher insgesamt eine der allerbesten überhaupt. Bei vielen Aufnahmen singen Tenor und Bariton ja leider nicht ganz auf Augenhöhe, das ist hier anders. Dennoch habe ich den Eindruck, dass beiden der Text, den sie singen, nicht sonderlich wichtig ist. Es gibt bei beiden eine gewisse dynamische Gleichförmigkeit, die mich nicht wirklich stört, aber doch den Gesamteindruck geringfügig eintrübt, wenn man andere, insbesondere frankophone, Sänger gehört hat.


    Clément und Journet kenne ich nicht. Besonders schön und noch dazu im Gegensatz zu Björling / Merrill vollständig ist das Duett aber auch in der Gesamtaufnahme von Jean Fournet (1953). Der großartige feinsinnige Léopold Simoneau und René Bianco können mit der üppigen Stimmpracht von Björling und Merrill nicht mithalten, haben diesen aber doch etwas voraus: Sie erzählen tatsächlich eine Geschichte. Allein schon Simoneaus Worte "Elle fuit!" haben den ganzen Zauber von Erinnerung und Verzicht – unvergesslich. René Bianco, der Zurga dieser Aufnahme, gerade vor einigen Monaten im gesegneten Alter von 99 Jahren verstorben, klingt etwas älter als Simoneau, fällt aber gegenüber diesem nicht allzu sehr ab. Für mich eine der schönsten Aufnahmen. Sehr positiv habe ich auch Alain Vanzo und Guillermo Sarabia in der Pretre-Gesamtaufnahme in Erinnerung.


    Von der Stimmqualität Björling und Merrill ebenbürtig ist die Paarung Beniamino Gigli und Giuseppe De Luca. Es gibt von ihnen gleich zwei italienisch gesungene Aufnahmen: 1920 und 1929. Auch hier absolut großartiger Stimmklang, aber der Ausdruck der Sänger wird der melancholischen Stimmung nicht ganz gerecht. Gerade Gigli hätte sich vielleicht etwas mehr mit seinen Schluchzern (1929) zurücknehmen können. Besser gefallen mir auch Caruso und Ancona (24.03.1907). Insbesondere Caruso singt angenehm zurückgenommen und nachdenklich. Das langsame Tempo kommt der Aufnahme auch zugute.


    Außerhalb der Wertung will ich noch eine klavierbegleitete Aufnahme in italienischer Sprache vom 26.03.1945 erwähnen. Man hört einen 23jährigen noch ein wenig unfertigen Tenor, der relativ viel atmet, aber auch eine der schönsten Stimmen aller Zeiten. Es handelt sich um eine der ältesten Aufnahmen von Giuseppe Di Stefano, die er kurz vor Kriegsende in Lausanne für Radio Suisse Romande gemacht hat. Der Zurga ist der Bariton Luigi Marchiò, der nicht Di Stefanos Niveau erreicht. Dennoch liebe ich diese Aufnahme.

    Vielen Dank für den Rücklauf!


    Die Arie der Margherita ist wirklich ein intensives Charakterstück und einer der Höhepunkte der Oper. Die Aufnahme mit Claudia Muzio kenne ich leider auch nicht. Ich werde das aber sicher demnächst bei Gelegenheit nachholen. Auch von Favero kenne ich außer der Gesamtaufnahme nichts von Boito.


    Maria Callas habe ich eben noch einmal gehört. Die Aufnahme ist von 1954, also fast zum idealen Zeitpunkt entstanden. Callas war dann stimmlich noch ganz auf der Höhe und ihren Ausdruck hatte sie schon intensiviert. Ich könnte mir vorstellen, dass die Arie aufgrund der großen Intervalsprünge ziemlich anspruchsvoll ist. Auch die Triller werden von anderen Sopranen manchmal nur angedeutet. Callas meistert das für mein Empfinden alles technisch annähernd perfekt. Wie von ihr zu erwarten, ist Margherita bei ihr nicht bloß ein entrücktes Mädchen im Zustand der Selbstaufgabe, sondern relativ fraulich und selbstbewusst gesungen. Allzuviel Bruststimme ist aber nicht im Einsatz. Gefällt mir auch sehr gut!


    Wäre statt dieser Arie 1954 eine Gesamtaufnahme mit Siepi, Di Stefano, Callas und Serafin entstanden – das wäre doch was gewesen und hätte der Oper sicher einiges an Popularität gesichert.


    Eine recht gute alte Aufnahme der Margherita-Arie habe ich noch von Pia Tassinari gefunden (1933). Für Tassinari muss die Partie gut gelegen haben; sie konnte sich nie zwischen Sopran und Mezzo entscheiden. Ihre Arie ist nicht ganz so durchgestaltet wie bei Maria Callas, mit einem etwas gekünstelten Schluchzer am Schluss. Auch bei den Verzierungen ist sie nicht ganz perfekt, insgesamt macht sie das aber immer noch gut. Schön auch ihr "Lontano, lontano" in einer Aufnahme mit ihrem Ehemann Ferruccio Tagliavini (1950).


    Vielleicht höre ich in den nächsten Tagen mal weitere Einzelaufnahmen. Anregungen sind willkommen!


    Die Orignalfassung hat Boito übrigens, soweit ich weiß, vollständig vernichtet. Es existiert nur noch die überarbeitete Fassung für Bologna. Für diese Aufführung hat Boito dann zum Beispiel auch noch den Hexensabbat nachkomponiert.


    Lorenzo Molajoli 1931
    Die erste Aufnahme des Mefistofele entstand, als Operngesamtaufnahmen noch in den Kinderschuhen steckten, und gerade die vielen Chorszenen dürften die Aufnahmetechniker vor Herausforderungen gestellt haben. Das Ergebnis ist kein tontechnisches Wunderwerk, aber doch immerhin eine hörbare Aufnahme.


    Der Protagonist Nazzareno De Angelis war einer der berühmtesten Bässe an der Scala und wurde zu seiner Zeit in Italien wie kein anderer Sänger mit dem Mefistofele identifiziert. In den Jahren zwischen 1906 und 1938 soll er diese Rolle mehr als 500 Mal gesungen haben. Jens Malte Fischer stellt De Angelis in eine Reihe mit den Basslegenden Ezio Pinza und Tancredi Pasero und bezeichnet seinen Mefistofele als unübertroffen. Ich bin mir da nicht ganz so sicher. Natürlich ist De Angelis ein sehr interessanter Sänger, der auch einiges an Stimmgewalt vorweisen kann, wirklich begeistert bin ich von seinem Mefistofele aber nicht. Von Legato hält De Angelis hier nicht besonders viel. Die Ausdrucksmittel erschöpfen sich im Wesentlichen in exzessiven Portamenti und theatralischem Gelächter. De Angelis (über-)betont die R-Laute, außerdem habe ich den Eindruck, dass er fast alle Silben auf O oder Ö singt. Hier kann allerdings auch die Aufnahmetechnik eine Rolle gespielt haben. Insgesamt kann ich den hohen Rang, den sein Mefistofele genießt, anhand dieser Aufnahme aber nicht ganz nachvollziehen.


    Antonio Melandri gehört wohl zu den von der Nachwelt vergessenen Sängern. Sein Faust ist eine solide Leistung, ich komme aber nicht umhin zu bedauern, dass Beniamino Gigli, von dem es einige bemerkenswerte Szenen dieser Oper gibt, nicht für die Gesamtaufnahme zur Verfügung stand. Mafalda Favero scheint erst im dritten Akt, kurz vor ihrem Bühnentod, richtig warmzuwerden. Da singt sie zwar auch recht theatralisch, aber ohne Fehl und Tadel. Die Rolle der Elena ist mit Giannina Arangi-Lombardi sehr namhaft und gut besetzt.


    Insgesamt eine Aufnahme für historisch Interessierte, aber meines Erachtens keine Referenzaufnahme.







    Franco Capuana 1952
    Nach Molajolis Aufnahme dauerte es mehr als 20 Jahre bis zur nächsten Einspielung der Oper. Wenn es einen Grund gibt, diese Aufnahme zu besitzen, dann ist das Giulio Neri in der Titelrolle. Sein Mefistofele ist ein derber Geselle, der sich nicht um sängerische Feinheiten schert und auch mal neben den Noten singt. Das Ergebnis überzeugt dennoch: Neris dröhnender Schwarzbass zeichnet einen finsteren und wirklich glaubhaft bedrohlichen Erzbösewicht – Satan als Sparafucile deluxe. Schon vom Stimmmaterial ist das sehr beeindruckend. Gianni Poggi, hier als Faust konserviert, gehört allerdings zu den Sängern, deren Weltkarriere mir anhand seiner Aufnahmen immer unergründlich bleiben wird. Unsensibel, Jammertimbre, abgeschmackte Effekte… – auch hier keine gute Leistung des Tenors, auch wenn Poggi noch schlechtere Aufnahmen gemacht hat. Die übrige Besetzung ist ziemlich unscheinbar.







    Vittorio Gui 1955
    Diese Aufnahme ist eine verpasste Chance. Ich bin mir sicher, dass sie noch heute als eine der besten Aufnahmen gelten würde, wenn man sich 1955 dazu durchgerungen hätte, die gesamte Oper einzuspielen. Da man die Veröffentlichung auf zwei LPs begrenzen wollte, wurde die Oper zusammengestrichen: In dieser Aufnahme fehlt der komplette 4. Akt (Klassische Walpurgisnacht) und auch der 1. Akt musste leider gleich an mehreren Stellen übel Federn lassen.


    Die Sänger können sich meines Erachtens allerdings auch mit den besten Konkurrenzeinspielungen messen: Boris Christoff hat als Mefistofele bei dieser Aufnahme näher am Mikrofon gestanden als die übrigen Mitwirkenden und dominiert das Geschehen. Wie immer im italienischen Fach sollte man Sympathie für Christoffs Stil mitbringen, wer aber die typischen Eigenheiten dieses Sängers (z.B schnarrende Tonbildung, exaltiertes Gelächter) goutiert, wird auch an seiner Darstellung des Teufels gefallen finden. Mir jedenfalls gefällt sie besser als die des mit ähnlichen Stilmitteln operierenden De Angelis. Giacinto Prandelli, der den Faust singt, ist ein vielseitiger Tenor, den ich eigentlich immer sehr gern höre. Vom Timbre ist er vielleicht Antonio Melandri aus der Molajoli-Aufnahme vergleichbar, Prandelli ist allerdings differenzierter. Gerade die Szene im ersten Akt im Studierzimmer ist wunderbar nuancenreich gestaltet. Für mich ist er der beste Sänger dieser Partie in den erhältlichen Studioaufnahmen. Der Name Orietta Moscucci ist mir außer von dieser Aufnahme überhaupt kein Begriff. Ihre Margherita ist angesichts der starken Konkurrenz wohl nur durchschnittlich. Moscuccis stimmlichen Mittel sind begrenzt, sie gestaltet die Rolle unspektakulär mit gelegentlichen schrillen Tönen. Ein gänzlicher Ausfall ist sie allerdings auch nicht.


    Daher: Große Show für Boris Christoff mit guten Mitstreitern. Als Zweitaufnahme hochinteressant, wegen der Striche aber nicht gut zum Kennenlernen der Oper geeignet.







    Angelo Questa 1956
    Durch diese Aufnahme für den italienischen Rundfunk habe ich Mefistofele kennen gelernt, und habe sie eigentlich immer gern gehört. Bei nüchterner Wiederbegegnung relativiert sich dieser Eindruck allerdings ein wenig. Als Mefistofele kann man hier nochmals Giulio Neri hören. Im Vergleich zu der vier Jahre älteren Capuana-Einspielung scheint er etwas an Stimmkraft eingebüßt zu haben. Auch wenn er nicht mehr über die ganz große Autorität seiner ersten Aufnahme verfügt, kann er mit der Schwärze seiner Stimme noch beeindrucken. Weniger als zwei Jahre nach dieser Aufnahme starb Neri 48-jährig an einem Herzanfall. Mefistofele war wohl die Rolle seines Lebens.


    Ferruccio Tagliavini gestaltet die Partie des Faust mit der ihm eigenen Süßlichkeit. Zweifellos angreifbar ist die Art und Weise, wie er seine hohen Töne produziert. Stimmliche Schwächen werden insbesondere im Epilog offenbar. Andererseits betört er auch mit schöner mezza voce und kluger Phrasierung. Marcella Pobbe ist als Margherita ziemlich blass. Die Nebenrollen Elena und Wagner sind schwach besetzt. Angelo Questa macht mit seinem Radio-Orchester nicht mehr als Dienst nach Vorschrift.


    Leider ist bei dieser Aufnahme auch mit der Tontechnik einiges schief gelaufen. Die Monoaufnahme klingt kein bisschen besser als die 25 Jahre ältere Aufnahme von Molajoli, woran insbesondere die Chorszenen, die in dieser Oper so wichtig sind, zu leiden haben. Der Gesamteindruck bleibt daher eher mittelprächtig. Interessant ist die Aufnahme allenfalls wegen Tagliavini und Neri, wobei mir letzterer bei Capuana etwas besser gefällt.







    Tullio Serafin (I) 1958
    Dies ist keine Gesamtaufnahme, sondern nur ein Querschnitt auf einer CD, der aber eine interessante Geschichte hat: Decca wollte 1958 eine Gesamtaufnahme des Mefistofele produzieren und hatte dafür als Dirigenten den erfahrenen Tullio Serafin und für die Hauptrollen Cesare Siepi, Renata Tebaldi und Giuseppe Di Stefano verpflichtet. Die Aufnahmen waren schon ziemlich weit fortgeschritten, es fehlte nur noch der 4. Akt, als es zu Streitigkeiten zwischen Serafin und Di Stefano kam. Was genau die Ursache war, ist mir nicht bekannt; jedenfalls ließ der Tenor alles stehen und liegen und reiste ab.


    Dieser Querschnitt enthält neben Auszügen aus dem Prolog der späteren Gesamtaufnahme alle Szenen, die Giuseppe Di Stefano vor seinem Abgang bereits eingespielt hatte. Auffällig sind in diesen Szenen die selbst für Di Stefanos Verhältnisse deutlich hörbaren technischen Mängel. Ein Registerausgleich findet praktisch nicht statt. Insbesondere die Höhe klingt auch schon sehr angegriffen. Gerne hätte ich ihn fünf Jahre früher in besserer stimmlicher Verfassung in dieser Rolle gehört. Die übrigen Sänger sind gut bis sehr gut; man kann sie aber auch in der anschließend entstandenen Gesamtaufnahme hören, so dass eigentlich kein rationaler Grund besteht, diesen Querschnitt zu erwerben.


    Fazit: Für Fans.







