Liebe Ulrica,
Themen wie diese sind immer ein heisses Eisen, da man ja auch selbst immer irgendwie betroffen ist und natuerlich denkt: "Bei mir funktioniert's ja", egal, ob man nun schlank oder uebergewichtig ist.
Mir persoenlich geht es ueberhaupt nicht darum, uebergewichtige Menschen in irgendeiner Form zu diskriminieren, denn Schoenheit ist sowieso relativ, und damit ich jemanden schoen finde, muss er/sie schon mehr bieten als Gardemasse (ich weiss grad den Code fuer sz nicht, ich meine in dem Fall natuerlich nicht MASSE
). Ich kann auch uebergewichtige Menschen attraktiv finden (mein Partner z.B. hat auch nicht das so oft postulierte Idealgewicht und ist fuer mich trotzdem der schoenste Mann auf der Welt), allerdings habe ich auch da eine gewisse Grenze, was ich persoenlich noch anziehend finde. Habe ich ins andere Extrem allerdings auch, und jemanden, bei dem ueberall die Knochen rausstehen, finde ich persoenlich unattraktiver als jemanden, der vielleicht ein paar Kilo zuviel hat. Aber ueber Geschmack laesst sich nun mal nicht streiten.
Sehr wohl allerdings laesst sich darueber streiten, dass Uebergewicht oder auch Schlanksein vom einen oder anderen Lager aus eigener Betroffenheit in einen Vorteil gedreht werden, der sich biologisch nicht nachweisen laesst.
Ich kann die Leistung eines uebergewichtigen Saengers sehr wohl toll finden und die Stimme geniessen. Das heisst aber nicht, dass diese Person mir auch in jeder Opernrolle gefallen muss, denn zum Musiktheater gehoert nun mal mehr als eine schoene Stimme. Dabei geht es nicht um den perfekten BMI, aber ein extrem uebergewichtiger Siegfried, der wirklich nur stoisch an der Rampe steht, wirkt auf mich nicht, tut mir Leid.
Zitat
Original von Ulrica
Aber erkläre mir jemand, woran es liegt, dass viele schlanke Anfänger teilweise nur mit intensivsten - und auch nicht gerade immer ästhetischen - Bewegungen versuchen, ihrer Stimme irgendwie Schwung zu verleihen, während Dicke oft einfach nur dastehen und genauso viel oder gar mehr Volumen erzeugen. Die fertigen Sänger machen das natürlich nicht mehr, sie haben schließlich gelernt und auch die Dicken hatten zu lernen. Die Erdung kommt hier aber meistens wesentlich schneller.
Und das bestreite ich mal ganz einfach sowohl aus meiner Ausbildungszeit wie auch aus taeglicher Unterrichtspraxis.
Es gibt in beiden "Lagern" Leute, die nicht "erden", da spielt das Gewicht ueberhaupt keine Rolle. Und ich kann nicht behaupten, dass ich jemals das Gefuehl gehabt haette, dass uebergewichtige Menschen da einen leichteren Zugang haben. Die sind genauso gut oder schlecht wie alle anderen. Betonung auf "genauso" - sie sind auch nicht schlechter, und so sollte natuerlich Uebergwicht nicht der Grund sein, NICHT zu singen oder nicht professioneller Saenger zu werden, da gebe ich Dir voellig Recht.
Natuerlich waere es wuenschenwert, wenn man auch uebergewichtigen Saenger/innen die Chance gaebe, Engagements zu bekommen (das passiert ja aber auch, wenn es nicht extreme Adipositas ist) und ihnen ggf. Unterstuetzung anbietet, wenn sie ihr Gewicht reduzieren moechten. Es ist aber doch in der heutigen Gesellschaft blauaeugig anzunehmen, dass ein Agent, Intendant oder musikalischer Direktor einen uebergwichtigen Saenger an die Hand nimmt, den Fitness Coach spielt und geduldig auf Gewichtsreduktion wartet, wenn um die Ecke genauso gute Saenger warten, die schon die "Idealmasse" (was auch immer die sein moegen) haben. Das muss man nicht gut finden, aber ueberall, wo Geld verdient wird, laeuft's nun mal so. "Passt du nicht, nehm' ich den Naechsten!" Und das gilt nicht nur fuer Gewicht, sondern auch Krankheit (da haelt der krebskranken Saengerin aus Mitleid auch keiner die Rollen offen, und da faende ich das ehrlich gesagt noch angebrachter als bei selbstverschuldetem Uebergewicht) und viele andere Gruende.
Nirgendwo steht geschrieben, dass Dicke grundsaetzlich haesslich sind, und ich selbst finde das auch nicht. Was mich aber manchmal schon stoert ist, wie mit dem Thema Uebergewicht umgegangen wird. Wenn es dann heisst: "Mein Stoffwechsel ist nur langsamer, ich kann da nichts fuer." Von ganz wenigen medizinischen Ausnahmen abgesehen ist das einfach Humbug. Natuerlich gibt es Leute mit langsamerem und schnellerem Stoffwechsel. Wenn man aber weiss, zu welcher Kategorie man gehoert, kann man entsprechend reagieren so man denn der Auffassung ist, das Gewicht hindert einen in irgendeier Form an der Verwirklichung seiner Ziele - und das gilt fuer Duenne UND Dicke. Wenn ich weiss, dass das Cremetoertchen mir sofort auf die Hueften geht, esse ich es eben nicht staendig. Wenn ich weiss, dass ich Probleme habe, Speck anzusetzen, esse ich eben nicht nur einen Teller Salat pro Tag. Ich weiss auch, dass das nicht immer einfach ist und wir uns hier in den Bereich der Psychologie und im Extremfall sogar Psychiatrie bewegen, aber ich bleibe dabei:
Nachteile sollten nicht in Vorteile verbogen werden, und Extremgewicht (zu beiden Seiten) ist gesundheitsschaedlich. Genausowenig wie Spindelduerre automatisch die besseren Athleten sind, sind Dicke mitnichten automatisch die besseren oder natuerlich besser veranlagten Saenger ...