Beiträge von Holger

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    wenn das hier zum Stammtischgelabere und -rechthaberei wird, stelle ich meine Beiträge sofort ein.


    Ich finde auch, wir haben - immer mal mit einer Prise Humor raffiniert - stets sehr sachgemaess "geplaudert". :yes: :hello: :)


    PS
    Ich freue mich schon, bald mal im Wagner-Nationalismus-Thread (ich glaube, ich habe da auch schon einmal drin herumgelesen) zu posten - und von euch zu lernen.

    Hallo Christian.

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    Die Idee der Verfasser in sich ist sicher lobenswert- nur wenn man mit dem Anspruch antritt, die Lutherbibel ersetzen zu wollen, muss man sich eben auch an diesem Anspruch messen lassen.


    ...und das sagt ein Katholik. :no:
    Aber Ehre, wem Ehre gebuert - das ist schon richtig.


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    Und wie schon erwähnt: Heikel wird so ein Projekt, wenn die Texttreue einer spezifischen Ideologie untergeordnet wird. Und das ist- hierin sind sich alle Kritiker (ob evangelisch oder katholisch) einig- bei diesem Projekt der Fall.


    Ich bin mir nicht sicher, ob es eine "ideologiefreie" Bibeluebersetzung gibt.
    Ist vielleicht eine Frage der Tarnung. ?(

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    Ja, das ist mindestens genau so schlimm, wie den Rhein am Anfang des "Rheingold" von links nach rechts fließen zu lassen, wo doch in den Regieanweisungen deutlich steht, er habe von rechts nach links zu fließen.


    Der Richie hatte ja echt Humor! Im Gegensatz zu denen, die diese Inszenierung gestaltet haben, offensichtlich.

    Hallo liebe Bibelfreunde - oder wenigstens Bibelleser.


    Die Bibel in gerechter Sprache kenne ich nur in Auszuegen. Ich habe ja bei Frank Cruesemann studiert und der Gute ist leider mittlerweile Emeritus. Da, meine ich, kann das Projekt eigentlich nicht so schlecht sein, wenn man Cruesemann kennt - zumindest im AT-Bereich. Die Kritik, die ich so kenne, finde ich auch nicht immer einleuchtend. Und der beruehmte "Restmensch" aus Gen 2, also ich finds herrlich :hahahaha: (das ist doch auch vom Meister persoenlich uebersetzt, oder lieg ich da falsch?). Trotzdem, ich hab die Ausgabe nicht bei mir im Schrank stehen. Dagegen habe ich eine schoene und auch nicht so teure Reprintausgabe des Ur-Luthers :D.

    Also zum Thema.


    Wenn eine Partitur interpretiert wird, meine ich, dass es kein Qualitaetsmerkmal ist, sie zu aendern. Den Reiz einer mehr oder weniger gelungenen Interpretation machen doch gerade die Luecken in der Partitur aus. Also die gewissen, reizvollen Verzoegerungen, die Variation der Tempi, der Dynamik, etc. Wird die Partitur geaendert, ist es doch keine Interpretation mehr, sondern eine Bearbeitung - wuerde ich sagen.
    Ich meine, in analoger Weise sollte auch ein Libretto interpretiert werden.


    Wenn das so nicht geschieht, dann sehe ich dafuer nur zwei Erklaerungen:


    1.) Mit dem Stueck ist einfach so nichts mehr anzufangen. Teile davon sind zu gut, um es einfach im geschichtlichen Muelleimer vergammeln zu lassen, aber es gehoert ueberarbeitet/aktualisiert.


    Meine Bewertung: Finde ich guten Grund. Aber man sollte das dann trotzdem als "Bearbeitung" deklarieren, das wuerde ich jedenfalls dann fuer optimal halten.


    2.) Mit dem Stueck ist einfach nichts mehr anzufangen. Aber - historisch gesehen - ist es zu bedeutsam, um es im geschichtlichen Muelleimer vergammeln zu lassen. Es gehoert daher tradiert - der Bildung halber. Die Auffuehrung ist eine Art "Anschauungsunterricht". Integraler Bestandteil einer Unterrichtseinheit ist - selbstverstaendlich - das Paedagogisieren des Lehrers, will sagen: Die bewusste Lenkung der Schuelerblicke; eine Fokussierung der historischen Bedeutung des Stueckes.


