Beiträge von Il Grande Inquisitore

    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Lieber Grande Inquisitore,


    Das stimmt nur an der Oberfläche, zielt aber an der Wahrheit vorbei. Man darf Schrott von seiner Poetik nicht trennen. Wer das tut, führt sich selbst in die Irre. Schrotts Poetik besteht, ich verkürze das jetzt, in der Welterklärung aus der Dichtung heraus. Man muss das akzeptieren wie die römische Geschichtsschreibung über die Zeit der Könige.
    :hello:


    Also Schrott als neuer Titus Livius? Oha!


    Dennoch: Die Frage stellt sich vielmehr, inwieweit Herr Schrott selbst den von Dir postulierten Anspruch bedient oder ob er nicht eben doch eine dezidiert wissenschaftliche Position bezogen hat. Und seine Essays in der FAZ sind schwerlich allein durch seine Dichtung zu beleuchten, ebenso wenig wie seine Auftritte in althistorischen bzw. archäologischen Fachtagungen, die mittlerweile allein seinetwegen ins Leben gerufen werden. Ist das seiner Begabung geschuldet oder womöglich auch der Schützenhilfe durch eines der einflußreichsten Wissenschaftszentren für die Fragestellung der Wechselbeziehungen zwischen Orient und Okzident in der Antike? Aus meiner Sicht stellt sich da ebenso die Frage nach Oberfläche und Wahrheit.


    Ob darüber hinaus die Troja-Debatten tatsächlich eine inhaltliche Belebung der intellektuellen Diskussion darstellen, mag dahinstehen. Jedoch ist es schon beeindruckend, welche Kunstgriffe sofort medial beherrschend sind und welche Themen, die fachlich nicht als bloßes Scheingefecht geführt werden, an den geneigten Leser zu bringen sind.


    LG


    Christian

    Lieber Edwin,


    dann kurz im Ernst: Mir ist der Raoul vor allem im wissenschaftlichen Kontext ganz gut vertraut, und da sind die Anläufe, ihn zu promoten, nur noch peinlich. Seine ach wie provokanten Thesen sind nicht nur mit gewissem Recht mehrheitlich zerrissen worden, aber unter dem Einfluß gewisser Lobbies, die den nach Kolb und Korfmann nach zum Erliegen gekommenen Homer-und-Troja-Diskurs dringend weiter am Köcheln halten wollen, um ihre Projekte zu rechtfertigen, werden nun Tagungen um Schrotts Halbgarheiten abgehalten, stets wissenschaftlich begleitet von den Spezialisten der Uni Innsbruck. Und erst in diesem Fahrwasser wurde die neue Ilias-Übertragung überhaupt derartig "gehypt".
    In diese Richtung zielte mein Spott, denn Herr Schrott hat sich eben nicht damit begnügt, ein begabter Dichter sein zu wollen, sondern vielmehr versucht, als Homer-Autorität zu gelten.


    Bildung schützt vor Marketing nicht!


    Dies nur zur Erläuterung meiner kleinen Sottise.


    LG



    Christian

    Und auch das neue Werk, das derzeit im Schrott-Atelier Gestalt annimmt, soll in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden:


    Homer kam aus Kilikien, Hesiod kam aus Hawaii


    Eine wie immer von der Uni Innsbruck geförderte Aphorismensammlung, der noch ein Aufsatz zum Verhältnis Vasco da Gamas zu Odysseus nachgestellt ist. Bereichernd, anregend, provokant – kurz: Ein Muß für Fans des bärigen Eigenbrötlers, der wie stets mit Kraftausdrücken nicht hinter dem Berg hält. Gegengelesen von allen Koryphäen der Homer-Exegese, natürlich vor allem aus der Region Innsbruck, weil die es nicht so weit hatten. Vielleicht findet sich auch noch eine Tageszeitung für den Vorabdruck, denn der in der Forschung längst erlahmte Streit braucht dringend eine gesellschaftlich breit diskutierte Infusion.


