Danke für diesen gelungenen Überblick, lieber Johannes.
Allerdings ist bei zumindest einigen der historischen Ensembles mein Eindruck doch eher der, dass es sich nicht um reine "Projekttrios" handelte. Dort erfolgte das Zusammenspiel in der Triokonstellation so intensiv, regelmäßig und über wirklich lange Zeiträume hinweg, dass tatsächlich von verfestigten, aufeinander und miteinander eingespielten und eingestellten Klaviertrios gesprochen werden konnte. Die Qualität der Ergebnisse, soweit sie heute noch "abrufbar" sind, entspricht dieser Konstanz - auch wenn es damals noch nicht der Üblichkeit entsprochen haben mag, die Formation zu benamen.
Das sollte zum Beispiel für das von Dir genannte Trio Gilels/Kogan/Rostropovich gelten, mehr noch aber für z. B. das Trio David Oistrakh/Lev Oborin/Sviatoslav Knushevitzky, oder für Badura-Skodas Schallplattentrio, nämlich Paul Badura-Skoda/Jean Fournier/Antonio Janigro.
Besonders hat mich hier immer schon das Trio Alfred Cortot/Jacques Thibaud/Pablo Casals interessiert. Es hatten sich hier drei Musiker vereint, die als Solisten zu den überragenden Köpfen ihrer Zeit zählten, und die über das Triospiel hinaus - jedenfalls in dieser frühen Zeit - auch eine erweiterte Zusammenarbeit verband - etwa bei den von Casals organisierten Konzerten oder bei Kammermusik in anderen Formationen. Das Trio spielte von 1906 bis 1933 zusammen.
Der schweizerisch-französische Pianist Alfred Cortot (1877 bis 1962) dürfte zu den einflussreichsten Musikern seiner Zeit zu zählen sein, ein Einfluss, den er u. a. über seine Gründung der École normale de musique in Paris (an der auch Thibaud und Casals lehrten) genauso ausübte wie über die Weitergabe seiner Kunst an Schüler wie Dinu Lipatti, Clara Haskil, Vlado Perlemuter oder Samson Francois. Seine Anerkennung als Solist stand für seine Zeitgenossen anscheinend außer Frage - höre ich heute Aufnahmen mit ihm, so quält mich gelegentlich schon der Kummer über die Vielzahl falschgepatzter oder weggelassener Noten. Man nahm es damals damit nicht so genau - eine nicht nur französische Lockerheit des savoir-vivre jener Zeit.
Der Franzose Jacques Thibaud (1880 bis 1953) trat als gefeierter Violinvirtuose in ganz Europa und den USA auf, seit er bereits mit 18 auf dem Konzertpodium seine ersten Erfolge hatte, mit denen übergangslos seine Solistenkarriere begann. Erhalten ist sein Name heute noch in dem nach ihm und Marguerite Long benannten Concours international de piano, de violon et de chant Long Thibaud Crespin und der dem zugrunde liegenden Fondation Long Thibaud. Brahms' Doppelkonzert nahm Jacques Thibaud mit Pablo Casals am Cello unter dem Dirigat von Alfred Cortot (Orquesta Pau Casals) auf und ich meine mich zu erinnern, dass Thibaud auch in Perpignan beim Casals' Festival dirigierte.
Der Katalane Pablo (Pau) Casals (1876 bis 1973) sollte am Wenigsten von diesen Dreien einer besonderen Vorstellung bedürfen. Sein maßstabsetzender Einfluss auf das moderne Cellospiel ist unbestritten, seine musikalische Gestaltungsstärke bezog er auf sein Cello und sein Klavier genauso wie auf seine Kompositionen und sein Dirigat. Er ist das vielleicht eindeutigste Beispiel für die Irrigkeit der These, Musik habe mit Politik nichts zu tun.

Diese drei nun fanden sich von 1906 bis 1933 zu dem Trio Cortot Thibaud Casals zusammen. Dass aus dieser Zeit Schallaufnahmen - in einer heute sehr schön herausgearbeiteten und durchaus anhörbaren Wiedergabequalität - erhalten sind, können wir nicht hoch genug schätzen. Aus meiner Sicht sind drei Aufnahmen zu nennen, die heute immer noch musikalisch begeistern und zugleich Beleg für den hohen Standard dieses Trios und seines Zusammenspiels sind. An dieser Stelle sehe ich Haydns Klaviertrio Nr. 39 G-Dur Hob.XV:25 und Schuberts 1. Klaviertrio B-Dur D898, die beide auf dieser CD zu hören sind,
und Beethovens Trio op. 97 B-Dur Erzherzog-Trio:
Die Subjektivität und der Romantizismus, mit denen die drei Musiker übereinstimmend an die Werke herangehen, funktionieren in der kammermusikalischen Besetzung unbedingt. Ihr musikalischer Überschwang verleitet die drei dennoch nicht dazu, die sehr sublime Durchsichtigkeit ihres Trios zu vernachlässigen. Die Feinheit, mit der zunächst Casals und ihm folgend seine Mitspieler zum Beispiel das Scherzo im Erzherzog-Trio angehen, treibt mir jedesmal die Tränen in die Augen. Von diesem Zusammenspiel können wir "Heutigen" uns allemal die ein oder andere Scheibe abschneiden.
Von historisch-informierter Herangehensweise kann man sich bei dem Haydn-Trio kaum weiter entfernen, als Cortot Thibaud Casals dies tun. Trotzdem hab ich mehr magyarische Musikalität in dem bekannten Rondo all'ongarese bei keinem anderen und vor allem bei keinem späteren Trio wieder empfunden. Das ist eine geradezu unverschämte Unverblümtheit, mit der die Drei hier "Ungarisch" spielen, mit Herzschmerz und Schluchzern - herrlich. Ich hab's versucht und bin gescheitert.
Die Schubert-Aufnahme dann ist so etwas wie ein Prototyp für lebendiges romantisches Schubertspiel. Auch wenn meine eigene Auffassung von dieser Musik eine sehr andere ist, habe ich gerade diese Aufnahme immer wieder bei der Einstudierung herangezogen.