Kommen wir doch noch einmal zu den Cembalisten zurück, die hat Glockenton ja oben schon eingeführt. Außerdem kenne ich von denen einige Einspielungen, kann also ein bisschen vergleichen.
Man kann sich aus einigen Quellen ein recht gutes und umfassendes Bild machen. Z. B. ist die generelle Spielweise mit Sicherheit kein Legato im klassisch-romatischen Sinn gewesen, allerdings auch kein abgehacktes Staccato, bei dem keine Note ihren Nachbarn kennt. Letzteres kam in älteren hip-Einspielungen – aber auch da schon als Extrem – hin und wieder vor.
Mit aller Vorsicht: Es geht darum, die Noten so voneinander abzusetzen, dass jede ihr eigenes Gewicht behält, aber auch im Zusammenhang zu hören bleibt.
Das ist kein Legato, aber noch weiter vom Staccato entfernt und entspricht wirklich am besten der überlieferten Bezeichnung des „ordentlichen Fortgehens“. Wo gebunden gespielt werden soll, stehen Bögen drüber.
Wie das in der Praxis aussieht, hat unser Cellist weiter oben eindrücklich beschrieben.
Und wie der Barockbogen ein solches Spiel fördert, fast fordert, so zwingen die alten Fingersätze den Tastendompteur zu dieser Spielweise: Erst spät (D. Scarlatti) kommt der Daumen als gleichberechtigter Finger auf die Tasten, der Daumenuntersatz ist eine kleine Revolution. Nun versuche man einmal, einen legatissimo-Lauf ohne Daumenuntersatz hinzubekommen – viel Vergnügen!
Ein anderes Kapitel wäre der stumme Wechsel, der ebenfalls erst später Mode wird, um eben ein reibungsloses Legato zu erreichen. Verzichte ich auf Daumen und stummen Wechsel, komme ich zwangsläufig zu völlig anderen Phrasierungen, als sie später üblich und dann eben auch auf ältere Kompositionen angewandt wurden.
Seltsamerweise ist das Thema ‚Fingersatz’ derzeit nicht mehr modern, und ich weiß nicht, ob man nicht ein paar der neueren Tastenlöwen verdächtigen sollte, dass sie auf dem Cembalo den Daumen fleißig benutzen, obwohl er eigentlich noch gar nicht vorhanden ist. 
Ähnliches gilt übrigens für das Pedalspiel auf der Orgel: Den Wechsel Spitze-Absatz gibt es im Barock nicht, dafür war die Tastatur auch gar nicht ausgelegt, gespielt wird nur mit der Spitze. Und auch hier ist der stumme Wechsel eine spätere Angelegenheit.
Agogik und Rubato sind sicher auch Geschmackssache, aber wenn es überhand nimmt und das Metrum beständig ins Taumeln kommt, Pausen gedehnt, Phrasen beschleunigt werden, gerät auch der moderne Klavierlehrer in gerechten Zorn – mir fällt hier Miguels beinahe verzweifelte Suche nach einem ‚Italienischen Konzert’ ohne überdehnte Pause zu Anfang ein.
Der oben schon genannte ‚Grundpuls’ muss das Maß bleiben, und wenn ich ihn beibehalte, bekomme ich nahezu automatisch den ‚Groove’ (falls ich nicht Valium-abhängig bin).
Den wiederum darf man nicht mit dem ‚Tänzerischen’ verwechseln. ‚Ansteckende Rhythmen’, schön und gut, aber nicht jede Kirchensonate muss gleich zum Tanzvergnügen auffordern. Trotzdem war das eine Zeit lang auch eine der wichtigen Maximen, die auch völlig ungeeigneten Sätzen übergestülpt wurde.
Und dann haben wir noch das Tempo an sich. So sehr ich Rousset oder Staier auch bewundere, es gibt Momente, da neigen sie zur Übertreibung und geben uns Affen ordentlich Zucker. Bei Sempé halte ich es manchmal schon für reine Akrobatik.
Sicher heißt es über Bachs Spiel, dass er das Tempo für gewöhnlich recht rasch nahm (oder so ähnlich), aber nicht, dass er fortgesetzt am Rande des Schlaganfalls entlang spielte. Oft verliert ein Satz durch übersteigertes Tempo nämlich eher an Gewicht, als es der virtuose Eindruck wieder wettmachen könnte.
Ein gut geeignetes Stück zur Überprüfung der ganzen hier zusammengeplauderten Aspekte ist für mich übrigens BWV 903, die Chromatische Fantasie & Fuge.
Da ist in der Fantasie jede Pause exaktestens notiert, und jedes Notenfähnchen hat seinen Sinn (nicht nur den, dass der Takt auch aufgeht). Wenn es deklamatorisch werden soll, dann steht da auch „Recitativo“.
Wird die Fuge zu schnell gespielt, verliert sie ganz schnell an Wucht und Nachdruck, zwei Charakteristika, die durch das Thema eigentlich vorgegeben sind. Sie ist auch im gemesseneren Tempo schwierig genug, man muss sie nicht als quasi-prä-Liszt exekutieren, um damit Eindruck zu machen.
Aus alldem ergibt sich ja schon, wer mein Favorit sein müsste, wer am ehesten alle diese Kriterien erfüllt und dabei doch nie mechanistisch spielt, technisch keine Schwierigkeiten kennt, dass aber dem Publikum nicht andauernd auf die Nase binden muss und wessen kleine Marmorbüste ich hier bisweilen liebevoll abstaube:
Scott Ross
So, jetzt weiß auch Pius, wessen CDs er sich kaufen muss. 
Das erst einmal dazu.