    Nicht nur zum Gruseln!

    Liebe Leute,


    warum nur, warum kommt Ihr in so fast sinnhaftem Zusammenhang mit den fürchterlichsten Pseudowissenschaftlern, die da wandeln? Kommunikationswissenschaftler sind über die von Alex so bezeichneten floskelhaften Binsenweisheiten ausschließlich terminologisch hinausgekommen und taugen kaum mehr (als) zur Vernebelung, folglich in unserem Zusammenhang überhaupt nicht. Die Kenntnis des Synonym-Dudens ist da oft hilfreicher als die Essenz der Theorie (auch hier wäre "Surrogat" am Platze). Auch was die konstruktivistische Sprachtheorie in manchen Bereichen der Wissenschaft anrichtet, macht sie nicht gerade zum Leumundszeugen.
    Da kann im Player laufen, was will, die Aggression ist programmiert, selbst bei friedvollster Schumann-Träumerei.


    Mal so ganz Lasswell'sch direkt


    Christian

    Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl


    Ein herzhaftes "mpf", vernünftig in den Wort-Ton-Zusammenhang eingebettet und gekonnt gesungen, kann hin und wieder Wunder wirken,


    Alex.


    Und wer, so frage ich auch in Kenntnis der Person des sich Äußernden, wer könnte dies allein in Vollendung sanglichen? Wes Bild entsteht dem sinnlichen Hörer in akustischer Phantasie? Das "mpf" gebunden und dennoch triolisch zum Klingen zu bringen ist Krönung eines orphischen Lebens- und Gesamtkunstwerks und allein dem Höchsten vorbehalten.


    So sorry, Stabübergabe

    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Lieber Christian,


    Das eben ist der Punkt: Antisemitismus beginnt scheinbar harmlos, nimmt aber letzten Endes jedes Mal mörderische Züge an. Zumindest ist mir keine Form eines "friedvollen" Antisemitismus bekannt.
    Es geht übrigens nicht nur im Antisemitismus so, sondern in jeder Form des Rassismus, die zu einer Pseudo-Philosophie oder Ideologie erhoben wird. Ich fürchte aber, das würde uns von unserem Thema sehr, sehr weit weg führen. Zumal wir uns alle in der Ablehnung des Antisemitismus einig und nur in Detailfragen unterschiedlicher Meinung sein dürften.
    :hello:


    Lieber Edwin,


    es war mir klar, daß wir in diesem Punkt inhaltlich nicht differieren. Zumindest im Hinblick auf die Entwicklungen der Neuzeit gebe ich Dir auch historisch durchaus Recht. Zentral ist schließlich die gemeinsame Ablehnung von Rassismus und verwandten Phobien; auch dies würde ich gern als Binsenweisheit bezeichnen können und weiß doch leider, wie fern der Realität ich mich damit bewegte.


    LG


    Christian

    Lieber Edwin,


    eben weil ich den Satz, wie er bei Alfred formuliert ist, als so problematisch empfunden habe, habe ich überhaupt den Finger in die Wunde gelegt, gehe aber nicht davon aus, daß Alfred ihn in derartiger Intention geschrieben haben wird.
    Daß nicht jegliche Form des Antisemitismus mörderisch sein muß, ist eine derartige Binsenweisheit, daß Du sie hoffentlich niemandem, der sie schlicht äußert, als Relativierungsversuch oder sonstiges auslegst. Auch nicht direkt mörderische Einstellungen taugen dazu, rundheraus und entschieden abgelehnt zu werden. Daher ergibt sich, daß auch eine "bloße" Antipathie oder eine wie auch immer geartete Inferioritätsideologie - im hier diskutierten Bezug dem Jüdischen gegenüber - inakzeptabel sind oder immerhin werden, wenn sie als Argument oder Faktor in die Debatte eingeführt werden.


