Beiträge von Gurnemanz

    Meine persönlichen Favoriten:


    1) Claude Debussy: Pelléas et Mélisande


    2) Gabriel Fauré: Pénélope


    3) Olivier Messiaen: Saint Francois d'Assise


    ***


    4) Georges Bizet: Carmen


    5) Paul Dukas: Ariane et Barbe-Bleue


    6) Marc-Antoine Charpentiere: Les Plaisirs de Versailles


    7) Gustave Charpentiere: Louise


    8) Jacques Offenbach: Les Contes d'Hoffmann


    9) Jules Massenet: Werther


    ... und im Wartestand, da ich es noch nicht kenne:


    10) Ernest Chausson: Le Roi Arthus

    Zitat

    Original von Alviano
    [...] da wäre ich an einer kleinen Beschreibung Deiner Eindrücke interessiert.


    Wird gemacht. Mit dem Regie-Stil John Dews bin ich nicht vertraut (vielleicht hat ein "konventionell-langweiliger Stil" gegenüber einem allzu verwegen-abartigen sogar auch Vorzüge...?) ; auch liegt mein letzter Besuch in Darmstadt schon Jahre zurück: Ich erinnere mich noch einigermaßen gut an eine ordentliche Aufführung von Schrekers "Spielwerk" und sehr undeutlich an eine weniger beglückende des "Doktor Faust" (Busoni) und gehe jetzt ganz unbefangen in den Darmstädter "Parsifal". Erfreulich schon mal die moderaten Preise (8-39 EUR).


    Was den Katholizismus angeht, da bin ich ebenfalls skeptisch. Der "Parsifal" ist für mich weniger vom Libretto her als vielmehr in musikalischer Hinsicht bewunderungswürdig; da teile ich den Standpunkt Claude Debussys.


    Demnächst gern mehr.


    Nachdem ich kürzlich beide Einspielungen erworben und kennengelernt hatte, fand ich den Kubelik zunächst etwas langweilig und kühl gegenüber dem leidenschaftlichen und hitzig-opernhaften Kegel - Danke noch an Edwin und die anderen Befürworter für diese wirklich gute Empfehlung! - und bemerke erst jetzt nach und nach die Qualitäten Kubeliks: in völligem Gegensatz zum "dionysischen" Kegel ein ruhiger, "apollinischer" Zugang, in wunderbarer Klarheit und mit unaufdringlichem Pathos, so mein Eindruck nach dem Hören des 1. Akts gestern abend.



    Demnächst werde ich Parsifal in Darmstadt erleben und bin schon gespannt drauf; die Kritiken der Neuinszenierung vom Februar sind ja etwas widersprüchlich. Schwerpunkt der Interpretation, die aufs Theologische zielt, ist offensichtlich, grob gesprochen, der Gegensatz von christlicher und atheistischer Welt...

    Eine Gesamteinspielung der Streichtrios, die ich sehr hochschätze, ist die von Jascha Heifetz (Vl), William Primrose (Vla) und Gregor Piatigorsky (Vc), die die Werke 1957-60 bei RCA eingespielt haben. Sie demonstrieren, daß diese Werke durchaus zu Unrecht unterschätzt werden - einfühlsam und lebendig musiziert.


    Zitat

    Original von Stabia
    Die Streichtrios sind für mich eine Fundgrube von herrlichen, z.T. witzigen Themen. Alle Gefühlregungen, die wir von Beethoven kennen sind vorhanden, es ist keine "Hintergrundsmusik", man kann schon beim Zuhören seine Freude haben.


    So ist es.