    Tullio Serafin (II) 1958
    Nach Di Stefanos Abgang stand Decca vor der Wahl, das Projekt Mefistofele aufzugeben oder wie die EMI mit der Gui-Aufnahme einen Torso zu veröffentlichen oder die Oper mit einem anderen Tenor noch einmal aufzunehmen. Glücklicherweise entschied man sich für die letzte Alternative. Alle Szenen aus den Akten 1-3 und dem Epilog, in denen Faust beteiligt ist (und das sind fast alle), mussten neu eingespielt werden. Aber es hat sich gelohnt!


    Cesare Siepi ist als Mefistofele sehr gut. Nach Neri und Christoff ist er für mich der dritte große Interpret dieser Rolle. Siepi legt den Mefistofele anders als seine Vorgänger eher ironisch-sardonisch als bösartig an. Eine kluge Interpretation, die mindestens ebenso ihre Berechtigung hat wie die Grobheiten von Neri oder die Faxen von de Angelis, Christoff und (später) Treigle; immerhin tritt Mefistofele in der Oper als Kavalier auf. Die überlegene Verachtung, die Siepis Mefistofele bei der Betrachtung des gläsernen Globus zum Ausdruck bringt („Ecco il mondo“), ist kaum zu übertreffen.


    Nachnominiert für die Tenorpartie wurde Mario del Monaco, dessen Faust erwartungsgemäß eher rabiat als intellektuell daherkommt, sozusagen der Gegenpol zum feinen Tagliavini bei Questa. Dabei hat er durchaus einige gelungene Momente, in denen er nicht bloß monoton forte singt („Folletto, folletto“). Und die unverhohlene Lüsternheit von Fausts Frage an Margherita in der Gartenszene „Dimmi, in casa sei sola sovente?“ („Sag, bist du oft allein zu Haus?“) hat aus del Monacos Mund auch einen gewissen Reiz. Im Epilog allerdings hätte ich mir von ihm etwas mehr Abstufungen gewünscht. Gänzlich schlecht gesungen ist sein Faust aber auch nicht. Renata Tebaldi ist eine eher reife Margherita mit Höhenschärfen. Weniger gefällt mir Floriana Cavalli als Elena, deren dünne Stimme nur wenig sinnliche Ausstrahlung besitzt. Ausgezeichnet wiederum die Orchesterleitung von Tullio Serafin, der einige interessante Feinheiten der Partitur zu Tage fördert.


    Im Ganzen sicher eine der besten Aufnahmen des Werks.







    Julius Rudel 1973
    Eine der namhaftesten Aufnahmen im Katalog ist die unter der Leitung von Julius Rudel. Der Dirigent hatte sich gemeinsam mit Norman Treigle an der New York City Opera sehr für Boitos Oper eingesetzt. Wohl deshalb wurden beide, ansonsten nicht gerade Lieblinge der Plattenkonzerne, für diese EMI-Gesamtaufnahme verpflichtet.


    Norman Treigle als Titelheld trägt noch dicker auf als Boris Christoff oder Nazzareno De Angelis. Meines Erachtens gelangt er dabei an die Grenze zur Übertreibung und wirkt auf mich eher psychopathisch als gefährlich. Möglicherweise liegt das auch daran, dass er kein außergewöhnlich voluminöses Organ besitzt. Bei einigen tiefen Tönen macht sich dazu noch bemerkbar, dass Treigle eher Bassbariton als Bass war. Eine ungewöhnlicher Einfall ist es, dass er statt des üblichen undefinierten Urschreis mit einem „E sia!“ in Fausts „Dai campi, dai prati“ einfällt und damit nochmals die Wette mit dem „Chorus Mysticus“ aus dem Prolog erneuert. Placido Domingo singt mit noch junger, frischer Stimme, bleibt als Faust aber etwas glatt und unbeteiligt. Monserrat Caballé gefällt mir allerdings wirklich gut als Margherita. Im Kerker wirkt sie vor allem desillusioniert und trifft damit meines Erachtens die Stimmung dieser Szene sehr gut. Ein ungewöhnliches Hörerlebnis beschert Thomas Allen, ein Bariton, in der Tenorrolle des Wagner.


    Sehr interessant ist auch, was Julius Rudel mit dem London Symphony Orchestra aus der Oper macht. Er ist hörbar auf Transparenz und Kontraste bedacht und legt vor allem die Schroffheiten der Partitur offen. Das lässt, auch wenn man das Werk kennt, mehr als einmal aufhorchen. Im Prolog werden Orgel und Donnermaschine eine prominente Stellung eingeräumt. Geschmackssache sind die gelegentlichen Einspieler von Toneffekten: mal Gelächter, mal nicht definierbares Spektakel. Auf mich wirkt so etwas immer ziemlich studiohaft.


    Also eine sehr spannende Aufnahme, aber nicht ganz meine erste Wahl.







    Oliviero de Fabritiis 1980
    Oliviero de Fabritiis’ Einspielung ist der erste Mefistofele des digitalen Zeitalters. Nicolai Ghiaurov hat nicht ganz die Klasse der besten Titelinterpreten. Er feuert mit seinem großkalibrigen Bass aus allen Rohren, verfehlt aber doch knapp das Ziel. Mit den höheren Tönen steht er auf Kriegsfuß; da wird gequetscht. Auch macht er für meine Begriffe zu wenig aus der Partie. Ähnlich wie Giulio Neri kann er allein durch bloße Stimmkraft einiges an Autorität erzeugen, kommt aber an Neris geballte Garstigkeit nicht heran. Mirella Freni hält Mefistofele offensichtlich für ein Werk des Verismo, und dementsprechend ist auch ihr Ausdruck. Das Ergebnis ist eine sehr intensive Margherita und meines Erachtens gelungen. Sie setzt im drtten Akt mehr Bruststimme ein als die meisten anderen Soprane. Auch Pavarotti fällt bei dieser Aufnahme überhaupt nicht negativ ins Gewicht. Für meinen Geschmack gelingt es ihm, als Faust sogar Domingo zu übertreffen. Er ist gut bei Stimme und lässt in der Gartenszene seinen als Rigoletto-Duca erprobten Charme spielen. Namhaft ist die Besetzung der Elena: Monserrat Caballé. Sie hat ihre besten Zeiten hörbar hinter sich, ist allerdings immer noch besser als die meisten anderen Sängerinnen in dieser Rolle.


    Ein großes Plus dieser Aufnahme ist der greise Oliviero de Fabritiis am Pult des National Philharmonic Orchestra. Er bringt im Vergleich zu Rudel weniger Drastik sondern betont die Schönheit der Paritur. De Fabritiis hatte schon in den 1930er Jahren erste Operngesamtaufnahmen mit Beniamino Gigli gemacht und konnte auf eine jahrzehntelange Karriere als Operndirigent zurückblicken. Das Orchester und die Chöre klingen in dieser Aufnahme – auch dank der digitalen Technik - ausgezeichnet. Wenn auch bei den Sängern geringe Abstriche nötig sind, fügt sich unter de Fabritiis Hand diese Oper zu einem äußerst harmonischen Weltgemälde zusammen. Der Dirigent starb, bevor die Platten veröffentlicht wurden. Ihm ist diese schöne Aufnahme gewidmet.


    Trotz nicht optimal besetzter Titelpartie neben Serafins Gesamtaufnahme mein Favorit.







    Ivan Marinov 1985
    Diese rein bulgarisch besetzte Aufnahme habe ich mir erst kürzlich aus Gründen angestrebter Vollständigkeit zugelegt und war insgesamt doch positiv überrascht. Was mir daran gefällt, ist, dass sie ein individuelles Gepräge hat. Der Dirigent setzt im Orchester auf dominantes Schlagwerk mit Donnerblech. Insbesondere der Hexensabbat ballert ziemlich infernal durch die Lautsprecher. Mehr Getöse gibt es in keiner anderen Aufnahme. Mir gefällt das nicht immer, aber dass diese Aufnahme langweilig wäre, kann man nicht behaupten.


    Bei den Sängern fehlen die ganz großen Namen, die Interpreten bilden aber ein gutes Team. Nicola Ghiuselev ist bereits der dritte Bulgare, der den Mefistofele im Studio singen durfte. Und das macht er trotz einer etwas dünnen Tiefe auch gar nicht schlecht und braucht sich meines Erachtens gerade hinter Ghiaurov keineswegs zu verstecken. Gestalterisch bewegt er sich mit seinem Mefistofele irgendwo zwischen Christoff und Neri. Kaloudi Kaloudov ist ein etwas schlichter, prosaischer Faust, aber der Partie vollends gewachsen. Stefka Evstatieva als Margherita hat eine wirklich jugendlich klingende Stimme, die allerdings auch eine gewisse Anstrengung nicht verleugnen kann.


    Kein ganz großer Wurf, aber eine preiswerte Alternative.







    Giuseppe Patané 1988
    Dies ist eine Aufnahme, an der eigentlich nichts so richtig schlecht ist, aber auch nichts außergewöhnlich gut. Samuel Rameys völlig ironiefreien Mefistofele finde ich vergleichsweise uninteressant. Er erhebt keinen Anspruch auf eine tiefer gehende Interpretation. Wie Treigle singt er ein „E sia!“ am Ende des „Dai campi, dai prati“. Eva Marton hat man beide Frauenrollen gegeben (Margherita und Elena). Die Doppelbesetzung klingt wie ein moderner Regie-Einfall, kam aber tatsächlich schon 1875 bei der Uraufführung der revidierten Fassung zum Einsatz. Die Wahl zu schwerer Rollen macht sich bei Martons Stimme schon bemerkbar. Ihr Vibrato ist relativ stark, dadurch finde ich sie in der Rolle der jugendlichen Margherita nicht ganz ideal besetzt. Die beste Leistung bietet noch Placido Domingo als Faust, der 15 Jahre nach seiner ersten Aufnahme diesmal etwas engagierter bei der Sache ist. Bemerkenswert ist vor allem seine Gestaltung der zweiten Szene des zweiten Akts („Stupor, stupor“). Einige hohe Töne bereiten ihm bereits hörbar Mühe. Giuseppe Patané setzt mit dem Ungarischen Staatsorchester kaum Akzente.


    Eine passable Aufnahme, aber keine wirkliche Bereicherung der Diskographie.

    Liebe Opernfreunde,


    ich möchte hier noch einmal die Trommel schlagen, für eine der interessantesten italienischen Opern des 19. Jahrhunders, die ich für eher unterbewertet halte: Mefistofele.


    Ich finde, diese Oper hat eine Menge zu bieten, nämlich:


    • eine der intelligentesten Vertonungen von Goethes Faust, die den ausladenden Stoff zu einer zweieinhalbstündigen Oper verdichtet, ohne ihn völlig zu verfremden,
    • ein spannendes Stück Musiktheater, einerseits in der besten italienischen Operntradition, andererseits aber auch mit Anklängen an französische und deutsche Opern,
    • mit der Rolle des Mefistofele eine der interessantesten Basspartien der Opernliteratur.


    Der Komponist und Librettist dieses Werks ist Arrigo Boito ( 1842-1918 ). Bekannt ist er vor allem als Librettist von Verdis Spätwerken Otello und Falstaff, aber auch von Ponchiellis La Gioconda. Mefistofele ist seine einzige vollständige Oper. Sein zweites großes Werk „Nerone“, an dem er etwa 40 Jahre lang arbeitete, blieb unvollendet.



    Boitos Entschluss, eine Oper nach Goethes Drama zu schreiben, entstand während einer Reise durch Deutschland und Frankreich. Wieder zurückgekehrt, machte sich Boito sogleich an die Arbeit. In den Jahren 1866 bis 1868 entstanden sowohl das Libretto wie auch die Musik.


    Die Uraufführung des Mefistofele am 05.03.1868 geriet zum absoluten Fiasko. Boito gehörte zur sog. Scapigliatura, einer Gruppe Intellektueller, die gegen die Konventionen des frühen 19. Jahrhunderts rebellierte und auch Sympathie mit dem Musiktheater Richard Wagners zeigte. Die gegnerische Claque nutzte die Premiere zu einer Abrechnung mit Boito. Allerdings dürften auch die epischen Ausmaße der Urfassung und die mangelnde Qualität des Sängerensembles sowie des Dirigenten - Boito leitete die Aufführung selbst - zum Misserfolg beigetragen haben.


    Das Debakel bei der Uraufführung stürzte Boito in Selbstzweifel. Er arbeitete die Oper grundlegend um und verbrannte Teile der Partitur. Die Oper wurde dabei in ihrem Umfang fast auf die Hälfte zusammengekürzt. Fundamentale Eingriffe waren die Streichung eines kompletten Aktes, der in der Kaiserlichen Pfalz spielen sollte, sowie die Umarbeitung der Partie des Faust, die zunächst für einen Bariton konzipiert war, zu einer Tenorpartie. Die überarbeitete Fassung, die als einzige heute noch erhalten ist, wurde erstmals am 04.10.1875 in Bologna gespielt.



    Während sich Charles Gounod (bewusst) mit seiner Faust-Oper so weit vom eigentlichen Gehalt des Goetheschen Dramas entfernt, dass diese kaum mehr als Umsetzung des Werks ernst genommen werden kann, war es das erklärte Ziel Boitos, möglichst viel vom Geist der Vorlage Goethes einzufangen. Dementsprechend greift er einzelne Szenen der beiden Faust-Dramen heraus, die fast schon schlaglichtartig aneinandergereiht werden. Gounod hat den Faust-Stoff fast ausschließlich auf die Beziehung Faust-Margerethe reduziert. Bei Boito bildet die Gretchentragödie demgegenüber nur eine Episode des Geschehens. Wie schon der Titel andeutet, liegt das Interesse des Komponisten eher auf dem Kampf Mefistofeles um Fausts Seele.


    Der Prolog der Oper handelt von der Wette Mefistofeles mit Gott, welcher in der Oper als Chorus Mysticus dargestellt wird. Daran anschließend behandelt der erste Akt den Osterspaziergang Fausts mit Wagner, bei dem sie statt von einem Pudel von einem geheimnisvollen „grauen Mönch“ umkreist werden. Die Szene verwandelt sich in Fausts Studierzimmer, wo sich der Mönch als „Geist, der stets verneint“ zu erkennen gibt und mit Faust den teuflischen Pakt schließt. Im zweiten Akt gelingt es dem verjüngten Faust, Margherita zu verführen. Anschließend führt ihn Mefistofele auf den Brocken, wo ein gespenstischer Hexensabbat stattfindet. Der dritte Akt zeigt Margherita, die ihre Mutter und ihr Kind, Frucht der Beziehung mit Faust, getötet hat, im Kerker. Faust kommt mit Mefistofele, um sie zu befreien, aber sie stößt ihn angewidert fort. Der vierte Akt ist von Faust II inspiriert. Mefistofele beschwört eine Vision herauf, in der sich Faust in Arkadien wieder findet, wo ihn die Schönheit der antiken Helena überwältigt. Der Epilog zeigt den in Melancholie versunkenen, wieder gealterten Faust, der erkennt, dass Mefistofele ihm kein vollkommenes Glück verschaffen konnte. Er wendet sich dem Evangelium zu, das ihm die Liebe zu Gott und damit vollständige Befriedigung verschafft. Mefistofele ist besiegt.



