Meine Lieben,
Vor wenigen Tagen ist die alte DECCA-Aufnahme von 1993 in einer neuen BRILLIANT-Serie zu sehr mäßigem Preis wieder erschienen:
Vorweg: Das Bemühen, das hier spürbar wird, vom "titanischen" Beethoven wegzukommen und einen mehr klassisch-kultivierten Charakter anzustreben, ist anerkennenswert, kann aber die berühmten älteren Einspielungenvon Furtwängler, Böhm, Pflüger und vielen anderen nicht vergessen machen. Dazu mangelt es doch ein wenig am künstlerischen Vermögen.
Das gilt nicht für Christoph von Dohnányi und die Wiener Philharmoniker, die sehr diszipliniert und transparent klingen, aber doch mehr konzertmäßig (auf sehr hohem Niveau) anmuten. Und es gilt nicht für den Rocco Kurt Rydls, der für mich das Erlebnis dieser Aufnahme ausmacht. Prächtig bei Stimme gibt er einen intelligenten und aufrechten Kerkermeister, der sich nur ungern den Zwängen beugt und ihnen gern entkommt. Freilich klingt er vollkräftig wie Osmin und scheint keineswegs bald des Grabes Raub zu werden, aber ein gewisser Mozartfaktor scheint vom Dirigenten her nicht unbeabsichtigt. Er hat sich mit Ruth Ziesak als Marzelline auch eine ausgesprochene Mozart-Stimme gewählt, die die Partie recht ansprechend verkörpert. Uwe Heilmann als Jaquino ergänzt mit ausgesprochen intelligenter Gestaltung; seine nicht übermäßig schöne Stimme paßt zu dieser Figur.
Falk Struckmann und der Chor wissen auch zu gefallen.
Damit wären die eindeutigen Aktivposten genannt, unter Umständen wäre auch noch Tom Krause als Minister dazuzuzählen. Für mich singt er jedoch eine Spur zu schön und zu wenig dramatisch artikulierend. Ich gebe aber zu, daß mich hier Talvela und andere sehr verwöhnt haben.
Zwiespältig hingegen muten die Darsteller der beiden Hauptrollen an. Der Florestan Josef Protschkas spricht zunächst zwar sehr durch sein passendes Timbre und seine genaue Artikulation an, kommt aber dann doch ein wenig über seine Grenzen und wirkt einige Male zu forciert (nicht umsonst hat sich Protschka seine lyrische Stimme zu schnell verdorben, offenbar wollte er wie Peter Anders sein, aber der hatte bessere Voraussetzungen).
Gabriele Schnaut in der Titelrolle gefällt zwar durch fraulich-warmes Timbre, bemühten Gestaltungswillen und Einsatz, aber ihre Stimme ist nicht so flexibel, wie es die Partie erfordert, die Führung zuweilen unsicher. Etwas übertrieben formuliert: Manchmal hat man Angst, ob sie die richtigen Töne erwischt und denkt sich nachher: Knapp vorbei ist auch daneben. Irgendwie kämpft sie mit der eigenen Derbheit. Die Gerechtigkeit fordert aber den Hinweis, daß Schnaut im zweiten Akt besser gefällt und vernünftiger dosiert. Sie wäre mit besserer Technik eine ganz passable Leonore.
Ähnlich fällt mein Urteil über Hartmut Welker als Pizarro aus. Im Grund hat er die richtige Stimme für diesen Bösling. Warum, zum Kuckuck, brüllt er aber ein paar Mal so unkultiviert los? Das ist peinlich.
Ein Manko ist auch die Tonmischung. Die Balance zwischen Orchester und Stimmen bzw. den Stimmen untereinander wirkt mehrmals, als ob da jemand das Handwerk erst lernen müßte.
Wer kein ausgesprochener "Fidelio"-Sammler ist, kann auf diese Einspielung wahrscheinlich verzichten. Für Spezialisten allerdings ist zumindest der Rocco den Kauf wert, Dirigent und die Nebenrollen garantieren solide Leistung, aber unterm Strich ist der Gesamteindruck der einer nicht ausgereiften Wiedergabe.
LG
Waldi