    Leider gibt es offensichtlich keine greifbare CD-Edition, die den ganzen Zyklus bündelt; ich selbst hatte vor Jahren das Glück, in einer Grabbelkiste, wo viele Einzelstücke aus der RCA-Heifetz-Edition ausverkauft wurden, fündig zu werden:



    op. 3
    op. 9/1
    op. 9/3



    op. 9/2



    op. 8

    [zitat]Original von Zwielicht
    Sehr empfehlenswert die z.Zt. offenbar vergriffene DG-Einspielung von Pfitzners Eichendorff-Kantate "Von deutscher Seele" mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und hervorragenden Solisten (u.a. Agnes Giebel, Fritz Wunderlich). Hier ist Keilberth in seinem Element.[/zitat]


    Die hier:



    Eine wirklich wunderschön romantische Aufnahme, in der Tat. Allerdings, wenn ich es recht sehe, nur im nordamerikanischen Amazonas - völlig überteuert.

    Dank an Davidoff für die Erinnerung an ein Werk, das ich eben in dieser Aufnahme gehört habe:



    Erstaunlich und packend, wie Inghelbrecht, den ich erst gerade als Debussy-Interpret kennenlerne, die Partitur zum Klingen bringt: immer in höchster Konzentration und Anspannung, gleichsam wie unter Strom stehend, elektrisiert – durchaus eindrucksvoller und spannender als Ernest Ansermet, von dem ich noch eine LP besitze.


    Eine merkwürdige Klangwelt, die staunen macht, wenn man mit La mer, Trois nocturnes oder Images vertraut ist und Ähnliches im Martyre erwartet: eine vergleichsweise spröde und rauhe, teilweise schroffe Musik, in einer Art nüchternen Extase, die leise an die Tonsprache Brittens (War Requiem) oder, mehr noch, an Messiaen denken läßt, dessen Oper Saint Francois d’Assise, der ebenfalls eine Heiligenlegende zugrunde liegt, nicht nur thematisch verwandt scheint: Die Aufschichtung von Klangblöcken, die scheinbare Statik, die langsame Entfaltung, der musikalische Gestus, der Hang zum Mystischen – daß Messiaen Debussy bewunderte, ist hier sinnlich erfahrbar. Am Ende des Martyre vermisse ich fast schon die Ondes Martenot!


    An manchen Stellen meine ich die Andeutung von Parsifal-Zitaten herauszuhören (Karfreitagszauber?), allerdings viel versteckter als in Pelléas et Mélisande einige Jahre zuvor, hier war es noch ganz deutlich.


    Debussy selbst bezieht sich in einem Interview, das er während der Komposition des [Martyre[/i] gab, kritisch auf Wagner, die Möglichkeit der Erneuerung einer „Musica sacra“ erörternd:


    [zitat]Parsifal ist eine hübsche Sache ... Das ist Theater – dieses Gift der Vereinfachung. Wagner selbst bezeichnet seine Werke als Schauspiele. Er weiß zu gut den Anfechtungen der Demut zu widerstehen, als daß er der Religion zu ihrem Ruhme dienen könnte. Für das Gebet sind seine Attitüden zu dramatisch. Er löst sich nicht von seinen hochfliegenden und künstlichen Theorien. Es braucht eine Selbstentäußerung ganz anderer Art, um das Göttliche zu preisen.
    Claude Debussy, Monsieur Croche. Sämtliche Schriften und Interviews. Reclam/Stuttgart 1971, S. 303[/zitat]
    Daß Le Martyre, trotz seiner christlich-religiösen Botschaft, nicht gerade die Sympathien der Katholischen Kirche gewann, im Gegenteil! – das hat Davidoff oben schon ausgeführt. Interessant ist hierbei die Frage nach den religiösen Motiven des Komponisten:


    [zitat]Wer gibt uns die reine Liebe der frommen Musiker vergangener Zeiten zurück? Wer wagt von neuem die grandiose Leidenschaft eines Palestrina? [...] Ich selbst bin weit entfernt von diesem Zustand der Gnade. Ich bin kein praktizierender Christ im kirchlichen Sinn. Ich habe die geheimnisvolle Natur zu meiner Religion gemacht. Ich glaube nicht, daß ein Mann im Mönchsgewand Gott näher steht, noch daß ein bestimmter Ort in der Stadt der stillen Andacht förderlicher ist.