    Ich hoffe also, daß Du weder mir noch anderen Ressentiments oder Beschönigungen vorwerfen willst, die nur zu leicht in aus meiner Sicht vollkommen wertfreie Äußerungen hineinzuinterpretieren sind. Wäre es anders, hätte ich höchstwahrscheinlich auch keine herberen Störgefühle beim Lesen des inkriminierten Satzes verspürt.


    LG


    Christian

    Lieber Peter,


    auch ich möchte die Aussage gern in der von Dir angedeuteten Richtung verstehen - und gehe davon aus, daß sie so gemeint war. Formuliert ist sie hingegen in eigenwilliger Manier. Die Junktur "Keinesfalls war jeder Antisemitismus mörderisch" (nicht zu bestreiten) und "lediglich, wenn Vorurteile bestätigt wurden, hatte dies auch Auswirkungen" ist in meinen Augen etwas unglücklich und bedarf der Klarstellung.


    Aber bitte, ich will hier sicher nicht die Büchse der Pandora öffnen und irgendwem irgendwelche nicht getanen bzw. intendierten Botschaften unterstellen. Da wir doch alle so sehr an der "Außenwirkung" des Forums interessiert sind, sollte man aber betreffs besonders sensibler Themenkomplexe etwas präziser formulieren und genauer abwägen als anderswo. Mehr war's nicht.


    LG


    Christian


    Ist der letzte Satz womöglich etwas heikel formuliert bzw. wie genau ist er zu verstehen?

    Dank Dir, lieber Audiamus! So wird aus der ehemaligen Dritten womöglich eine Vierte Welt!


    Auch von mir noch einen Tip zum Thema Einkaufsratgeber: Ich trachtete ja schon seit langem nach einem original fusselfreien Hochleistungsflokati, konnte mich aber bis heute nicht durchringen, ein Angestelltes danach zu fragen. Doch nun die Lösung für gebeutelte Exzentriker:


    Gesammelte Sentenzen des Diogenes oder "Verschwinde, Du Ökofuzzi, das ist meine Tonne!", bzw. für Bellini-Fans "Versperr' mir nicht dauernd den Mond!"


    erschienen als Reader zur Geheimvorlesung des Dr. Hundsgebell, gegen eine Schutzgebühr von etwa 24,73 SFR als Kopiervorlage erhältlich


    Der geballte Antimaterialismus, kann ich Euch sagen! Kein sehrendes Sehnen mehr nach der Lektüre, nur noch karge Wonne. Mei, des befreit! Statt schwülen Gedünsts endlich ein frischer Wind für die lockenfreien Ohren und die Befindlichkeiten dazwischen! Auch die gepeinigte Metrik blüht hernach auf.


    Je nu


    Christian

    Ich möchte auf Georg Heyms erst kürzlich wiederentdeckte Anthologie "Ausgefallen sind sie, die sie lange lockten" verweisen, in der der oft als haarig verschrieene Expressionismus gewissermaßen den Finger auf die gekräuselte Wahrheit oder so ähnlich.


    Leider folgt das Verlagsprocedere der inneren Logik so vieler Karrieren, frisch alphabetisiert und auf der Abendschule den Zusatzkurs "Stil: Etikette und ihre Grenzen" belegt, daher naturgemäß mit geiler Schreibe in der Klaue, wie die Jugend so erfrischend richtig zu sagen pflegt, nu schon LektorIn, teils ProgrammchefIn, manchmal gar VerlegerIn, und ab geht die wilde Luzie, jetzt wird ein Autor verhackstückt (newar, Kla?). Und so sind die Verunzierungen des von Ravenswhopper, St. Loony of the Cream Bun and Jam, auf den Markt geworfenen Bandes gewöhnungsbedürftig - ein Photo von Benn ziert das Cover, florale Jugendstilelemente umranken ihn, ein rokokoverzierter Kammerdiener läßt im Hintergrund das Bad ein - Marat-Allegorie oder purer Blödsinn?


