Wie die legendären Schwammerln nach einem Sommerregen, schießen in vielen Orten Österreichs mehr oder weniger – künstlerisch wie kommerziell – erfolgreiche Sommerfestspiele aus dem Boden. Was in Zeiten bestenfalls gleichbleibender Subventionen der öffentlichen Hand bedeutet, dass entweder neue Festspiele nichts bekommen oder bestehende entsprechend weniger. Was in der Praxis dazu führt, dass die Eintrittspreise auch bei nicht vergleichbaren Leistungen den Kartenpreisen bedeutender Kultureinrichtungen nahe kommen (für eine Generalprobenkarte verlangte man bei einem Musical in Ostösterreich beispielsweise € 10,00; um diesen Preis bekomme ich bereits – zugegeben schlechte – Karten in der Wiener Statsoper).
Ein Festspielort, der bereits einige Jahre überstanden hat, somit über gewisse Tradition verfügt und von den Einheimischen begeistert mitgetragen wird, ist die Burgarena Reinsberg. Für die Nichtösterreicher – Reinsberg ist ein kleiner Ort im niederösterreichischen Alpenvorland, etwa 140 km von Wien entfernt (und rd. 30 km ins Landesinnere von der Abfahrt Ybbs der Autobahn A1). Was unter dem Übergriff „Mozart in Reinsberg“ – ich erinnere mich an eine durchaus hörens- und sehenswerte „Zauberflöte“ vor ein paar Jahren – begann, hat dieses Korsett in der Zwischenzeit gesprengt und man zeigt auch Werke anderer Komponisten. Heuer steht „Fidelio“ auf dem Programm, für das kommende Jahr ist „Hänsel und Gretel“ angekündigt.
Künstlerischer Leiter in Reinsberg ist Martin Haselböck. Für die aktuelle Produktion hat er eine Fassung gewählt, die Passagen der „Urfassung“ 1805 früher Umarbeitungen enthält und mit der gängigen Fassung von 1814 verbindet. Das mag für Musikhistoriker vielleicht Sinn machen, ergibt aber in Summe eher ein Pasticcio als eine zusammenhängende Opernaufführung. Denn Beethoven´s Kompositionsstil hat sich in den 10 Jahren zwischen der Premiere von „Leonore“ (uraufgeführt am 20. November 1805) und jener von „Fidelio“ (uraufgeführt am 23. Mai 1814) natürlich verändert und in Verbindung mit dem gekürzten und partiell veränderten Libretto ergibt sich doch eine Entwicklung vom Singspielhaften hin zum musikalischen Drama. Diesen Knoten zu lösen, ist nicht wirklich gelungen. Hört man in Marzellina´s Arie („Oh wär´ ich schon mit dir vereint“), die hier übrigens als Nummer 1 vor dem Duett mit Jaquino („Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir alleine“) gegeben wird, noch ungewohnte Phrasierungen, erklingt vor dem Quartett („Mir ist so wunderbar“) plötzlich ein Terzett Marzelline-Jaquino-Rocco. Einen ungewohnten musikalischen Einschub gibt es auch vor „Oh namenlose Freude“ oder am Beginn des großen Finales. Dafür fehlen (ähnlich manchen Einspielungen) weite gesprochene Textteile und auch auf die „Leonore III“ wird – das aber ist begründbar – verzichtet.
Das alles ist für „normale“ Besucher – und einen Großteil der Besucher bilden Einheimische, vor allem Freunde und Verwandte der Chorsängerinnen, und Autobusgruppen – vermutlich von geringer Bedeutung, für den Opernfreund aber verwirrend.
Michael Sturminger inszeniert diesen „Fidelio“ zeitlos-modern. Die Personenführung ist unauffällig; vielleicht könnte das Liebesgeplänkel zwischen Fidelio und Marzelline etwas weniger aufdringlich erfolgen; ein paar Ungereimtheiten (Fidelio betritt während der Ouverture in Frauenkleidern die Bühne und wird vor den Augen des Publikums zum Mann; einen Teil der Kleidung entsorgt sie in einem Mistkübel, das Kostüm hängt sie zur Wäsche, die Marzelline später bügeln wird und dieses Kostüm hängt Marzelline dann prompt auf eine Kliderpuppe; die abgeschnittenen langen Haare werden später von Marzelline gefunden, die sie wie einen Talisman in ihr Zimmer nimmt) sind schnell vergessen. Dazu passen die Fantasieuniformen (Kostüme: Birgit Hutter) von Fidelio, Rocco, Pizarro und den Soldaten, die jede Armee der Welt symbolisieren könnten; störender ist da schon die Kleidung der Gefangenen, die wohl in keinem Gefängnis der Welt in abgetragenen Anzügen zum Hofspaziergang geführt werden. Praktikabel auch die Szene und das Bühnenbild von Stefan Hinterhofer; der erste Akt spielt wohl vor der Gefängnismauer im Hof, beim Kerkerbild kamen vermutlich nicht nur mir spontan die Bilder von Guantanamo in Erinnerung; leider verschenkt ist die befreiende Wirkung im Finale – nicht nur, weil der Auftritt durch ein Tor im Bühnenhintergrund erfolgt (das auch sonst für Auftritte und Abgänge genutzt wird), sondern vor allem weil der Jubel mit einem kleinen Chor auch sehr zurückhaltend klingt.
