Beiträge von farinelli

    Oh weh - gibt es noch irgend etwas, was nicht gesagt wurde?


    Bei mir ist es so, daß ich zu einer bestimmten Zeit meine Lebens kaum etwas anderers als Brahms gehört habe und ihn daher wesentlich beser und umfassender kenne als Bruckner.


    Von den schönsten Chorsätzen (Nänie) über die "Wiegenlieder meiner Schmerzen", die Lieder und die Kammermusik bis in die symphonischen Großwerke zieht sich bei Brahms unüberhörbar ein Ton von Verzicht, Versagung und Resignation, der, gepaart mit den Sujets verlorener Liebe gerade in den Liedern, bisweilen etwas Penetrantes gewinnt. Ich habe Brahms im Verdacht, im vierten der Vier ernsten Gesänge sogar das "und hätte der Liebe nicht" in diese etwas kleinbürgerliche Liebesverzichts-Heroik umzumodeln, die so schmerzlich und sentimental auf das ewig verlorne Paradies der Jugend zurückblickt.


    Zum anderen baut Brahms in der Rhetorik und Dramatik seiner Sinfonien unüberhörbar auf Beethoven auf, bei dem man ja immerhin noch an die Revolution, die Menschheitsbefreiung denken kann; während ich mich bei Brahms immer frage, ob es nicht ins Große getriebene private und bürgerlich Dramen sind, die hier tröstlich die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des Befristeten zum Klingen bringen.


    Die vielbesprochene motivische Dichte der musikalischen Organisation bei Brahms hat etwas bisweilen Gewaltsames: Zu Beginn des zweiten Klavierkonzertes, nach den wenigen präludierenden Takten des Solisten, fällt sich das erste Orchestertutti im Hauptthema mehrfach selbst ins Wort; das hört sich immer so an, als ginge das einfache Aussingen dem Komponisten bereits auf die Nerven, als dauere ihm alle zu lang, so daß er uns quasi den director´s cut bietet.


    Ich stimme daher an dieser Stelle mit all denjenigen überein, die bei Bruckner eine Durchlichtung und Fülle, ein sich Aussingen bis zur Neige, etwas Ungebrochenes in der Fähigkeit zum Glücklichsein finden. Das hat sehr viel mit der zeitlichen Organisation seiner Sinfonien zu tun (die schiere Länge allein tut´s noch nicht; aber die Fähigkeit zur Expansion ist eine andere als bei Brahms, bei dem, mit Wagner zu sprechen, noch stets gilt: Time is money). Natürlich gibt es auch einen dionysischen Brahms (z.B. die akademische Festouvertüre oder die Coda zum ersten Satz der Zweiten Sinfonie). Aber es gibt, wenn ich so sagen darf, nirgends bei Brahms musikalische Echtzeit.

    Es kommt auch immer daruf an, was im einzelnen breit genommen wird. Hier mal drei Beispiele für langsamen Karajan (1965-1980):


    DG SLPM 139003 (Bartok, Konzert f. Orch., 3 - Elegia - andante non troppo)
    DG SLPM 139018 (Tschaikowsky, Symph. Nr. 5, 2 - andante cantabile ...)
    DG 2531 295 (Bruckner Symph. Nr. 6, 2 - Adagio, sehr feierlich)


    Im Effekt klingt alles irgendwie nach Zeitlupe und verweigertem Schwung und Schmiß, konsequent, aber künstlich vor allem dort, wo eine Steigerung von sich aus zu einem drängenderen tempo tendieren müßte.

    Meine Johannes-Passionen stammen aus dem 60ern (Forster, Gillesberger) - trotz Grümmer (die schwer zu übertreffen ist) gefällt mir in der Telefunken-Aufnahme die Arie "Ich folge Dir gleichfalls mit freudigen Schritten", gesungen von einem Solisten der Wiener Sängerknaben, sehr - nicht aus sentimentalen oder unlauteren Gründen; doch weil ich glaube, daß ein Etwas an Unschuld oder Reinheit im Stimmcharakter unersetzlich und unnachahmlich ist.
    Die Klangfarbenmischung des Soprans mit denTraversflöten und der Orgel ist in der Wiener Aufnahme einfach betörend.

    Ja, was wären wir ohne Tatjanans Briefszene (eingebettet in das wunderbare Zwiegespräch mit dem alten Kindermädchen) - das ist von einer so aus dem Alltag gewonnenen, liebevollen Zeichnung und Poesie; eine Mondscheinszene irgendwo in der russischen Provinz, mit einem ganz ernst genommenen Mädchenherzen voller Mut und Todesmut, und gerade deshalb mit einem ungreifbaren Augenzwinkern darüber, das alle Schwere wunderbar leicht nimmt ... Und wo fände sich ein Gegenstück zur Architektur der Pathétique, 1. Satz, dessen Durchführungsteil, in seiner unerbittlichen Logik und Schwärze, in seiner Abgründigkeit und tödlichen Konsequenz vorbildlos dasteht in der symphonischen Literatur des 19. Jh. Das ist bis heute eine Herausforderung für den Dirigenten, von Mitropoulos bis Giulini, von Karajan, Martinon, Mrawinskij oder Kletzki bis zu den Maestri unserer Tage. Empfehlungen erwünscht!