    Mefistofele ist von der zeitgenössischen Kritik teilweise ratlos, teilweise äußerst ablehnend aufgenommen worden. Zu den musikalischen Qualitäten der Oper meinte Giuseppe Verdi: „Boito versucht, originell zu sein, das Ergebnis klingt aber sonderbar.“ George Bernard Shaw bescheinigte dem Komponisten wenn auch keinerlei musikalisches Talent, so doch immerhin ein Übermaß an Kultur und Geschmack. Richard Wagner soll die Partitur als „Stickerei einer reizenden jungen Dame“ bezeichnet haben. Aber auch das Textbuch der Oper wurde heftig beanstandet. Insbesondere in Deutschland war man mit den dramatischen Freiheiten und Streichungen, die sich dieser Italiener erlaubt hatte, ganz und gar nicht einverstanden, so dass es mitunter geradezu hasserfüllte Kritiken gab. Hugo Wolf war von der Oper derart aufgebracht, dass er äußerte, er könne es nicht mit ansehen, wie durch diese „erbärmliche Karikatur“ „der Stolz seiner Nation, Goethes Faust, vor seinen Augen geschändet“ werde.


    Auch wenn man die heutige Opernliteratur durchforstet, scheinen viele Experten nicht ganz zu wissen, was man von Boitos Oper zu halten hat. Eine der am häufigsten verwendeten Vokabeln bei der Charakterisierung des Werkes dürfte „originell“ sein, was eigentlich ohne besondere Aussagekraft ist. Zumeist werden Boito immerhin großes Geschick bei der Instrumentation und großer melodischer Einfallsreichtum attestiert.



    Während die kompositorische Qualität wohl immer kontrovers bleiben wird, lässt sich wohl nur schwer bestreiten, dass es sich bei der Oper um ein sehr effektvolles Werk handelt, das durchaus etwas Beachtung verdient hat. Musikalisch besonders eindrucksvoll ist (aus meiner Sicht) der Prolog, der mit seinem massigen Orchestersatz auf den Einfluss von Hector Berlioz auf Boito hinweist. Die musikalische Inspiration Boitos zeigt sich auch in Fausts herrlichem ariosen „Colma il tuo cor d’un palpito“ (seine Antwort auf die Gretchenfrage) sowie dem anschließenden Teil des Gartenquartetts, in dem Boito mit dem rhythmischen Gelächter ein schönes Beispiel musikalischen Humors geschaffen hat. Der einige Jahre später aufkommende Verismo kündigt sich schon in der Arie der Margherita „L’altra notte in fondo al mare“ an. Auch im Monolog der Elena „Notte cupa, truce“, in dem sie den Horror der Zerstörung Trojas schildert, stellt der Komponist seine Qualität zur Erzeugung von Stimmungen unter Beweis. Ein letzter Höhepunkt ist der gesamte Epilog, der zunächst von resignativem Schwermut beherrscht wird, dann aber mit dem Erscheinen der himmlischen Heerscharen die musikalischen Themen des Prologs wieder aufnimmt.




    Diskografie (nur Studio):
    1931 Mailand: Lorenzo Molajoli - de Angelis, Melandri, Favero, Arangi-Lombardi
    1952 Mailand: Franco Capuana - Neri, Poggi, Noli, Dall’Argine
    1955 Rom: Vittorio Gui - Christoff, Prandelli, Moscucci, (-)
    1956 Turin: Angelo Questa - Neri, Tagliavini, Pobbe, de Cecco
    1958 Rom: Tullio Serafin - Siepi, Di Stefano, Tebaldi, (-) (nur Auszüge)
    1958 Rom: Tullio Serafin - Siepi, del Monaco, Tebaldi, Cavalli
    1973 London: Julius Rudel - Treigle, Domingo, Caballé, Ligi
    1980 London: Oliviero de Fabritiis - Ghiaurov, Pavarotti, Freni, Caballé
    1985 Sofia: Ivan Marinov - Ghiuselev, Kaludov, Evstatieva, Bareva
    1988 Budapest: Giuseppe Patané - Ramey, Domingo, Marton, Marton




    Was haltet ihr von dieser Oper?
    Welche Aufnahmen gefallen euch?
    Wer hat die Oper schon einmal live erlebt?


    Ich will alles wissen! :)

    Meine Lieblingsaufnahmen dieser Oper sind die, die auch Theophilus vor über drei Jahren genannt hat.


    Unter den Studioaufnahmen liegt knapp die Aufnahme von Francesco Molinari-Pradelli vorne, vor allem wegen des rundherum ausgeglichenen Ensembles. Hilde Güdens silbrig-noble Adina braucht sich nach meiner Erinnerung hinter keiner italienischen Muttersprachlerin verstecken. Bei Giuseppe Di Stefano sind die Abnutzungserscheinungen in der Stimme marginal, sein Nemorino ist ein naiv-überrumpelnder Charmeur; manchmal möchte man ihm kaum glauben, dass er bei Adina zunächst abblitzt. Auch Belcore und Dulcamara sind mit Renato Capecchi und Fernando Corena absolut erstklassig besetzt. Die Aufnahme müsste ich mal wieder hören.


    Unbedingt will ich aber zumindest gleichberechtigt auch nochmals den Livemitschnitt vom Maggio Musicale Fiorentino 1967 in den Ring werfen. Wie Di Stefano ist Carlo Bergonzi kein echter tenore di grazia, aber alle seine überlegene Legato-Technik kommt hier positiv zur Geltung. Sein "Una furtiva lagrima" siegt für mich über die Aufnahmen aller Donizetti-Spezialisten. Auch der Einsatz kurz vor Schluss "Poiché non sono amato, voglio morir soldato." hat mich, seit ich Bergonzis Nemorino kenne, bei jedem anderen Tenor enttäuscht. Seine Partnerin Renata Scotto ist noch im Besitz ihrer Stimme und beweist, was für eine tolle Singdarstellerin sie war. Allein für ihr fassungsloses "Isotta!" im zweiten Akt würde ich einige Aufnahmen dieser Oper eintauschen. Giuseppe Taddei als Belcore war schon hörbar im Herbst seiner Karriere, schlägt sich aber wacker. Carlo Cava als Dulcamara gefällt mir gut, einige Albernheiten sind wohl der Live-Situation geschuldet. Positiv erwähnen muss man jedenfalls auch den Dirigenten Gianandrea Gavazzeni. Wie Donizetti war er in Bergamo geboren und setzte sich stark für die Werke dieses Komponisten ein. Seine Tempi sind manchmal irritierend langsam, je öfter ich diese Oper aber höre, ich finde aber, dass Gavazzenis langsam schreitende und dennoch dramatische Interpretation diesem Werk besser bekommt als hektisches Dauer-Brio. Dieser Mitschnitt wäre wohl die Aufnahme meiner Wahl.


    Gavazzeni hat schon 1952 eine schöne Aufnahme für die RAI gemacht. Hier ist endlich mal ein echter Belcanto-Tenor am Werk, und was für einer! Cesare Valletti singt mit unübertroffener Eleganz und verleiht dem liebenswerten Loser Nemorino dadurch eine eigene tragische Würde. Alda Noni (geb. 1916) ist heute fast vergessen, war aber eine der führenden Soubretten der Nachkriegszeit. In heutigen Ohren klingt sie vielleicht zuweilen etwas spitz, aber das war damals wohl so gefragt. Afro Poli, ein Bariton, dessen Interessen seltsamerweise sowohl auf Belcanto wie Verismo verteilt waren, ist ein guter, wenn auch nicht außergewöhnlicher Belcore. Der junge Sesto Bruscantini ist einer der besten Dulcamaras, die ich gehört habe – auf einer Höhe mit Giuseppe Taddei oder Fernando Corena. Ein gesunder, sonorer und eloquenter Scharlatan, der das klassische Parlando perfekt beherrscht, und kein dumpf blödelnder alter Kasper. Im selben Jahr haben Noni, Valletti und Bruscantini übrigens auch einen mindestens ebenso guten Don Pasquale zusammen aufgenommen.


    Was die tiefen Männerstimmen angeht, liegt auch die Aufnahme von Tullio Serafin ( 1958 ) ziemlich weit vorne. Rolando Panerai ist ein wunderbar schönstimmiger, leicht arroganter Belcore. Die klassischen Belcanto-Tugenden Legato und Geläufigkeit sind allerdings nicht seine ganz starke Seite. Da er meines Erachtens von der Stimmfarbe ideal besetzt ist und auch einiges an Humor beweist, kann ich das verschmerzen. Giuseppe Taddei – diesmal als Dulcamara – ist ausgezeichnet. Luigi Alva als Nemorino allerdings ist nicht ganz mein Favorit. Eigentlich hat er alle Voraussetzungen: eine schöne Leggiero-Stimme, eine solide Technik, ein gutes Stilgefühl, aber bei seinem Nemorino fehlt etwas: nämlich Aufrichtigkeit. Das sind Emotionen vom Reißbrett, der Funke springt bei mir nicht über. Cesare Valletti klingt da einfach verliebter, aufgeregter, impulsiver, insgesamt: echter als Alva. Auch Rosanna Carteri, ansonsten von mir hoch geschätzt, finde ich nicht ganz ideal, weil etwas zu schwer besetzt.

    Lieber Alviano,


    wenn Du die Aufführung anhand meiner Zeilen etwas nachvollziehen konntest, freut mich das sehr. Ich habe beim Schreiben des Berichts gemerkt, wieviel Arbeit es macht, wenn man versucht, eine ganze Aufführung in wesentlichen Zügen nachzuerzählen. Deine regelmäßigen ausführlichen Berichte weiß ich jetzt noch mehr zu schätzen. Andererseits führt ein solcher Bericht aber auch dazu, dass man noch einmal gezwungen ist, sich auf die Sichtweise der Regie einzulassen. Ich denke, die Auseinandersetzung mit Werk und Interpretation im Zuge der "Nachbereitung" dieser Carmen war auch für mich ein Gewinn.


    Einen Bericht über "La Calisto" will ich jetzt noch nicht zusagen. Ich werde hingehen, bislang kenne ich die Oper aber noch nicht. Alte Musik ist bei mir ein blinder Fleck - das hat mich nie sonderlich interessiert. Aber vielleicht wir es ja trotzdem schön.


    Die neue Saison in Hamburg interessiert mich auch nicht besonders. Allenfalls auf die Walküre werde ich mich noch einlassen. Hannover finde ich auch etwas verheißungsvoller und die Bassariden sind ein ungewöhnlicher Start in die Spielzeit. Ich bin im Winter längere Zeit nicht in Hannover; deshalb fallen wohl zwei oder drei Premieren für mich aus. Die Händel-Oper "Aci, Galatea & Polifemo" gehört dazu. Sie wird aber auch nicht in der Staatsoper gespielt sondern im Ballhof, genauso wie "Sigurd, der Drachentöter" (Kinderoper von Andy Pape), deshalb hatte ich sie erst nicht erwähnt. Aber Du hast schon recht, der Vollständigkeit halber gehören beide eigentlich herein.


    :hello:

    Zitat

    Mit Carmen von Georges Bizet steht eine der populärsten Opern auf dem Spielplan der Staatsoper, und die Titelheldin glauben alle zu kennen. Doch wer ist sie eigentlich? Eine Femme fatale? Eine Anarchistin? Was macht sie so anziehend? Ist es ihre Sinnlichkeit, ihre Kompromisslosigkeit, ihr grenzenloser Freiheitsdrang? Oder ist sie nicht vielleicht selbst eine Unfreie, eine Getriebene, die letztendlich nur eines sucht: den Tod? Die Inszenierung der niederländischen Regisseurin Monique Wagemakers spürt diesen Fragen nach.


    So bewirbt die Staatsoper Hannover ihre neue Carmen-Produktion, die gestern abend Premiere hatte. Um das Fazit vorwegzunehmen: Die Regisseurin hat viele Ideen zu diesem Stück gehabt, aber sich letztlich bei der Frage, wer Carmen eigentlich ist, nicht eindeutig festgelegt.


    Das ist passiert:


    I.


    Als sich der Vorhang nach dem Vorspiel hebt, sieht man eine durch mehrere hohe Gitterzäune geteilte Bühne. Es kann sich sowohl um einen Lager- wie um einen Grenzzaun handeln. Sergeant Morales lässt seine Soldaten auf der vorderen Seite des Zauns akkurat in Linie antreten. Es ist ein rüder Haufen in Khaki-Uniformen, der sich an Postern mit Pin-up-Girls delektiert. Abschätzig beobachten sie die bunt und billig gekleideten Menschen, die mit Koffern auf der anderen Seite des Zauns passieren.


    Micaela, ein Teenager im Schulmädchenlook, erscheint auf der Suche nach ihrem Verlobten José. Sie macht mit einer Kamera Fotos der Szenerie – das ist sonst nicht ihre Welt. Die Soldaten begrabschen Micaela, so dass diese bald wieder verschwindet.


    Don José wird im ersten Akt als außerordentlich schwacher Charakter gezeichnet. Er trägt seine Unsicherheit in seinen Bewegungen offen zur Schau und knetet ständig an seiner Mütze herum. Der Kinderchor merkt das und nimmt José gnadenlos aufs Korn. Die Kinder verspotten ihn und nehmen ihm eine Mappe weg, in der er private Gegenstände aufbewahrt. Er nimmt das weitgehend klaglos hin.


    Die Arbeiterinnen aus der Zigarrenfabrik treffen ein, entgegen der Erwartung ist Carmen nicht unter ihnen. Die Überraschung ist groß, als sie sich als eine der Soldaten zu erkennen gibt. Während sie ihre Habanera singt, tauscht sie die Uniform gegen ein kurzes schwarzes Kleid, die Militärstiefel gegen rote Pumps. Als Micaela zurückkehrt, um endlich mit José zu sprechen, beobachtet Carmen die beiden argwöhnisch. José weiß offensichtlich nicht, wie er sich gegenüber Micaela verhalten soll. Der „baiser de la mère“ wird José von Micaela ziemlich gewaltsam aufgedrückt.


    Als José Carmen verhaften soll und sich ihr zaghaft nähert, lacht sie ihn lauthals aus. Eine Respektsperson sieht anders aus. Mit Handschellen kettet José Carmen an sich. Wer aber letztlich wen abführt / abschleppt, ist nicht ganz deutlich. José ist dann manipulierbar genug, um sich auf Carmens Verheißungen von der großen Freiheit einzulassen und lässt sie laufen.



    II.


    Im zweiten Akt findet zunächst ein Gelage von spärlich bekleideten Menschen statt, bei dem sich Carmen um Leutnant Zuniga kümmert. Bodyguards begleiten den Torero Escamillo herein, der mit aufgesetztem Gehabe, schmalziger Stirnlocke und engem lila Lederoutfit auftritt – er ist ohne Zweifel der „King“ im Ring. An die aufgeregt kreischende Menge verteilt er Autogrammkarten.