    Doch die Lyrik läßt es krachen, schonungslos, gezackt, präzise, furchterregend! Nix von weicher Melodik oder mildem Charakter wie bei dem Weichei Beethoven - statt dessen dezidiert konkrete habituelle Performanz, persuasiv und autochthon! Kein vager Feuilletonton und huberige Schwafelei, hier geht's ans Eingemachte, verstanden, Incontinentia?


    Fazit: Lesen, Dösen, mit langer Mähne aufwachen!



    Christian, expressiv



    PS: Hab die Bildrechte nicht bekommen, daher trau ich mich nicht, eins einzustellen!

    Ich bin mit der offensichtlichen Richtung des Threads nicht einverstanden: es ging doch vernehmlich um "Kranke in der Oper", die womöglich schicksalhafte Krankheiten bei Opernfiguren ansehen oder gar generieren - demnach schloß ich messerscharf auf eine Selbsthilfegruppe unserer lieben kleinen Gemeinschaft. Nu geht's ja doch wieder um die ganzen Lungenschwachen, Amnesiegeplagten oder Opfer des Stahls - wo anderes doch dringend Not täte!


    Hoffnung für die Hardcores!


    GI

    Meine liebste Funktion hier im Forum
    ist zu schauen: Wer treibt sich denn wo rum?
    Und der Argus'sche Blick
    schweift mal hin, mal zurück,
    tja, es treibt die Kontrolle mich so um.


    Übers Leben der andren, da wache
    voller Spannung ich, und ich vermache
    meinen Kindern den Satz:
    Nur die Maus fängt die Katz',
    deren Durchblick zu trüb in der Sache.


    Und ich lauere auf neue Regung
    und vermerke gar jede Bewegung!
    Schreibt was Hübsches, ich sehe
    auf dem Schirm es und gehe
    gleich daran, es zu späh'n in Erregung!


    Und so ist nie allein meine Herde,
    und auf daß eine bessre sie werde,
    ist der Schäfer präsent,
    der beim Namen Euch kennt!
    Und er sitzt - virtuell - hoch zu Pferde.



    LG


    Christian

    Das ist ein feiner Zug, der uns aus den Fleischtöpfen heranweht: Der Originalität und Spontaneität zuträglichen Inspiration sollte die Dislozierung des mutigen Manolete dienlich sein! Nicht, daß sowas nur einmal belacht wird, ein steter Quell der Freude soll's bleiben, des Bildl, und den Pointentreuen ein mahnendes Beispiel! Hoffentlich werden es mehr und mehr, die sich laben an aus dem Kontext entfernten, dadurch aber zwangsläufig aufgewerteten Fingerübungen.


    Meinen Glückwunsch zur Nobilitierung, werter Audiamus!


    Dein Christian

    Lieber Paul,


    ohne Zimmermanns Oper zu kennen und daher den Unterhaltungswert der WEISSEN ROSE als solchen einschätzen zu können, frage ich Dich: Wie hältst Du es denn dann mit anderen historischen, gern operatisch verarbeiteten Bezügen?
    Auto-da-fe-Szenen, Folterungen, religiös motivierte Massaker? Sollten all die in der Oper nicht Reflexion finden dürfen? Oder ist schließlich alles eine Frage der musikalischen wie szenischen Umsetzung sowie der sich daraus ergebenden Aussage?



    LG



    Christian

    Wie geil is das denn? Da klingeln den Gruftis doch die Prothesen, wenn die rotzige Regieröhre Katie die Mastersingers mal so richtig smooth auf die Bretter kloppt! Männo, Twilight, Du Spießer, fetz Dir doch irgendwie so mal Liszt oder die Alban-Berg-Mucke rein, dann dröhnste ab, ischwör! Nicht rumdissen, okay?


    So, muß Schluß machen, gleich kommt The fabulous Life of the Wagner Clan, Fahne, äh, Daumen hoch von meiner Glotzenfuzzi-Redacke! Außerdem meldet sich die Wunde wieder!


