Beiträge von Walter Krause

    Lieber Paul,


    Die gute oder vielmehr recht durchtriebene Klara May hat sich am Werk ihres Mannes arg versündigt, und der jahrelang vom Bearbeiter E.A.Schmid geleitete Karl-May-Verlag ist auch erst in jüngeren Zeiten kritischer geworden. Ich lese mit Begeisterung, daß Du in die Feinheiten des Karl-May-Wirrwarrs ohnehin bestens eingeführt bist.
    Die Münchmeyer-Texte sind auch nur bedingt "Original", denn May kam manchmal in Lieferverzug, und da dürfte einige Male ein bißchen ausgeholfen worden sein. Allerdings hat er damals selbst genug geschleudert, was ihm später natürlich peinlich war. Die "abgrundtiefen Unsittlichkeiten", von denen dann die Rede war, sind vermutlich doch alle von ihm selbst. Nach heutigem Maßstab sind sie klarerweise ziemlich harmlos.


    LG


    Waldi

    In der Ausgabe des Karl-May-Verlags umfaßt diese Serie die Bände 51-55 (von "Schloß Rodriganda" bis "Der sterbende Kaiser").


    Allerdings ist der Text stark bearbeitet. Ursprünglich erschien er unter dem Titel "Waldröschen" 1882 -84 in Fortsetzungen und zählt zu den sogenannten Münchmeyer-(Kolportage-)Romanen. Inwieweit der originale Münchmeyer-Text völlig authentisch ist, steht - soviel ich weiß - noch immer nicht völlig fest. Aber die fremden Eingriffe bzw. Ergänzungen dürften weit weniger gravierend sein, als Karl May es später wahrhaben wollte. Eine dem Original möglichst nahekommende Textfassung kann man über die Homepage der Karl-May-Gesellschaft einsehen. Die KMG darf mit dem KMV nicht verwechselt werden! Die Gesellschaft bemüht sich um eine textkritische Edition sämtlicher Werke Mays. Zur Einführung in die Problematik empfehle ich die May-Monographie Hans Wollschlägers (der leider vor wenigen Tagen verstorben ist).


    LG


    Waldi

    Also, wenn Mozartsche Musik den Blutdruck senkt - wieso lebe ich dann noch? Mein Kreislauf müßte den Dienst schon lange aufgegeben haben.


    Der Gedanke, Mozart von der Krankenkasse zu bekommen, ist allerdings verführerisch, geradezu Krankenklasse. Gibt es eine/n willige/n, experimentierfreudige/n Mediziner/in unter Euch? Ich lasse mir gerne auch billige CDs verschreiben und spiele Versuchskaninchen. Wenn's mir schlecht geht, dann bitte aber schon eine ordentliche "Cosi" - una prova di sua virtù...


    Con i migliori saluti


    Waldi

    Lieber Theophilus,


    Ja, die ORF-Archivbänder müßten wirklich eine Fundgrube sein - allerdings weiß man nie, wie der Erhaltungszustand ist. Eine Kooperation ORF mit einer vernünftigen Firma (Naxos...) wäre ein Traum!


    Ein Gesichtspunkt, den ich nicht erwähnt habe, ist natürlich der, daß ich wie viele im Forum vor allem auf die Wiener Operette konzentriert bin. Die Berliner Operette höre ich ausschnittsweise ganz gerne, aber weniger in toto. Die erfordert natürlich eine etwas andere Dirigenteneinstellung. Gilbert und Sullivan wären wieder ein anderer Fall, ebenso Offenbach (der wienerisch interpretiert zwar hervorragend klingt, den ich aber trotzdem eher "französisch" hören möchte).


    LG


    Waldi

    Lieber Richard,


    Von "Peter und der Wolf" gibt es sehr viele gute und sehr gute Aufnahmen, sodaß einem eher schwer fällt, sich zu entscheiden oder sie in der Erinnerung auseinanderzuhalten (einfacher wäre es, Sammlerehrgeiz zu entwickeln und gleich ein Dutzend zu kaufen). Geht man rein vom Preis/Leistungs-Verhältnis aus, dann ist die mehrfach empfohlene Version Maazel/Wiemann meiner Ansicht nach unbedingt in der engsten Wahl. Ich habe diesen Kauf jedenfalls noch nie bereut.


    LG


    Waldi

    Lieber Joschi,


    Die beiden ersten Plätze sind für mich keine Frage:


    1. Robert Stolz - Keiner hat wie er die Operette in ihrer Gesamtheit erfaßt - und das ist nicht nur Musik - , und wenige konnten sich so in die spezifische Rhythmik einfühlen und mit den Sängern mitleben.


    2. Otto Ackermann - Als Dirigent absolute Spitze und Stolz ebenbürtig, wenngleich, wie ich anderswo schrieb, mehr auf das Konzertmäßige hin orientiert.


    Beim dritten Platz bin hingegen in großer Verlegenheit. Dirigenten, die sich der Operette nur nebenher zuwandten (wie Karl Böhm mit der "Fledermaus" oder Ernst Märzendorfer mit der "Nacht in Venedig") möchte ich a priori nicht berücksichtigen; Lehár dirigierte seine eigenen Werke wie kein zweiter und wäre auf jeden Fall ein Kandidat, aber solange ich nicht weiß, wie er Werke anderer Komponisten interpretierte, bleibt er für mich außer Konkurrenz. Von den Schellackern kenne ich viel zu wenig, kann dort die nötige Spitzenqualität in breitem Feld daher zwar oft vermuten, aber nicht ausreichend beweisen (Clemens Krauss, an dem man denken könnte, gefällt mir nicht so gut); Franz Bauer-Theussl (und andere) würde ich gerne nennen, aber habe derzeit auch nur eine zu schmale Entscheidungsgrundlage verfügbar; Franz Marszalek würde es im Prinzip verdienen, denn er hat für die Operette sehr, sehr viel getan und war ein wirklich guter Operettendirigent - doch das Bessere ist des Guten Feind (Marszalek wäre aber in meiner Einschätzung jedenfalls ein Top-Ten-Kandidat). Bleibt natürlich:


    3. Willi Boskovsky - Allerdings mit etwas Bauchweh, denn das stützt sich primär auch nur auf seinen "Vogelhändler", dessen Niveau er sonst nie erreicht hat.