    Meine Bewertung: Trotz eines Rattenschwanzes moeglicher und sehr legitimer Anfragen an diese Art Ansatz finde ich selbst das akzeptabel. Aber auch hier meine ich: Kennzeichnungspflicht. (Koennte mir etwa vorstellen: "!!!Achtung Lehrveranstaltung!!!" :D ).



    Schlussvotum:
    Habe hier gelesen:

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    So modern wie geht - so altmodisch wie notwendig.


    Ich moechte den etwas pejorativ anmutenden Ausdruck "altmodisch" durch den auch nicht 100%ig zufriedenstellenden, aber IMO doch sachgemaesseren Ausdruck "konservativ" ersetzen - konservativ im Sinne von "Naehe zur Vorlage".
    However, ich wuede das andersherum sagen - die Gruende sind ja mit Leichtigkeit allein aus diesem Beitrag zu destillieren:
    "So konservativ wie moeglich, so modern wie noetig." Alles andere bitte ich dann zu kennzeichnen; wenn ich Milch kaufe, moechte ich doch schliesslich auch nicht, dass dann Joghurt drin ist.



    Nach diesen zwingenden Darlegungen bitte nicht in ehrfuerchtiger Starre zu verharren, sondern mich zu ignorieren und zur Not weiter ueber Dantes Komoedie zu diskutieren - obwohl ich fuerchte, dass das dann irgendwann abgwuergt wuerde.




    PS Fairy Queen:
    Deine Art der Dante-Rezeption finde ich sehr sympathisch, :hahahaha: , ganz ehrlich :yes:.

    Bon soir, Fairy Queen!

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    Ein guter Christ kann sich doch nicht im Paradies an den Qualen gepeinigter NAckter ergötzen! :no:


    Wieso nicht?


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    Beim Zeus! ich wusste ja schon seit ich zum ersten Mal Dantes Divina commedia gelesen habe, dass für mich die Vorhölle oder mindestens das Fegefeuer der beste Ort ist! Nun lieferst du mir den endgültigen Beweis. Im Paradies versammeln sich die schadenfrohen Sadisten????


    Sic! Und wer sich nicht gedulden kann, geht halt in die Oper! :D


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    Beim Teutates, nein und nochmals nein, da bin ich lieber zusammen mit Ovid, Vergil und Francesca da Rimini im Limbo oder im Purgatorio. In Dantes Hölle ist es ubrigens so eiskalt, dass man mindestens einen Nerzmantel oder ein Eisbärfell bracuht. also doch keine Nackten....


    Meinst du, Paulus und Augustinus sind so langweilig?


    Hallo Peter.

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    Wenn du Wagner Schriften zur Kunst liest, wird die Sache noch klarer. Aber wenn wir dieses Fass aufmachen wollen, befinden wir uns im falschen Thread. Bei Interesse können wir das gerne am richtigen Ort fortsetzen.


    Danke fuer den Tipp. Ich werde da noch reinschauen und will ganz sicher diesen thread nicht mit diesem Wagner-Nationalismus-Problem belasten, daher schnell weiter.


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    Für mich ist das noch immer eine Gutmenschen-Inszenierung, die mir persönlich zu wenig sagt.


    Ja! Kann ich mitgehen.


    Fuer nun ist 's genug.

    Jetzt poste ich ja doch, urgh...


    Der Missbrauch Wagners durch die Nazis rechtfertigt m.E. die SS-Heerrufer-Geschichte niemals. Meine Gruende habe ich ja ganz deutlich gemacht.


    Fairy Queen.
    Deine Groenland-Bemerkung finde ich sehr witzig, die passt auch irgendwie hervorragend zum Thema! :hahahaha:


    Ich habe mich an keiner Stelle prinzipiell gegen Nacktheit im Theater/in der Oper gewendet. Ich habe mich konkret gegen diese gewissen dem Publikum entgegengestreckten Pos gewendet. Da haette ja dem zahlenden Publikum genauso gut der Mittelfinger gezeigt werden koennen, das wuerde dieser "Leck mich am ..."-Haltung IMO entsprechen und macht meine Kritik daran vielleicht etwas besser nachvollziehbar. (Gegen die Nackt-Kreuzigung der Julia habe ich mich ja nicht wirklich gewendet, ich hab da nur bezueglich der Motivation des Regisseurs 'n bischen angefragt.)


