Liebe Taminos und Paminae!
Durch meine derzeitig extreme Arbeitsbelastung bedingt sehr verspätet
folgt nun noch die Würdigung des großen Luciano Pavarotti.
Durch ihn erst – vor allem in seiner kongenialen Partnerschaft mit Joan
Sutherland – habe ich durch die Mittagskonzerte im WDR damals vor ca.
20 Jahren das mir vorher weitestgehend unbekannte Repertoire von
Bellini und Donizetti entdeckt und lieben gelernt. Ich bin seiner großen
Kunst und der Einzigartigkeit seiner Stimme sehr verpflichtet und habe
seit ich vor ca. eineinhalb Jahren von seiner Erkrankung las daran Anteil
genommen und für ihn gehofft und gebetet.
In den achtziger Jahren durfte ich ihn noch live erleben, er hatte
fürwahr eine magische Aura, über die er mit seinem Publikum
Verbindung aufnehmen konnte. Seine Energie und Lebensfreude,
vielleicht paßt sogar Lebensgier, waren fast zum Greifen. Aber so wie er
Applaus förmlich aufsaugte, gab er auch Begeisterung zurück – ein
Kommunikationsphänomen zwischen Musiker und seinem Publikum, wie
es bei den „Großen“ eben zu spüren ist. Ich möchte jetzt gar keine
Erklärungen dafür suchen, sondern einfach nur dafür Dank sagen, daß
es so große Sänger gibt.
Was für mich das Faszinosum seiner Stimme ausmacht, ist neben deren
Schönheit die Konstanz und Kontrolle über die gesamte Bandbreite bis
in die höchsten Töne. Sie hat dabei eine vibrierende Innenspannung,
die ich so bei keiner anderen Tenorstimme wahrnehme, ein „Pulsieren“
wie ein Laser, aber ich habe das Gefühl, daß er seine Stimme absolut
fokussiert halten kann, über die gesamte Bandbreite, pianissimo bis
fortissimo.
John Steane hat es in einem Essay über Luciano Pavarotti wie folgt
beschrieben: „ But of course the high notes have their place in compositions
which for most of the time employ the voice more or less in the centre
of its range. Pavarotti’s voice is in the first place remarkable for its quality
throughout that range. Hearing him ‘in the flesh’, the essential pleasure
lies in the purity of tone, that it has been utterly free from anything
cloudy in the main body of the tone … Then, still considering the voice
as an instrument, there is an exceptional consistency. So often when the high
notes are free and strong, the low ones will be relatively feeble and colourless;
but Pavarotti’s tone remains firm and full-bodied throughout. The prime
usage of such a voice is to keep it steady, and never in Pavarotti’s singing
as there been so much as a suggestion of a ‘beat’ or of uneven vibrations.”
Ich hätte es nicht so gut ausdrücken können, aber das genau ist es!
Vom Beginn seiner Karriere an, nachfolgend in den 70er Jahren hat er
meinen Ohren nach mit besagten Donizetti und Bellini-Partien für die
Ewigkeit gesungen und DIE Maßstäbe gesetzt, da kommt meines Empfindens
nach bisher keiner heran. Das gilt ganz besonders auch für den Duca im
Rigoletto und seinen Rodolfo in La Bohème.
Familiär als Domingoaner geprägt und quasi voreingenommen erzogen,
habe ich Pavarotti erst unreflektiert abgelehnt (schändlich, aber wahr),
wurde durch vorgenannte Glanzleistungen aber schnell eines Besseren belehrt.
Die Medien müssen damals wohl kleine der Eitelkeit und dem Ehrgeiz
geschuldete Scharmützelchen zwischen Domingo und Pavarotti aufgegriffen
und aufgebauscht haben. Und ich war zunächst dumm genug, Partei zu
ergreifen. Warum, kann ich heute nicht mehr verstehen.
Ich habe Pavarotti in den 80er Jahren dann auch in seine
anderen Partien (der insbesondere spinto-Rollen von Verdi und Puccini)
für mich entdeckt. So übertrifft er als Radames mit dem wie von Verdi
notiert gesungenem Ende von „Celeste Aida“ m.E. sogar noch Carlo Bergonzi.
Was die stark kritisierte Verlagerung des Repertoires angeht bin, bin der
Ansicht, daß letztlich nur der Sänger selbst entscheiden kann, wie er mit der
Entwicklung seiner Stimme umgeht. Wer außer ihm kann sagen, ob die
dunklere und volle Stimmfärbung Ursache der Repertoireverschiebung
ist und/oder interdependent auch die Folge. Bei José Carreras und Giuseppe
di Stefano habe auch ich den Eindruck, daß sie ihre wunderschönen Stimmen
überstrapaziert haben – und doch war es ihr Recht so zu wählen.
Verglichen damit hat sich Pavarottis Stimmer jedoch entschieden länger
ihre Kraft und einzigartige Schönheit bewahrt.
Die 90er waren ab Beginn der Three Tenors-Ära zugestanden schon ein
nicht unerheblicher künstlerischer Abgesang, weil Pavarotti seine bisherigen
Glanzpartien abgelegt bzw. ausgedünnt hatte und leider künstlerisch
keine neuen Gebiete mehr entdecken wollte. Er scheint hier wegen
seines hochexpansiven Lebensstils die künstlerische Entwicklung dem
Kommerz geopfert zu haben, aber man muß auch den extremen Druck
sehen, den er durch den auch selbst mitgeschaffenen Mythos ertragen
mußte. In Korrelation mit den zugegeben extremen Gagen steigen
auch der Leistungsdruck und leiden die Nerven. Wer kann schon zu
behaupten wagen, diesem immer gewachsen zu sein? Alle erwarten
mindestens ein Wunder, Tagesform darf es nicht geben.
Kokainsucht soll gar nicht mehr selten sein bei Sängerstars, das Beispiel
von Andrea Gruber, die das öffentlich eingestanden und sich erfolgreich
in Therapie begeben hatte, mag für die vielen nicht bekannten Fälle
stehen.
So manch berufener Stimmkritiker macht nach meiner Erfahrung bei
wohlfeilen Artikeln für die Tonträgerkonzerne nicht weniger kommerzielle
Konzessionen, die man Pavarotti aber nicht zugestanden hat.
Luciano Pavarotti war für mich ein Urbild an südländischer Lebensfreunde
und ein durch und durch sanguinischer Mensch. Seine Lust am Leben
und die daraus überspringende Begeisterung, diese besondere Bühnenaura,
die er ausstrahlte, hängen untrennbar zusammen. So wie er den Applaus
aufzusaugen und zu brauchen schien, so lebte er auch und überforderte
damit seinen Körper und seine Gesundheit.
Diese Faktoren sollte man nicht unterschätzen, wenn man über spätere
stimmliche Probleme und deren Ursachen spekuliert, die dann nach dem
Jahrtausendwechsel auftraten.
Ich möchte aber keine weiteren biographischen Ausführungen machen,
sondern meine Dank aus- und seine Kunst für sich selbst sprechen lassen.
Auf die Gefahr hin, daß in den über 191.000 Beiträgen alles schon ausführlich
und besser vorgestellt wurde, will ich zeitbedingt dann in Folgebeiträgen
meine Lieblingsaufnahmen von Luciano Pavarotti nennen und kurz vorstellen.
Ciao e molto grazie, Luciano
Ulmo