Liebe Mitforianer, die kleine Provokation mag man mir nachsehen - ich habe durch sie ein klares Statement bekommen, das mich durchaus befriedigt, und ich wollte gewiß niemandes Kompetenzen in Frage stellen.
Zu Gardiner: als ich ihn im Konzert gehört habe, benutzte er nur eine finselige Truhenorgel - wenn man von ihr absieht, klang das wie ich mir Bach etc. in Brahms' Chorpraxis vorstelle. Ich finde seine Entscheidungen oft einen für meine Ohren wenig befriedigenden Mischmasch.
Bei ihm wie bei allen Ensembles, HIP oder nicht, spielen viele Kriterien eine Rolle, und sicher ein gutes Stück persönlicher Geschmack und Pragmatismus, das wurde hier auch schon diskutiert, z.B. anhand von Kuijkens Bach-Kantaten (der war es doch, der das violoncello da spalla benutzte, nicht Gardiner).
Natürlich spielen die Musiker die größte Rolle, da sind wir uns einig. Und wenn überall alle die Instrumente aus verschiedenen Epochen gleichberechtigt greifbar wären, sähe vielleicht alles ganz anders aus. Durch die Dominanz der modernen Instrumente und die heutige Konzertpraxis bekommt das alles nur so einen exotischen Anstrich, eine esoterische Nische, die mir nicht gefällt. Eine wirkliche Gleichberechtigung spüre ich da nicht, sonst müssten sich die HIP-Anhänger nicht immer so rechtfertigen - diese Polarität dass nur der eine oder der andere recht hat, die sehe ich so gar nicht und vertrete sie auch nicht. Es geht nicht um Recht haben. Ich bin nur der Überzeugung, dass wir mit dem Instrumentarium der Entstehungszeit dem Klang von damals ein kleines Stück näher sind als mit modernen Instrumenten. Vielleicht ist für mich Musik einfach stärker mit dem Klang verbunden. Ich sehe das auch in der Klassik enger als im Jazz - da ist das eigene Arrangement wichtiger, der Freiraum größer (da bin ich dann den Kollegen oft zu nah am "Original", das kommt durch meine Beschäftigung mit der Klassik, wo ich die sog. Werktreue höher einstufe, die Schwelle für eine Bearbeitung niedriger ansetze). Was dem einen zu weit geht, ist dem andern noch werktreu - aber diese Auseinandersetzung ist notwendig.
Die "historischen" Instrumente alleine reichen selbstverständlich nicht. Ich habe vor kurzem ein Konzert mit zwei Cembali in einer halligen Kirche gehört - die flotten Tempi der beiden Herren waren für diese Akustik eindeutig zu flott, für die Kammer gemacht, aber dann hätten höchstens knapp 100 Leute zuhören können und die Karten wären unbezahlbar gewesen. Es sind immer nur Annäherungen, das ist eben der Prozeß der Interpretation - da sind wir uns einig. Mir gefällt auch vieles nicht, was manche HIP-Leute machen ... darunter viele Aufnahmen der Anfangszeit. Die haben (hoffentlich) auch dazugelernt.
Ich frage mich immer, wer mit den Dogmatikern unter den HIP-Fans denn gemeint ist - ich fühle mich nicht angesprochen. Ich halte es so: Was mir nicht gefällt, z.B. Bach auf dem Steinway, höre ich mir einfach nicht an. Mich stört nur die selbstverständliche Dominanz dieses Instrumentes auf der Musikszene. Man sollte einfach beides gehört haben und beides sollte in der Ausbildung und dem Konzertbetrieb seinen Platz haben ohne Rechtfertigungszwang.
Wahrscheinlich läuft es am Ende darauf hinaus, welcher Instrumentenklang einem besser gefällt ...