    Im Paradies sind alle nackt, das scheint mir 100%ig evident. In der Hoelle, nun ja, da bin ich nicht sicher. Mag aber wohl sein. Nach glaubwuerdigem Zeugnis duerfen wir Paradisbewohner ja denen, die da in der Hoelle gepeinigt werden, zuschauen - zur Ergoetzung. Das spricht dann ja schon dafuer, dass die da unten alle nackt sind - meine ich. Muss ich aber noch mal drueber nachdenken. :beatnik:

    Hallo Peter.


    Ich freue mich darueber, dass du so konstruktiv antwortest. Und sachbezogen!


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    Wie Wagner das verstand, welche politische Botschaft (und es war ja eine an die Gegenwart und die Zukunft) hier steht, ist eine andere Sache. Da brauchte ich hier viel Raum, das zu analysieren.


    Schade, aber sehr verstaendlich.


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    Nun haben wir uns ja erfreulicherweise in ein Land von Pazifisten verwandelt. Das war nicht immer so - und vielleicht hat es ja auch der eine oder andere noch nicht mitbekommen ;) Wenn mir nun als jemand, der sich künstlerisch mit dem Werk auseinandersetzt, diese kollektive Verführung zur Gewalt, die gar auch noch so mitreißend ist, im Lichte gemachter Erfahrung doch fragwürdig erscheint, lasse ich nun mit meinem Heerbannführer die Gefahr eines Nationalismus anklingen, bei dem sich die Einheit vorzüglich erst dadurch herstellt, dass man einen Feind abzuschlachten bereit ist. Ich würde das subtiler darstellen, aber da muss ja ein Regisseur die künstlerische Freiheit haben, seinen eigenen Weg zu gehen.


    Nicht nur bei Wagner hat es denn Anschein, als waere der Nationalismus geradezu als Heilskonzept verstanden worden. Da ist meine Position als Christ ganz eindeutig.
    Ich hatte mir jetzt eigentlich schon ueberlegt, mei Statement zurueckzuziehen, das mit dem Heeresrufer als SS-Mann also anzuerkennen. Spontan habe ich meine Position aber geaendert. Meine Begruendung:
    Kurz noch einmal zum Fidelio-Ende mit den T-Shirts mit Gefangenen darauf: Ich lasse jetzt einmal mein Angemessenheitskriterium draussen, ich habe ja selber schon geschrieben, dass ich bezweifle, ob es durchhaelt. Auch mit der Ueberideologisiertheit des Fidelio bin ich nicht mehr sicher. (Warum gibt es da keinen Einspruch eines groesseren Fidelio-Freundes als ich es bin?) Ich finde, dass die T-Shirt-Geschichte das Werk immer noch sehr offen laesst. Ich weiss gar nichts ueber die Gefangenen, die da abgebildet sind. Die Aussage ist eigentlich destlierterweise: Es gibt immer noch und in Wirklichkeit Gefangene, die ungerechterweise verurteilt sind und bestraft werden. Dass ist eigentlich gegenueber dem Opernplot redundant - solange ich ueber die Gefangenen nichts weiss. Da es aber - unter eben dieser und, wie ich meine, nur unter dieser Voraussetzung - redundant ist, ist es zwar einerseits angemessen, andererseits aber eben redundant und damit - ueberfluessig. Das einzige, was fuer mich das Ganze dann doch plausibilisiert und noch so rechtfertigt, ist, dass der ganze Chor in der Schlussszene eigentlich keine andere Aufgabe hat, als zu singen. Das ermoeglicht es den Choristen als sie selbst, als diese konkreten Saenger aufzutreten - und das wiederum ermoeglicht es den Choristen als solche, fuer sich selbst sprechend, einen Appell an das Publikum zu richten - nicht vermittelt ducrh den Text, aber vermittelt ueber das T-Shirt, das sie tragten. (Ich fuerchte nur, dass die Choristen gar nicht fuer sich selbst sprechen, sondern fuer ihren Regisseur, was es dann doch wieder ganz schoen problematisch macht.)


