Liebe Freunde, hochgeschätzte Bachiana!
Ich stehe noch immer im Eindruck der subtilen Analyse von Schumanns Fantasiestück op. 73,1, die Bachiana hier vorgelegt hat.
Man kann den Weg stets nachvollziehen, doch nie voraussehen
Wenn ich Einwände habe, dann nicht gegen die Analyse, sondern bloß gegen die damit verbundenen Wertungen. Daher möchte ich hier, auf der Grundlage von Bachianas Ergebnissen, eine andere Sicht der Dinge vorschlagen.
Die Folie, von der Schumanns Musik sich abheben läßt, wäre auch für mich die periodisch streng und logisch gegliederte Musik der Klassik, par excellence Beethovens. Der Horizont von Erwartbarkeit, den ein metrisches Konzept auf der Grundlage symmetrischer, z.B. achttaktiger Perioden um ein Werk breitet, ordnet die Abfolge der musikalischen Ereignisse auch dem darauf eingestimmten Hörer zu. Ein Taminomitglied hat einmal für uns aufgezeigt, wie sich die Achttaktigkeit, wenn man ganze Takte wiederum als Schläge begreift, bis in Großstrukturen (es war m.W. der Kopfsatz der 5. Sinfonie von Beethoven) aufweisen läßt.
Diese logische Ökonomisierung der Zeit wäre ein Thema für sich.
Was nun Bachiana mit wünschenswerter Detailfülle an Schumann ausmacht, ist gerade das Gegenteilt davon: Diffusität, verschleierte Konturen, unrhetorische Beiläufigkeit, tonale Indirektheit usw. Novalis hat dafür, weit vorausschauend, einmal die Formel geprägt:
Bestimmtseyn ohne bestimmt zu seyn
Das Ideal Schumanns ist vielleicht eher das einer Träumerei, der man sich überläßt, die Freiheit des ausruhenden Beisichseins, nicht des reflektierten, selbstbewußten Kämpfertums. Schumanns wundervolle Musik spricht daher auch ganz anders an als etwa Beethovens Willensmusik, der man sich schwer entziehen kann mit ihrem Impetus und ihrem Zugriff. Schumanns Fantasiestück in seiner scheinbar zufälligen, rhapsodischen Abfolge befreit den Hörer von willentlicher Verengung. Nicht von außen genötigt, sondern innerlich angesprochen, so könnte man Novalis´ Formel übersetzen; seiner inne zu sein, ohne auf etwas gelenkt zu werden.
Daß unsere Tagträume in den Momenten, wo wir uns selbst überlassen sind, oft in eine bestimmte Richtung gehen, steht auf einem anderen Blatt. Schumanns Fantasiestück ist schwärmerisch und sehnsüchtig wie ein verlorener Blick auf die eigene Kindheit.