    Vor einem bewegten Himmel, dessen wunderbare und unaufhörlich sich wandelnde Schönheiten ich stundenlang betrachte, erfaßt mich eine unbeschreibliche Gefühlsbewegung. Die unermeßliche Natur strahlt zurück in meine wahrheitshungrige, arme Seele. Hier sind die Bäume, die ihre Arme hoch in den Himmel recken, hier die duftenden Blumen, die in der Wiese lächeln, hier ist die Erde, gar lieblich geschmückt mit lieblichen Kräutern ... Und unmerklich falten sich die Hände zur Andacht. Fühlen, zu welch aufwühlenden und gewaltigen Schauspielen die Natur ihre vergänglichen und erschauernden Geschöpfe einlädt, das nenne ich beten.


    Im übrigen bekenne ich Ihnen, daß der Stoff des Martyre de Saint Sébastien mich vor allem wegen der Mischung von lautem, prallen Leben und christlichem Glauben gefangennahm, die ich darin fand.
    ebd., S. 304[/zitat]
    Ein Bekenntnis, das mich berührt. Mehr noch ergreift mich das Werk – sicher eines der bedeutenden sakralen Schöpfungen des 20. Jahrhunderts!

    Morgen? Morgen ist morgen - aber um noch etwas zum Thema beizutragen: Aus Amerika ist gerade eine Kunst der Fuge zu mir unterwegs, die sich deutlich von Guillot unterscheiden dürfte: Hermann Scherchen mit eigener Instrumentierung, bin schon gespannt drauf, wie der Kontrapunkt hier funktioniert. Werde gern Auskunft geben, wenn ich Näheres sagen kann.


    Gerade zu Bach gibt es so viele begehbare Wege, oder?

    [zitat]Vielleicht lässt sich der gute Gurnemanz noch weiter bekehren.[/zitat]
    Na na, da protestiert aber mein innerer Finanzminister. Aber danke für den Hinweis, werter Herr Missionar: Studieren werde ich es gut. Und wenn's wohl zubereitet ist, schlucke ich willig und gern auch HIP...

    [zitat]Empfehlung von Hildebrandt


    Die hier:
    [/zitat]
    Vielen Dank für den Tip, lieber Hildebrandt: Ich habe mir die Aufnahme daraufhin besorgt und bin sehr angetan, und das, obwohl ich eigentlich kein Kenner und Liebhaber von Cembalomusik bin.


    [zitat]Original von miguel54
    Begeisterungswürdig - endlich ein Cembalist, der angesichts Bachscher Noten nicht vor Ehrfurcht erstarrt.[/zitat]
    Ja, das paßt.


    Was mich hier anspricht, ist der leidenschaftliche, packende Zugriff, der den Swing der Musik herausstreicht. Für mich überraschend, daß das so mit diesem Instrument geht, da ich gelegentlich Cembalisten höre, die Akzente und Absätze durch (übermäßiges?) Rubato setzen, was den Fluß stört, wie bei einer Rede, bei der der Sprecher immer wieder innehält.


    Auch daß Cembalomusik trocken und spröde klingen muß, wird hier eindrucksvoll widerlegt. KLangvoll und kräftig, was Sébastien Guillot hier bietet!

    Liebe Forianer,


    kennt jemand diese Aufnahme?



    J. S. Bach: Matthäus-Passion mit Hermann Scherchen


    3 CD-Box. Aufnahmejahr: 1953


    Chor und Orchester der Wiener Staatsoper, Solisten u. a. Helga Glöckner, Elli Hofstätter, Magda László, Laurence Molden, Elfi Monsberger, Hilde Rössel-Majdan, Hugues Cuénod, Kurt Equiluz.