    Bis heute


    Ink

    Ach Kinder,


    selbst so heitere Stücke wie die Dichterliebe geraten unter unseren krampfhaften Bemühungen zu Zankäpfeln. Ich glaube bald, die einzige Chance ist, rasch einmal etwas halbwegs Modernes zu zitieren, dann wird aller Überfluß von höheren Mächten gelöscht!


    Kurz zu Ironie und Satire: Keineswegs fundamentaletymologisch - wie es Heine und dem Bobbel sicher stetig vorschwebte - verwandte ich die Termini "Ironie" und "Satire" in neckischem Spiele. Dabei konnotierte ich in dürftiger Reflexion Ironie als Mittel und Satire als Resultat - der Traum also als Resultat einer ironischen Brechung, gewissermaßen als Traumsatire. Letzte Luzidität beseitigt?


    Die Interpretation des Interpreten auf den Prüfstand zu stellen scheint mir stets geboten und deren Adäquanz nicht immer gewährleistet - fraglich nur, ob man die Interpretation des zu Interpretierenden selbst korrekt interpretiert hat; gerade in dieser Divergenz liegt ja die Crux von Kommunikation allgemein!


    Und so käuen wir alles doch noch einmal wieder...


    Nur Mut



    Christian

    Von Heineforschung weiß ich nichts zu sagen,
    ich höre nur, wie sich die Sänger plagen...



    Ich hab' im Traum geweinet


    Ich hab' im Traum geweinet,
    Mir träumte, du lägest im Grab.
    Ich wachte auf, und die Träne
    Floß noch von der Wange herab.


    Ich hab' im Traum geweinet,
    Mir träumt', du verließest mich.
    Ich wachte auf, und ich weinte
    Noch lange bitterlich.


    Ich hab' im Traum geweinet,
    Mir träumte, du wärst mir noch gut
    Ich wachte auf, und noch immer
    Strömt meine Tränenflut.




    Schon vieles ist im Laufe des Threads gesagt und angedeutet worden. Die Schumann'sche Interpretation der Heine-Vorlage scheint mir vornehmlich geprägt vom romantischen Klischee des Auf und Ab, ähnlich der Kreisleriana (auch schon mehrfach erwähnt). Die Kontrastierungen innerhalb der vom Komponisten vorgenommenen Reihung wirken in Bezug auf das lyrische Ich zerrissen, abgründig und stimmungsschwankend, weisen aber womöglich in nuce auf die bei Heine anklingende zweitrangige Bedeutung des menschlichen Treibens (siehe: Am leuchtenden Sommermorgen, Ein Jüngling...) und das perpetuum mobile der allein vom Individuum als peinigend wahrgenommenen Gesetzmäßigkeiten des Weltenlaufs: Die Fortsetzung der Sinuskurve ist ohne größere Brüche denkbar, in diese Richtung würde ich auch das Nachspiel zu "Die alten, bösen Lieder" deuten (im Sinne: Dem gesprochenen Worte zum Trotz wird wohl die Liebe nicht so recht abgesenkt, es wird schon eine andere kommen).


    Aus dieser Perspektive ist ein Herauslösen des einen oder anderen Stücks nur bedingt möglich, der reflexive Bezug innerhalb des Zyklus sehr stark. Ich würde daher auch nur sehr vorsichtig mit der Aussage umgehen, Schumann habe Heines Ironie und Doppelbödigkeit auf ein Paradigma romantischen Überschwangs reduziert (so etwa in Kindlers Literaturlexikon). Allein der gewählte Titel zeugt bereits von einer spezifischen Non-Identifikation: So liebt der Dichter, nicht der Mann. Die diversen Topoi des Unvermögens weisen m. E. auf die Auseinandersetzung mit dem romantischen Sujet, die bei Heine wohl beabsichtigt ist. Die Titelwahl ist daher programmatisch für Schumanns Heine-Verständnis.
    Die verschiedenen von mir durchgehörten Aufnahmen bestätigen, so denke ich, den Variantenreichtum, der sich in Schumanns Vertonung findet. Eine ehrlich gefühlsbetonte Interpretation ist dabei ebenso denkbar wie eine satirische, gleichberechtigt dazu alle dazwischenliegenden Ansätze.


