Nach langem Suchen hatte ich einen Beitrag gefunden, der aber auch wieder sehr
melancholisch gewesen wäre. Daher habe ich mich entschlossen, heute etwas Heiteres.
Der patentierte Weihnachtsbaum
Er war von Amerika gekommen, sorgsam in einer Kiste verpackt. Die einzelnen Teile waren numeriert, damit man sie zusammenstellen konnte, wie es sich gehört, und wenn alles ineinandergeschoben war, dann stand der patentierte Tannenbaum fix und fertig da. Der Stamm sah beinah ebenso aus wie ein wirklicher Tannenstamm, nur war er glänzender als dieser, weil er einen wundervollen patentierten Lacküberzug trug, seine Zweige saßen in viel regelmäßigerer Anordnung daran, als sie ein armer Waldbaum aufzuweisen vermag, und krümmten sich so elegant und so gleichmäßig, als hätten sie alle ein und denselben Anstandsunterricht genossen. Und wie herrlich grün waren die Zweige! Statt der Nadeln bekleidete sie feine weiche Chenille, die der Färber mit seinem besten Grün gefärbt hatte. So grün war kein Baum auf der weiten Welt. An jedem der Drahtzweige saß ein Kerzenhalter, und kleine Häkchen waren daran zum Befestigen des Konfektes und der silbernen Äpfel und goldenen Nüsse. Auch die Nüsse und Äpfel waren nach einem patentierten Verfahren aus Metall angefertigt. Sie ließen sich freilich nicht essen, aber dafür konnten sie stets wieder gebraucht werden, wenn Weihnachten kam. Und nun erst der Untersatz, auf dem der Baum stand! Der war aus Gußeisen, fein vernickelt und hatte eine Inschrift, die jedem, der lesen konnte, verkündete, daß der Baum patentiert sei. Der Untersatz barg außerdem noch ein Geheimnis, das erst am Heiligen Abend offenbart werden sollte, und auch dieses war patentiert. Es gab keinen patentierteren Tannenbaum als das Kunstwerk aus Amerika.
Nun kam der Weihnachtsabend, und während die Kinder sehnsüchtig des Augenblicks harrten, in dem die Türen zum Bescherungszimmer geöffnet wurden, bauten die Eltern da drinnen auf. Die Liebe hatte die einzelnen Gaben gewählt, und wiederum war es die Liebe, welche half, die Geschenke auszubreiten, daß sie sich dem Empfänger anmutig darböten und er zuerst fände, worauf sein Wunsch am lebhaftesten gerichtet war. Manches wurde versteckt hingelegt, damit es erst später entdeckt werde und eine neue Überraschung bereite, nachdem die erste Freude sich ein wenig gelegt. Und zwischen all den Gaben stand der patentierte Tannenbaum. Die Eltern ließen noch einmal prüfend die Blicke in stiller Vorfreude über die Herrlichkeiten gleiten, welche Kinderherzen froher schlagen machen sollten als sonst an einem Tage im Jahre.
»Ich vermisse nichts,« sagte die Mutter, »aber doch ist mir, als fehle etwas. Nur kann ich nicht finden, was es sein möchte.« »Es fehlt der Weihnachtsglanz,« erwiderte der Vater. »Laß uns die Kerzen anzünden, ihr Licht gibt erst dem Ganzen die Vollendung.«
Als die Lichter an dem Patentbaume brannten, wurden die Türen weit geöffnet und wie von dem hellen Schimmer geblendet, standen die Kinder an der Schwelle. Dann aber, als sie zu den Gaben geleitet wurden, jedes an seinen Platz, jubelten sie auf. Nun war sie da, die Wonne seligen Gebens und beglückenden Empfangens.
»Habt ihr euch den Tannenbaum schon genau angesehen?« fragte der Vater nach etlicher Weile. »Ist das ein wirklicher Tannenbaum?« entgegnete einer der Knaben. »Nein, aber er ist viel schöner. Und nun gebt acht, wie wunderbar er ist.«
Bei diesen Worten drückte der Vater auf einen kleinen Knopf, der an dem nickelplattierten Fuße des Kunstbaumes angebracht war, und der Baum fing an, sich langsam zu drehen. Dazu spielte eine Musikdose einen lustigen Tanz. Das war das Geheimnis des patentierten Tannenbaumes.
Einen Weihnachtsbaum, der sich dreht und obendrein selbst Musik dazu macht, hatten die Kinder noch nie gesehen. – »Gefällt er euch?« fragte der Vater und zog das Uhrwerk von neuem auf. Die Kinder schwiegen. »Hat dieser Baum sich im Walde auch die Geschichten mit dem Hasen erzählt, wie es in einem Märchenbuche steht?« begann einer der Knaben. – Der Vater lächelte. »Nein,« antwortete er, »dieser Baum ist kein Märchenbaum, den hat ein kluger Mann in Amerika gemacht.«
»Er riecht nicht nach Weihnachten,« sagte die Schwester. »Nun weiß ich, was ich vermißte,« flüsterte die Frau ihrem Gatten zu. »Der Baum atmet nicht den würzigen Hauch aus wie die Tanne unserer Wälder. Ihm fehlt der Duft.« – Ob der patentierte Baum merkte, daß man tadelnd über ihn sprach, das ist schwer zu sagen, aber gerade in diesem Augenblick knackte es in seinem Uhrwerke, und während er ein neues, viel lustigeres Stück zu spielen begann, drehte er sich noch rascher als vorher. Man hätte glauben können, er wollte zeigen, was er konnte. Aber das schien nur so, denn das neue Stück und die raschere Bewegung waren auch patentiert.
Mittlerweile hatte die Mutter sich entfernt, und als sie nach einiger Zeit zurückkehrte, brachte sie ein kleines Tannenbäumchen mit, das letzte, welches der Mann draußen auf der Straße den Vorübergehenden zum Kaufe anbot, das aber niemand haben wollte, weil es zu elend und erbärmlich war. Dann nahm sie Konfekt von dem patentierten Baum und schmückte den neuangekommenen damit, auch Netze und Goldpapier hängte sie daran und befestigte Wachslichter an seinen Zweigen. Ein Tischchen, mit einem weißen Tuche bedeckt, wurde für ihn hingestellt, und als er darauf stand und seine Kerzen brannten, scharten sich die Kinder um ihn. »Dies ist Weihnachten,« sagten sie. Als nun eins der Lichter sich neigte und die grünen Nadeln des Nachbarzweiges sengte, daß sie zischten, mußte es ausgeblasen werden. Ein leichter Rauchstreifen erhob sich von dem glimmenden Dochte. »Jetzt ist es ebenso Weihnachten wie sonst,« hieß es.
Der patentierte Tannenbaum stand still, da er nicht wieder aufgezogen war, aber der kleine Waldtannenbaum durchduftete das ganze Zimmer mit seinem frischen harzigen Geruch. Die schiefe Wachskerze hatte ihm dabei zu helfen versucht, so gut es in ihren Kräften stand.
Wenn Besuch während der Festtage kam, wurde der patentierte Baum gezeigt und mußte seine Kunststücke machen. Man fand ihn allgemein ganz außerordentlich, aber weil der Weihnachtsabend vorüber war, merkte man nicht, daß ihm das Beste fehle – die Kraft, Erinnerungen zu wecken, die Erinnerung an frühere Weihnachtsabende und an den grünen Wald, der nur unter dem Schneedache schlummert und der Auferstehung im Frühling wartet.
Später wurde der patentierte Tannenbaum wieder auseinandergenommen, in seine Kiste gepackt und auf den Boden gestellt, jedes numerierte Stück des Stammes, jeder numerierte Zweig sorgsam in Seidenpapier eingewickelt.
Ich bezweifle aber, daß er in diesem Jahre heruntergeholt und wieder zusammengesetzt werden wird, denn ich habe erfahren, es sei ein großer, schöner Tannenbaum bestellt, der fast bis an die Decke reicht, und auch Nüsse mit wirklichen Kernen und Äpfel, die man essen kann, werden am Abend, wenn die Kinder schlafen gegangen, emsig vergoldet und versilbert.
Das sind schlechte Aussichten für den patentierten Tannenbaum.« –
Julius Stinde 1841-1905 aus dem Roman "Familie Buchholz" 1884
Nun wünsche ich Allen noch einen schönen Advent und Weihnachten ohne patentierte 



Emotione
[SIZE=7]Veranstalter sowie unmittelbare Familienangehörige dieser sind vom Preisgewinn ausgeschlossen. [/SIZE]