    Remendado und Dancairo erscheinen, zwei Kleinganoven, jeder mit einem Koffer in der Hand. Einer ist ein Akten- oder Geldkoffer, der aber nicht geöffnet wird. Der andere enthält Kleider für die Zigeunerinnen Frasquita und Mercédès. Für Carmen haben die Schmuggler ein traditionelles Flamenco-Kleid dabei, das Carmen aber eher spöttisch beäugt und nicht anzieht.


    Als sich José hinter der Bühne mit seinem Lied vom Dragoner ankündigt, muss sich Carmen noch schnell umziehen. Sie will wieder so aussehen wie an dem Tag, als sie José das erste Mal verführt hat, und setzt auch eine Perücke auf.


    Schon kurz nach Josés Eintreffen wird der Zapfenstreich geblasen, José muss eigentlich zurück. Er läuft zunächst etwas kopflos und unentschlossen hin und her. Seinen ersten aktiven Moment an diesem Abend hat José, als Carmen ihm vorwirft, er liebe sie nicht. Carmen wirkt dabei wenig ironisch, eher ein wenig traurig. Sie wirft ihm die Perücke und den blauen Überzieher, den sie sich nur für ihn angezogen hat, vor die Füße. Sie scheint schon zu diesem Zeitpunkt das Interesse verloren zu haben. Josés Blumenarie hat darauf einen ziemlich trotzigen Gestus. Carmen nimmt das kaum zur Kenntnis.


    Auch gegenüber Leutnant Zuniga erweist sich José, wenn man sein Verhalten im ersten Akt betrachtet, als überraschend leicht reizbar. Es kommt zu einer Schlägerei zwischen den beiden Soldaten, die von den Zigeunern auf der anderen Zaunseite lautstark begleitet wird. Schließlich gehen die Schmuggler dazwischen und bringen Zuniga auf die andere Seite des Zauns, wo die Zigeuner die Gelegenheit nutzen, Zuniga ihrerseits noch einmal aufzumischen.



    III.


    Im dritten Akt bilden die Gitter nach hinten die äußere Begrenzung der Bühne, im Vordergrund ein Gebilde mit einem halb abgerissenen Netz. Es könnte sich um den eingezäunten Bolzplatz einer tristen Vorstadtsiedlung handeln.


    José tigert vor dem Zaun herum, den Blick starr auf Carmen gerichtet – nicht umsonst ist im Programmheft Rilkes Gedicht „Der Panther“ abgedruckt. In der Kartenszene sind es Mobiltelefone, die Frasquita und Mercédès Glück und Liebe verheißen, Carmen muss allerdings weder Karten noch Handy konsultieren, um zu wissen, dass das Schicksal für sie den Tod vorgesehen hat.


    Micaela tritt auf. Sie hat mitbekommen, dass sie im Begriff ist, José an Carmen zu verlieren. Während ihrer Arie wechselt sie ihre flachen Schuhe gegen rote hochhackige von der Art, wie auch Carmen sie trägt. Micaela ist bereit, den Kampf aufzunehmen. Zuerst muss sich José aber mit Escamillo auseinandersetzen. Er geht mit einem Messer auf den Torero los, der lässt den blindwütig anrennenden José aber immer wieder ins Leere laufen.


    Als Carmen José auffordert, er möge doch mit Micaela zurück zur Mutti gehen, hat José plötzlich eine Pistole in der Hand. Warum er kurz vorher gegen Escamillo trotzdem nur mit einem Messer angetreten ist, hat sich mir nicht erschlossen. Micaela will sich nun ebenfalls Carmen vorknöpfen, José geht dazwischen, aus seiner Pistole löst sich ein Schuss. Micaela sinkt getroffen zu Boden. José begreift, dass er nun endgültig nicht mehr zurück kann in die heile Welt von damals und bricht verzweifelt zusammen.



    IV.


    Zu Beginn des letzten Bildes drückt das Volk den Gitterzaun an den vorderen Rand der Bühne. Die Menschen drängen sich dicht an der Absperrung mit direktem Blick ins Publikum, sind im wahrsten Wortsinn Zaungäste eines imaginären Spektakels. Einige Menschen klettern am Zaun hoch, während sie die unsichtbare Parade der Toreros besingen. Allein José befindet sich noch vor dem Zaun, wo er am Ende des vorigen Bildes liegen geblieben war. Durch das Gitter ist er ausgegrenzt von der Menge.


    Erst nachdem sie von Frasquita und Mercédès vor Don José gewarnt worden ist, begibt sich Carmen auf die andere Seite des Zauns zu José. Deutlich spürt man ihre Angst. Sie klammert sich an den Zaun, als wollte sie sich so den Rücken freihalten. Diese Carmen ist nur wenig stolz, es scheint eher so, als wolle sie endlich das Ende. Das todbringende Messer hat zuerst sie in der Hand, bevor es in die Hände von José gelangt. Carmen führt José dann auch die Hand, mit der er ihr den Tod gibt.



    ---


    Mit ihrer Inszenierung löst sich Monique Wagemakers vom idyllischen Postkarten-Sevilla. Das Geschehen wird in einer undefinierten hässlichen Lageratmosphäre angesiedelt. Die Vorstellung zeigt vor allem, dass sich der Traum von der Freiheit auch schnell ins Gegenteil verkehren kann, insbesondere für José, aber auch für die ärmlichen durch den Chor verkörperten Gestalten, die sich in einer Art Auffanglager hinter Gitterzäunen wieder finden. Die Deutung als Anti-Freiheitsoper ist konsequent umgesetzt worden. Auch sonst war auf der Bühne immer einiges zu sehen. Die Regisseurin hatte viele, zum Teil recht eigenwillige Ideen, die man jedoch nicht unbedingt mittragen muss. Langweilig war es allerdings nicht gestern abend.


    Alles hat mir nicht gefallen. In der Kartenszene fehlten spürbar die Ideen, diese Schlüsselszene hat mich nicht überzeugt. Dass Micaela von der Regie gekillt wurde, verpuffte weitgehend unbeachtet – Kollateralschaden, der so nebensächlich inszeniert wurde, dass er nur wenig betroffen machte. Auch bin ich mir nicht ganz sicher, ob Wagemakers nicht alte Klischees durch neue Klischees ausgetauscht hat. Die Zigeuner muss man nicht bloß als ein bunt gekleidetes Häufchen inszenieren, das ständig von außen gegen den Zaun schlägt. Die Rolle des Escamillo wurde mit der vordergründigen Elvis-Imitation ziemlich verschenkt. Der Charakter blieb absolut oberflächlich – aber vielleicht ist er das ja auch. Aber auch andere Nebenrollen, insbesondere die beiden Schmuggler sowie Frasquita und Mercédès, haben von der Regie praktisch kein Profil erhalten.


    Auch Carmen selbst bleibt indes eine Spur rätselhaft. In der Lesart der Hannoveraner Inszenierung weiß sie um ihre Attraktivität und nutzt diese auch, wirkt dabei aber nicht sehr selbstbewusst. Sie zieht sich mehrfach um – je nachdem, wem sie gerade gefallen will. Sie vagabundiert als einzige regelmäßig zwischen den Seiten der Grenzen hin und her, während José mit seiner persönlichen Grenzüberschreitung nicht klar kommt. Für Carmen gibt es keine Grenzen – ein Zustand, mit dem sie allerdings nicht sehr glücklich zu sein scheint. Wer ist Carmen nun? Die Aufführung lässt eher mehr Fragen als Antworten zurück.



    Auf der musikalischen Seite ist mir diesmal zuerst das von Jahbom Koo geleitete Niedersächsische Staatsorchester ein Sonderlob wert. Wenn der junge koreanische Dirigent nach der Aufführung die Bühne betritt, wirkt er immer leicht linkisch - ganz anders aber im Graben, wo er engagiert und präzise schlägt. Auch gestern abend bewies er deutliche Zeichengebung und ausgefeilte Agogik, der das Orchester – diesmal – weitgehend folgte. Das hat mir gut gefallen.


    Bei den Sänger gab es durchgängig anständiges Hannoveraner Niveau. Khatuna Mikaberidze in der Titelrolle trug das Regiekonzept voll mit, ihr Gesang geriet vielleicht stellenweise eine Spur zu guttural. Pedro Velázquez Díaz legte sich mit seinem lyrischen Tenor als Don José ordentlich ins Zeug. Er spielte seine Rolle gut, allzu viele Farben besitzt seine Stimme aber nicht. Arantxa Armentia hat mir im ersten Akt als Micaela weniger gefallen. Die Stimme waberte, wirkte wenig fokussiert, was in dieser Rolle ziemlich fatal ist. Die Arie im dritten Akt war dann allerdings sehr intensiv gestaltet. Nicht ganz ideal besetzt als Escamillo war Brian Davis, ein eher hoher eleganter Bariton, dem im Torerolied etwas die tiefen Töne und der notwendige Machismo fehlte. In den kleineren Rollen gab es solide Ensembleleistungen.


    Alles in allem ein interessanter Abend in der Staatsoper Hannover, den das Publikum hinsichtlich der musikalischen Leistungen positiv, im Hinblick auf die Regie überraschend neutral und wenig emotional bewertete.

    Die Staatsoper Hannover hat heute offiziell den Plan für die Spielzeit 2008/2009 vorgestellt.


    Premieren der Sparte Musiktheater:


    13.09.2009
    Hans Werner Henze: DIE BASSARIDEN
    Inszenierung: Tilman Knabe


    11.10.2008
    Frank Loesser: GUYS AND DOLLS
    Inszenierung: Matthias Davids


    14.12.2008
    Richard Strauss: DER ROSENKAVALIER
    Inszenierung: Christof Nel


    30.01.2009
    Wolfgang Amadeus Mozart: IDOMENEO
    Inszenierung: Philipp Himmelmann


    15.03.2009
    Leos Janacek: AUS EINEM TOTENHAUS
    Inszenierung: Barrie Kosky


    30.04.2009
    Gioacchino Rossini: LA CENERENTOLA
    Inszenierung: Andrea Schwalbach


    13.06.2009
    Ludwig van Beethoven: FIDELIO
    Inszenierung: Georg Schmiedleitner



    Das hört sich meines Erachtens doch zumindest nicht ganz uninteressant an, auch wenn mir die letzte Saison - der Papierform nach - etwas besser gefallen hat. Die meisten der vorgesehenen Regisseure haben sich in den letzten Jahren bereits in Hannover bewährt.


    Die musikalische Leitung übernehmen stets GMD Wolfgang Bozic oder die Kapellmeister Lutz de Veer, Jahbom Koo oder Andreas Wolf. Nur für den Idomeneo hat man Martin Haselböck geholt. Ansonsten gehört ab der neuen Saison Robert Künzli zum Ensemble der Staatsoper und wird auch gleich als Dionysos (Bassariden), Luka Kuzmic (Totenhaus) und Florestan angekündigt. Ohnehin wird das Haus fast vollständig mit dem Ensemble bespielt.

    Die oben zitierte Textzeile aus dem ersten Akt ist meines Erachtens bezeichnend für das Werk und seine Interpretationen.


    Ich habe, ähnlich wie Rideamus, ein ambivalentes Verhältnis zu dieser Oper. Im Gegensatz zu eigentlich allen anderen Puccini-Opern, die ich problemlos mehrfach hintereinander hören kann, habe ich von der Butterfly meistens schnell genug. Das Werk steht auch nach meinem Geschmack in seiner Wirkung auf der Kippe zwischen Milchpunsch und Whisky, zwischen sentimentalem Rührstück und tief wirkendem Drama. Zumindest ist deshalb meines Erachtens eine Interpretation gefordert, die nicht nur in Melodien schwelgt, sondern auch der Dramatik und Drastik des Geschehens gerecht wird.


    Auf Tonträgern gibt es meines Erachtens ziemlich viel Milchpunsch: Interpretationen, die fast ausschließlich das Sentimentale herauskehren, das Puccinis Musik immanent ist. Das schmeckt natürlich anfangs noch süß und lecker, aber irgendwann reicht es dann auch. Indizien für Milchpunsch sind langsame Tempi, satter Streicherklang, vor allem auf schöne, bruchlose Tonproduktion bedachte Sänger. Andererseits gibt es aber auch Butterfly-Deutungen, die sich richtig tief einbrennen wie ein Whisky mit langem Abgang. Besonders schroff dirigiert sind beide Aufnahmen von Erich Leinsdorf, der wohl auch den Geschwindigkeitsrekord unter den modernen Aufnahmen hält und gerade im ersten Akt den Konversationscharakter betont. Vor allem sind es aber einige Soprane in der Rolle der Cio-Cio-San, die Madama Butterfly unvergesslich machen. Hier gehören für mich besonders Maria Callas und Renata Scotto zu den großen Interpretinnen der Rolle.


    Ich nenne mal vier meiner Favoriten:




    1954 – Gianandrea Gavazzeni – de los Angeles, Di Stefano, Gobbi, Canali


    Victoria de los Angeles hat eine, gemessen an der Rolle, eher kleine Stimme, produziert aber wunderschöne bittersüße Klänge, eine zerbrechliche, sanfte, sehr berührende Butterfly ohne hochdramatische Attitüde, aber mit schlichtem und sensiblem Ausdruck. Giuseppe Di Stefano war 1954 toll bei Stimme, singt aber vielleicht etwas oberflächlich; in der Rolle des Pinkerton wiegt das aber nicht sehr schwer. Konsul Sharpless wirkt bei Tito Gobbi zwar leicht neurotisch, aber bei ihm kann man sich sicher sein, dass diese Partie nicht, wie so oft, kaum beachtet vorbeiplätschert.


    Nahezu ideal ist meines Erachtens die Orchesterleitung von Gianandrea Gavazzeni, für mich ohnehin einer der großen italienischen Operndirigenten des 20. Jahrhunderts. Gavazzeni dirigiert hier relativ zügig (125 Minuten), ohne übermäßige Sentimentalitäten, besitzt aber auch genügend Einfühlungsvermögen, die dramatischen Höhepunkte herauszuarbeiten.


    Insgesamt eine sehr ausgeglichene klassische Einspielung, mit der man, wenn man Mono toleriert, nicht verkehrt liegt.





    1955 – Herbert von Karajan – Callas, Gedda, Borriello, Danieli


    Diese Aufnahme verdient schon wegen der Cio-Cio-San von Maria Callas Erwähnung. Callas hat diese Rolle nie auf der Bühne gesungen. Ihre Stimme versucht sie im ersten Akt möglichst kindlich scheinen zu lassen, steigert sich dann aber zu fast hysterischen Ausbrüchen im letzten Akt. Nicolai Gedda ist auf den ersten Blick vielleicht keine ideale Besetzung als Pinkerton und klingt in dieser Aufnahme eher 15-jährig als seine Cio-Cio-San. Sowohl seine Stimme wie seine Darstellung haben aber ihren Reiz. Gedda hat einige wirklich schöne Momente. Die Worte "Per novecento novantanove anni" wurden wohl von keinem anderen Tenor mit so viel Liebe behandelt. Mario Borriello ist ein guter, mitfühlender Sharpless, Lucia Danieli als Suzuki ziemlich unauffällig.