    "Ich hab' im Traum geweinet" wirkt zunächst als düsteres, fahles Pendant zu "Aus meinen Tränen sprießen" (siehe FQs Hinweis auf die Transposition); aufgrund der chronologischen Inversion der aufeinander bezogenen Stücke entsteht so eine tatsächlich zyklische (und also relativierende) Deutungsmöglichkeit: Das Vergehen und Entstehen als organischer Kreislauf, als Naturgesetz.
    Ein weiterer direkter Bezug scheint bereits semantisch "Allnächtlich im Traume", wo allerdings der zwar ebenfalls der Bewältigung dienende, dabei aber ephemere Traum, der oberflächlicher, satirischer wirkt, thematisiert und das Scheitern in fast drolliger Weise musikalisch untermalt wird – eine heiter-grimmige Version.



    Der raffiniert kontrastive Aufbau – scheinbar abnehmende Schwere des Anlasses, scheinbar zunehmende Trauer – evoziert bei mir verschiedene Sinnebenen:


    1. Individuum, lyrisches Ich: Kummer und Bemühen um Verarbeitung im Traum, Übermannung durch Bitternis


    2. Ebene des "Analysten", auctoriale Perspektive: bewußt ausgestelltes Selbstmitleid, verbale Inadäquanz (Parallele z. B.: "das Wort hab ich vergessen", Eichendorff – kennst du nur das Zauberwort; Goethe – hab ich doch das Wort vergessen), Ringen um Ausdruck, vornehmlich verletzter Stolz (durch die eigenartige Reaktion, die der scheinbar abnehmende Anlaß hervorruft)


    3. "olympische Perspektive": Lächerlichkeit der Figur (erneut), durch plakatives Pathos vorgeführt, Brechung der Romantik, Hyperbel als zwanghafte Stilfigur der unausweichlichen Spirale, kontrastiert durch die Monotonie und verhaltene Rhythmik der Klavierstimme, Grabesatmosphäre, Gefühlsausbruch zum Ende, durch sardonischen Schluß sofort wieder gebrochen (melancholischer Tanzrhythmus, auch Abschluß).




    Darüber hinaus bleibt auch das Spiel mit der Tränenkonnotation zu beachten: Bewältigung und Veräußerlichung (etwa im Volksmärchen); zyklisches Neuerschaffen (siehe "Aus meinen Tränen sprießen" u. "Ein Jüngling"), zielend auf die Relativierung menschlichen Unglücks; Heilung; natürlich sind bei Heine auch (und hier würde die Vertonung abweichen) Freudentränen denkbar, ich halte dies jedoch für eher abwegig. Schließlich der Aspekt der im Zyklus wesentlichen Mokanterie über die Überhöhung des Weinens und dessen Nobilitierung in der Romantik: "Perlentränentröpfchen" (etwa "Die Gänsehirtin am Brunnen", selbst ironisch kommentiert von Wilhelm Grimm)! Das Artifizielle des romantischen Kunstmärchens findet hier seine maliziöse Brechung (s. Heine selbst über das Buch der Lieder: "lyrisch-maliziöse Manier", "ganz und gar durchdrungen von einem geistigeren Element, von der Ironie").


    Die "nihilistische Pointe", von der bereits die Rede war, sehe ich weniger im nur vordergründigen Paradoxon, daß selbst das Ersehnte nichts als Tränen zur Konsequenz hat –ich tendiere zur Interpretation, daß hier so kohärent wie larmoyant über den Schmerz der verlorenen Wonne geklagt wird –, sondern in der die Ebene des übermenschlichen Betrachters amüsierenden Unzulänglichkeit menschlichen Strebens und Sehnens.



