Lieber arimantas,
ZitatOriginal von arimantas:
In den professionellen Kritiken fiel von das Wort von der „Opernschmonzette“ oder es wurde von „Gounods zuckrige Roméo et Juliette-Oper“ gesprochen. Am deutlichsten bewertet Wofgang Schreiber Gounods lyrisches Empfindungsdrama als zweitrangig, dem „bei aller Inspiration der Gefühle abgeht, nämlich die zwingende melodische Verdichtung, die elementare Drastik szenischer Abläufe, die Plastizität rhythmischen Gestaltens, das macht fast allein Rolando Villazãn als Roméo wett.“
ich habe mich auch schon häufiger gefragt, warum die französische Oper des 19. Jh.s oft so negativ beurteilt wird (auch einige Opern von Massenet teilen dieses Schicksal mit den Werken Gounods). Geht man mit den Maßstäben des Wagnerschen Musikdramas oder des späten Verdi an diese Werke heran, oder vergleicht man sie mit den veristischen? Ich bin keine Musikwissenschaftlerin und kann zur musikalischen Analyse leider wenig beisteuern, aber interessieren würde mich das schon.
ZitatZitat: Mir ist eigentlich nur der von Petra genannte Edmond Clément bekannt, der deren Möglichkeiten er in "Ah! lève-toi, soleil!" aufzeigt. Eine relativ kleine Stimme, aber welch klangliche Nuancierungen und welch anmutige Wehmut.
Clément wurde 1867 geboren, noch in der vorveristischen Zeit ausgebildet und hat sich von der veristischen Manier wohl nicht so stark beeinflussen lassen. „Anmutige Wehmut“ trifft es genau, und seine Interpretation des kleinen Madrigals „Ange adorable“ mit Geraldine Farrar ist immer noch meine Lieblingsversion: kein strahlender, sondern ein verhaltener, fast schüchterner Roméo geht da auf seine Julia zu. Ob das heute noch beim Publikum ankäme?
Sein Kollege Emile Scaramberg war noch 4 Jahre älter, sang jedoch z. B. den „Werther“ mit deutlich mehr „Druck“ und weniger Lyrismus, hatte neben dem französischen Fach auch einige Wagner-Partien in seinem Repertoire. Ich denke, dass durch die Einflüsse Verdis und Wagners, später auch der Veristen, die tragédie immer weniger „lyrique“ gesungen wurde.
ZitatZitat: Mich läßt allerdings die Frage nicht los, warum er auf Schwedisch poetischer singt. Denn Ich tendiere eigentlich, neben den anderen genannten Kriterien, zur Ansicht Martins, daß eine „möglichst perfekte Aussprache (idealerweise Muttersprachler)“ die Umsetzung des französischen Stils erleichtert. Vielleicht liegt es daran, daß Björling in der eigenen Muttersprache singend Text und Musik besser in Übereinstimmung bringen kann.
In der eigenen Sprache zu singen, fällt wahrscheinlich immer leichter, das könnte wohl wirklich ein Grund sein. Ein anderer ist vielleicht mit Björlings Laufbahn begründet. Er war bis in die späten 30er Jahre hinein ein ungemein lyrischer Sänger. Trotz seiner etwas spröden, recht metallischen Stimme war der junge Björling für mein Empfinden einer der lyrischsten Sänger, die ich kenne. Er wollte jedoch ins Spinto-Fach, hat dies ja auch erreicht und seit den 40er Jahren versuchte er seine Stimme voller und schwerer zu machen – Caruso war ein großes Idol und sein eigenes Timbre vielleicht gar nicht so sehr sein Ideal (signifikant ist, dass er nach Aussage seiner Frau in der „Jussi“-Biografie Valletti und Tagliavini stimmlich weniger schätzte als den robusteren Jan Peerce).
Ein anderer Punkt sind die Erwartungen des Publikums: Georges Thill, wohl einer der letzten großen Vertreter der alten französischen Schule, erntete an der Met für seinen Roméo und Faust sehr magere Kritiken. Nun war er vielleicht nicht so poetisch wie Björling, doch was wohl auch dazu beitrug, war die Tatsache, dass er den Schluss von „Salut demeure“ mit einem Diminuendo sang und das Publikum darüber enttäuscht war. Das ganze Konzept der Met-Aufführung von 1947 erscheint mir etwas dramatischer und „knalliger“ als die schwedische Aufführung, und Björling fügt sich da gut hinein; es wurde ja auch als „Sternstunde“ betrachtet – trotzdem mag ich die 1940er lieber!
(Das ist jetzt ein bisschen OT, bezieht sich jedoch auch auf Deine Frage: Björling sang 1938 in einer schwedischen Studioaufnahme Manricos „Ah!si ben mio“ mit einem Pianissimo-Schluss – die Einspielung wurde seinerzeit nicht veröffentlicht, ist jetzt jedoch in der EMI-JB-Edition zu hören. Ich liebe diese Aufnahme! Ein Jahr später wurde Manricos Romanze mit einem pathetischeren Schluss aufgenommen und veröffentlicht. Natürlich auch sehr schön, aber ...)
Der französische Stil der tragédie lyrique, wie er uns hier vorschwebt, ist im 20. Jh. wahrscheinlich nach und nach verschwunden oder vereinheitlicht worden. Eine Renaissance wäre wahrscheinlich schwer durchzusetzen (das Dirigat, das Orchester, der Mercutio und der Stefano kamen ihm in Salzburg in meinen Ohren am nächsten).
ZitatZitat: Hätte Björling heute in Salzburg eine Chance oder anders gesagt, wärt ihr nicht hingegangen, wenn Björling den Romeo von der Rampe aus gesungen hätte?
Ich hätte das vokale Engagement bewundert, die sparsamen Bewegungen mit leichtem Zähneknirschen hingenommen – und wahrscheinlich in der Felsenreitschule viel Platz gehabt
Aber im Ernst: Die Anforderungen in Bezug auf das gleichzeitige Darstellen und Singen haben sich derart gewandelt, dass ich seinem Roméo in der Publikumsgunst heute keine großen Chancen einräumen würde. Und vielleicht muss man deshalb bei den heutigen schauspielerisch begabteren Sängern einige Abstriche machen, was die vokale Darstellung angeht. Alles kann man wahrscheinlich nicht haben ...
Petra