    Nun zu Lohengrin: Im Gegensatz zu dem Fidelio-Beispiel, wo die Choristen als sie selbst auftreten koennen und deshalb in der Lage sind, eine gegenueber dem Stueck transzendente Botschaft an das Publikum zu vermitteln, ist der Heeresrufer eine aktive Figur der Oper. Wenn man aus der Gestalt einen SS-Mann macht, dann hat das mit der Oper nichts mehr zu tun. Das ist auch IMO noch nicht einmal mehr Interpretation; das ist nur noch Paedagogisieren.


    So 8), das habe ich mir jetzt gerade spontan ueberlegt.


    Zur kuenstlerischen Freiheit: Das ist das mit dem "l'art pour l'art", da wird einem als zahlender Kunde waehrend der Auffuehrung ein blanker Ar... ( :stumm: ) geboten. Was soll ich davon halten? Wenn man das einmal zuende denkt, dann meine ich, dass das mit der kuenstlerischen Freiheit so nicht durchzuhalten ist.


    Das wird jetzt wohl mein letztes Posting in diesem thread sein. Das fuehrt einen ja an Abgruende!

    Hallo Austria.


    Jacob Taubes hat bekanntlich seinen Studenten empfohlen, zum (besseren) Verstaendnis nicht nur der klassischen "schoenen" Literatur, aber auch philosophischer Literatur, wie etwa W. Benjamins, - die Bibel zu kennen.
    Ich kann Leute sehr gut verstehen, die keine Lust haben, die Bibel zu lesen. Die Bibel ist ja schon so oft gelesen worden, es gibt einen Wust an Interpretationen, dann auch noch die vielen, oft frappierend unterschiedlichen Uebersetzungen. Das alles macht es nicht einfach. Deshalb ist es gut, vorher eine Einfuehrung zu lesen - egal welche. Ich kenne die Genannte nicht, aber auch wenn vielleicht die Interpretationen eher dubios sein moegen (das meine ich nicht auf gewisse Einfuehrung bezogen, die ich ja eben nicht kenne), man gewinnt einen Eindruck, welche Texte die wirklich "heissen" sind.


    Ich wuerde dann - Lesetipp - auch nicht alles lesen, sondern mich auf die "Highlights" konzentrieren (...und dann vielleicht spaeter das zunaechst Ausgelassene nachholen).


    ('Tschuldigung, aber ich konnte mir als Theologe nicht verkneifen, mich da zu aessern. Hoffe, es ist hilfreich. :hello: )

    Ich muss einmal meine Begeisterung ablegen und nach einiger Suche fand ich, hier ist der beste Ort (ich habe jedenfalls weder einen Mussorgsky noch einen Boris Godunov thread gefunden).
    Ich habe die letzten Wochen x-Mal Gergievs Einspielung von Boris Godunov gehoert. Was fuer eine Oper! Ich rede von der 1869er Fassung, die Korsakov-Fassung verliert da, wie ich meine.


    Die Oper hat drei grosse Staerken. 1. der Schluss. Der Hoehepunkt wohl der Kontrast von Chor und Boris; der Chor konfrontiert Boris mit seinem Tod - genau wie die Todesglocke. Boris dagegen mit der Verzweiflung seines Verbrechens, allein das treibt mich schon in den Wahnsinn. Das ist einfach hoffnungslos, die zehrende Suende. Boris wird wahrlich nicht als Unmensch praesentiert, eher mitleiderregend. Dann dazu die ganz familiaere, persoenliche Ebene; Boris' Sohn, sein Erbe! Als der schluchzend meint, der Herr wuerde schon eine Moeglichkeit finden, da hat es mich nicht mehr gehalten. Ich habe geweint, wie ich schon lange nicht mehr wg. eines Stueckes Kunst geweint habe. Und dann auf einmal dieser Selbstanspruch von Boris, doch noch Zar zu sein. Als ob das da noch etwas nuetzte! Da wird mit technischen Mitteln einer transzendenten Ebene die nackte menschliche, egoistische Realitiaet gegenuebergestellt. Und als dann Boris stirbt, suggeriert die Musik vielleicht doch etwas wie Vergebung?
    2. der Anfang. Der Kontrast Polizeioffizier - Volk. Die tolle "Volksmusik". Da speigelt sich schon das ganze Ende - der Kontrast zwischen nacktem menschlichem Elend und Aufsatz von Macht oder "Show". Die Existenz wird zum Schrei!
    3. alles zwischen Anfang und Ende, v. a. aber die Kroenungsszene.


