Wir alle kennen ja den berühmtesten aller Shakespeare-Monologe, aus Hamlet, "To be or not to be" (III, 1) wo es weiterhin heißt:
Sterben - schlafen -
Nichts weiter! und zu wissen, daß ein Schlaf
das Herzweh und die tausend Stöße endet,
die unsers Fleisches Erbteil - ´s ist ein Ziel,
aufs innigste zu wünschen. Sterben - schlafen -
schlafen! Vielleicht auch träumen! -
Man geht nicht zu weit, wenn man behauptet, daß damit die Thematik der "Vier letzten Lieder" als Zyklus erschöpfend umrissen ist. Die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele modifiziert sich zu einer der Kohärenz und Kontinuität des Bewußtseins, die die Zustände des Unbewußten mit einbegreift.
Vor diesem metaphysischen Hintergrund entspinnt sich die Romanze (sogar als Violinromanze) des Einschlafens bei Strauss.
Nun der Tag mich müd´ gemacht,
soll mein sehnliches Verlangen
freundlich die gestirnte Nacht
wie ein müdes Kind empfangen.
Das ist, in seiner lyrischen Verklausulierung, gar nicht so leicht zu verstehen, wie man vielleicht meint. Da steht ja nicht: Meiner Tage müde, sehne ich mich von ganzem Herzen nach Schlaf. Eher schon: Es ist Zeit! So müde, wie ich meines Tagwerks bin, soll mir die Nacht aus tiefstem Herzen willkommen sein, und ich will sie, in ihrem Sternenglanz, bereitwillig und ohne Widerstand, wie einen Freund aufnehmen.
Ein fünftaktiges Vorspiel (4/8) durchläuft imitierend eine Achtelkette fallender Sekundschritte, zu Taktbeginn immer um eine Sechzehntel versetzt und synkopiert, in der zweiten Takthälfte wieder im Metrum, aber jeweils eine Septime nach oben versetzt, was den eigentlich diatonischen Abstieg in eine gewundene Aufwärtswindung der geteilten Streicher verwandelt. Der letzte Septimensprung in Takt 5 es-des in den Violinen schließt dabei den Kreis zum tiefen des der Bässe und Celli, mit denen die Bewegung einsetzte, und leitet in einer diatonisch abfallenden Sechzehntelkette zum Auftakt der Singstimme über.
Diese Einleitung im tiefen Streicherregister klingt ein wenig wie eine aphoristische Version des zergrübelten Vorspiels zum 3. Akt der Meistersinger, nur daß hier kein Mahnruf erfolgt: "Wach auf, es nahet gen den Tag!", sondern im Gegenteil.
"Nun der Tag" mündet, nach den ungewissen f-Moll-Harmonien des Beginns (Orgelpunkt auf c) in es-Moll, um sich über b-Moll ("mich") bei "müd gemacht" nach f-Moll zu wenden. "Soll mein sehnliches Verlangen" hellt sich nach Des-Dur und As-Dur auf, "freundlich" hat wieder b-Moll, "die ge- ..." f-Moll, und "...-stirnte" einen auffallend hoch und dicht registrierten des-Moll-Akkord (Holzbläser und Celesta). "Nacht wie ein" geht nach As-Dur (es-as), "müdes" springt wieder eine Quart höher auf des, während das Orchester, wiederum Holz und Celesta, einen noch auffälligeren A-Dur-Akkord aufleuchten läßt. "Kind empfangen" bewegt sich, einschließlich des nachgeschlagenen dritten Holz-und Celesta-Akkords, in E-Dur; dann setzt eine chromatische Trübung ein, die das "Hände, laßt von allem Tun" über cis-Moll und Gis 7 förmlich zerfahren läßt. "Stirn, vergiß du" gewinnt in A 7 und D-Dur wieder sicheren Boden und Zuversicht, "alles Denken" streift, nach A 7 und dem verminderten Septakkord (Verschärfung nach ais) kurz h-Moll, um nun eine chromatische Kaskade von allen möglichen Septimenkakkorden niedergleiten zu lassen: "Alle meine Sinne nun", mündend in d-Moll "wollen sich in Schlum- ...", über die Rückung a-as, also f-Moll, auf der letzten Silbe ("... -mer") nach Des-Dur überleitend, der nun erreichten Haupttonart der Schlußstrophe.
Die chromatisch niedergleitende Akkordpassage zu "alle meine Sinne nun" verbindet, liederübergreifend, den Vers "[es zittert] durch all meine Glieder" aus "Frühling" mit "daß wir uns nicht verirren" aus "Im Abendrot" - eine wahrhaft beziehungsreiche Vertonung.
