Im letzten Sommer war ich wie immer bei den Händelfestspielen in Halle.
Bei glühender Hitze sah ich nach vielem anderen meinen persönlichen Höhepunkt der Festspiele: "Ariodante", die Opernpoduktion des Opernhauses.
Ariodante war eine kleine Uraufführung: das Werk wurde zum ersten Mal in der Fassung der Hallischen Händel-Ausgabe gespielt. Herausragend das Sängerensemble (Gillian Keith, Caitlin Hulcup, Agnete Munk Rasmussen, Raimund Nolte, Axel Köhler, Nicholas Sales, Alexander Geller). Das Händelfestspielorchester war wieder einmal höchst beeindruckend und bekam durchaus nicht etwa weniger Beifall als die Solisten. Es ist ja im Gegensatz zu allen anderen in den erwähnten Produktionen spielenden Orchestern zwar ein Spezialensemble mit alten Instrumenten, besteht aber aus Musikern der "normalen" Staatskapelle Halle (die auch das Opernhaus-Orchester ist), die das ganze übliche Programm spielt. Die musikalische Leitung hatte Federico Maria Sardelli. Seine extravagante Art zu dirigieren (bei der Ouvertüre flog ihm sogar der Stab ins Orchester) war auffällig, diente aber dem Werk. Ariodante ist ene Oper mit Ballett und das wurde auch nicht wegrationalisiert, hervorragend das Ballett des Opernhauses. Die Regie von Stephen Lawless war sehr beeindruckend. Der erste Akt schäumte geradezu über vor witzigen und übersprudelnden Ideen, das diente aber dazu, den Kontrapunkt zum zweiten Akt zu liefern, in dem das Leid über die Beteiligten hereinbricht. Da bleibt einem in Erinnerung das ungemein bedrohlich wirkende Ballett am Ende des zweiten Aktes, das Bild, in dem sich die Welt buchstäblich auf den Kopf stellt, die extremen tänzerischen Aktivitäten der Sängerin Gillian Keith (Ginevra), das verdeutlichende Licht in der Inszenierung. Am Beeindruckendsten aber fand ich den Schluss.
Auch in Ariodante ist das lieto fine ein Problem: Ginevra ist gerade noch kurz vor der Hinrichtung und in der Überzeugung, ihr Bräutigam Ariodante habe sich umgebracht, da erscheint dieser in der Tür und hast-Du nicht-gesehen ist alles glücklich und die Hochzeit findet statt. Wie hier ohne Gegensatz zu Musik und Text eine glaubhafte Entwicklung der Gefühle aller Beteiligten, vor allem Ginevras gezeigt wird: verwirrt, zögend, abweisend, sehnsuchtsvoll ist ein inszenatorisches (und natürlich auch darstellerisches) Meisterstück. Als Zuschauer erlebte man ein Wechselbad der Gefühle, wie es nur die ganz seltenen Höhepunkte des Theaterlebens hervorrufen können.
Ovationen belohnten die Beteiligten. 
Weshalb ich darüber heute berichte? Weitere Vorstellungen dieser Produktion im Opernhaus Halle stehen kurz bevor: am 23.2., 7.3., 21.3., 24.4. und 14.5. Die Februar-Vorstellung wäre insbesondere deshalb eine Reise wert, weil es Händels Geburtstag ist und man es zweitens gut mit einer Messias-Aufführung am folgenden Abend kombinieren kann.
Ich kann das aus vollem Herzen empfehlen.
Das Opernhaus Halle zu dieser Produktion:
http://www.opernhaus-halle.de/…?key=2874&cat=2007-2008-1
Viele Grüße
Thomas Michel