Hallo miteinander,
der Verismo gehört - ebenso wie der Naturalismus in der Literatur - nicht zu meinen bevorzugten Stilrichtungen, ich würde ihn jedoch auch nie als lächerlich betrachten. Exzessive Schluchzer, Schreie und musikalische Grimassen gehören für mich jedoch nicht zwangsläufig zum Verismo, sondern sind meiner Meinung nach Missverständnisse dieser Richtung.
Leider hat sich im Zuge des Verismo eine Polarisierung zwischen dem "schönen" und dem "wahren" Gesang herausgeschält, die weit bis in das 20. Jh. reichte. Der verzierte Gesang wurde als antiquiert verspottet, und dem "blässlichen Schönsänger" wurde der "wahrhaftige Künstler" gegenübergestellt, bei dem auch außermusikalische Drücker toleriert und honoriert wurden.
Maria Callas hat gezeigt, dass musikalischer Ausdruck auf naturalistische Effekte eigentlich verzichten kann; durch sie und einige andere Künstler ihrer Zeit wurde auch der Belcanto wieder salonfähig.
Und Marilyn Hornes Lamento im ersten Akt von Glucks "Orfeo" kann mir nicht trotz, sondern gerade wegen der Verzierungen, die den Klageausdruck noch erhöhen, Tränen in die Augen treiben.
Das Geschluchze im Canio-Lamento, dem sich viele Tenöre nach Caruso hingegeben haben, oder auch eine weinerliche Le-Havrre-Szene in der "Manon Lescaut", wie sie durch Gigli vorgeführt wurde, reizt mich dagegen eher zum Lachen. Und der Schluss in der Bohème ist für mich viel ergreifender, wenn der Tenor dabei nicht heult und nur seine Stimme mit Tränen einfärbt.
Kleine Schluchzer im Singen, wie sie Caruso oder ganz selten auch Björling eingebaut haben, stören mich jedoch nicht, weil sie u. U. den Ausdruck gerade in veristischen Opern verstärken können, wenn sie denn nicht übertrieben werden.
Und auch in veristischen Opern gibt es viele positive Momente.
Meine absolute Lieblings-Szene ist die bunte Marktszene in der Bohème; oder ist die weniger veristisch als impressionistisch zu nennen?
Mich fasziniert jedenfalls die Vielstimmigkeit, die in ihr so kunstvoll verflochten wird, immer wieder.
Und Tagliavini muss wirklich etwas Besonderes an sich haben, weil ihm so manches verziehen wird, das uns bei anderen Tenören nervt. Auch ich lasse diesem Sänger das angeschluchzte Singen und manche Manierismen durchgehen und höre ihn einfach gern!
Ein ähnlicher Fall ist für mich Franco Corelli: Marotten bis zum Abwinken, aber ein Timbre ...
Petra