    Herbert von Karajan benötigt mit dem Scala-Orchester 14 Minuten länger als Gavazzeni, ist aber immer noch etwas schneller unterwegs als bei seiner Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern aus den 1970ern. Das Orchester klingt in dieser früheren Aufnahme auch nicht ganz so dominant.





    1962 – Erich Leinsdorf – L. Price, Tucker, Maero, Elias


    Diese Aufnahme ist relativ amerikanisch gefärbt. Leontyne Price beherrscht diese Rolle stimmlich perfekt, versucht auch, ähnlich wie Callas, künstlich ihre Stimme zu verkleinern, wirkt auf mich dabei aber nicht ganz so glaubwürdig. Trotzdem gefällt sie mir gut. Richard Tuckers Stil fand ich eigentlich immer – ich kann es nicht anders beschreiben – jovial. Das passt hier aber ausgezeichnet. Er klingt wirklich nach einem nicht mehr ganz jungen, ein wenig gönnerhaften amerikanischen Eindring. Philip Maero finde ich eher uninteressant als Sharpless, gut wiederum die Suzuki von Rosalind Elias.


    Der Star ist hier meines Erachtens Erich Leinsdorf, der nur fünf Jahre nach seiner (auch sehr guten) ersten Butterfly-Aufnahme für RCA mit den sehr lyrischen Protagonisten Anna Moffo und Cesare Valletti auch die zweite Stereo-Aufnahme des Konzerns betreuen durfte.




    1977 – Lorin Maazel – Scotto, Domingo, Wixell, Knight


    Cio-Cio-San ist hier Renata Scotto, gegenüber ihrer Aufnahme unter Barbirolli mit gereifter Stimme, aber auch mit nochmals gereifter Interpretation. Die Stimme ist alles andere als schön, aber Scotto hat einen unglaublich intensiven Ausdruck. Renata Scotto hat die Ansicht vertreten, Cio-Cio-San sei kein Kind sondern eine Frau. Ihre Madama Butterfly gewinnt mit jedem Akt an Profil. Placido Domingo ist ein sehr freundlicher Pinkerton mit angenehmer Stimme. Das vibratoreiche Organ von Ingvar Wixell hingegen ist ein wenig gewöhnungsbedürftig; als Sharpless ist er allerdings gerade im zweiten Akt sehr um die Gestaltung der Partie bemüht.


    Lorin Maazel trägt meines Erachtens nicht sehr viel zum Drama bei, macht aber auch nichts grundlegend verkehrt.




    Kleine Schlussbemerkung: Auf Pinkertons Frage an Sharpless "Milk-Punch o Wisky?" ist im Libretto höfliches Schweigen vorgesehen. Einige Sänger waren aber auch in den Studioaufnahmen nicht um eine Antwort verlegen. Insoweit ist die alte Aufnahme von Oliviero de Fabritiis besonders humorvoll, in der sich zwischen Beniamino Gigli und Mario Basiola eine richtige kleine Unterhaltung über dieses Thema entspinnt. Aber auch Tito Gobbi bei Gavazzeni, Mario Sereni bei Santini und Philip Maero in Leinsdorfs zweiter Aufnahme entscheiden sich vernehmlich im Sinne von "Whisky!". Das ist mit Blick auf den folgenden Text, demzufolge sich Sharpless von Pinkerton ein weiteres Glas Whisky einschenken lässt ("Un'altro bicchiere.") folgerichtig und meines Erachtens auch in anderer Hinsicht die richtige Wahl.

    In Hannover ist das Opernhaus ca. 10 Minuten von meiner Haustür entfernt; da kann man dann auch schon mal zu einer konzertanten Aufführung hingehen. Deswegen werde ich mir auch Catalanis La Wally ansehen, die im Juni konzertant in Hannover Premiere hat. Die "Fernwirkung" von derartigen konzertanten Aufführungen ist allerdings bei mir nicht besonders groß. Bei einer verlockenden szenischen Umsetzung mit interessanten Sängern fahre ich auch gerne einmal z.B. nach Hamburg oder Berlin. Wird dieselbe Oper konzertant gegeben, brauche ich eigentlich immer mehr als einen guten Grund, um eine längere Anreise auf mich zu nehmen.


    Die Gründe wurden eigentlich schon genannt: Ich besitze genügend CDs mit Operngesamtaufnahmen. Im Opernhaus lockt mich mindestens ebenso wie die musikalische Seite die optische Komponente. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil in den meisten kleineren (nord)deutschen Theatern, das sollte man bei allem Respekt vor den künstlerischen Leistungen eingestehen, nicht immer ganz erstklassig musiziert wird. Ich habe es schon häufig erlebt, dass der Gesamteindruck einer Vorstellung trotz nicht ganz gelungenen musikalischen Darbietungen durch eine gute Inszenierung relativiert wird. Es ist nach meinem Eindruck keineswegs der Regelfall, dass eine von diesen grottenschlechten Inszenierungen einen musikalisch tollen Opernabend sabotiert – es kann auch umgekehrt sein.


    Und mir ist auch die Umsetzung des Librettos wichtig, selbst dann, wenn die Qualität des Textbuchs nicht mit der Qualität der Partitur mithalten kann. Sänger sind keine reinen Instrumentalisten. Sie haben neben den Noten auch den Text umzusetzen. Das kann im Idealfall auch allein durch stimmliche Mittel gelingen, in aller Regel sehe ich aber die Möglichkeit zur Interaktion auf der Bühne als einen Gewinn und eine zusätzliche Chance zur Interpretation.


    Ich sehe konzertante Aufführungen daher eher wie Severina und Alviano: als eine Notlösung bzw. ein Kompromiss, über den man nicht so richtig glücklich sein kann. Wenn die Alternative lautet: gar keine Aufführung oder konzertant, dann ist mir konzertant natürlich lieber. Einer inszenierten Oper würde ich aber fast immer den Vorzug vor einer konzertanten geben.


    Wenn ich dann sehe, dass ein großes Haus wie die Hamburgische Staatsoper in der nächsten Saison nur drei Opern und eine Operette szenisch neu herausbringt, frage ich mich doch, ob man den Attila wirklich unbedingt konzertant machen muss. Ich zähle mich durchaus zum erweiterten Stammpublikum dieses Hauses. Mit einem konzertanten Attila kann man mich allerdings nicht von Hannover nach Hamburg locken.

    Lorin Maazels Tosca-Aufnahme hat einen relativ guten Ruf, was ich nicht so ganz nachvollziehen kann. Was das gravierendste Problem dieser Tosca ist, ist, dass das Kräfteverhältnis der Protagonisten nicht stimmt. Nilsson und Corelli sind, gemessen an den Rollen, absolute Schwergewichte, während Fischer-Dieskaus stimmliche Mittel am unteren Ende der Platten-Scarpias liegen. Nilsson und Corelli veranstalten ein Wettsingen, Fischer-Dieskau einen Liederabend.


    Man sollte daher bereits hinterfragen, ob die Vorschusslorbeeren für die "exzellent besetzten Hauptrollen" wirklich gerechtfertigt sind. Birgit Nilsson kann man in der Tat sängerisch wohl kaum etwas vorwerfen, allerdings ist sie mit ihrem stahlharten, wenig sinnlichen Sopran meines Erachtens als Objekt der Begierde nicht besonders glaubwürdig. Und von Franco Corellis Aufnahmen bin ich generell nicht besonders überzeugt. Auch sein Cavaradossi gefällt mir nicht. Corellis sportlicher Ansatz ohne Rücksicht auf Freund, Feind, Musik und Text, sein mangelndes Artikulationsvermögen - ich kann mich damit nicht anfreunden. Man muss schon sagen, dass er für seine Verhältnisse hier relativ viel dynamisch differenziert, auf mich wirkt das dennoch wenig raffiniert, eher holzhammermäßig: Schaut her, ich kann auch ein Diminuendo. Jetzt bitte Applaus!


    An Fischer-Dieskaus Ausflügen in die italienische Oper wurde oft Anstoß genommen. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die seine Aufnahmen in diesem Bereich generell ablehnen und finde wie Herbert auch, dass Fischer-Dieskaus Psycho-Scarpia seine Berechtigung hat. Aber dann bitte nicht in diesem Umfeld! Wenn Nilsson und besonders Corelli mal wieder Duett mit Duell verwechseln, hat Fischer-Dieskau keine Chance, mit seinem rein intellektuellen Ansatz gehört zu werden. Und auch das Te Deum sollte man schon zuendehören. Da muss er sich doch ziemlich gegen das Orchester stemmen. Auch sonst klingt mancher Ton mehr gebellt als gesungen. Fischer-Dieskau ist daher wohl letztlich wirklich nicht der ideale Scarpia.


    Von einer "Referenz-Aufnahme" erwarte ich ein homogeneres Gesamtpaket. Hier passt kaum etwas zusammen.

    Sehr lohnenswert auch das Torerolied aus Carmen – insbesondere Warrens Gesicht, als er bemerkt, dass er falsch eingesetzt hat. :jubel:


    Sorry Herbert, nobody is perfect. :D

    Ich möchte erinnern an einen hochinteressanten Sänger, den ich sehr gern höre und von dem ich hoffe, dass er noch nicht ganz so vergessen ist, wie ich befürchte: Giacinto Prandelli. Geboren wurde Prandelli am 08.02.1914 in der Lombardei und ist, soweit ich ermitteln konnte, noch am Leben. Der Tenor debütierte im Jahr 1942 als Rodolfo in Puccinis La Bohème, seine Karriere beendete er um das Jahr 1970.


    Die Stimme ist schön, aber wohl nicht ganz erstklassig, die Technik gut, wenn auch nicht außergewöhnlich – aber was für ein persönliches charaktervolles Singen!



    Prandelli verfügte über eine angenehm warme, weiche Stimme mit kaum Metall, sie scheint relativ weit hinten zu sitzen, zuweilen klingt er ein wenig kehlig. Der gesungene Text ist aber immer sehr gut verständlich. Von der Anlage war Prandelli eigentlich ein ein relativ dunkel gefärbter lyrischer Tenor und Rollen wie Don Ottavio, der Rigoletto-Duca oder Werther blieben stets in seinem Repertoire. Die Stimme wurde später etwas robuster, allerdings blieb Prandelli in Sachen Stimmkraft stets weit von dem etwa gleichaltrigen Mario del Monaco entfernt. Erst in seinen späteren Jahren fällt ein zunehmendes Vibrato auf, wovon insbesondere die Mittellage negativ betroffen war.


    Bei Prandelli kann man noch den Einfluss der Gesangsschule des traditionellen Belcanto erleben. Die mezza voce setzt er relativ oft ein. Auch oberhalb des Passaggio vermeidet er es, bei einigen Spitzentönen Druck auf die Stimme zu geben und greift stattdessen zur Beimischung von Kopfstimme. Auch seine in seinen Aufnahmen häufig zu beobachtende Fähigkeit, Schwelltöne zu bilden, erinnert an die alte Schule. Gerade seine Fähigkeit zur dynamischen Differenzierung macht Prandellis Aufnahmen aus meiner Sicht besonders reizvoll.


    Und, jawohl, Prandelli war ein expressiver Sänger, der, was bei einem Blick auf sein Geburtsdatum wenig verwundert, stilistisch vor allem vom Verismo beeinflusst wurde. Allerdings auch einer der nicht allzu häufigen Tenöre dieser Epoche, die bei ihrem Bemühen um Emotionen nicht ganz ihren Verstand ausschalten. Seine Aufnahmen von Verdis Traviata und Boitos Mefistofele zeigen, dass er auch auf Verismen verzichten konnte, wo sie nicht am Platz waren. Auch einzelne Arien aus Werken wie Lucia di Lammermoor, Manon und Werther sind sehr geschmackvoll gestaltet. Ich bewundere seine große Musikalität, stets scheint er mir zugleich engagiert, glaubwürdig und dabei ganz bestimmt nicht oberflächlich. Vielleicht so etwas, was man mit dem unergiebigen Begriff des „Charaktertenors“ bezeichnet.


    Prandelli war ein ungewöhnlich vielseitiger Tenor, der sich auch abseits der ausgetretenen Pfade bewegte. Er beschäftigte sich mit dem italienischen Gesang in Renaissance und Barock und auch die zeitgenössische Oper war eines seiner bevorzugten Betätigungsfelder. Er sang in vielen Uraufführungen der 1940er Jahre; die Werke von Komponisten wie Alfano, Nabokov oder Napoli sind heute allerdings größtenteils vergessen. Gerade in dieser Zeit war Prandelli ein ungemein gefragter Tenor. Auf ausdrücklichen Wunsch Arturo Toscaninis sang er 1946 bei der Wiedereröffnungsfeier der Mailänder Scala. In der italienischen Erstaufführung von Brittens Oper trat er als Peter Grimes auf. Die Aufführung war ein so großer Erfolg, dass Prandelli eingeladen wurde, die Rolle am Royal Opera House Covent Garden zu singen. Prandelli lehnte allerdings ab, da er seine Englischkenntnisse für nicht ausreichend hielt und die Rolle nicht phonetisch lernen wollte.



    Giacinto Prandellis Aufnahmen sind ein Spiegel seines vielfältigen Schaffens:


    Im Jahr 1953 hat Prandelli ein Album mit klavierbegleiteten altitalienischen Arien aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert aufgenommen. Unter anderem enthalten sind Arien von Komponisten wie Giovanni Legrenzi, Antonio Caldara oder Francesco Durante – alles Namen, die mir wenig bis überhaupt nichts sagen und wohl in den 1950er Jahren erst recht nur absoluten Insidern bekannt gewesen sein dürften. HIP-Spezialisten werden sicherlich beim Hören die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Prandelli singt diese Stücke wie große italienische Oper, allerdings ist es schon faszierend, welche Myriaden an Ausdrucksnuancen er für diese kleinen Arien findet. Preiser hat das Album unter dem Titel „Giacinto Prandelli II“ wieder aufgelegt.


    Auch in seltenen (damals) modernen Opern ist Prandelli konserviert. Sehr schön ist die Aufnahme der wirklich reizenden Menotti-Oper Amelia al Ballo, in der er die kleine Rolle des Liebabers singt (Sanzogno, 1954). Prandelli hatte schon in der Uraufführung dieser Oper in der italienischen Originalsprache gesungen. Mit Prandelli erhältlich (aber mir bislang nicht bekannt) ist auch die Oper La Fiamma von Ottorino Respighi. Angeblich soll es auch Aufnahmen mit ihm geben, die Bühnenwerken gewidmet sind, von denen ich noch nie gehört habe, zum Beispiel von einer Oper César Francks („Hulda“) oder von „La Guerra“ eines Renzo Rossellini.