    Zu drei Aufnahmen, die aus meiner Sicht ein großes Spektrum möglicher Interpretationsansätze abdecken:


    Tauber/Kahn 1935: Unnachahmliche Stimmführung, mit wütender Exklamation zum Ende. Brillante pianissimo-Effekte, mit beinahe flirrender Stimme, wunderbare Flexionen. Dur-Wechsel auf "gut" großartig intoniert, dabei akzentuiert. Keine Resignation, eher Balance aus Wehmut, schwelgerischer Rückbesinnung und Aufwallung. Die Tauber'sche Eigenart der Vokaleinfärbung kommt bei "Tränenflut" exemplarisch zur Geltung; fast schon zum Umlaut gerät das nasale "u" und erlaubt diverse Interpretationsansätze: reflektierte Ironisierung oder Ausbruch des physisch realisierten Schmerzes. Anzumerken ist, daß Tauber den ganzen Zyklus nie eingespielt hat, 6 Lieder sind in den 20er Jahren aufgenommen worden (mit der grandios gesungenen Version von "Ich grolle nicht": meisterhafte Intonation, felsenfest und sicher, welch ein Ausbruch auf dem A, welche Kunst der Nuancierung! Da habt Ihr sie also, meine Lieblingsinterpretation!), "Ich hab' im Traum geweinet" als Solitär im Jahr 1935, eben mit Percy Kahn.


    Schiotz/Moore 1946: Zurückhaltend und schlackenlos gesungen, natürlich und doch melancholisch gefärbt. Sängerisch von größerer Vollkommenheit als FiDi, auch wenn einige Aufschwünge nur knapp gelingen. Bei aller Noblesse vermisse ich die möglichen Ambivalenzen. Sehr zurückhaltende, die Stimme in den Vordergrund stellende Begleitung.


    Fischer-Dieskau/Eschenbach 70er (ich glaube, 1972, muß nochmal nachsehen): Rein gesanglich tauchen einige übliche Probleme auf, wie Schwächen in der Tiefe, hauchige Tonproduktion, didaktische Deklamation etc. Aber (und this is a big "but"): Das Schweben zwischen den Ebenen, die Ambivalenz des Textes vermag Fischer-Dieskau durch teils übermanieriertes Singen insgesamt optimal umzusetzen (man höre: Ich liebe die reine, die kleine, die feine...): Ein großartiger Zyklus, wenngleich einzelne Lieder mir von anderen Interpreten mehr zusagen. Zu "meinem" Lied: Das Lamento ist gekonnt überzeichnet, so ergibt sich eine Dichotomie zwischen Interpret und Text (das plastisch gemachte paradoxe du comédien), die mir hier am richtigen Platze scheint. Eschenbach begleitet mir manchmal zu laut, dieses Lied aber setzt er besser in Szene als alle mir bekannten Klavierpartner, indem er besonders die verhaltene Rhythmik inszeniert.

    An die Prosopopöie der Gesetze


    Kai gar houtoi legousi men polla kai kala, isasin de ouden hohn legousi. Toiouton ti moi ephanäsan pathos kai hoi poiätai peponthotes, kai hama ästhomän autohn dia tän poiäsin oiomenohn kai talla sophohtatohn einai anthrohpohn ha ouk äsan. (22c)


    Ta gar aläthä oiomai ouk an etheloien legein, oti katadäloi gignontai prospoioumenoi men eidenai, eidotes de ouden. (23d)


    Alla gar ädä hohra apienai, emoi men apothanoumenoh, hymin de biohsomenois. Hopoteroi de hämohn erchontai epi ameinon pragma, adälon panti plän ä toh theoh. (42a)


    Plato, Apologie des Sokrates (4. Jh. v. Chr.)