Dass „Fidelio“ eine schwer zu besetzende Oper ist, davon wissen auch große Opernhäuser ein (trauriges) Lied zu singen. Vor alle die Rollen der Leonore und des Florestan stellen an die Interpreten höchste stimmliche Ansprüche. Die können an einem Ort wie Reinsberg natürlich nur mit Abstrichen erfüllt werden (und die ursprünglich als Leonore angesetzte Heidi Brunner hat kurz vor Probenbeginn die Rolle auch abgegeben). Mit Claudia Iten konnte für die Titelpartie eine Interpretin gewonnen werden, die sich in bedeutenden Rollen an mittleren Häusern schon bewährt hat. Sie ist burschikos genug, um glaubhaft den jungen Mann Fidelio zu verkörpern und bringt die stimmlichen Mittel mit, die Freilichtbühne ohne Mikro oder Verstärker mit der erforderlichen Stimmfülle zu beschallen. Letzteres gilt mit Einschränkungen auch für ihren Florestan, der von Ronald Samm wenig ausgehungert verkörpert wird. Wenngleich das Programmheft ihn als Otello, Siegmund oder Don Jose nennt, bin ich mir nicht sicher, ob er wirklich dieses Fach singen sollte. Diese bedenken stützen sich zwar nur auf das gestern Gehörte, ich glaube aber dennoch, dass er im weniger heldischen Bereich besser aufgehoben wäre. Wolfgang Bankl ist ein mehr als guter Rocco, dem stimmlich die Schwärze der Stimme fehlt und der vom Typ einen idealen Beamten und (liebenden Vater) gibt. Wäre ich für die Besetzung verantwortlich, ich hätte einen anderen Rocco genommen und mit Bankl dafür einen idealen Pizarro auf die Bühne stellen können. Denn für diesen ist Tomasz Konieczny definitiv noch mindestens eine Nummer zu klein. Es ist vermutlich seine Jugend, die für mangelnde Persönlichkeit und auch stimmliche Unausgereiftheit verantwortlich ist. Und man muss auf der anderen Seite dankbar dafür sein, dass junge Menschen abseits vom großen Trubel die Möglichkeit geboten wird, Erfahrungen zu sammeln und in Rollen zu wachsen. Das eben Gesagte gilt Wort für Wort auch für Thomas Unbedingt in der Rolle des Don Fernando.
Wahrhaft festspielwürdige Leistungen boten uneingeschränkt Alexander Kaimbacher als Jaquino und vor allem Bernarda Bobro in der Rolle der Marzelline. Sowohl von der Darstellung als auch vokal ist dieses Paar eine ideale Besetzungen, das den Vergleich mit prominenten Vertretern dieser Rolle nicht zu scheuen braucht. Beide würde ich gerne in diesen Partien in ersten Häusern erleben wollen.
Unter der aufmerksamen Leitung von Martin Haselböck spielt die Wiener Akademie auf Originalinstrumenten. Und was in einem Konzertsaal durchaus werkgetreu und interessant zu klingen vermag (der in dieser Zusammensetzung im Wiener Musikverein gespielte Zyklus beweist es), kann unter den Bedingungen eines Freilichtabends zum gegenteiligen Effekt führen. Vor allem dann, wenn – so wie bei der gestrigen Aufführung – wenige Stunden vor dem Auftritt ein Gewitterregen niedergeht und sich die Luftfeuchtigkeit jenseits von 90% bewegt. Da muss man dann über manche Pannen hinweghören und hoffen, dass für die geplante CD – für die gestern mitgeschnitten worden ist - auch andere Abende verwendet werden (zumal das Zirpen von Grillen die Aufnahme des zweiten Aktes wohl kaum verwendbar macht).
Michael 2