    LG


    Waldi

    Nicht alle Sprachen sind so gut sangbar, daß sie zu der uns vertrauten klassischen Musik passen. Tschechisch mit seinen vielen Konsonanten usw. ist für uns schwierig zu erfassen (und ich gestehe, daß mir die "verkaufte Braut" auf Deutsch auch besser gefällt), aber z.B. das vokalreiche Ungarisch eignte sich für vieles, was aus Italien oder Deutschland kommt, überraschend gut. Ich habe erst viel später begriffen, warum mich - temporibus illis - mein Französischprofessor tadelte: "Krause, du singst wie ein Ungar!" (Dabei kann ich gar nicht singen :D , jeder derartige Versuch treibt meine Umgebung sofort in Selbstmordaufforderungen und Schlimmeres).


    Ich bin daher nur ein gemäßigter Originalsprache-Fetischist. Wenn Fritz Wunderlich den Alfred auf deutsch singt, dann finde ich es auch wunderbar. Man muß halt wortdeutlich sein, artikulieren können etc.etc.


    LG


    Waldi

    Auch ich bin nicht gerade ein Sammler bzw. nur teilweise, weil ich auch andere Interessensgebiete habe und man sich beschränken muß, wegen Alter, Platz, Budget usw.
    Von vielen Musikstücken genügt mir daher eine gute Version, aber das kann sich erfahrungsgemäß rasch ändern, wenn sich das Interesse vertieft. Andererseits lege ich mir mitunter auch CDs zu, die nicht zur Spitzenklasse zählen. Denn dabei kann man nicht nur manche erfreuliche Überraschung erleben, sondern man hört Musik auch nicht immer intensiv und konzentriert. Manchmal ist eine weniger anspruchsvolle Version der eigenen Stimmung besser angemessen, odern man begleitet eine Routinetätigkeit mit angelegten Kopfhörern und angenehmer Begleitbeschallung - dann werde ich nicht gerade eine Interpretation wählen, die vollste Aufmerksamkeit verlangt (trotzdem fallen mir in solchen Situationen manchmal Dinge auf, auf die ich sonst nicht gekommen wäre). Wenn Zeit und Lust sich finden, dann es ist mir aber ein Hochgenuß zu vergleichen, alte Facetten zu genießen oder zu überprüfen, neue Facetten zu entdecken. Es bleibt aber, sozusagen, Dienst am Werk. Und daraus entstehen bei mir auch manchmal kleinere Anfälle von Sammlergier.


    LG


    Waldi

    Liebe Operettenfreunde und -innen,


    Während man bei der "Fledermaus", dem "Zigeunerbaron" oder der "Nacht in Venedig" doch aus einem größeren Platten/CD-Angebot wählen kann, ist die Suche nach ultimativen "Wiener Blut"-Produktionen zwangsläufig endenwollend, da man in den letzten Jahren kaum fündig wurde. Dabei ist diese Operette unzweifelhaft eine der beliebtesten nicht nur innerhalb des OEuvres von Johann Strauß.


    Ich empfinde es daher als besonders beachtenswert, daß Naxos die Ackermann-Operetten-Reihe soeben um die 1954 entstandene (leicht gekürzte) Gesamtaufnahme erweitert hat. Meine Erwartungshaltung war in Kenntnis der vorangegangenen Editionen ("Nacht in Venedig", "Land des Lächelns", "Die lustige Witwe" - die beiden letzten sind auch als Doppelbox bei Membran erschienen) sehr hoch gespannt und wurde nicht enttäuscht.