    Allerdings ist es zum Glück nicht so, dass Prandelli lediglich ein sonderbarer Kuriositätensammler war. Er hat auch einige Gesamtaufnahmen des (erweiterten) Standardrepertoires hinterlassen:


    Vielleicht am bekanntesten ist seine Aufnahme des Rodolfo in Puccinis La Bohème an der Seite von Renata Tebaldi (Erede, 1951). Andere Tenöre mögen die glanzvollere Stimme haben, aber man höre, wie Prandelli diese Rolle beseelt. Gerade im so oft abgenudelten Schluss des ersten Akts setzt Prandelli starke Akzente, insbesondere bei dem Geplänkel zwischen Mimì und Rodolfo, das den beiden Arien vorausgeht. Die musikalische Phantasie, mit der Prandelli jeder einzelnen Phrase eine neue Abstufung gibt, ist einmalig unter den mir bekannten Aufnahmen.


    Nicht genug Lob kann man auch seinem Faust in Arrigo Boitos Mefistofele zollen (Gui, 1955). Die sängerische Qualität ist bei Prandelli erneut außerordentlich hoch. Schon allein die Szene im Studierzimmer kann man kaum besser gestalten: Neugier, Unsicherheit – alles ist bei Prandelli da. Auch besitzt er genug Kraft für den anspruchsvollen Epilog der Oper. Würde man mich vor die Wahl stellen, wäre dies die Prandelli-Aufnahme meiner Wahl. Bei dieser Einspielung fehlt allerdings der vierte Akt der Oper.


    Und dann gibt es immer wieder Verismo. Zum Beispiel wäre da sein Luigi neben dem Michele von Tito Gobbi in Puccinis Tabarro (Bellezza, 1955) oder die Radioaufnahme von Adriana Lecouvreur mit Carla Gavazzi (Simonetto, 1951). Der Komponist Francesco Cilea selbst hatte Prandelli als den besten Maurizio bezeichnet. Die Gesamtaufnahme lässt dieses Urteil zumindest als nachvollziehbar erscheinen. Erhältlich ist auch noch eine Aufnahme von La Wally mit Renata Tebaldi (Basile, 1960). Prandelli scheint mir nicht gerade in Bestform zu sein, kann es allerdings immer noch besser als der abgesungene Mario del Monaco in Tebaldis Decca-Aufnahme.


    Wer sich zunächst einen Überblick verschaffen möchte, dem sei die in der Reihe „Lebendige Vergangenheit“ erschienene Ariensammlung empfohlen, die Prandellis Oeuvre mit Auszügen aus Werken wie Don Pasquale und Werther über Resurrezione (Franco Alfano) bis hin zum Lohengrin abbildet. Diese Arien belegen insbesondere seine bemerkenswerten Diminuendi und die Kunst der voix mixte.




    Die Staatsoper in Hamburg hat vor einigen Tagen ihren Spielplan für die Saison 2008/2009 veröffentlicht.


    Nunja, das sind die Musiktheater-Premieren im Großen Haus:


    19.10.2008
    Richard Wagner: DIE WALKÜRE
    Inszenierung: Claus Guth


    18.01.2009
    Franz Lehár: DIE LUSTIGE WITWE
    Inszenierung: Harry Kupfer


    19.04.2009
    Benjamin Britten: DEATH IN VENICE
    Inszenierung: Ramin Gray


    24.05.2009
    Christoph Willibald Gluck: IPHIGÉNIE EN TAURIDE
    Inszenierung: Philippe Calvario


    31.05.2009
    Giuseppe Verdi: ATTILA
    Konzertante Aufführung


    Daneben noch Ballett sowie zwei Projekte der Opera stabile.

    Ehrlich gesagt, liebe Elisabeth, bin ich hier nicht so ganz Deiner Meinung.


    Auch an Karajans goldenem Jubeltag würde ich selbst eingefleischten Bewunderern des Dirigenten von dieser Aufnahme abraten. Mit einiger Sicherheit ist das der langsamste erhältliche Maskenball und meines Erachtens auch einer der schwächsten. Karajan versteinert dieses lebhafte Werk, das, wie ich finde, unbedingt einen dramatischen Zugriff des Dirigenten erfordert. Die Oper hat trotz des tragischen Endes eine heitere Grundstimmung. Bei Karajan wirkt die farbenreiche Partitur trist und starr. Man tut gut daran, Karajans Leistung mit seiner Krankheit zu entschuldigen.


    Insgesamt unterdurchschnittlich auch die Sänger: Ganz schlimm leider Josephine Barstow als Amelia. Diese Rolle scheint relativ schwer zu besetzen zu sein; in den Studioaufnahmen gibt es nicht viele Sängerinnen, die der Rolle voll gerecht geworden sind. Bei Barstow fällt es mir schwer, nicht von einer Fehlbesetzung zu sprechen. Mit kaum mehr vorhandener Stimme und üblem Tremolo quält sie sich durch die Partie. Mit der Tonproduktion von Leo Nucci kann ich mich generell nicht besonders anfreunden. Placido Domingo kämpft da auf verlorenem Posten. Seine Leistung ist sicherlich hörenswert, wenn er auch in seinen beiden früheren Aufnahmen (Muti und Abbado) jünger und frischer war. Sumi Jo als Oscar ist auch noch ganz gut, die beiden kurzen Bravour-Solostellen verlieren aber leider unter Karajans bleierner Hand erheblich an Wirkung.


    Da fallen mir einige bessere Aufnahmen dieser Oper ein. :O


    Weitere (vermittelnde) Meinungen? :D

    Interessant! Philippe Auguin und Peter Rose scheinen derzeit eine gemeinsame Deutschlandtournee zu unternehmen.


    Nur einen Tag vorher (Ostersamstag) habe ich beide in Hamburg im Don Carlos (Inszenierung Konwitschny) gesehen. Respekt für Herrn Rose, dass er nur einen Tag nach einem guten König Philippe als Ochs auftritt und sich diesmal noch dazu gegenüber dem Großinquisitor behaupten kann.


    Lieber Waldi,


    gerade habe ich die Aufnahme nochmals in Auszügen gehört und stimme dir insoweit zu, dass das keine perfekte, wahrscheinlich objektiv betrachtet nicht einmal eine besonders gute Aufnahme des Trovatore ist. Aber sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie um 1950 und wahrscheinlich auch früher Oper in Italien verstanden wurde.


    Lauri-Volpi war zum Zeitpunkt der Aufnahme ganz sicher über seinen Zenit hinaus. Seine große Szene im dritten Akt ("Ah, sì ben mio" mit der Stretta) ist gerade mit Blick auf die Ziernoten ziemlich dürftig gestaltet. Sein "All'armi" ist wiederum derart laut, dass den im Tonstudio Anwesenden die Ohren weggeflogen sein dürften. Für einen 59-Jährigen mehr als beeindruckend! Ich sehe diese Aufnahme vor allem als eine Reminiszenz an einen der ganz großen Tenöre des 20. Jahrhunderts.


    Caterina Mancini erinnert mich immer ein wenig an Maria Caniglia, von der (außer von mir :P) bei Tamino auch nicht sehr viel Positives zu lesen war. Beide waren gut geerdete Spinto-Soprane, wie man sie heute kaum mehr auf der Bühne findet. Die Spitzentöne werden nicht immer erreicht, aber verdammt noch mal: Diese Weiber hatten Feuer! Und gerade bei diesem Trovatore heizen Mancini und Lauri-Volpi ordentlich ein. Carlo Tagliabue klingt allerdings auch mir etwas zu rau und wenig aristokratisch.


    Generell mag ich diese RAI-Aufnahmen aus den 1950er Jahren, weil sie zeigen, was Oper damals in Italien war: keine überhöhte Kunstform sondern eine Herzensangelegenheit. Die Sänger sind in diesen Aufnahmen fast immer ausschließlich Italiener. Alles wirkt natürlich, und beim Radio hatte man auch nicht den Anspruch, eine Aufnahme für die Ewigkeit zu produzieren, so dass man kleinere (oder manchmal auch größere) Fehlleistungen nicht korrigiert hat. Die Tonqualität ist fast immer suboptimal, trägt allerdings auch zu dem etwas schäbigen Charme dieser Einspielungen bei. Ich verstehe diese Aufnahmen daher eher wie Livemitschnitte als Gelegenheit zum Kennenlernen vergessener Stimmen und wichtige Beiträge zur Rezeptionsgeschichte.


    :hello: nach Wien!

    Über Bidu Sayao zu schreiben ist mir mehr als eine Ehrenpflicht, denn ich finde an der Stimme durchaus Gefallen! Ich gehöre ich zu denjenigen, die Sayao schon einmal als Soubrette einsortiert haben, was ihr sicher nicht ganz gerecht wird. Im Vergleich zu der piepsigen Lily Pons, die ebenfalls in den 1940er Jahren oft an der MET sang, hatte Sayaos Stimme sicher das größere Volumen. Die Stimme ist klar und leicht, aber dennoch eher feminin als mädchenhaft. Ihre gute Geläufigkeit verrät die Schulung am klassischen Belcanto des 19. Jahrhunderts. Was ihr den Status eines Publikumslieblings an der MET eintrug, war ihre große Persönlichkeit, und anders als bei Lily Pons, der ich nicht viel abgewinnen kann, hört man bei Sayao diese Persönlichkeit auch in ihren Aufnahmen.


    Sayao stammte aus sehr großbürgerlichen Verhältnissen, was wohl Anfang des 20. Jahrhunderts in Brasilien Voraussetzung war, um für die Oper begeistert zu werden. Verheiratet war sie mit Giuseppe Danise, der als Bariton ebenfalls eine internationale Karriere hatte.


    Bidu Sayaos große Zeit an der MET dauerte von 1937 bis 1952 – eine für Tonaufnahmen leider eher ungünstige Zeit. Daher ist sie vor allem durch einige Livemitschnitte erhalten. Bei Sayao kommt noch dazu, dass sie eine erklärte Abneigung gegen Tonstudios hatte, weil sie fürchtete, Spontaneität und Individualität könnten verloren gehen.


    Eine einzige Studiogesamtaufnahme hat sie dennoch gemacht: La Bohème für Columbia. Mimì war die Rolle, die sie am häufigsten von allen auf der Bühne der MET verkörpert hat. Sayao betont das Flatterhafte, Leichtlebige der Figur. Der noch junge Richard Tucker setzt als Rodolfo auf viel Grandezza; mir gefällt er hier besser als in seiner späteren Aufnahme unter Leinsdorf. Leider wird das Ganze von Giuseppe Antonicelli sehr ledern und lustlos herunterdirigiert.


    Ansonsten hatte Sayao die Ehre, in einigen der ganz großen Sternstunden von Jussi Björling neben diesem auf der Bühne der MET zu stehen, besonders großartig ist in der Tat die von Emil Cooper geleitete Aufführung von Gounods Romeo et Juliette vom 01.02.1947. Von Björling gibt es einen derart überirdischen Romeo, dass man es Sayao wirklich nicht negativ anrechnen kann, dass ihre Juliette etwas dahinter zurück bleibt. Der von Herbert gezeigte Rigoletto (1945) ist ebenfalls annähernd perfekt.


    In der Weihnachtsvorstellung 1949 sang Sayao die Adina in Donizettis L’elisir d’amore mit viel neckisch-kokettem Charme. Ferruccio Tagliavini gefällt als Nemorino, auch wenn er einige nicht notierte hohe Töne zusätzlich einlegt; zu diesem Zeitpunkt hatte er sie noch. Der Wermutstropfen dieser Aufführung ist der Dulcamara der einstigen Buffo-Größe Salvatore Baccaloni, der nur noch als sein eigener vokaler Konkursverwalter auftritt. Es dirigiert wiederum Giuseppe Antonicelli.


    Denjenigen Mitgliedern aus unserem Kreise, die Bellinis Sonnambula ebenso mögen wie ich, kann ich Sayaos (Studio-)Aufnahme des "Ah, non credea mirarti" (1945) empfehlen, das sie mit lieblichem, jugendlichem Ton singt. Es gibt auch schöne Einzelaufnahmen aus Massenets Manon, die Sayao schrittweise 1941, 1945 und 1947 eingespielt hat.

    GIAN CARLO MENOTTI


    AMELIA AL BALLO




    Komische Oper in einem Aufzug


    Libretto: Gian Carlo Menotti



    Uraufführung: 01.04.1937, Philadelphia (in englischer Sprache)



    Personen der Handlung:


    Amelia (Sopran)
    Ihr Ehemann (Bariton)
    Ihr Liebhaber (Tenor)
    Ihre Freundin (Alt)
    Der Kommissar (Bass)
    Erste Zofe (Mezzosopran)
    Zweite Zofe (Mezzosopran)



    Der Titel ist offensichtlich beeinflusst von Giuseppe Verdis Oper "Un Ballo in Maschera", deren weibliche Hauptfigur ebenfalls Amelia heißt.



    HANDLUNG


    Amelia brennt darauf, auf einen Ball zu gehen und lässt sich gerade von ihren beiden Zofen ein Korsett anlegen. Ihre Freundin mahnt sie zur Eile. Amelias (namenloser) Ehemann soll sie zum Ball begleiten. Doch als der eintrifft, konfrontiert er Amelia damit, dass der Ball für sie ausfalle; er hat einen an Amelia adressierten, ziemlich schwülstigen Liebesbrief eines gewissen "Bubi" gefunden. Seine Frage ist klar: "Wer ist Bubi?" Amelia streitet zuerst alles ab, bis ihr einfällt, dass sie so den Besuch des Balles gefährdet. "Er wohnt direkt über uns.", meint sie trocken. "Was? Der Typ mit dem Schnurrbart?" Der Ehemann ist jetzt erst recht richtig sauer, schnappt sich seine Pistole und geht ab.


    Amelia rennt auf den Balkon, um ihren Liebhaber zu warnen. Sie rät ihm, sich abzuseilen und durch ihre Wohnung zu verschwinden. Der Liebhaber klettert zwar am Seil herunter, will aber nicht fliehen. Mit diesem aufgeblasenen Ehemann werde er schon fertig. Doch als er erfährt, dass der Ehemann eine Pistole dabei hat, ändert er plötzlich seine Meinung. Aber zur Flucht ist es jetzt schon zu spät. Der Liebhaber verkriecht sich im Zimmer. Da kommt schon der Ehemann unverrichteter Dinge zurück. Amelia will gleich weiter zum Ball, doch der Ehemann entdeckt das Seil, durchschaut das Geschehen und findet schließlich den zitternden Liebhaber in einer Ecke. Er zieht die Pistole und drückt ab.


