Von Heineforschung weiß ich nichts zu sagen,
ich höre nur, wie sich die Sänger plagen...
Ich hab' im Traum geweinet
Ich hab' im Traum geweinet,
Mir träumte, du lägest im Grab.
Ich wachte auf, und die Träne
Floß noch von der Wange herab.
Ich hab' im Traum geweinet,
Mir träumt', du verließest mich.
Ich wachte auf, und ich weinte
Noch lange bitterlich.
Ich hab' im Traum geweinet,
Mir träumte, du wärst mir noch gut
Ich wachte auf, und noch immer
Strömt meine Tränenflut.
Schon vieles ist im Laufe des Threads gesagt und angedeutet worden. Die Schumann'sche Interpretation der Heine-Vorlage scheint mir vornehmlich geprägt vom romantischen Klischee des Auf und Ab, ähnlich der Kreisleriana (auch schon mehrfach erwähnt). Die Kontrastierungen innerhalb der vom Komponisten vorgenommenen Reihung wirken in Bezug auf das lyrische Ich zerrissen, abgründig und stimmungsschwankend, weisen aber womöglich in nuce auf die bei Heine anklingende zweitrangige Bedeutung des menschlichen Treibens (siehe: Am leuchtenden Sommermorgen, Ein Jüngling...) und das perpetuum mobile der allein vom Individuum als peinigend wahrgenommenen Gesetzmäßigkeiten des Weltenlaufs: Die Fortsetzung der Sinuskurve ist ohne größere Brüche denkbar, in diese Richtung würde ich auch das Nachspiel zu "Die alten, bösen Lieder" deuten (im Sinne: Dem gesprochenen Worte zum Trotz wird wohl die Liebe nicht so recht abgesenkt, es wird schon eine andere kommen).
Aus dieser Perspektive ist ein Herauslösen des einen oder anderen Stücks nur bedingt möglich, der reflexive Bezug innerhalb des Zyklus sehr stark. Ich würde daher auch nur sehr vorsichtig mit der Aussage umgehen, Schumann habe Heines Ironie und Doppelbödigkeit auf ein Paradigma romantischen Überschwangs reduziert (so etwa in Kindlers Literaturlexikon). Allein der gewählte Titel zeugt bereits von einer spezifischen Non-Identifikation: So liebt der Dichter, nicht der Mann. Die diversen Topoi des Unvermögens weisen m. E. auf die Auseinandersetzung mit dem romantischen Sujet, die bei Heine wohl beabsichtigt ist. Die Titelwahl ist daher programmatisch für Schumanns Heine-Verständnis.
Die verschiedenen von mir durchgehörten Aufnahmen bestätigen, so denke ich, den Variantenreichtum, der sich in Schumanns Vertonung findet. Eine ehrlich gefühlsbetonte Interpretation ist dabei ebenso denkbar wie eine satirische, gleichberechtigt dazu alle dazwischenliegenden Ansätze.
"Ich hab' im Traum geweinet" wirkt zunächst als düsteres, fahles Pendant zu "Aus meinen Tränen sprießen" (siehe FQs Hinweis auf die Transposition); aufgrund der chronologischen Inversion der aufeinander bezogenen Stücke entsteht so eine tatsächlich zyklische (und also relativierende) Deutungsmöglichkeit: Das Vergehen und Entstehen als organischer Kreislauf, als Naturgesetz.
Ein weiterer direkter Bezug scheint bereits semantisch "Allnächtlich im Traume", wo allerdings der zwar ebenfalls der Bewältigung dienende, dabei aber ephemere Traum, der oberflächlicher, satirischer wirkt, thematisiert und das Scheitern in fast drolliger Weise musikalisch untermalt wird – eine heiter-grimmige Version.
Der raffiniert kontrastive Aufbau – scheinbar abnehmende Schwere des Anlasses, scheinbar zunehmende Trauer – evoziert bei mir verschiedene Sinnebenen:
1. Individuum, lyrisches Ich: Kummer und Bemühen um Verarbeitung im Traum, Übermannung durch Bitternis
2. Ebene des "Analysten", auctoriale Perspektive: bewußt ausgestelltes Selbstmitleid, verbale Inadäquanz (Parallele z. B.: "das Wort hab ich vergessen", Eichendorff – kennst du nur das Zauberwort; Goethe – hab ich doch das Wort vergessen), Ringen um Ausdruck, vornehmlich verletzter Stolz (durch die eigenartige Reaktion, die der scheinbar abnehmende Anlaß hervorruft)
3. "olympische Perspektive": Lächerlichkeit der Figur (erneut), durch plakatives Pathos vorgeführt, Brechung der Romantik, Hyperbel als zwanghafte Stilfigur der unausweichlichen Spirale, kontrastiert durch die Monotonie und verhaltene Rhythmik der Klavierstimme, Grabesatmosphäre, Gefühlsausbruch zum Ende, durch sardonischen Schluß sofort wieder gebrochen (melancholischer Tanzrhythmus, auch Abschluß).