    Dennoch möchte ich die Ackermann-Aufnahme mit der 1965 unter Robert Stolz für Ariola-Eurodisc produzierten vergleichen. Um es vorwegzunehmen: Beide Interpretationen verdienen das Prädikat "ultimativ".
    Während Ackermann jedoch vor allem die konzertanten Qualitäten akzentuiert (und was er aus dem London Philharmonia Orchestra herausholt, grenzt ans Fabulöse), liegt die Stärke von Robert Stolz vor allem im Musikantischen und Komödiantischen. Dramaturgisch ist die spätere Aufnahme der von 1954 eindeutig überlegen. Das spürt man nicht zuletzt auch in den Dialogen, die bei Ackermann mitunter ein bißchen aufgesetzt oder einfach deklamiert wirken, während bei Stolz alles bis in Letzte völlig überzeugend gestaltet ist und die Besetzung sehr sorgfältig und überlegt vorgenommen wurde. Bei den Ackermann-Operetten gibt's da schon den einen oder anderen Fehlgriff (wie Erich Kunz als Danilo) - aber darüber möchte ich mich ein anderes Mal auslassen, wenn ich - hoffentlich - Zeit finde, mich verschiedenen Realisationen der "Lustigen Witwe" und der "Nacht in Venedig" zu widmen. Damit keine Mißverständnisse entstehen: Beim 1954er "Wiener Blut" sind die Protagonisten durchaus rollendeckend, 1965 hat man es aber noch besser verstanden, die jeweils idealen Interpreten zu bekommen.
    Die herausragenden Stars der Ackermann-Aufnahme sind Elisabeth Schwarzkopf als Gräfin Gabriele und Emmy Loose als Pepi Pleininger. Es ist interessant, daß sowohl 1954 als auch 1965 die Pepi nicht mit einer reinen Soubrettenstimme besetzt wurde. Man muß sich beim allerersten Mal vielleicht daran gewöhnen (mit ging es seinerzeit so), aber bald kann man es sich kaum anders vorstellen. Denn diese Musik, wird sie ernst genommen, verlangt tatsächlich auch ein wenig dramatisch-lyrische Qualitäten. Hört man sich jeweils den Auftritt der Pepi an ("Wünsch' gut'n Morgen, Herr von Pepi!...), so ähneln die Grundauffassungen von Ackermann und Stolz einander durchaus, aber während Ackermann die schöne Gesangslinie hervorhebt, würzt Stolz mit Pfeffer und wienerischem Temperament - das ist eine Pepi, die großartig singt u n d Fleisch und Blut hat (Wilma Lipp!!). Und das ist typisch für die prinzipielle Linie, die beide Dirigenten verfolgen.
    Die Schwarzkopf ist zweifellos eine Idealbesetzung und aller Superlative würdig. Wie sie artikuliert, moduliert und, und, und - man möchte ihr alles verzeihen, was über ihr Verhalten Schülern gegenüber Böses berichtet wird. Sie ist so gut, daß man sich fragt, warum sie eigentlich ihren Ehemann noch will, den Nicolai Gedda leicht karikierend und bißchen als Weichei gestaltet (trotzdem ist er blendend). Bei Stolz ist die Güden zugleich viel mehr Mensch, sie strahlt auch mehr Wärme aus. - und noch mehr Humor. Rudolf Schock ist ihr ein ebenbürtiger Partner, keine blasse Figur, sondern jemand, dem man sowohl den Diplomaten wie den Wiener Hallodri abnimmt und der trotzdem jeder Zoll ein Graf ist.
    Den liebenswürdig-trotteligen Fürsten Ypsheim-Gindelbach verkörpert unter Ackermann Karl Dönch - sehr gut bei Stimme, aber noch etwas schematisierend. Benno Kusche unter Stolz liefert die beste Partie ab, die ich von ihm kenne - vollsaftig in jeder Beziehung. Überraschend gut ist 1954 Erika Köth in der schwierigen Rolle der Franziska Cagliari, aber noch besser und einfach souveräner ist Margit Schramm in der späteren Version. Da braucht man fast keine Bühne dazu, es wird alles so lebendig, daß ein gesamtkunstwerkhafter Eindruck auch so möglich wird.
    Erich Kunz ist 1954 ein sehr guter Josef, aber 1965 als Kagler noch viel überzeugender, so wie Ferry Gruber 1965 auch das Nonplusultra des naiv-schlauen Kammerdieners darstellt. Ackermann verfügt allerdings auch über einen blendenden Kagler, den außerhalb Wiens wahrscheinlich nicht so bekannten Alois Pernerstorfer. Der legt die Partie etwas proletarischer an als Kunz.


    Insgesamt ist die Stolz-Aufnahme der Ackermannschen vorzuziehen, weil insgesamt operettenmäßiger und alle Faktoren berücksichtigend. Dennoch ist der Abstand letztlich gering. Wäre die höchstmögliche Punktezahl 10, dann bekäme Ackermann bei mir 9,5 bis 9,9, Robert Stolz aber 10,5-11 (das ist paradox, soll aber verdeutlichen, wie einzigartig diese Interpretation dasteht - höchstens noch vergleichbar mit Boskovskys legendärem "Vogelhändler"). Die Stolz-Version hat außerdem einen entscheidenden Nachteil. Sie wurde nur als LP, nie aber als CD produziert und ist seit langem nur mehr gebraucht erhältlich (und das eher selten). Wer sich "Wiener Blut" neu anschaffen möchte, ist also in erster Linie auf Ackermann angewiesen (Sonstiges ist allenfalls achtbar), wird das aber nicht bereuen, sondern hoffentlich genauso selig sein wie ich. Ich möchte weder ihn noch Stolz missen. Die Naxos-CD ist außerdem, wie bekannt, äußerst preiswert; ich bekam sie um 5,66 Euro.


    LG


    Waldi


    Wenn von "Wiener Blut" die Rede ist, muß man außerdem unbedingt auf den Willi-Forst-Film von 1942 hinweisen, eine kongeniale Umsetzung. Nicht als Operette inszeniert, aber natürlich mit viel entsprechender Musik in flottem Filmtempo. Da spielen die Wiener Philharmoniker, und den Titelwalzer singt Maria Reining. Für jeden Strauß-Liebhaber unverzichtbar!

    Süchtig? Schlicht und einfach: Ja! Wenn ich in Wien und in der Nähe des Computers bin, dann ist mir offenbar nur schwer zu helfen. Trotzdem genieße ich diesen Zustand und sehe vorläufig darin mehr Vorteile als Nachteile. Gott erhalte mir meine Neugiersnase und -ohren!


    LG


    Waldi

    Was Neueinspielungen sicher erschwert, ist der gestiegene Anspruch. Jeder, der eine Ahnung von Oper oder Operette hat, erwartet von einer neuen CD mehr als Durchschnitt. Auf der Bühne - als unmittelbares Erlebnis - gefällt und berührt manches, was als dauerndes oder wiederholtes Erlebnis nicht die nötige Nachhaltigkeit besitzt.

    Wenn ich mir aber anschaue, wie schnell alte Aufnahmen im neuen Labelgewand zu Billigpreisen von den Leuten gekauft werden, dann kann ich eigentlich keine echte Krise erkennen, bloß eine veränderte Relation zwischen Produzenten und Konsumenten. Der intensive und steigende Zuspruch, den das Tamino-Forum von außen erfährt, dokumentiert offenbar auch einen gewissen Informationsmangel, den die Leute durch Mitlesen hier wenigstens teilweise beheben wollen. Die CD-Erzeuger tun da zu wenig.
    Die Firmen könnten wohl eher mit vermehrten Opern-DVDs ihren Absatz steigern - denn das ist immerhin ein relativ junges Segment, dürften dann aber eben nicht nur für beschränkte Gruppen produzieren oder müßten längerfristig versuchen, das Geschmacksniveau nicht nur in punkto Senkung zu beeinflussen. Wer nur das schnelle Geschäft sucht, wird da wahrscheinlich klagen. Aber um solche Produzenten müssen wir auch nicht weinen.


    LG


    Waldi

    Lieber Bernd,


    Ein kleiner Einwand: Historisten wollen in der Regel nicht getreu nachahmen, sondern nur dann, wenn damit bestimmte - etwa museologische - Aspekte verknüpft sind. Ansonsten geht es um Weiterentwicklung, Variation, Assoziation usw. Der Historismus ist eine nicht weniger schöpferische Epoche als frühere Epochen, die ja auch nicht "Neues" schufen. Die Renaissance z.B. lebt von der Antike u.a. (und hatte teilweise auch eine ganz andere Einstellung zur Fälschung oder Nachahmung als wir Modernen), und das Hochmittelalter anerkannte im ernsthaften Bereich sowieso nur die legitimierte "Kopie".


    Zu Wagner: Man kann und darf ihn keinesfalls nur auf die Musik reduzieren, auch nicht auf die Dichtung, sondern man muß auch seine theoretischen Schriften kennen, um seine Werke ganz zu begreifen. In erster Linie denke ich da an "Das Kunstwerk der Zukunft" sowie "Oper und Drama". Das sind Schlüssel zum Gesamtkunstwerk und nur als solches sind seine Schöpfungen verständlich - aber nicht nur seine. Wagners Bedeutung geht da weit über seine engere Sphäre hinaus. Das hat nichts damit zu tun, daß er selbst und noch mehr seine Anhängerschar Beschränktheiten und Fiesitäten praktizierten, die einem den Zugang mehr als erschweren.


    LG


    Waldi

    Lieber Flo und liebe Stifter-Freunde,


    Stifter ist nicht nur einer meiner Lieblingsdichter, sondern auch eine unentbehrliche Schlüsselfigur seiner Zeit.


    Als Einstiegsbiographie zu Stifter könnte ich die schon bejahrte rororo-Monographie von Urban Roeder empfehlen.


    Der "Nachsommer" ist eigentlich die Krönung der vormärzlichen Ideale. Stifter war zwar liberal, aber eigentlich keine Revoluzzer-Natur (und offenbar auch eher für Mozart als für Beethoven).


    Daß der "Witiko" für viele heute nur schwer lesbar ist, hängt mit dem Anspruch zusammen, hohe Formkunst zu sein - ein Anspruch, dem wir heute zu sehr entwöhnt sind, der aber aus der Entstehungsepoche (wir Kunsthistoriker sprechen vom "Strengen Historismus") zu erklären ist. Wenn man sich einmal die Voraussetzungen klar gemacht hat, dann kann man das richtig genießen. Aber es ist sicher ein weiter Weg...



    LG


    Waldi

    Danke Edwin, diesmal kann ich Dir im wesentlichen nur zustimmen. Spießerchen Mielitz wollte modisch sein und hat vergessen, daß dazu halt ein wagnersches Talent gehört und daß Che eigentlich auch schon von gestern ist. Von Richard Wagner war in der Inszenierung ohnehin wenig zu spüren, Nina Stemme als Senta dagegen beeindruckend - obwohl ich manchmal das Gefühl hatte, sie geht an ihre Grenzen und sollte das nicht zu oft singen.


    LG


    Waldi

    Vermutlich stehe ich mit meiner Ansicht nicht allein, daß das einer der interessantesten Threads im Forum ist. Austria gebührt eine tiefe Verbeugung, daß sie ihn gestartet und wiederholt genährt hat; Antracis hat ihn sozusagen angeregt, ihm sei ebenso Dank, und - last , not least - bedanke ich mich bei FairyQueen, daß sie durch ihr promptes Einhaken die Sache sofort in Schwung gebracht hat.


    Um zum eigentlichen Thema zurückzukommen, die allgemeine Einschätzung eines Künstlers oder wie er, schnoddrig ausgedrückt, rüberkommt, hängt auch damit zusammen, ob der Bereich, in dem er/sie sich hauptsächlich profiliert, auch tatsächlich der ist, für den ihn/sie das Talent besonders befähigt. Würde Netrebko nur Mozartrollen wie Susanna o.dgl. singen, wäre sie vermutlich nie hype-auslösend gewesen. Ich begebe mich jedoch eilends zu weniger umstrittenen Beispielen, die aber auch zu meinen Lieblingen gehören.


    Zwei der erfolgreichsten Tenöre des 20.Jahrhunderts waren Fritz Wunderlich und Rudolf Schock. Beide haben es meines Erachtens blendend verstanden, sich richtig zu positionieren (ohne deswegen "Nebenfächer" zu vernachlässigen). Wunderlich war (ich möchte fast lieber sagen: ist) der klassische Fall eines singulären Timbres, das aber von anderen Eigenschaften wie Artikulation usw. perfekt unterstützt wurde. Er war ein Musterbeispiel sängerischer Intelligenz und dasselbe möchte ich von Schock auch behaupten. Wunderlich mit seinem betörenden Schmelz eignete sich besonders für idealtypische Rollen, deren Persönlichkeitsstruktur relativ linear gestrickt ist: Tamino, Fenton, Hans ("Verkaufte Braut") etc.


    Rudolf Schocks Timbre war weniger attraktiv, aber unleugbar. Seine Schwächen, wie die häufig genannte etwas enge Höhe, wußte er aber immer wieder zu gestalterischen und ausdrucksmäßigen Vorzügen umzuwerten. Ihm lagen realistischere Typen, nicht die "Sirupjünglinge" und perfekten Liebhaber, sondern zwiespältige Naturen wie im ernsten Fach der Max oder im heiteren der Graf Zedlau ("Wiener Blut") oder der Danilo. Er sang deshalb zu Recht, anders als Wunderlich, sehr viel Operette, denn die erfordert nicht nur den Typus, sondern auch den Menschen (wenn man Operette nur mit Klischeetypen abliefert, wird sie sofort kitschig).


    Vielleicht könnt Ihr das, was ich sagen will, besser nachvollziehen, wenn Ihr Euch beide Tenöre im Konwitschny-"Holländer" sozusagen nebeneinander anhört. Wunderlich ist ein fabelhafter Steuermann, Schock ein ausgezeichneter Erik. Er wäre aber auch ein ebenso guter Steuermann (bewiesen hat er es ja anderswo), während Wunderlich für den innerlich zerrissenen Erik nicht die passende Besetzung dargestellt hätte. Ich lasse die interessante Gedankenspielerei beiseite, wohin sich Wunderlich entwickelt hätte, wäre er nicht so früh von uns gegangen.


    Ein Gegenbeispiel für weniger überlegte Karrieregestaltung - mit den sich daraufhin einstellenden nachteiligen Auswirkungen - ist René Kollo, ein an sich vom Timbre her durchaus sympathischer und beeindruckender Sänger, der sich aber offenbar nicht als lyrisch abstempeln lassen wollte. Beim Tannhäuser ging das noch gut, aber eben nur noch. Die Leute sind aber nun einmal daran gewöhnt, jemanden einordnen zu können. Meiner Meinung nach waren es nicht nur die nachlassenden Stimmittel, die Kollos Beliebtheit schwinden ließen, sondern auch das Gefühl beim Publikum, daß er überall und nirgends daheim war. Übrigens geht er noch immer mit Operettenmelodien auf Tournee, aber offenbar mit verhältnismäßig kargem Echo. Ich habe mich auch nicht dafür interessiert, weil ich sentimentale Ängste hege, die Gegenwart könnte frühere Eindrücke zu sehr überlagern. Bei Künstlern, die in einer langen Karriere ihren Höhepunkt zwar schon überschritten haben, aber noch immer so viel bieten, daß man enthusiastisch reagiert und sich auch gleichzeitig gerne der einstigen Sternstunden erinnert, habe ich solche Ängste nicht (z.B. bei Leo Nucci als Belcore).


    Ein anderer Fall, bei dem ich einfach nicht weiß, wieso da nicht die ganz große Karriere folgte, ob da verheizt wurde oder nicht, oder ob andere Motive ausschlaggebend waren, ist Gabriele Lechner. Als Amelia brillierte die damals fast Unbekannte seinerzeit im "Maskenball" neben Pavarotti und Cappucilli. Allgemein empfand man sie als sensationell - Karl Löbl sprach bewundernd bereits von "der" Lechner - , aber bald herrschte eher Funkstille, was mich persönlich sehr enttäuschte. Heute unterrichtet Gabriele Lechner, soviel ich weiß, am Konservatorium der Stadt Wien. Weiß jemand um die Hintergründe?


    LG


    Waldi

    Lieber Michael,


    Ja, die Sänger kriegen Mikrophone angeklemmt, und immer seltener werden die Mikrophone etwas kaschiert. Auf der Bühne sieht man das weniger, aber bei Nahaufnahmen im Fernsehen stört es ziemlich.
    Die Verdienste von Harald Serafin, der ja ein alter Profi ist, sind unbestritten. Seine Übertreibungen sind freilich nicht jedermanns Sache, ich möchte mich allerdings da nicht als Beckmesser sehen.


    Die Volksopern-Operetten bedeuteten tatsächlich einen Höhepunkt. Teldec und Bella musica hatten da seinerzeit einiges im Programm mit Anton Paulick und Franz Bauer-Theussl. Von diesem gibt es auch noch Aussschnitte in wechselnder Zusammenstellung offenbar aus diesen Quellen, z.B. bei Amazon-Canada (etwa "Walzertraum": R.Holm, E.Liebesberg, D.Hermann, R.Christ, H.Prikopa; "Lustige Witwe": Lotte Rysanek, E.KLiebesberg, E.Mechera, R.Christ, K.Equiluz; "Graf von Luxemburg": Fr.Loor, H.Brauner, K.Equiluz, K.Terkal; "Gräfin Mariza": Lotte Rysanek, E.Liebesberg, R.Christ, H.Prikopa) - ab und zu verirrt sich da auch etwas unter tlw. obskuren Labels ins europäische Angebot. Das sind kostbare Dokumente, besonders die Höhepunkte aus dem "Grafen von Luxemburg" möchte ich fast als Referenzaufnahme bezeichnen. Vielleicht hat irgendein Manager Einsehen und wirft die Archivschätze wieder auf den Markt.


    LG


    Waldi

    Ja, an Ulrike Steinsky kannn ich mich gut erinnern, als sie bei einer Prawy-Matinee im Schönbrunner Schloßtheater mit Katalin Pitti Operette sang - da konnte man sie neben die großen Sängerpersönlichkeiten von früher stellen. Ewig schade, daß sie so rasch in der Versenkung verschwunden ist. Ich glaube, es mangelt im Prinzip nicht an talentiertem Nachwuchs (mit gewissen zeitweiligen Ausnahmen in besonderen Bereichen), aber an der entsprechenden geduldigen Nachwuchspflege. Wer gut ist, wird oft sehr schnell verbraten, und wer sich nicht verbraten läßt, wird womöglich links liegengelassen.


    LG


    Waldi

    Lieber Michael,


    Einerseits stimmt das, andererseits bedeuten die Bedingungen von Mörbisch auch eine gewisse Verfremdung, die nicht in allen Jahren gleich gut bewältigt wird. Eine gewisse Beeinträchtigung ist schon die Distanz zwischen Bühne und Publikum, sodaß die Stimmen künstlich verstärkt werden müssen. Auch meine ich, eine gewisse Tendenz zu bemerken, jedes Jahr noch mehr in Ausstattung und Gags aufzutrumpfen - manchmal wäre schon ein bißchen weniger mehr. Die letzte "Lustige Witwe" war schon sehr knallig (etwas knallig wäre schon angemessen, aber irgendwie bewegt man sich schon im Grenzbereich), das Gegenbeispiel wäre der "Bettelstudent" von 1995, bei dem die sehr guten Einzelleistungen mit den Revueelementen nie in wirklichen Konflikt gerieten.
    Selbstverständlich wäre die Operette ohne Mörbisch wesentlich schlechter dran. Ich hoffe aber, daß die Volksoper eines Tages wieder richtungsgebend wird. Wenn man Tastenwolf vertrauen darf, dann besteht ja dort durchaus der Wille dazu.


    LG


    Waldi

    Der von Joschi mit Einschränkung in diesem Thread und in der entsprechenden Opernführer-Kritik empfohlene "Don Pasquale" ist auch mein Einspielungsfavorit.
    Sowohl der Dirigent wie Nesterenko und Weikl entsprechen nicht den üblichen Italianità-Vorstellungen und mit Wallberg ist Joschi nicht vollkommen glücklich. Aber gerade bei Donizetti habe ich schon mehrfach erlebt, daß er auch "etwas anders" stimmig und herrlich klingt. Bei Puccini oder Verdi kann ich mir das viel weniger gut vorstellen. Vielleicht liegt das in diesem Fall ein wenig an der etwas operettenmäßigen Charakterisierung, aber es funktioniert offenbar auch bei dramatischeren Werken. Ich empfinde Wallberg hier nicht als jemanden, der um jeden Preis eine neue Auffassung abliefern will, sondern als einen Kapellmeister, der sich nicht in den Vordergrund drängt, sondern bedacht ist, die Protagonisten möglichst gut zu unterstützen. Allerdings verstehe ich, daß andere Rezipienten etwas vermissen können.
    Bezüglich Lucia Popp stimmen Joschi und ich allerdings völlig überein: Als Norina begeistert sie restlos und liefert eine ihrer besten Gestaltungen, wenn nicht die beste Partie ihrer Laufbahn überhaupt. Dabei gibt es wahrlich genug Konkurrenz für sie (die Norina war auch eine Paraderolle der Gruberova, die da sehr wohl Temperament bewies).


    LG


    Waldi

    Liebe Severina,


    Zum "Verheizen": Da sind sicher nicht immer nur die Manager oder das mangelnde Selbsteinschätzungsvermögen schuld. Die Gesangslehrerin einer mir persönlich bekannten Sängerin hat in einer privaten Diskussionsrunde dafür u.a. auch die Klimaanlagen verantwortlich gemacht, die angeblich viele hoffnungsvolle Stimmen ruinieren. Ich kann das nicht wirklich beurteilen, es kommt mir (als zeitweiliger Vielredner)aber durchaus plausibel vor. Dazu müßten aber unsere Sangeserfahrenen etwas sagen können.


    Neugierige Grüße


    Waldi

    Meine Signatur ist ein wohlbekanntes, hier nur minimal verändertes Zitat der Marschallin aus dem "Rosenkavalier". Ich hätte statt dessen auch das abgedroschenere "Je mehr ich weiß, desto weniger weiß ich" wählen können, aber Hofmannsthal formuliert es kürzer, eindringlicher und vieldeutiger. Der Spruch soll auch mich selbst immer daran erinnern, wie relativ alles ist.


    LG


    Waldi

    Ohne Wertung und nur alphabetisch (mit dem üblichen Reuegefühl gegenüber den vielen nichtgenannten Opern):


    Il barbiere di Siviglia (G.Rossini)
    Carmen (G.Bizet)
    Cavalleria rusticana (P.Mascagni)
    Les Huguenots (G.Meyerbeer)
    Lucia di Lammermoor (G.Donizetti)
    Die Meistersinger von Nürnberg (R.Wagner)
    Der Rosenkavalier (R.Strauss)
    Tosca (G.Puccini - der einzige Fall, wo ich von Sekunde zu Sekunde schwanke, ob ich nicht doch die Butterfly nennen soll)
    La Traviata (G.Verdi)
    Die lustigen Weiber von Windsor (O.Nicolai)
    Zar und Zimmermann (A.Lortzing)
    Die Zauberflöte (W.A.Mozart)


    LG


    Waldi

    Liebe Freunde, speziell lieber Franz,


    Im Forum stößt man gar nicht selten auf Feststellungen wie: Da habe ich einen mir bisher unbekannten Künstler mit dem und dem Stück gehört, und es war ganz großartig, wo gibt es mehr von dem oder der? Und gibt es das dann auch - sehr oft wahrscheinlich nein.


    Sicher gibt es viele gute bis sehr gute Künstler, die den großen Durchbruch nicht schaffen. Die Ursachen können verschieden sein. So ist die Aufnahmefähigkeit des Kunstmarkts mehr oder weniger begrenzt, sodaß es leichter und sicherer ist, wenn sich eine Firma auf bestimmte Namen konzentriert, die zumindest eine Zeitlang zugkräftig sind. Zwar haben andere Künstler auch ihre Sternstunden (die berühmten haben dafür ihre Schwächeanfälle, die man aber verzeiht, wnen sie nicht zu oft passieren), aber vielleicht zu selten. Dann kommen unter Umständen Rücksichten auf Familie und sonstige Bindungen dazu, sodaß sich die Betreffenden nicht gerne in einem anstrengenden Zirkus engagieren, der ihr Privatleben beeinträchtigt. Manche haben auch nicht die Nerven für stetige Selbstdarstellung voir großem Publikum oder nicht das technische Rüstzeug, um darauf eine internationale Karriere zu bauen. Auf der anderen Seite passieren bestimmt viele Ungerechtigkeiten.


    Müßte ich z.B. eine Rangliste aller Schubert-"Unvollendeten" erstellen, die ich schon gehört habe, so wäre sie nicht nur wegen des zwangsläufig selektiven Charakters problematisch, sondern auch weil manches nicht kontrollierbar wäre (eine besonders schöne Aufführung erlebte ich mit dem jungen Michael Gielen und, ich glaube, den Niederösterreichischen Tonkünstlern; da lief aber kein Band mit). Sicher würde ich - bei ausreichendem Erinnerungsvermögen - Interpretationen erwähnen, die ihr Dasein eher im Beinahe-Anonym-Bereich fristen und manche besser geläufigen hintanstellen.
    Gehe ich aber in ein Konzert von, sagen wir etwa Abbado, oder in eine Oper, um Villazón zu hören, dann erwarte ich natürlich ein entsprechendes Niveau, was für solche Künstler psychisch ganz schön belastend sein kann. Nach einer glaubhaften Anekdote zitterte Caruso einmal vor einem Auftritt wie Espenlaub. Gefragt, wieso er denn so Angst habe, erwiderte er: Weil die Leute draußen erwarten, daß ich wie Caruso singe, aber wer kann schon jeden Tag singen wie ein Gott?


    Dann kommen noch Unwägbarkeiten ins Spiel. Ich sehe und höre, daß sich ein Künstler mit nicht überragenden Talenten so sehr in eine Partie hineinsteigert, daß das Ergebnis wirklich beachtlich ist und die Intensität manche Unzulänglichkeiten vergesssen läßt. Ich werde dann wahrscheinlich dem/der Betreffenden gerne ein weiteres Mal zuhören und -sehen, aber ihn deshalb nicht unbedingt für eine Karriere an einem großen Haus empfehlen. Jemand, der auf der Bühne beeindruckt, muß - soviel kann man vielleicht außer Streit stellen - Persönlichkeit vermitteln. Ob er das mit Timbre oder Technik oder eindrucksvoller Kraft (Brüllen ist nicht gemeint) schafft, das wird jeder Rezipient anders empfinden. Provinzbühnen haben früher und wohl auch jetzt noch Allroundereigenschaften befördert, das war sehr gut und nützlich. Heute kommt ein Supertalent unter günstigen Umständen sehr rasch an die Rampe und wird dort gnadenlos verheizt das ist wohlbekannt und wird auch andauernd beklagt. Ein endgültiges Urteil über solche Künstler zu fällen, ist gar nicht leicht.


    Große Künstler, um auf Franzens Frage konkret zu antworten, haben es einerseits leichter (weil sie eine eventuelle Scharte besser auswetzen können oder weil vielleicht die Erinnerung an vergangene von ihnen erbrachte Spitzenleistungen unbewußt mitschwingt), andererseits ist ihre Aufgabe auch schwerer, weil sie von viel mehr Leuten und umfassender kritisiert werden. Siehe Netrebko. Ich räume gerne gewisse Probleme an ihr ein. Trotzdem danke ich dem Himmel auf den Knien, daß wir endlich wieder eine Sängerin haben, die nicht nur - wie finde ich jetzt einen neutralen, allgemein akzeptablen Ausdruck? - interessant singt, sondern ihren Rollen Leben einhaucht und nicht nur Experten begeistern kann. Zwangsläufig polarisiert so jemand dann auch. Mir ist eine nicht ganz glatte Leistung, die aber mitreißend wirkt, wichtiger, als eine korrekt-langweilige (die vielleicht dafür jemanden mit einem primär intellektualistischen Zugang mit Recht beglücken kann). Aber jetzt drehe ich mich mit meinen Argumenten endgültig im Kreis.


    LG


    Waldi

    Liebe Taminoisten,


    Ich finde es ganz anregend, daß bei diesem Thema aus Scherz Ernst geworden ist und greife gern die Anregung auf, diesen verräumten Thread wieder ein bißchen zu beleben.


    Ein Kandidat der zweiten Linie aus der Romantik ist für mich der Ungar Ferenc ERKEL (1810-1893), der seit 1837 in Budapest wirkte und dort maßgeblich zur musikalischen Entwicklung beitrug. Bekannt ist er vor allem durch jene zwei Opern, die auch heute noch immer aufgeführt werden (leider nur in Ungarn selbst, wie es scheint): "Hunyadi László" behandelt das tragische Schicksal des älteren Bruders von Matthias Corvinus, "Bánk bán" die auch von Grillparzer in einem Drama gestaltete Geschichte des Banus von Ungarn. "Bánk bán" ist vielleicht die populärere Schöpfung, "Hunyadi László" aber für mich die bedeutendere. Außerdem komponierte Erkel auch den berühmten "Himnusz".


    LG


    Waldi

    Ohne Wertung und mit schmerzlichem Bauchgrimmen, weil ich Gounod, Beethoven, Flotow, Leoncavallo, Smetana, Erkel u.a. nicht berücksichtige oder es nicht darf:


    Bizet
    Donizetti
    Lortzing
    Mascagni
    Meyerbeer
    Mozart
    Nicolai
    Puccini
    Rossini
    R.Strauss
    Verdi
    R.Wagner


    LG


    Waldi

    Vergleiche sind immer etwas Relatives - aber ohne geht es natürlich auf die Dauer auch nicht. Schließlich ist die Urteilsfähigkeit im allgemeinen nur in sehr beschränktem Maß angeboren (das bedarf aber der Erläuterung durch Psychologie und Ethologie), zweitens muß man sich viele Kriterien erst aneignen. So wie man eine chinesische Malerei der Song-Zeit zwar auch "naiv" genießen kann, zum wirklichen Verstehen und vertieftem Genuß aber etwas von den "Regeln" begriffen haben muß, so ist es auch mit der Musik. Solche, die zu Zeiten geschaffen wurde, die uns - in welcher Weise auch immer - nahestehen, werden wir eher beurteilen können als ganz exotische Kreationen oder mittelalterliche Usancen. Um mir Urteilsfähigkeit zu erarbeiten, darf ich auch das Prinzip "Versuch und Irrtum" nicht scheuen. Dann besteht auch noch die Frage: Geht es mir nur um einen rein subjektiven Genuß, oder ist es auf die Dauer für mich notwendig, objektive Erkenntnisse zu erlangen, um auch den subjektiven Genuß wirklich befriedigend zu empfinden (weil ich dann weiß, das er sich nicht auf einer "primitiven" Stufe bewegt)?
    Bei den Stimmen kommt es wohl nicht auf einen einzigen Hauptfaktor an, wie das Timbre, sondern auf das Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Jemand kann noch so ein schönes Timbre besitzen, wenn er permanent daneben singt oder nicht halbwegs artikuliert, wird es nicht reichen. Mit Hilfe von Vergleichen kann man aber die eigene Urteilsfähigkeit trainieren und verbessern. Man muß sich aber auch darüber klar sein, daß ich mit jedem angestellten Vergleich die Realität manipuliere und den Vergleich nicht verabsolutieren darf. Wenn ich ein Hauskonzert besuche oder in einer Kleinstadt eine Aufführung erlebe, erwarte ich ja auch nicht, daß ein Wundermix von Toscanini, Furtwängler, Serafin, Böhm und beiden Kleibers agiert, sondern werde mit eher bescheidenen Erwartungen erscheinen und mich freuen, wenn diese - was ich oft erlebt habe - bei weitem übertroffen werden.
    Jeder hat das Recht zu sagen, mir gefällt das und das oder mir gefällt es nicht. Der Kenner wird es einfach konstatieren, der Wissenschaftler muß auch Begründungen liefern. Dabei darf er keine normative Ästhetik anpeilen oder falsche Dinge miteinander verknüpfen. Wenn ich ein Werk des 19.Jahrhunderts z.B. als kitschig beurteile, dann nicht, weil ich es subjektiv nach heutigen Maßstäben so empfinde, sondern weil es auch nach damaligen Maßstäben als kitschig gelten muß. Mit der Zeit ändern sich eben Beurteilungskriterien und Begriffsinhalte. Kritik ist dann verletzend, wenn sie inadaequate Maßstäbe anlegt oder von außersachlichen Erwägungen bestimmt ist. Stets werden die Grenzen dabei fließend bleiben. Jemand wie Severina oder Austria (ich nehm' mich selber gar nicht aus) beurteilt ein Phänomen wie AN eher ganzheitlich, während Edwin deklarierterweise objektive stimmtechnische etc. und intellektuelle Argumente ins Treffen führt. Für mich als Kunsthistoriker ist das Optische eine wichtige Sache oder vielmehr die Abstimmung zwischen Akustischem und Optischem. Höre ich aber lediglich eine CD, ohne etwas dazu zu sehen, haben andere Maßstäbe zu gelten und tun das auch für mich. Ich könnte daher gar keine absolute Reihenfolge angeben, was für mich an erster Stelle steht. Außerdem kann die Individualität eines Künstlers, einer Künstlerin oder eines Stücks die Maßstäbe sofort verschieben.


    LG


    Waldi

    Lieber yago,


    Der Schluß in dieser Form gefällt mir ja auch nicht, aber sonst steckt in dieser Inszenierung doch mehr drin. Ich betone aber noch einmal, daß dieser amerikanische Inszenierungsstil für uns Europäer oft ungewohnt ist und wir manches davon unter Umständen nicht gleich richtig erfassen.
    So ist die Spielhölle durchtränkt mit kitschigen Elementen (Severina hat auf die ihr gar nicht behagenden Kostüme verwiesen - ganz richtig), aber nach meinem Gefühl war das mit Absicht so inszeniert. Das ist eben eine Talmiwelt voller falscher Werte und Kitsch. Die naive Landpomeranze Manon fällt darauf herein und hält diesen morbiden Klimbim für das wahre Leben, paßt in ihrer Ausstaffierung auch ganz in diese Orgie von schlechtem Geschmack. Des Grieux in seinem dezenteren gesellschaftlichen Outfit fühlt sich in diesem Milieu ausgesprochen unwohl (RV macht das gut plausibel), möchte auch gehen und gibt nur aus Liebe zu Manon deren Drängen nach. Man muß schon unterscheiden zwischen Kitsch als gewollter Aussage und Kitsch, der unfreiwillig passiert, wie eben in der Schlußszene (es wäre interessant, nach einiger Zeit die amerikanische und die europäische Rezeption in diesem Punkt gegeneinander zu halten).


    LG


    Waldi

    Lieber yago,


    Trotz Alagna?? Der wurde doch von den Foristen total zerlegt! Dabei fand ich, daß er alles gab, was er noch hatte. Es war irgendwie sympathisch, daß er sich wirklich bemühte.


    Liebe Severina,


    Nur im Fernsehen. Du hast völlig recht, daß das den Eindruck sehr verzerren kann. Alles was ich sage/schreibe, bitte nur unter dieser Prämisse zu verstehen. Daß Manon in Wien so am Rande sterben mußte, war das auf der Bühne wirklich so?. Für mein Gefühl stimmte das nicht mit der Musik überein, aber natürlich kann der Kamerawinkel schuld gewesen sein.


    LG


    Waldi