    Eine begeisternde Oper. Jedem empfohlen, der es a: etwas Emotionaler vertraegt; b: einen Sinn fuer grosse, existentielle Themen hat und c: sich nicht von der russischen Sprache abschrecken laesst. (Und d: es musikalisch etwas direkter als La Traviata vertraegt :beatnik: ).


    Ich habe auch die 1871er Fassung schon gehoert und finde, dass die einfach keinen Vergleich mit der Ursprungsfassung standhaelt. Ich habe das zu den Ergaenzungen gelesen und es wuerde mich da interessieren, noch mehr ueber die Zusammenhaenge zu erfahren. Wer sich also berufen fuehlt, mir etwas ueber angehaengte Schluesse, etc. erzaehlen zu koennen, da wuerde ich mich freuen.


    Eine der besten Opern, die ich kenne.

    Hallo Peter.
    Ich finde dein Statement sehr konstruktiv.
    Z. B. => wo siehst du beim Lohengrin Ansaetze, den Heeresrufer als SS-Mann darzustellen. Wenn du mir das plausibilisierst, ziehe ich mein Statement zurueck. Das finde ich noch am Interessantesten, weil ich es nicht im Mindesten nachvollziehen kann. Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.


    Zum Politischen. Ja, ja. Ich meine, ich habe ja selber gegenueber der Fidelio-Inszenierung klein beigegeben. Ich mag es halt nicht. Nach meinem eigenem Votum pro Streiten um Geschmack und Meinungen darf ich mich ja jetzt nicht dahinter verstecken, da wuerde ich ja gegen meine eigenen Grundsaetze verstossen! Aber keine Panik, wenn die falsch sind, habe ich keine Hemmungen, etwas Falsches zu verwerfen!


    Also in puncto Beethoven und Politik. Ich liebe Fidelio. Trotzdem: Das mit der Politisierung ist nicht mein Fehler, sondern Beethovens :stumm:. Das Libretto ist einfach ueberideologisiert! - Da muss ich wohl mit leben. (Kann ich auch!) Daher: Keine Frage, man muss das akzeptieren, wenn ein bestimmtes Material eines Kuenstlers mit politischer Ideologie befrachtet ist. Das ist bei Fidelio der Fall. Daher habe ich ja auch die Fidelio-Inszenierung als angemessen gelten lassen, obwohl ich persoenlich - aus ganz anderen Gruenden, die hier wohl nicht her gehoeren - da meine Probleme mit habe. (Das hat auch weder mit Operninszenierungen altmodisch vs. modern noch ueberhaupt mit Opern oder guter Musik - wie der des Fidelios - zu tun, sondern mit meinem Kunstideal.)


    Na klar, Beethoven koennen wir dazu nicht befragen. Das weiss ich auch wohl, dass der schon tot ist! :D
    Aber Beethovens Libretto koennen wir ja befragen, dazu auch seine anderen Zeugnisse, etc. Und ich meine es ist gut begruendet, wenn ich behaupte, dass Beethoven bei besagter Inszenierung sein Ok gegeben haette. Also mit anderen Worten, da rennst du offene Tueren ein.


    Um zu vermeiden, dass wir aneinander vorbeireden:
    Wenn man jetzt mal von der Klassifizierung "altmodisch vs. modern" weggeht, die ich fuer problematisch halte, dann wuerde ich sagen, dass ich klar zu der Fraktion gehoere, die sagt: Lasst uns beim Libretto bleiben. Besser andeuten (ich habe ja wohl etwas Fantasie), aber dafuer ohne nackten Hintern....