Darüber hinaus bleibt auch das Spiel mit der Tränenkonnotation zu beachten: Bewältigung und Veräußerlichung (etwa im Volksmärchen); zyklisches Neuerschaffen (siehe "Aus meinen Tränen sprießen" u. "Ein Jüngling"), zielend auf die Relativierung menschlichen Unglücks; Heilung; natürlich sind bei Heine auch (und hier würde die Vertonung abweichen) Freudentränen denkbar, ich halte dies jedoch für eher abwegig. Schließlich der Aspekt der im Zyklus wesentlichen Mokanterie über die Überhöhung des Weinens und dessen Nobilitierung in der Romantik: "Perlentränentröpfchen" (etwa "Die Gänsehirtin am Brunnen", selbst ironisch kommentiert von Wilhelm Grimm)! Das Artifizielle des romantischen Kunstmärchens findet hier seine maliziöse Brechung (s. Heine selbst über das Buch der Lieder: "lyrisch-maliziöse Manier", "ganz und gar durchdrungen von einem geistigeren Element, von der Ironie").
Die "nihilistische Pointe", von der bereits die Rede war, sehe ich weniger im nur vordergründigen Paradoxon, daß selbst das Ersehnte nichts als Tränen zur Konsequenz hat –ich tendiere zur Interpretation, daß hier so kohärent wie larmoyant über den Schmerz der verlorenen Wonne geklagt wird –, sondern in der die Ebene des übermenschlichen Betrachters amüsierenden Unzulänglichkeit menschlichen Strebens und Sehnens.
Zu drei Aufnahmen, die aus meiner Sicht ein großes Spektrum möglicher Interpretationsansätze abdecken:
Tauber/Kahn 1935: Unnachahmliche Stimmführung, mit wütender Exklamation zum Ende. Brillante pianissimo-Effekte, mit beinahe flirrender Stimme, wunderbare Flexionen. Dur-Wechsel auf "gut" großartig intoniert, dabei akzentuiert. Keine Resignation, eher Balance aus Wehmut, schwelgerischer Rückbesinnung und Aufwallung. Die Tauber'sche Eigenart der Vokaleinfärbung kommt bei "Tränenflut" exemplarisch zur Geltung; fast schon zum Umlaut gerät das nasale "u" und erlaubt diverse Interpretationsansätze: reflektierte Ironisierung oder Ausbruch des physisch realisierten Schmerzes. Anzumerken ist, daß Tauber den ganzen Zyklus nie eingespielt hat, 6 Lieder sind in den 20er Jahren aufgenommen worden (mit der grandios gesungenen Version von "Ich grolle nicht": meisterhafte Intonation, felsenfest und sicher, welch ein Ausbruch auf dem A, welche Kunst der Nuancierung! Da habt Ihr sie also, meine Lieblingsinterpretation!), "Ich hab' im Traum geweinet" als Solitär im Jahr 1935, eben mit Percy Kahn.
Schiotz/Moore 1946: Zurückhaltend und schlackenlos gesungen, natürlich und doch melancholisch gefärbt. Sängerisch von größerer Vollkommenheit als FiDi, auch wenn einige Aufschwünge nur knapp gelingen. Bei aller Noblesse vermisse ich die möglichen Ambivalenzen. Sehr zurückhaltende, die Stimme in den Vordergrund stellende Begleitung.
Fischer-Dieskau/Eschenbach 70er (ich glaube, 1972, muß nochmal nachsehen): Rein gesanglich tauchen einige übliche Probleme auf, wie Schwächen in der Tiefe, hauchige Tonproduktion, didaktische Deklamation etc. Aber (und this is a big "but"): Das Schweben zwischen den Ebenen, die Ambivalenz des Textes vermag Fischer-Dieskau durch teils übermanieriertes Singen insgesamt optimal umzusetzen (man höre: Ich liebe die reine, die kleine, die feine...): Ein großartiger Zyklus, wenngleich einzelne Lieder mir von anderen Interpreten mehr zusagen. Zu "meinem" Lied: Das Lamento ist gekonnt überzeichnet, so ergibt sich eine Dichotomie zwischen Interpret und Text (das plastisch gemachte paradoxe du comédien), die mir hier am richtigen Platze scheint. Eschenbach begleitet mir manchmal zu laut, dieses Lied aber setzt er besser in Szene als alle mir bekannten Klavierpartner, indem er besonders die verhaltene Rhythmik inszeniert.