    Doch es macht nur Klick. Die Pistole funktioniert nicht. Dumm gelaufen. "Jetzt bin ich dran.", meint der Liebhaber krempelt die Ärmel hoch und geht seinerseits auf den Ehemann los. In die Ecke gedrängt, will der nun plötzlich über die Sache reden. Und während Amelia im Hintergrund zetert, dass der Ball gleich losgehe, diskutieren die beiden Männer die Angelegenheit erst einmal in Ruhe aus. Der Liebhaber berichtet – ganz der italienische Tenor - in blumigen Worten darüber, wie er Amelia das erste Mal begegnet sei. Der Ehemann ist angesichts dieses unpassenden Gefühlsausbruchs mehr als befremdet. Amelia schäumt vor sich hin, weil sich keiner von beiden für sie und den Ball interessiert. Langsam wird die Zeit knapp.


    Irgendwann hat Amelia genug und beschließt, die Sache zu beschleunigen: Sie zerschlägt eine Vase auf dem Kopf ihres Ehemanns, so dass der ohnmächtig zusammenbricht. Dann schreit sie so laut um Hilfe, bis ein Polizeikommissar herbeigelaufen kommt: "Eine Frau, ein Mann, eine Leiche – alles klar!" Der Kommissar lässt sich nur schwer davon überzeugen, dass der Ehemann in Wirklichkeit noch atmet. Amelia behauptet nun, der Liebhaber sei zum Fenster herein und habe den Ehemann überfallen. Der Liebhaber fängt darauf hin sofort wieder an, bei Amelia Süßholz zu raspeln. "Aha, das ist ja ein ganz Cleverer!", meint der Kommissar und lässt den heftig protestierenden Liebhaber sofort verhaften.


    Doch wer begleitet nun Amelia zum Ball? Der Kommissar bietet an, als Kavalier einzuspringen. Amelia willigt ein und beide verlassen das Zimmer. Ein Chor besingt die Moral der Geschichte: Wenn sich eine Frau in den Kopf gesetzt hat, auf einen Ball zu gehen, sollte man besser nicht versuchen, sie daran zu hindern.

    Giuseppe di Stefano war einer der Sänger, die mein Interesse an Opern auf Schallplatten begründet haben - sozusagen die erste Liebe. Obwohl längst nicht perfekt, hatte di Stefano, wenn er in Hochform war, eine besondere Fähigkeit, mich mit seinem Gesang zu fesseln, wie es nicht vielen anderen Sängern gelungen ist.


    Die frühen Aufnahmen Giuseppe di Stefanos aus den ersten 10 Jahren seiner Karriere, etwa von 1944 bis 1954, gehören bis heute zu dem Besten, was ich an Tenorgesang kenne. Von der Schönheit der Stimme wird Giuseppe di Stefano zu seiner Glanzzeit von kaum einem Tenor seines Jahrhunderts erreicht. Eine leichte, jugendliche Stimme, die di Stefano aber überaus männlich strahlen lassen konnte. Hier paaren sich noch Sicherheit bei den hohen Tönen, die er später einbüßte, und ein wahrlich betörendes Timbre, vor allem in der Mittellage, das er später auch verlor.


    Was mich an seinen Aufnahmen schon immer besonders fasziniert hat, ist die ungekünstelte Leidenschaft dieses Sängers, die ich gerade in den Liveaufnahmen als absolut echt und aufrichtig empfinde. Man hört, dass der Interpret keine Gnade kennt mit sich selbst, selbst wenn er am Anschlag auf Kosten der Substanz singt. Den Bühnenmensch di Stefano zeigen zum Beispiel Livemitschnitte als Calaf oder Alvaro, die unglaublich spannende Dokumente sind. Auch wenn man hört, dass di Stefano diesen Rollen stimmlich nicht ganz gewachsen ist, sind das elektrisierende Interpretationen. Gelegentlich gingen ihm bei seinen Aufnahmen die Pferde durch – was macht das schon. Auch nach seinem Tod sind Giuseppe di Stefanos Rollenportraits lebendiger als die vieler anderer Kollegen.


    Auch für mich einer der Größten.

    Die Rolle der Sonnambula gehörte den leichten Sopranen – bis Maria Callas kam und der Amina eine dramatische Gestalt gab. An Callas kommt man daher in dieser Rolle wohl nicht vorbei.


    Die Liveaufnahme aus der Scala unter Bernstein ist sicher eine der spannendsten und am besten besetzten dieser Oper. Callas ist großartig, virtuos und auch Cesare Valletti, der mir sonst eher für noble Zurückhaltung bekannt ist, lässt sich mitreißen. Die Leidenschaft, mit der es im Finale des ersten Aktes zur Sache geht, ist wirklich bemerkenswert. Ob diese gewisse "Fetzigkeit" allerdings tatsächlich dem Bellini-Ideal entspricht, bleibt Ansichtssache.


    Callas’ Studioaufnahme aus dem Jahr 1957 hat da einen ganz anderen Charakter. Callas ist stilistisch etwas gereifter, singt aber etwas zurückgenommener und klingt dadurch mädchenhafter. Technisch ist das aber immer noch ausgezeichnet. Der Sänger des Elvino, Nicola Monti, war ein respektabler tenore di grazia mit schöner Stimme, als Künstler aber nicht sehr inspiriert. Antonino Votto leitet das Scala-Orchester routiniert, langweilt aber leider mit allzu peniblem Musizieren.


    Fast identisch besetzt ist ein Livemitschnitt desselben Jahres aus dem Kölner Opernhaus. Das Kölner Publikum ist begeistert und klatscht an den unmöglichsten Stellen. Ich finde dennoch, dass der Mitschnitt etwas hinter dem Scala-Mitschnitt und der Studioaufnahme zurückbleibt.


    Bleiben noch die Aufnahmen ohne Maria Callas. Ich sehe, dass ich hier insgesamt mit Harald auf einer Linie liege:


    Ganz besonders mag ich die älteste Aufnahme der Oper: Franco Capuana mit dem Turiner RAI-Orchester (1952). Warum, ist schwer zu beschreiben. Anders als bei Bellinis Norma fehlen der Sonnambula die scharfen dramatischen Zuspitzungen. Die Sonnambula ist aber auch kein oberflächliches Virtuosenstück sondern eher eine romantische von leichter Melancholie durchzogene Pastorale. In Capuanas Aufnahme passen alle Sänger gut zueinander und interpretieren das Werk mit einer schlichten Ernsthaftigkeit, die einfach die Atmosphäre dieser Oper besonders gut trifft. Lina Pagliughi ist dementsprechend als Amina keine kalte Koloraturenschleuder sondern ein naives verträumtes Bauernmädchen. Ferruccio Tagliavini setzt seine schöne Kopfstimme relativ oft, vielleicht zu oft, ein; einige Spitzentöne klingen nach meinem Empfinden auch etwas zu sehr "gehupt". Sein "Prendi, l’anel ti dono" ist aber einer der ganz großen magischen Momente aus meiner Opernsammlung: absolut aufrichtig gesungen – das ist das, was ich mit dem Begriff des Belcanto verbinde. Von Banalität keine Spur! Erwähnt werden muss bei dieser Aufnahme auch der Conte Rodolfo von Cesare Siepi: eine luxuriöse Besetzung. Insgesamt ist das eine sehr schöne poetische Darbietung und wohl die Aufnahme der Sonnambula, die ich am häufigsten gehört habe. Eine Aufnahme die dem Threadtitel, "der hohen Kunst der Einfachheit" voll gerecht wird.


    Unter den neueren Aufnahmen finde ich auch die von Naxos unter Albeto Zedda besonders gut gelungen. Luba Orgonasova hat auch den leichten innigen mädchenhaften Ton, der vielleicht ein wenig an Lina Pagliughi erinnert. Auch Raúl Giménez ist ein ausgezeichneter, an Rossini geschulter Belcanto-Tenor. Den Sutherland-Aufnahmen ist diese meines Erachtens überlegen. Es handelt sich allerdings auch um eine (konzertante) Liveaufnahme.


    Dann gibt es noch einige schöne Einzelszenen mit Tito Schipa, der einer der besten Elvinos des 20. Jahrhunderts gewesen sein muss, z.B. das Duett "Son geloso del zefiro errante" mit Amelita Galli-Curci.

    Ich würde auch keinen Augenblick zögern, den Holländer von Franz Konwitschny zu empfehlen. Der Dirigent ist ausgezeichnet und die Besetzung der Männerstimmen liest sich wie ein who-is-who der berühmtesten deutschen Nachkriegssänger: Fischer-Dieskau, Frick, Schock und Wunderlich in einer Aufnahme – wo gibt es das sonst noch? Dass der Holländer von Fischer-Dieskau polarisiert, ist wenig überraschend. Allein dass er ein atypischer Holländer ist, ist kein Argument; das sind zum Beispiel Theo Adam, Franz Crass oder Josef Metternich auch. Auf der Bühne hätte Fischer-Dieskau die Partie wohl kaum singen können, aber in der Studioaufnahme klingt er unforciert und hat auch sonst mit der Partie keine großen Probleme. Ich finde die Besetzung daher eigentlich nicht verfehlt. Auch Marianne Schech ist wirklich nicht schlecht. Ihre Stimme ist nicht sehr sinnlich sondern hart und metallisch; ich meine aber auch, dass ihre Senta eine grundsolide Leistung ist. Die meisten anderen Holländer-Aufnahmen, die ich kenne, haben in mindestens einer Partie größere Probleme.


    An George Londons Holländer kommt man wohl kaum vorbei. Gut anhören kann ich mir den Mitschnitt aus Bayreuth 1956 (Keilberth), die Sawallisch-Aufnahme (1959) kenne ich leider noch nicht. Bei Antal Doratis Studioeinspielung ist London zum Glück noch gut bei Stimme. Auch die übrige Besetzung ist durchgängig gut. Das gilt insbesondere für Leonie Rysanek, aber auch für Giorgio Tozzi, der als Daland beweist, dass italienische Gesangskultur auch Wagners Opern zugute kommen kann. Das einzige, was man der Aufnahme vielleicht vorwerfen kann, ist, dass sie ein wenig zu sorgfältig dirigiert ist und so etwas an Spannung einbüßt.


    Karl Böhms Liveaufnahme aus Bayreuth gefällt mir auch recht gut, bleibt aber insgesamt etwas hinter Konwitschny und Dorati zurück. Auf der Haben-Seite: Das explosive, spannende Dirigat von Karl Böhm. Auch Thomas Stewart ist sehr eindrucksvoll und sicher vokal einer der besten Holländer nach George London. Sängerisch geht es in der Aufnahme aber insgesamt eher grob zur Sache, was vielleicht auch ein wenig der Tatsache geschuldet ist, dass es sich um eine Liveaufnahme handelt. Auch bei den Chören muss man mit kleineren Ungenauigkeiten leben, da wackelt es mehr als einmal.


    Mit Otto Klemperers Aufnahme konnte ich hingegen bislang nicht so recht Freundschaft schließen. Klemperers Tempi gefallen mir nicht. Diese Aufnahme ist nicht nur langsam sondern auch ziemlich unspannend. Im Orchester höre ich weniger Gewitter und Sturm als weihevolle Andacht. Dieser Holländer fliegt nicht, sondern dümpelt in der Flaute vor sich hin. Bei Theo Adams Stimme glaube ich allerdings sofort, dass ihr Besitzer gerade sieben Jahre lang bei feuchtkaltem Wetter draußen gewesen ist. Fairerweise sei gesagt, dass er nichtsdestotrotz ein intensiver Darsteller und nicht mit der Rolle überfordert ist. An Anja Silja, Martti Talvela und Ernst Kozub habe ich nichts auszusetzen. Trotzdem gibt es da meines Erachtens insgesamt einige bessere Aufnahmen.

    Die Pagliacci interessieren mich auch. Interessant wäre der Vergleich mit dem Mitschnitt vom 01.02.1941, in der auch Martinelli und Tibbett singen.


    Zitat

    Original von Harald Kral
    Vielleicht sollten wir im Opernsänger-Forum eine spezielle Rubrik einrichte, in der er und seine vielen Kollegen gewürdigt werden, die in kleineren Rollen nie die Chance hatten, ganz große Stars zu werden, aber auf die kein Opernhaus der Welt verzichten kann!


    Das habe ich schon mal versucht:


    "Mein Applaus gehört mir!" – Eine Streitschrift für die Emanzipation der Nebendarsteller.


    Fand allerdings nicht in allen Einzelheiten Gefallen. :baby:

    Hallo Waldi,


    Paolo Silveri ist ein Sänger, dessen Aufnahmen ich gesammelt habe. Eine fabelhafte Stimme, die auch mit schwierigen Partien keine Probleme hatte. Ich finde lediglich, dass er anders als zum Beispiel seine Zeitgenossen Gobbi und Taddei kein sehr individuelles Timbre hatte.


    Den Giorgio Germont hat er auf Platte gesungen, und zwar in der schon von Harald gezeigten Aufnahme aus dem Jahr 1946 unter Vincenzo Bellezza. Er macht seine Sache nach meiner Erinnerung recht gut - ein schön und sensibel gesungener Vater Germont. In der Aufnahme singt Luigi Infantino allerdings einen wirklich ausgezeichneten Alfredo.


    Den Boccanegra aus dem Jahr 1951 habe ich mir erst vor einigen Monaten zugelegt. Silveri beherrscht die Rolle, aber im Vergleich zu Tito Gobbi zum Beispiel gestaltet er etwas weniger. Auch hier ist das Ereignis der Aufnahme aber der Tenor: Carlo Bergonzi singt den Gabriele Adorno. Er war damals erst 27 Jahre alt und hatte gerade vom Bariton zum Tenor umgeschult. In der berühmten Ratsszene ist Bergonzi sehr gut.


    Ich habe von Paolo Silveri noch Studioaufnahmen von seinem Nabucco (ebenfalls 1951 anlässlich des Verdi-Jubiläums entstanden), seinen Posa unter Previtali (auch 1951), einen eher mäßigen Scarpia unter Molinari-Pradelli (1952), seinen Barnaba neben der Gioconda von Maria Callas (1952) und eine Aufnahme, die mir sehr am Herzen liegt und die ich immer wärmstens weiter empfehle:
    Francesco Cileas Oper L'arlesiana unter Arturo Basile mit Ferruccio Tagliavini und Pia Tassinari. Das ist wirklich eine schöne Oper, von der man heute leider nur noch die berühmte Tenorarie (È la solita storia) kennt. Da gibt es aber noch viel mehr zu entdecken. Paolo Silveri übertrifft als Schäfer Baldassarre alle mir bekannten Nachfolger bei weitem.


    Es gibt auch noch eine Liveaufnahme des Falstaff unter Victor de Sabata, in der Silveri den Ford singt. Auch die übrige Besetzung ist sehr erlesen: Mariano Stabile als Falstaff, Renata Tebaldi als Alice, Cesare Valletti als Fenton, Cloe Elmo als Quickly... Schlecht ist leider nur die Tonqualität.