    Hallo Bernd et alii.


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    dass "informative", sachlich argumentierende, vermittelnde, überkommene Gegensätze in Frage stellende Beiträge weit weniger beachtet werden, als meinungsstarke, polemische, ad personam argumentierende Postings (wie ja auch Peter und Severina beklagt haben).


    Das fasse ich als Lob auf auf mein Posting auf. 8)


    In diese Richtung moechte ich noch etwas weiter gehen.


    Ich finde, Peter hat ein paar interessante Dinge angesprochen, an die ich anschliessen moechte.
    Lohengrin-Heerrufer als SS-Mann. Das Beispiel stammt aus diesem thread. Dass hat ja wohl absolut nichts mit Wagners Oper zu tun. Da es also keinen Bezug hat, laesst sich das Angemessenheitskriterium gar nicht ausprobieren.
    ...damit ist nur, fuerchte ich, nichts gewonnen. Schliesslich koennte ja - wenigstens prinzipiell - durch so eine "Verfremdung" trotzdem ein irgendwie gewinnbringender (bitte um Nachsicht wg. des zweifelsohne nicht ganz treffenden Ausdrucks) Effekt erzielt werden. Ich bin an diesem Punkt konservativ und meine, dass der Regisseur in gesetztem Fall dann eher einen Leserbrief oder Essay haette schreiben sollen - oder von mir aus einen Flyer am Portal verteilen. :beatnik:


    Ich bin auch ganz generell gegenueber Politisierungen von Opern eher abgeneigt. Trotzdem, in puncto Fidelio: Ich kenne eine Inszenierung, bei der am Ende bei der grossen finalen Chorszene der Chor in T-Shirts mit Inhaftierten aus aller Welt darauf auftritt. Alle Inhaftierungen, auf die da hingewiesen wird, sind von Amnesty International geaechtet. Wie schon gesagt, ich persoenlich steh' auf so etwas nicht; trotzdem muss ich anerkennen: Ich bin 100%ig ueberzeugt, dass Beethoven das gutheissen wuerde, i. a. W., dass das dem Stueck angemessen ist.



    PS - Randglosse (habe irgendwo auf diesem Forum gelesen -war es von Ulli? - "jeder hat ein Recht auf meine Meinung"): Oper ist doch so spannend. Da kommt die Qualitaet der konkreten Vorstellung auf so viele Faktoren an: Komposition, Libretto, Saenger, Schauspielvermoegen, Tagesform, Inszenierung, Regie, Orchester, Dirigat, Licht, Ausstattung, Akustik,... Und das alles geballt, auf einen Punkt hin konzentriert! De gustibus est disputandum - wie ich meine. Wenn ich aber doch tatsaechlich damit danebenliegen sollte, dann kann ich mir keine Kunstform vorstellen, die soviel Gespraechsstoff hergibt, wie die Oper!!!

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    Und nichts war häufiger zu lesen als die wohlfeile Einsicht, dass es keine "altmodischen" und keine "modernen" Inszenierungen gebe, sondern nur "gute" oder "schlechte".


    Ich habe nicht behauptet, dass es keine altmodischen oder modernen Inszenierungen gaebe. Ich habe lediglich die beiden beschriebenen Inszenierungen nicht so recht als solche einordnen koennen. Wenn 1.) als "modern" bezeichnet, dann verwendet man "modern" in einer Weise, die polemisch ist und ganz anderes transportiert als die nuechterne Bewertung einer Operninszenierung.


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    Es ist sicherlich normal und auch durch neu dazukommende Mitglieder bedingt, dass sich bestimmte Debatten gern wiederholen. Aber mit der Bezeichnung Déjà-Vu wird man der jetzt neu aufflammenden Diskussion schon nicht mehr gerecht: Es gibt bestimmte Rollen mit einem nur minimal variierten Text, die öfter mal mit Debutanten besetzt werden, wobei einige altgediente, allseits geschätzte Mitglieder immer wieder gerne ihre angestammten Rollen spielen. Das erinnert etwas an eine in die Jahre gekommene Repertoirevorstellung.


    (Auch hier ist der Wortlaut sehr verraeterisch,
    @Bernd: Was dich stoert an meinem Beitrag, ist sicher nicht, was ich gesagt habe, sondern eher wie ich es gesagt habe. Da bitte ich einfach um Nachsicht mit mir - nicht nur weil ich Neuling bin.)



    Grundsaetzlich wuerde ich sagen, dass "modern" fuer mich nicht unbedingt =negativ bedeutet, nicht einmal ""altmodisch" muss negativ sein, impliziert aber fuer mich eher "unangemessen" als es "modern" impliziert.


    Ich habe mich versucht an ein Kriterium heranzuwagen, naemlich das der "Angemessenheit" - dabei sei aber offen zugegeben, dass ich nicht alles gelesen habe. Ich wollte aber weder bestehende Gegensaetze synthetisieren noch eine Diskussion lostreten. Ich wollte eher von den beiden netten Geschichtchen plaudern, die ich zu diesem thread passend fand. "Nebenbei" ( :D ) habe ich dann eben versucht Argumente beizubringen, warum ich 2.) fuer eine angemessene Inszenierung halte (s. u.).


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    Nun, wenn du meine Beiträge ja kennst, weißt du, dass ich versuchte, von Geschmacksurteilen aus zu Begrifflichkeiten zu kommen, um emotional gefärbten Eindrücke objektivieren zu können und damit auch erst diskutabel zu machen. Dies Rad lasse ich gerne neu erfinden


    Da bin ich als Platon-Freund dabei. Ich bin allerdings ziemlich sicher, dass "Angemessenheit" bei Platon leider auch in die Aporie fuehrte. Wie auch immer, ich dachte, ich probier's mal und schau, wie weit es geht :D.


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    Über bestimmte Inszenierungen sprechen, die einen gewissen allgemeinen Bekanntheitsgrad haben, scheint mir ein Weg der Verständigung, sonst ist das alles ohnedies brotlose Kunst.


    Ich finde, dass ist doch auch ganz platonisch: Immer wieder konkretisieren und sehen, wohin der abstrakte Begriff fuehrt und ob er hilfreich ist. :yes::hello:


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    Das Problem, dass nur relativ selten zwei Leute dieselbe Inszenierung gesehen haben (allenfalls im Fernsehen - und das zählt wohl eher nicht), lässt sich leider nur schwer aus der Welt schaffen.


    Das ist allerdings fraglos richtig. Und dass Fernsehen nicht mit "live" vergleichbar ist, wohl auch. Aber wenn man eine Inszenierung nicht anhand einer Viedeoinszenierung beurteilen koennen sollte, dann wird man wohl ueberhaupt keine Inszenierung beurteilen koennen. Und das ist doch wohl nicht richtig, oder? Jedenfalls waere es sehr unbefriedigend - fuer mich wenigstens.

    Hallo liebe Diskutanten dieses threads.


    Ich mich jetzt dazu durchgerungen, nach vielem Herumlesen in diesem Thread (ich bitte um Verstaendnis dafuer, dass ich nicht alles gelesen habe), zwei kleine Geschichtchen zum Besten zu geben.


    1.) Eine Auffuehrung von Romeo und Julia. Das war einfach grauenhaft. Die Buehne war kahl und grell-gruen. Nachdem mir bis zur Pause das xte Mal irgendein Ar... ( :stumm: ) praesentiert wurde, habe ich die Pause als gute Gelegenheit zur Flucht genutzt. Der Abend hat mir dann einen wundervollen Schneespaziergang - als Entschaedigung - geboten. Ich habe spaeter erfahren, dass Romeo und Julia am Ende nackt gekreuzigt wurden. Angesichts der Schoenheit der Julia-Darstellerin, frage ich mich da wirklich, was den Regisseur zur diesem Fauxpas verleitet hat. :wacky:


    2.) Ich war einer der Gluecklichen, die Ricardo Chaillys "Maskenball" im Opernhaus hoeren konnten. Die Inszenierung hat die Handlung ins "Nirgendwo" verfrachtet. Das finde ich sehr angemessen. Denn gerade die Entstehungsbedingungen des Librettos zeigen, dass es Verdi hier weniger das konkrete, fassbare Geschichtliche geht, als mehr um die ungluecklichen Verstrickungen der Protagonisten, die sie schliesslich zu solcher Ausweglosigkeit leitet.


