Liebe Taminos,
nachdem ich in den letzten Wochen leider wenig Zeit hatte, Musik zu hören, geschweige denn über sie zu schreiben, möchte ich jetzt mit den “Winter Words” weitermachen und meine Eindrücke zu Lied Nr. 5 schildern.
The Choirmaster’ s Burial
(or The tenor man’s story)
He often would ask us
That, when he died,
After playing so many
To their last rest,
If out of us any
Should here abide,
And it would not task us,
We would with our lutes
Play over him
By his grave-brim
The psalm he liked best–
The one whose sense suits
‘Mount Ephraim’–
And perhaps we should seem
To him, in Death’s dream,
Like the seraphim.
As soon as I knew
That his spirit was gone
I thought this his due,
And spoke thereupon.
‘I think’, said the vicar,
‘A read service quicker
Than viols out-of-doors
In these frost and hoars.
That old-fashioned way
Requires a fine day,
And it seems to me
It had better not be.’
Hence, that afternoon,
Though never knew he
That his wish could not be,
To get through it faster
They buried the master
Without any tune.
But ’twas said that, when
At the dead of next night
The vicar looked out,
There struck on his ken
Thronged roundabout,
Where the frost was graying
The headstoned grass,
A band all in white
Like the saints in church-glass,
Singing and playing
The ancient stave
By the choimaster’s grave.
Such the tenor man told
When he had grown old.
(aus: Moments of Vision and Miscellaneous Verses, erschienen 1917; in: The Complete Poetical Works, Volume II, S. 284/85.)
In textlicher Hinsicht sind hier zwei Ebenen deutlich gegenüber gestellt: die des Chorleiters und des tenor manauf der einen und die des Pfarrers auf der anderen Seite.
Verdeutlicht wird dies zunächst auch durch die Musik: Das Stück beginnt (bis “died”) mit unbegleitetem Gesang, die Vortragsbezeichnung ist “simply”; erst am Ende des zweiten Taktes setzt im pianissimo die Begleitung ein. Leise beginnt die Erzählung von einem Chorleiter, der sich seines Wertes für die Gemeinde durchaus bewusst war, der seine Bitte jedoch höflich und bescheiden vorgebracht hat. Der Eindruck des betont Schlichten wird jedoch durch die Musik in meinen Ohren schon dadurch gebrochen, dass durch die Betonung von “us” statt “ask” und die Betonung bei “aný” auf der zweiten Silbe des Wortes gegen die Prosodie akzentuiert wird. Besonderer Nachdruck wird in diesem Teil auf die Erwähnung des Liedes “Mount Ephraim” gelegt (durch zweimaliges crescendo in der Singstimme eingeleitet).
Dann erklingen 13 Noten auf der ersten Silbe des Wortes “seraphim”, und dieses Melisma unterstreicht die Bedeutung, die der Gesang und das Spiel am Grab für den Chorleiter haben würde. Sehr schön finde ich die im pianissimo gesungene Wiederholung der Phrase “the seraphim”- als kleiner Nachhall und in Kontrast zu der liturgisch anmutenden Melismatik jetzt syllabisch und nachdenklich, mit fast “tonloser” Stimme gesungen. Eine Stelle, auf die ich in diesem Lied immer „warte” und die vielleicht in ihrem “fragenden”, offenen Ende (sie endet nicht auf dem Grundton) schon eine Überleitung zum zweiten Teil darstellt.
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Der Taktwechsel (von 3/2 auf 2/2) und die Vortragsbezeichnung “quicker” markieren insofern einen Wendepunkt, als von dem Tod des Chorleiters erzählt wird und der “tenor man” als “Erzähler in der Erzählung” von seinem Gespräch mit dem Pfarrer berichtet. Statt der ruhigen, akkordischen Klavierbegleitung im ersten Teil steht hier nun die Vortragsbezeichnung “heavily”, statt der leisen Akkorde erklingen kräftige, aufsteigende Tonfolgen, verstärkt durch Pedaleinsatz.