    Lange Zeit waren sie vergriffen, jetzt sind sie erstmals auf DVD herausgekommen: die beiden klassischen filmischen Umsetzungen der Scala-Inszenierungen von Cavalleria Rusticana und den Pagliacci. Herbert von Karajan dirigiert das Orchester der Mailänder Scala.




    MASCAGNI: CAVALLERIA RUSTICANA
    Santuzza: Fiorenza Cossotto
    Turiddu: Gianfranco Cecchele
    Lola: Adriana Martino
    Alfio: Giangiacomo Guelfi
    Mamma Lucia: Anna di Stasio


    Inszenierung: Giorgio Strehler
    Filmregie: Åke Falck



    LEONCAVALLO: PAGLIACCI
    Canio: Jon Vickers
    Nedda: Raina Kabaivanska
    Tonio: Peter Glossop
    Silvio: Rolando Panerai
    Beppe: Sergio Lorenzi


    Inszenierung: Paul Hager
    Filmregie: Herbert von Karajan




    Im Jahr 1965 machte Herbert von Karajan für die Deutsche Grammophon zwei Gesamtaufnahmen an der Mailänder Scala: Pietro Mascagnis Cavalleria Rusticana und Ruggero Leoncavallos Pagliacci, beide mit dem großartigen Carlo Bergonzi in den tenoralen Hauptrollen. Drei Jahre später entstanden diese nun wieder veröffentlichten Verfilmungen der beiden Verismo-Klassiker. Karajan griff dabei erneut auf Chor und Orchester der Mailänder Scala zurück. Gegenüber den Plattenaufnahmen hat Karajan allerdings bei den Filmen einige Umbesetzungen vorgenommen: Bergonzi wurde ersetzt, als Turiddu durch Gianfranco Cecchele und als Canio durch Jon Vickers. Raina Kabaivanska übernahm anstelle von Joan Carlyle die Nedda und Peter Glossop, ein Bariton, der sich zu einem Favoriten Karajans entwickeln sollte, den Tonio. Kernstück der Verfilmungen sind die Inszenierungen von Giorgio Strehler und Paul Hager an der Scala, die für diese Produktion in einem trockengelegten Eislaufstadion aufgebaut und abgefilmt wurden. Daher handelt es sich zwar um Filme (leider mit Playback), die aber dennoch relativ eng an einer Bühnenaufführung orientiert sind.



    Insbesondere die Verfilmung der Cavalleria Rusticana hat einen fast schon legendären Ruf. Der schwedische Filmregisseur Åke Falck unterlegt das Preludio, die Siciliana und den Eingangschor sowie später das Intermezzo mit Landschaftsbildern aus Sizilien, die für sich genommen sehr stimmungsvoll und ästhetisch sind, aber letztlich nicht ganz harmonisch mit der Inszenierung von Giorgio Strehler verbunden werden. Falck zeigt uns den blauen Himmel über Sizilien, das glitzernde Meer, alte Kirchen, sonnenverbrannte Hügel, vom Wind bewegte Obstbäume, in satten Farben blühende Frühlingsblumen. So wirkt das ganze wie ein wunderschönes Urlaubs-Fotoalbum, untermalt von der Musik Mascagnis, sozusagen wie ein kleiner Vorfilm, bevor die Oper beginnt.


    Aber auch bei dem Kerngeschehen auf dem österlichen Marktplatz ist Falcks Filmregie sehr detailverliebt. Es überwiegen Großaufnahmen von den Sängern, mitunter so nah, dass man deren Zahngold erkennen kann. Durch diese Close-ups wird der unselige Playback-Effekt, der mir so viele Opernfilme verleidet, leider noch verstärkt. Gerade Fiorenza Cossotto hat damit einige Probleme. Gerne hätte ich Giorgio Strehlers Inszenierung auch wenigstens einmal aus der Totale gesehen.


    Die Akteure spielen ihre Rollen gut. Fiorenza Cossotto gibt der Santuzza mit variablem Gesichtsausdruck als verletzte und gekränkte Frau Profil, bleibt aber doch etwas zu sehr traditionellen Operngesten verhaftet. Gianfranco Ceccheles Turiddu gefällt als leichtfertiger Lebemann mit nur gelegentlichen Gewissensbissen. Adriana Martino ist eine offenherzige Lola. Allein Mamma Lucia (Anna di Stasio) wirkt vielleicht etwas sehr streng und verhärmt.


    Was die musikalische Qualität angeht, ist diese Produktion über jeden Zweifel erhaben. Herbert von Karajan dirigiert das Scala-Orchester insgesamt etwas zügiger als in seiner drei Jahre älteren Schallplattenproduktion. Fiorenza Cossotto wiederholt ihre ausgezeichnete Leistung, singt hier vielleicht noch etwas emotionaler. Cecchele gefällt mir stimmlich als Turiddu nicht viel schlechter als Carlo Bergonzi und sieht noch dazu – der hochgeschätzte Bergonzi möge mir das verzeihen – auch einfach etwas schnittiger aus. Giangiacomo Guelfi besitzt sowohl stimmlich wie optisch die notwendige Bulligkeit für den Alfio.



    Im Vergleich zur Cavalleria orientiert sich die Verfilmung der Pagliacci insgesamt noch etwas enger an der Scala-Inszenierung Paul Hagers. Bei der filmischen Umsetzung legte Herbert von Karajan als Regisseur höchstpersönlich Hand an. Auch wenn Falck mit seiner Cavalleria einen echten Klassiker des Genres geschaffen hat, muss ich doch feststellen, dass mir die konventionellere Filmregie des Amateurs Karajan bei den Pagliacci mindestens genauso gut gefällt.


    Hagers Inszenierung ist traditionell; das Bühnenbild zeigt den dichtgestellten Marktplatz einer italienischen Kleinstadt. Bei der Verfilmung wurde mit häufigen Perspektivwechseln gearbeitet, ohne dass aber der Blick für das große Ganze verloren geht. Dass beim Zwischenspiel dann aber nur der filmtauglich entrückte Regisseur beim Dirigieren zu beobachten ist, wirkt allerdings gegenüber Falcks Bilderpracht etwas einfallslos. In Hitchcock-Manier sorgt Karajan auch bei einem Cameo-Auftritt mit angeklebtem Schnurrbart eher für unfreiwillige (?) Heiterkeit.


    Was diese Verfilmung aber besonders hervorhebt, ist, dass sie von den Protagonisten außerordentlich gut gespielt und gesungen wird. Insbesondere ist Jon Vickers zu nennen, der als Canio gestalterisch in der obersten Liga spielt. Bereits beim "Un tal gioco, credetemi" spürt man seine latente Gefährlichkeit. In der Arie "Vesti la giubba" erzeugt Vickers ohne Drücker oder Schluchzer eine beklemmende Intensität, dann in der Commedia tritt er bereits als brodelnder Vulkan auf, der sukzessive auch seinen letzten Rest an Beherrschung verliert. Auch Raina Kabaivanska beherrscht in dieser Szene die volle Palette zwischen Koketterie und kaum verhohlener Angst. Phantastisch auch das Mienenspiel von Peter Glossop als Tonio – absolut filmreif.



    Fazit: Die Cavalleria Rusticana ist auch nach 40 Jahren ein kaum angestaubtes Denkmal. Volle Punktzahl für die Pagliacci.

    Ein zweifelsfrei "echter" Bösewicht, der es an Garstigkeit wohl auch mit Scarpia aufnehmen kann, ist Cim-Fen aus Franco Leonis veristischer Oper L'oracolo. Dieser Bösewicht ist allerdings mal wieder Bariton. Was ihn vielleicht von den meisten seiner bösen Kollegen unterscheidet, ist, dass er trotz seiner Verschlagenheit nicht besonders geschickt ist, in dem was er tut.


    L'oracolo spielt Anfang des 20.Jahrhunderts im chinesischen Viertel von San Francisco. Cim-Fen ist Besitzer einer Opiumhöhle. Er möchte Ah-Joe, die Tochter eines reichen Kaufmanns heiraten, blitzt aber bei diesem ab, als er um ihre Hand anhält. Er entführt den kleinen Bruder Ah-Joes und bietet sich gleich scheinheilig als Helfer bei der Suche an, wenn er dafür die Schwester heiraten darf. Ah-Joe hat allerdings bereits einen anderen Geliebten. Dieser kommt Cim-Fen auf die Schliche und wird von Cim-Fen hinterrücks mit einem Axthieb in den Schädel ermordet, als er das entführte Kind befreien will. Cim-Fen stopft daraufhin den kleinen Jungen in eine Kloake. Schließlich wird er vom Vater des ermordeten Geliebten überführt und versucht auch noch diesen zu töten. Er zieht allerdings diesmal den Kürzeren und wird mit seinem eigenen Zopf erwürgt.


    Ich denke, das reicht für einen Einakter, der in der einzigen erhältlichen Einspielung gerade mal 65 Minuten dauert. Tito Gobbi, der Bösewicht vom Dienst, singt in dieser Aufnahme den Cim-Fen.

    Lieber Harald,


    ich sollte vielleicht klarstellen: Ich kenne genau drei Aufnahmen dieser Oper, nämlich Schüler, Molinari-Pradelli und Heger. So intensiv wie Du habe ich mich mit dem Werk dann doch nicht befasst, sondern meistens die tolle Schüler-Aufnahme gehört. Daher auch die Überraschung darüber, was es da noch alles gibt. Selbst wenn es 15 Aufnahmen der Martha geben sollte, fände ich das allerdings nicht besonders viel für eine Oper, die in der Nachkriegszeit ein echter Dauerbrenner war. Wenn man dann noch die Rundfunkproduktionen abzieht, bleibt wohl nicht mehr viel übrig. Im regulären Handel sind ja auch derzeit nur etwa fünf Aufnahmen erhältlich.


    Ob die ganze Oper im Ausland beliebt ist, weiß ich nicht. Das Werk hat ja das Schicksal, im Wesentlichen auf "M'appari" reduziert zu werden. Der melodische Einfallsreichtum von Flotows geht aber doch darüber hinaus. Insbesondere die Ouvertüre finde ich sehr wirkungsvoll.


    :hello:

    Martha ist derzeit nicht besonders in Mode. Das hängt wohl ein wenig mit der etwas naiven biedermeierlichen Fröhlichkeit und Sentimentalität zusammen, die diese Oper durchzieht. Außerdem sind die Anforderungen an die Sänger, insbesondere den Tenor, ziemlich hoch, so dass die Oper an vielen kleineren Bühnen nicht aufgeführt werden kann. Auch wenn die Oper in der Nachkriegszeit ungleich beliebter war, gibt es wohl trotzdem nicht allzu viele Gesamtaufnahmen, und von einigen höre ich in diesem Thread zum ersten Mal. Andererseits hat es sich natürlich kaum ein namhafter Tenor nehmen lassen, die Arie des Lyonel aufzunehmen. "M’appari" gibt es sogar von Mario del Monaco :wacky: und Jon Vickers 8o.



    Ich möchte noch einmal auf eine Aufnahme eingehen, die Harald nur einmal kurz genannt hat: Die "Marta" in italienischer Sprache, dirigiert vom Italiener Francesco Molinari-Pradelli und mit rein italienischer Sängerbesetzung aus dem Jahr 1955. Was vielleicht auf den ersten Blick wie eine Kuriosität aussieht, entsprach wohl durchaus damaligen Aufführungsgewohnheiten; die Oper war ein Exportschlager. Und die Wiedergabe durch am italienischen Belcanto geschulte Sänger bekommt dem Werk meines Erachtens sehr gut. Flotow war ein großartiger Melodiker und in Molinari-Pradellis Aufnahme höre ich in den lyrischen Passagen Anklänge an Bellinis Sonnambula.


    Der einzige Grund dafür, dass ich mir die Aufnahme damals angeschafft habe, war die Beteiligung von Ferruccio Tagliavini als Lyonel. Ganz überzeugt er mich allerdings nicht. Er hat einige wunderbare Momente, allerdings auch schon kleinere stimmliche Probleme. Die Titelheldin bzw. "Lady Enrichetta" wird gesungen Elena Rizzieri, eine relativ kleine Soubrettenstimme, die sich aber in der Rolle gut schlägt. Francesco Molinari-Pradelli steuert mit dem Turiner RAI-Orchester einiges an Brio bei. Den Spaßverderber gibt leider Carlo Tagliabue als Plumkett, dem anscheinend jeder Sinn für diese Musik abgeht. Das klingt mehr nach einem gelangweilten grauen Wolf als nach Spielbass. Tagliabue war wohl sonst auch eher für die humorlosen Charaktere vom Schlage eines Alfio zuständig. Schade, dass man Giuseppe Taddei, der damals viele Aufnahmen für den italienischen Rundfunk gemacht hat, nicht für die Produktion gewinnen konnte.



    Warum ich meinen Beitrag aber eigentlich hier einstelle, ist, dass ich noch einmal Meinungen zu der bisher nur von Herbert erwähnten Aufnahme von Johannes Schüler einholen möchte. Obwohl ich auch kein übergroßer Martha-Anhänger bin, finde ich die Aufnahme so beispielhaft, dass ich meine ansonsten ausgeprägte Neigung zur Anschaffung von Vergleichseinspielungen bei dieser Oper ganz gut im Griff hatte. Was da im Oktober 1944 im kriegsgebeutelten Berlin entstanden ist, ist meines Erachtens eine phantastische Ensembleleistung und an Spielfreude nur schwer zu übertreffen.


    Angefangen mit Erna Berger, die mit klarem Sopran ein schönes Volkslied von der letzten Rose singt und auch hörbar viel Spaß an der Rolle hat. Peter Anders mit ewig jugendlich strahlendem Tenor verkörpert die Sehnsucht und insbesondere auch das ausgeprägte Selbstmitleid von Lyonel blendend. Eine der besten Opernaufnahmen, die ich von ihm kenne. Der noch recht junge Josef Greindl ist ein etwas rüder, aber stimmgewaltiger Plumkett und beweist in dieser Rolle mehr Humor als ich ihm zugetraut hätte. Else Tegetthoff, die hier die Nancy singt, ist mir sonst von anderen Aufnahmen kein Begriff, war aber wohl damals Ensemblemitglied an der Lindenoper. Auch sie macht ihre Sache gut. Auch die Leitung von Johannes Schüler finde ich annähernd ideal - zügig, aber sehr einfühlsam. Was meint Ihr?



    Die Heger-Aufnahme ist natürlich auch sehr schön gesungen und schneidet unter Einbeziehung der Tonqualität als Gesamtpaket sicher nicht schlecht ab. Die Aufnahme wird aber von dem, damals schon recht alten, Robert Heger etwas betulich dirigiert. Die vielen anderen hier schon genannten Aufnahmen kenne ich leider nicht. Insbesondere die Besetzung de los Angeles / Tucker / Elias / Tozzi würde mich aber – wie übrigens in fast jeder anderen Oper auch – schon reizen. Ich behalte die Sache im Auge… :rolleyes: