Hallo Peter et alii.
Ich muss zugeben, dass ich mit dem Anbetungssmiley gegenueber eher skeptisch eingestellt bin - als Christ, verstaendlich. Gestern Abend habe ich hier Teile von "Any Dream Will Do" gesehen, da wird der naechste "Joseph" fuer Webbers Musical gesucht. Da sass dann Andrew "Lord Frog" Lloyd Webber auf gueldener Kathedra und als zu Beginn die Juroren vorgestellt wurden und sein Name gefallen war, wandten sich seine beiden Nachbarn in eben solcher Anbetungsgeste ihm zu, was nicht nur ich peinlich fand - His Lordship Webber himself auch.
@Peter
Ich verstehe nicht ganz, ob bzw. inwiefern du meinen Beitrag kritisierst. Ich denke, du kritisierst mich, aber ich bin nicht sicher.
Z. B. worauf beziehst du deine Ausfuehrungen zum Raum? Du meinst da Aenderungen etwa der Dynamik, vielleicht in gewissem Masse der Notenwerte? Das wuerde ich als Interpretation einstufen und nicht als Bearbeitung.
Das Thema "Originalklang". Es ist mir auch hier nicht ganz klar, was du meinst. Ich besitze etwa die Einspielung der Matthaeuspassion von McCreesh (... und ich habe gerade gesehen, dass die bei Amazon fuer 90€ steht, das ist ja Wahnsinn! Ich habe dafuer noch 30€ bezahlt!). Ich habe mir diese Aufnahme auf Anraten eines (mehr als) hervorragenden Organisten und Bach-Fans (der ist - im Gegensatz zu mir - wirklich Bach-Fan) gekauft. Die Aufnahme orientiert sich, was die Besetzung angeht, an den Bedingungen der Bachzeit. Trotzdem ist die Aufnahme atem(be)raubend. Ich persoenlich finde, die Passion gewinnt enorm dadurch, dass kein Kammerchor im Einsatz ist, sondern die Chorstuecke von den Solisten getragen sind. Trotzdem, warum nicht einen Kammerchor die Chorpartien singen lassen?
Partitur und Libretto sind original. Mehr nicht. Und nicht selten - wie etwa bei Hoffmanns Erzaehlungen - gibt es auch mehrere Libretti und Partituren, die original sind und die Konzertanten haben die "Qual" der Wahl.
Was ist denn nun der "Sinn" eines Librettos? Ich verstehe deine Ausfuehrungen so, dass du der Meinung bist, der "Buchstabe" des Librettos enthuelle den "Sinn". Genau das sagst du doch, wenn du von "Mollhaltigkeit", "Dissonanzen" und "strukturellen Verknuepfungen" sprichst, oder? Das heisst, was du einforderst, ist nichts anderes als genaues Lesen von Partitur und Libretto, oder?
Ein "Sinn" jenseits des Textes koennte lediglich in den Leerstellen des Textes gefunden werden.
Nun brauche ich dir nicht durchzudeklinieren, was etwa bei folgender Zeile aus einem bekannten Libretto an leerem Raum der Interpretation belassen ist:
"La scena si finge nella città di Mantova e suoi dintorni.
Epoca, il secolo XVI."
Etwa aus Mantua einen Luxusliner zu machen? Ist das genaues Lesen?
Ich meine, dass man durchaus auch dem Publikum zutrauen darf, sich Gedanken ueber die "Aktualitaet" eines Stueckes zu machen.
Als Theologe bin ich in Sachen Hermeneutik ja kein Analphabet. Und meiner Erfahrung nach hilft es fuer das Verstaendnis der Weihnachtsgeschichte ueberhaupt nichts, aus Maria und Joseph zwei Obdachlose unserer Tage zu machen.
Ganz abgesehen davon: Natuerlich kann man die Weihnachtsgeschichte in unsere Tage legen. Und "Jesus of Montreal" habe ich etwa gar nicht schlecht in Erinnerung (ist allerdings schon lange her, dass ich's gesehen habe).
Auch wenn ich es fuer kuenstlerisch wertvoller halte, durch Musik und Spiel die Aktualitaet (die doch wohl keineswegs in einer - im weitesten Sinne - "ideologischen" Aussage bestehen muss, sondern doch auch schlich darin bestehen kann, dass ein Stueck auch, sagen wir, nach 200 Jahren noch hoechst unterhaltsam ist) eines Stueckes rueberzubringen als durch effekthascherische, scheingeniale inszenatorische Kunstgriffe, so mag eine Inszenierung hin und wieder trotz eben solcher unterm Strich gelungen sein. Nur waere ich dann eben - wie ich ja schon geschrieben habe und da hast du mir ja auch zugestimmt - fuer eine Kennzeichnung. Da mag dann statt "Bearbeitung" im Opernprogramm auch "aktualisiert"/"in einer modernen Inszenierung", o. ae. stehen.
Weitaus problematischer - das wirst du an meinem Schreibstil gemerkt haben - finde ich dieses Paedagogisieren bei Inszenierungen a la (accent aigu ist mit englischer Tastatur so wenig machbar wie dt. ae) Heeresrufer als SS-Mann finde ich erheblich abstossender: Natuerlich war Wagner Teil einer historischen Bewegung, die schliesslich im Nationalsozialismus muendete, so what? Da kann jeder soweit, wie er moechte, sich mit beschaeftigen. Wagner selbst hat - soweit ich weiss - keine Juden umgebracht (und im Gegensatz zu Gesualdo auch sonst niemanden). Auch in seinen Werken kommen keine Juden vor. Er hat zwar unschoene Sachen ueber Juden geschrieben, aber auch nicht dazu aufgerufen, Juden zu toeten. Er hat zweifelsohne eine Art deutschnationale Kunst schaffen wollen - aber Verdis Opern tragen auch nationalistische Merkmale (was keine Entschuldigung ist). Auch solche Scherzereien wie diese Rhein-links-rechts-Geschichte kann ich mit Humor nehmen. Wer daran rumaendert faellt doch in dieselbe Falle, in die auch Wagner gefallen ist. (Letztere Bemerkungen gehoeren nicht in diesen Thread sind aber - leider - bei derzeitigem Diskussionsstand unbedingt unverzichtbar). Lohengrin und Tristan sind tiefromantisch; Parzifal gar pazifistisch. Wenn jedem Kuenstler seine Fehler in seinen Werken nachgetragen wuerden, wohin fuehrte das? Da kann man sich im Musikunterricht mit beschaeftigen, auf die Opernbuehne gehoeren solche Scherzereien - mit Verlaub - nicht.
Lieber Peter, bitte fuehle dich von dem Geschriebenen weder kritisiert noch angegriffen. Ich moechte lediglich meine Position praezisieren und deine besser verstehen. Weit auseinander - wenn ueberhaupt - liegen wir meinungsmaessig, so mein Gefuehl, nicht. Wg. meiner Polemik hie und da bitte ich um Nachsicht.