Die Rede des Pfarrers klingt schroff und bestimmt: Er spielt seine Autorität aus und erklärt seine Ansicht, dass eine derartige Begräbniszeremonie an frostigen Wintertagen nicht angebracht sei. Diese Bestimmtheit, die hier wohl als Karikatur eines autoritären Geistlichen daherkommt, weicht jedoch bei den Worten “And it seems to me, it had better not be” einem leiser werdenden, nachdenklichen, fast fragenden Ton, der zu der aufgesetzten Attitüde am Anfang der Rede nicht recht passen will – fast so, als habe der Pfarrer hier bei der ganzen aufgesetzten Pragmatik doch kein gutes Gefühl. Diese Passage, die auch in musikalischer Hinsicht wieder ein “offenes Ende” hat, kann man vielleicht wieder als Überleitung zum dritten Teil hin sehen?
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Dieser dritte Teil ist ohne crescendo zunächst im pianissimo, dann im piano gehalten. So lange der Text sich noch mit dem verstorbenen Tenor befasst (“Though never knew he that his wish could not be”), herrscht ein gebundenes Singen vor. Dagegen wird die Eile, mit der das Begräbnis vollzogen wird, durch eine staccatohaft wirkende Singstimme und einen ebensolchen Klavierpart verdeutlicht: ein bewusst “gehuschtes” Singen und Spielen, das außer der Eile für mein Empfinden auch so etwas wie ein Unbehagen der Teilnehmer an dem Begräbnis verdeutlicht, nach dem Motto: “Wir wissen, dass es nicht richtig ist, was wir hier machen, deshalb lasst es uns schnell hinter uns bringen.”
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Der vierte Teil nimmt musikalisch Motive des ersten wieder auf, und die Erzählung bekommt durch die fast flüsternd im pianissimo vorgetragene Einleitung “But ’twas said, that, when ... At the dead of next night“ und die im ppp notierte Begleitung bei ”A band all in white ...“ eine geheimnisvolle, unwirkliche Atmosphäre.
In diesem Teil ist, soweit ich in einer Biographie über Britten gelesen habe, auch das Lied „Mount Ephraim“ in die Musik mit eingewoben. Da ich dieses Musikstück jedoch nicht kenne, kann ich leider nicht erkennen, wo, wie und inwieweit dies geschehen ist. Es handelt sich dabei wohl um ein Lied aus dem 19. Jh.., dessen erste Strophen wie folgt lauten:
For all thy saints, o Lord,
our grateful hymn receive,
who followed thee, obeyed, adored,
and strove in thee to live.
For all thy saints, o Lord,
accept our thankful cry,
who counted thee their great reward,
who strove in thee to die.
“Like the saints in church-glass” erscheint auch die gespenstische Gruppe, die am Grab des Chormeisters jetzt dessen Lieblingslied singt und spielt. Ein fortlaufendes crescendo auf “singing and playing” läutet den Höhepunkt des Liedes ein; die Melismatik auf der ersten Silbe des Wortes “ancient” und auf der ersten Silbe des Wortes “choirmaster’s” stellen eine Verbindung mit dem ersten Teil her, die umso enger ist, als bei “choir” dieselbe Tonfolge erklingt wie auf der ersten Silbe von “seraphim” im ersten Teil. Der Kreis ist geschlossen, könnte man meinen und die Gerechtigkeit wiederhergestellt, da die Bitte des verdienten Chorsängers schließlich im Metaphysischen doch erfüllt wurde. Wäre da nicht der Nachsatz, der dieses trostreiche Ende der Geschichte dadurch relativiert, dass er ihm den Anschein der Authentizität nimmt, indem er es ausdrücklich als Erzählung aus der Erinnerung heraus deklariert - und die Erinnerung kann bekanntlich trügen oder verklären.
Eine Andeutung der Famahaftigkeit dieser Geschichte wird ja schon in der Erzählung selbst durch die Formel ” ’twas said” erreicht, hier am Ende jedoch durch die Hervorhebung des Charakters einer Erzählung noch stärker verdeutlicht. Und dieser Nachsatz ist auch musikalisch dadurch von dem Erzählten abgehoben, dass er ohne Begleitung gesungen wird.
“The Choirmaster’s Burial” ist ein Lied, das auch für mich insbesondere in seinen zarten Passagen sehr anrührend klingt und das dadurch eine besondere musikalische Spannung erhält, dass die Eindrücke, die in einem bestimmten Teil vorherrschend sind, zugleich auch immer wieder etwas relativiert werden.
Liebe Grüße
Petra