    Da ich mich seit Wochen für Scherchens Beethoven-Einspielungen begeistere, würde mich auch interessieren, was er mit Bach gemacht hat. Allerdings scheint diese Aufnahme so gut wie nicht zu bekommen sein.


    Sachdienliche Hinweise/Meinungen usw. sind herzlich willkommen.

    Liebe Forianer,


    kennt jemand diese Aufnahme?



    J. S. Bach: Matthäus-Passion mit Hermann Scherchen


    3 CD-Box. Aufnahmejahr: 1953


    Chor und Orchester der Wiener Staatsoper, Solisten u. a. Helga Glöckner, Elli Hofstätter, Magda László, Laurence Molden, Elfi Monsberger, Hilde Rössel-Majdan, Hugues Cuénod, Kurt Equiluz.


    Da ich mich seit Wochen für Scherchens Beethoven-Einspielungen begeistere, würde mich auch interessieren, was er mit Bach gemacht hat. Allerdings scheint diese Aufnahme so gut wie nicht zu bekommen sein.


    Sachdienliche Hinweise sind herzlich willkommen.

    Auch für mich gehört Wolfgang Windgassen zu den ganz Großen - habe ihn selbst noch kurz vor seinem Tod in Stuttgart als Loge im Rheingold erlebt.


    Was ich an seiner Darstellung am meisten schätze, ist, daß er den Wagnerschen Helden (Tristan, Siegfried) eine eigentümliche Tiefe dadurch gab, daß er sie mit einer ganz merkwürdigen melancholischen Entrücktheit zeichnete, die mich immer sehr, sehr berührt hat. Ähnliches kenne ich, auch wenn dieser nicht im selben Fach sang, von dem leider ebenfalls zu früh verstorbenen Finnen Martti Talvela.


    Wie gesagt, einer der ganz Großen.

    Auch ich freue mich auf die Diskussion; selbst besitze ich noch keine Aufnahme des Werks, habe es schon seit vielen Jahren nicht mehr gehört. Dabei war mir früher die Musik durchaus vertraut: Ich meine mich zu erinnern, daß die Einspielung mit Britten/Pears/Tuckwell in den 70er-Jahren sehr häufig im Rundfunk präsent war und damals zu den populärsten Werke der Moderne gehörte.

    Angeregt durch eine neue Tamino-Diskussion, auf der Suche nach dem "bedeutendsten Symphoniker" nach Beethoven:


    Niels Wilhelm Gade: Symphonie Nr. 1, c-moll, und Symphonie Nr. 8, h-moll


    Ein fülliger, doch differenzeierter und feiner Orchesterklang, in den Ecksätzen teilweise etwas lärmig, in den Binnensätzen dagegen lyrisch und warm, gelegentlich berührend: Neeme Järvi mit Stockholms Sinfonietta:



    Zitat

    Original von Armin Diedrich
    Hinsichtlich Csampai bin ich gerade zufällig auf ein recht interessantes Faktum gestoßen. Er lobt recht häufig Pianisten wie Konstantin Scherbakov und Michael Korstick in seinen Kritiken. Deren Agentin heißt jedoch Monika Csampai und ist mit ihm verheiratet...


    Gerade gefunden: Auch in der aktuellen Ausgabe des Fono Forum (03/2008) preist Attila Csampai wieder- mit Bestnoten - Michael Korstick als einen der "großen Beethoven-Interpreten": mit Superlativen nicht geizende Besprechung der Einspielungen der Sonaten op. 10/1-3 und op. 13 ("Pathétique"): Es hat anscheinend Methode.

    [zitat]Original von Theophilus
    [...] alle strömten schweigend aus dem Saal.[/zitat]
    So sehr ich mir genau dies schon oft bei Konzerten und Opernaufführungen gewünscht habe (vergeblich natürlich), so wenig halte ich diese Demonstration von Ergriffenheit gerade bei diesem Werk für angemessen - und bin froh, daß es nicht mehr allgemein üblicher Usus ist - bedeutete diese Reaktion doch hier nicht nur Respekt und Bewunderung für ein großes Werk, das solche Wertschätzung durchaus verdient, sondern eben eine unappetitliche und überholte Einlassung auf die Wagnersche Bühnenweihspiel-Ideologie.


