Zitat
Original von Johannes Roehl
Es geht wohl auch nicht darum, daß Brucker selbst Musik als Ersatzreligion sah.
Das sehe ich gleich wie Du, lieber Johannes: Auch wenn ich letztlich natürlich nicht wissen kann, in welchen Kategorien der grosse Anton aus St. Florian empfunden haben mochte, gehe ich davon aus, dass Bruckner keine Ersatzreligion brauchte und suchte! Für ihn war das katholische Christentum die einzig gültige und ausreichende religio zum Schöpfer. Die Musik wird ihm also wohl kein Ersatz gewesen sein für die Angebote aus der christliche Tradition.
Wohl aber gehe ich davon aus, dass Bruckner seine musikalische Gabe als ein Gottesgeschenk empfand, als „Talent“, mit dem es zu wuchern galt.
Die aus seiner Gottesgabe emergierenden Kompositionen empfand er allenfalls als „Gebete“, als „Opfergaben“, oder vielleicht – in letzer Zuspitzung – als communio mit dem Göttlichen.
Ein solcher Ansatz hat aber noch nicht die Qualität einer Ersatzreligion.
Es kann sein – und ich möchte es hoffen - dass auch Bruckner (trotz seiner vermeintlichen Naivität) die menschliche Beschränktheit jeglicher Religion schmerzlich zur Kenntnis nahm, und aus dieser Konsequenz nach einer musikalisch geprägten Methode der Gotteserkenntnis suchte. Aber auch dieser „musikalische“ Gott blieb für ihn selbstverständlich der christliche Gott.
Dass das Mysterium der „Klangwerdung der Zeit“ zu metaphysischen Spekulationen verleiten kann, wirst auch Du, lieber Johannes, wohl nicht abstreiten wollen. Dass man aus den spekulativen Ergebnissen einen „Gott-Fetisch“ bastelt, möchte auch ich zurückweisen, und ich gehe nicht davon aus, dass Bruckner solchermassen empfunden hat.
Ein Anderes ist die Beobachtung, dass das Hören von Bruckners Musik offenbar spirituelle Gefühle auslösen kann. Mag sein, dass die erste Ursache dafür der Umstand ist, dass seine Musik oft in kirchlichem Umfeld erklingt und eine zweite Ursache in der Tatsache zu suchen ist, dass eben im Zusammenhang mit Bruckners Werk immer wieder von Religion gesprochen wird: Das heisst: Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte begünstigt eine Nähe von Bruckners Musik zu Topoi der (christlichen) Religion.
Dessenungeachtet wage ich mal die unwissenschaftliche These, dass die Musik von Bruckner (gerade auch wegen ihrer Wirkungsgeschichte) eine Aura eröffnen kann, die den Hörer/die Hörerin in Bruckners eigenen intimen Dialog mit dem Göttlichen sog-artig einbezieht, und somit uns Brucknerbegeisterte gleichsam stellvertretend „tauft“ mit der Kraft seines Glaubens.
Ich persönlich empfinde in der Musik von Bruckner (trotz ihrer Abgründe und Ausbrüche) eine zutiefst positive, lebensspendende Energie. In Zeiten eigener Bedürftigkeit, in denen ich mir (naiverweise) ein positiver Gottesbild wünsche, kann mir Bruckner tatsächlich für gewisse Momente zu einer Art Ersatzreligion werden. (Wobei ich ehrlicherweise zugebe, dass ich überhaupt nur "Ersatzreligionen" pflege: Denn die wirkliche religio ist bar aller Worte und Beispiele, sie ist weder tröstlich noch ängstigend, sie IST einfach....niemand kann sie "vollziehen", allen ist sie geschenkt!)
Das sind einfach halt so österliche Gedanken vom Berner
Walter