    Ich wuerde weder die unter 1.) beschriebene Inszenierung noch die von Verdis Maskenball als modern (und erst recht nicht als altmodisch) bezeichnen. Im Gegensatz zu 1.) empfand ich 2.) aber als angemessen gegenueber der Vorlage - obwohl diese Inszenierung sicher nicht "historisierend" zu nennen ist.


    ...

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    Brandaktuell hat Hersant noch die Oper "Der schwarze Mönch" vorgelegt (nicht auf CD).


    Ich war bei der Urauffuehrung in Leipzig dabei. Die Kritiken hinterher waren, glaube ich, nicht so berauschend. Mir persoenlich hat es aber sehr gut gefallen. Die gesangliche Leistung von Pursio, Schoenberg und Co war top. Die Oper selbst hat lediglich etwa 1 Stunde gedauert, war aber letztlich ok von der Laenge her. Musikalisch ist es mit Berg verglichen worden (in der Werbung!); die Tendenz ist sicher richtig...


    Ich hatte einen guten Abend. Dass die Oper ganz schoen unter die Haut ging, liegt allerdings va. an dem an Tschechow angelehnten Libretto (das aus dem Franzoesischen uebersetzt geboten wurde). Grossartig, wie Tschechow eben ist... Musikalisch waren Duennebachs Partien sehr schauerlich-schoen.


    Was mich (doch) gestoert hat, war dieses Nietzscheanische, das in dem Libretto wabert. Das ist wohl in der Tschechow-Vorlage gegruendet, trotzdem... :)

    Hallo liebe Forianer.


    Dies ist mein allererster Beitrag in diesem Forum, daher zuallererst ein berechtigtes Lob fuer die sehr vielen meistens lesenswerten und fachkundigen Analysen, etc...


    Ich habe diesen Thread, in dem ja schon einige Zeit nichts mehr geschrieben wurde, mit Interesse gelesen. Das Thema ist einerseits ja auch nicht sehr aktuell - die Salzburger Auffuehrung ist ja nun schon eine Weile her. Andererseits finde ich aber gerade diese Traviata-Interpretation sehr interessant, weil sie in mancherlei Hinsicht eine Art Brennpunkt darstellt. (Ergaenzend: Ich habe die aktuellere Manon leider nicht gesehen.)


    Ich kann vieles Gesagte, auch Kritisches, sehr gut nachempfinden.


    Allgemein:
    Saengerisch gefaellt mir Thomas Hampson sehr, sehr gut.
    Mir persoenlich liegt Villazons Stimme eigentlich nicht so, aber als Alfredo empfinde ich ihn als eine hervorragende Besetzung.
    Ueber AN ist ja sehr viel geschrieben. Ich selbst meine, dass Violetta und AN gut zusammen passen, m. a. W.: Ich hoere sie gerne als Violetta.


    Ich moechte mich aber wichtigstens zur Frage der Inszenierung, die ja sehr ausfuehrlich diskutiert wurde, aessern.
    Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich die Kritik an Decker teilen kann (da gibt es Fuers und Widers).
    Was aber IMO nur indirekt zur Sprache kam, ist, dass es es eigentlich hier nicht vordergruendig um das Zur-Darstellung-Bringen einer gewissen Oper geht, sondern eher um "branding".


    Dies scheint mir, wenn man sich die Vermarktung gerade dieser Inszenierung anschaut, sehr deutlich. Damit verschiebt sich IMO der Fokus in der Diskussion dieser Inszenierung weg von dem Fragenkomplex rund um Bedeutung/Aufgabe der Regie hin zu dem Fragenkomplex rund um "Kunst und Kommerz" - der ja bei AN ohnehin nicht unbedeutend ist. Ich wuerde sogar so weit gehen - das sei jedenfalls provokativ(?) zur Diskussion gestellt -, dass die Logik dieser Inszenierung sich erst aus diesem eher wirtschafts-, als musik- oder theaterwissenschaftlichen Blickwinkel erschliesst.