    [zitat]Original von Alviano
    Wir sind in der Oper, nicht im Gottesdienst.[/zitat]
    So sehe ich es auch: Die Vermischung von großem musikalischen Ereignis und Gottesdienst halte ich für durchaus unbekömmlich - den Zirkus, den der Bayreuther Meister selbst um sein letztes Werk initiiert hat, hat es gar nicht nötig. "Applaus-Verbot" beim Parsifal? Ein klares Nein.

    Und jetzt noch Klavierstücke des frühverstorbenen Norbert Burgmüller, mit Mendelssohn Bartholdy befreundet: im besten Sinne gefällige, anmutige Musik, liebevoll eingespielt von Tobias Koch (den ich erst kürzlich als Schumann- und Mozart-Interpret kennen- und schätzengelernt habe) auf einem zeitgenössischen Fortepiano (Conrad Graf, Wien, ca. 1826), dessen Klang betörend auf mich wirkt:


    Hallo Johannes,


    [zitat]Wovon ich jedoch nur abraten kann, ist der gesamte Bereich des sogenannten 'Olymp' in der Ebene 6, weil man wegen der großen Entfernung von der Bühne auf derselben kaum mehr etwas erkennen kann.
    [/zitat]
    Danke für den Hinweis; gerade diesen Bereich meinte ich; es war weniger die ungünstige Sicht (könnte ich evt. noch verschmerzen) als der Klang, der nach meiner Erinnerung viel zu distanziert war.

    Danke für den ausführlichen Bericht - da Darmstadt für mich nicht unendlich weit entfernt liegt, von besonderem Interesse - zumal wenn wie hier ein Programm abseits der Hauptstraßen angeboten wird.


    Mit der Akustik der Alten Oper in Frankfurt - ich war zuletzt vor vielen Jahren dort, ein langer Schlauch das - bin ich auch nicht so glücklich gewesen; insofern ist bemerkenswert, wenn in Darmstadt eine gute Alternative entstehen sollte.

    Danke für die ausführliche Antwort und die Korrekturen: Man darf auch den Journalisten seriöser Medien nicht alles glauben! Immerhin ist es hoch anzuerkennen, daß sich da einer stark macht für einen Künstler, der einen Beethoven zeigt, bei dem dem der "Lack ab" ist, der beginnt, "Schrecken zu verbreiten - statt (falschem) Schönklang zu huldigen - ein Beethoven also, der verstören und befremden kann wie Musik im 20. Jahrhundert - das ist es, was mich bei Scherchen packt.


    [zitat]Original von Gurnemanz
    [zitat]Daß ich aus seinen Einspielungen der Beethoven-Symphonien streckenweise "revolutionäres Pathos" heraushöre, paßt gut zu diesen Informationen.


    [/zitat]Original von Johannes Roehl
    Das liegt allerdings auch an Beethoven ;)[/zitat]
    Stimmt, doch auch der Interpret muß es wollen, sonst kommt's nicht rüber, oder eben verfälscht, geglättet wie bei einigen: Pathos ja, aber revolutionär? Scherchen trifft da in den Symphonien etwas (in meinen Ohren noch genauer als sogar der von mir hochgeschätzte Leibowitz), so etwas wie den "plebejischen Ton".


    In den Klavierkonzerten freilich geht er mit Badura-Skoda einen anderen Weg, der im Vergleich zu den Symphonien weniger revolutionär anmutet und, löst man einzelne Stellen aus dem Zusammenhang, konventionell erscheinen mag. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen (folgt gelegentlich gern): Ich höre da eine Musik, die sich, ohne zerdehnt oder aufgeweicht zu werden, in langen Spannungsbögen entfaltet, in einer strengen, klaren und gut strukturierten Linienführung, weniger schroff, als es bei Scherchen erwartet werden mag. Die Musik atmet und lebt, ohne in Extreme zu verfallen. "Gnadenlos expressionistisch" ist das freilich nicht, aber auch alles andere als langweilig: eher "klassizistisch" als "romantisch", in den ersten beiden Konzerten vielleicht noch treffender als im 5., da gibt es durchaus Alternativen, wo die Gegensätze noch schroffer und dramatischer herausgearbeitet werden (z. B. Celibidache/Michelangeli oder Szell/Fleisher, deutlich schwächer dagegen finde ich Stein/Gulda).


    Der Eindruck ist nicht spektakulär, aber nachhaltig und beeindruckend: Vielleicht prägt Scherchen hier ein tiefes Mißtrauen gegen jede Art von Virtuosen-Eitelkeit; dazu paßt ein Solist, bei dem nichts von Selbstdarstellung zu hören ist. Ich finde das spannend und, was die langsamen Sätze angeht, berührend und schön.


    [zitat]Dennoch bleibt seltsam und ärgerlich, dass in einer Zeit, in der jede verkorkste Live-Aufnahme gewisser Maestri recycelt werden muß, diese teils immer noch maßgeblichen Sachen schwer oder gar nicht zu kriegen sind :wacky:[/zitat]
    Das ist gewißlich wahr!

    Da ich mich gerade heftig für Scherchens Beethoven-Interpretationen begeistere - besonders die der 3. (1958!), 4. und 8., überzeugend auch die 5. und 7., sowie der Klavierkonzerte (mit P. Badura-Skoda) -, habe ich mich im Netz auf die Suche begeben, um mehr über den Dirigenten zu erfahren.


    Bei Wikipedia lese ich, daß Scherchen das bekannte Arbeiterlied "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt habe (er war während des I. Weltkriegs in Rußland interniert) und bekennender Kommunismus war: Die Erfahrungen mit der Oktoberrevolution soll er später für ebenso prägend erklärt haben wie seinen Kontakt mit Arnold Schönberg.


    Daß ich aus seinen Einspielungen der Beethoven-Symphonien streckenweise "revolutionäres Pathos" heraushöre, paßt gut zu diesen Informationen.


    Einen Artikel aus der "Zeit" vor 8 Jahren finde ich lesenswert:


    http://www.zeit.de/2000/17/Musik_im_Saeurebad?page=all


    So schreibt der Autor Wolfram Goertz über Scherchen, einen "der meist gehassten Dirigenten des 20. Jahrhunderts":


    [zitat]Dass der bekennende, zu Lebzeiten oft angefeindete Sozialist eine zu Herzen gehende Wiener Einspielung der Matthäus-Passion (UMD, 3 CD, 80470) 1953 zuwege brachte, mag erstaunen. Hört man sie, versinken alle Klischees von musikalischer Sachlichkeit, Romantisierung, Gläubigkeit oder Puristerei in der Lächerlichkeit eines bloßen Paradigmenstreits. Scherchen, der Materialist, rafft alle Gegensätze, um sie in dialektischer Unruhe zu versöhnen.[/zitat]
    Große Worte, die ich bezogen auf Bach nicht beurteilen kann (die sich allerdings gut mit meinen Scherchen-Beethoven-Eindrücken vertragen). Frage in die Runde: Kennt jemand diese Aufnahme (die offensichtlich schwer oder gar nicht zu bekommen ist)?

    [zitat]Original von Michael Schlechtriem
    Hallo Gurnemanz,
    [Zitat]Original von Gurnemanz
    daß nach dem Ende einer Aufführung die Zuhörer ganz still, ohne jeden Laut den Konzertsaal verlassen würden...[/zitat]
    bitte nicht, ich brauche den Applaus, damit es niemanden auffällt, daß ich mit meinem Pultnachbar quatsche.[/zitat]
    Hallo Michael,
    ganz unter uns: Wenn alle klatschen, mache ich auch mit - weiß ja, was sich gehört, und möchte ja auch, daß Ihr wiederkommt...

    Ich habe mir schon oft gewünscht, daß nach dem Ende einer Aufführung die Zuhörer ganz still, ohne jeden Laut den Konzertsaal verlassen würden... leider nur eine Utopie. Dabei wäre die Stille, die erklingt, nachdem die Musik verklungen ist, so kostbar.


    [zitat]Claude Debussy:
    Ist übrigens dieses instinktive, auf die Steinzeit zurückgehende Bedürfnis, die Hände ineinanderzuschlagen und Kriegsrufe auszustoßen, um höchste Begeisterung auszudrücken, nicht seltsam?[/zitat]


    Das empfinde ich ebenso.

    Nachdem ich die Aufnahmen der Klavierkonzerte mit Badura-Skoda und Scherchen jetzt ausführlich und mehrfach gehört habe: Meine Eindrücke, die ich oben bezogen aufs 3. Konzert angedeutet hatte, haben sich bestätigt: Eine wunderbare Gesamteinspielung, die ich vorbehaltlos empfehle!


    Allein die langsamen Sätze - wie die Interpreten schlicht, "klassisch" sich einlassen, klar, ohne Verschwimmen, einfühlsam - lassen mich ins Schwärmen kommen.

    Gerade erfreue ich mich an folgender Doppel-CD:



    W. A. Mozart: Die Kurfürstin-Sonaten, KV 301 - 306
    (Six Sonates Pour Clavécin Ou Forté Piano Avec Accompagnement D'un Violon. Dediées A Son Altesse Serenissime Electorale Madame. L'Electrice. Palatine. Oeuvre Premier. Paris 1778)


    Enthält außerdem noch Andante und Fuge einer Sonate in A-Dur, KV 402.


    Tobias Koch, Cembalo (Pascal Joseph Taskin, Paris 1787)
    Lisa Marie Landgraf, Violine (David Tecchler, Rom 1720)


    Mozart auf Cembalo, Violine mit Darmsaiten? Also HIP?
    Für mich zunächst gewöhnungsbedürftig. Die Künstler begründen ihre Entscheidung so:


    [zitat]Tatsächlich stellt die Wahl ursprünglicher Instrumente für uns eine unumgängliche Notwendigkeit dar: nicht nur, um der Musik ihr unverfälschtes Konfliktpotential zurückzugeben. Die Gefahr permanenter, gefälliger "Verniedlichung" besteht bei Mozarts Musik mehr als bei Werken anderen Stilepoche. Wie können die von übermütig auftrumpfend bis schmerzhaft in sich gekehrten Facetten dieser sechs Sonaten auf natürliche Art anders als mit ursprünglichen Instrumenten in Klang umgesetzt werden? Und was die landläufige Meinung, Mozarts Musik sei "leicht" und "eingängig" über den Zustand unserer Gesellschaft aussagen mag, sei hier nur als Fragestellung angedeutet...[/zitat]
    Das ist sicher diskussionswürdig, für mich persönlich ist der Weg über ursprüngliche Instrumente keine "unumgängliche Notwendigkeit", sondern ein Weg, auf den ich mich hier gern einlasse - zumal die beiden Musiker mit viel Seele, Lust und Geist an die Sache gehen und mir einen Mozart zeigen, den ich aufregend und faszinierend finde: So lasse ich mir "historisch informierte" Aufführungen gern gefallen, zumal ich hier mehrfach klangliche Schönheiten wahrnehme, die mich sehr ansprechen!


    T. Koch und L. M. Landgraf haben beim selben Label (Genuin) außerdem noch Schumanns Werke für Violine und Klavier eingespielt, ebenfalls auf zeitgenössischen Instrumenten - ebenfalls sehr empfehlenswerte Aufnahmen.