    Beim Hineinhören in eine Sibelius Nr. 2 unter Karajan (leider weiß ich das Aufnahmedatum nicht mehr) war mir aufgefallen, daß im Finale das "gloriose" Triumphthema äußerst breit gespielt wurde. Nun ist dieses Thema gewiß nicht jedermanns Geschmack, und die zeitlupenhafte Apotheose vermeidet immerhin die etwas vordergründige Wirkungsabsicht dieser Musik. Aber ich entsinne mich doch, daß ich beim Anhören damals unter meinem Kopfhörer laut habe lachen müssen.

    Pace, ich wollte Sibelius ja hier auch nicht "brahmsisieren". Obwohl etwa die Siebente mir ziemlich geschlossen erscheint, oder das Il tempo Largo der Vierten. Daß Bruch, Umschlag und Farbfläche wesentliche Momente im Aufbau der Sibeliusschen Symphonik ausmachen, da bin ich mit Dir d´accord (wenn ich denn überhaupt richtig folge). Und da Du von Bewußtsein und Erleben sprichst - schon für z.B. Novalis hat ja die Assoziation, der Sprung einen höheren Stellenwert als das kontinuierliche Fortschreiten. Darauf kann man eine Theorie ästhetischer Zeit aufbauen, die bis in die filmischen Erzählungen unserer Tage reicht. Sibelius war auch insofern ein sehr moderner Komponist. Das bedeutet aber noch nicht, daß ein willkürliches Dirigat der Sache am besten dient. - Um aber bei Karajans Fünfter/1 zu bleiben - die Exposition, die sozusagen nach zweimaligen Anlauf in einem stark vom Blech getragenen, quasi diastolischen Tutti mündet, entlädt dort m.E. eine Spannung, die vom ersten Einsatz der Hörner an spürbar sein muß. Bei Karajan kommt dieser Höhepunkt aber etwas unvermittelt.
    Selbstverständlich bleibt das Hören ein subjektiver Vorgang.

    Es gibt bei der Philips eine wundervolle Live-Einspielung vom Valée d´Obermann - herrlich impulsiv und elektrisierend.
    Die epidemische Sammelkassette mit den Hautptwerken Schuberts gefällt mir aus einem speziellen Grund nicht so ganz - die unglaubliche Virtuosität und effektvolle Klangregie Brendels trifft mir zu selten einen schwer zu fassenden Ton der Schlichtheit, wie ich ihn bei Clara Haskil, aber (oh weh, ich will hier nicht Äpfel und Birnen vergleichen, und dennoch:) z.B. auch bei Gilbert Schuchter finde.


    Notabene, es geht mir hier nicht darum, wer zuletzt am besten Klavier spielt; bloß um ein Spezifikum der Schubertschen Ausdruckswelt, das mir wichtig bleibt.

    Das sollte beileibe kein plädoyer für Maazel im Allgemeinen werden; bloß etwas Skepsis an Karajan ausdrücken.


    Ich finde beispielsweise DG Sinf. Nr. 5/1 zu episodisch, im Tempo zu statisch und auch leicht verschleppt; mir fehlt sowohl der Spannungsbogen als auch die organische Tempoentwicklung; die Wiener unter Maazel spielen das alles beherzter, da gleicht die Themenexposition, man verzeihe mein Lyrischwerden, einem allmählich sich beziehenden Gewitterhimmel - überhaupt haben mich die eher flächenhaften und quasi geräuschhaften Passagen bei Karajan immer etwas befremdet, während die Wiener da absolut lebendig und faszinierend klingen (nicht bloß ein Vorteil der Aufnahmetechnik). - Es gibt bei Sibelius, bei aller Stilisierung, durchaus etwas wie ein entfernt folkloristisches Moment, um das sich die Berliner, wie mir scheint, bisweilen etwas geziert herumdrücken (Nr.5/2).

    Na, als eingefleischter Vinyl-Benutzer war ich lange stolz auf den vollständigen Satz der alten DG Tulips, inkl. Violinkonzert. Unvergeßlich zumal der Beginn der Vierten. Versuche mit dem Emi-Zyklus haben mich seinerzeit nicht überzeugt (es handelte sich allerdings bereits um digital remasterte Versionen auf LP). Auf CD kenne ich außerdem Saraste (die im Klang nicht völlig übrzeugt, aber gut gespielt ist). - Allerdings muß ich gestehen, daß mich die Karajan-Aufnahmen immer rasch ermüdet haben, wenn die großen orchestralen Gesten vorüber waren. Spätestens in den Mittelsätzen kam mir die Musik uninteressant vor, auch klingt das Vinyl an den leisen Stellen eher fad (ich besitze sehr gute Abspielmöglichkeiten). - Seit kurzem habe ich meinen Maazel-Zyklus (Decca, VPO) vervollständigt. Die kann ich nur empfehlen, klanglich als SXLs sowieso, dann aber auch wegen unbändigen Spielfreude des Orchesters, der Tempidisposition (bei Sibelius noch heikler als bei Bruckner), zumal auch wegen der bukolischen, der launigen und tänzerischen Passagen, die mir bei Karajan immer zu kurz kommen. Man verzeihe mir also diese Abweichung vom Thema.

    Nun ja, Mozart läuft ja immer hors concours, und die Zauberflöte desto mehr.
    Mich wundert nur, wie selten Richard Strauss hier genannt wird. Also gebe ich an: Der Rosenkavalier, wegen der einmaligen Balance zwischen Musik und Libretto; wegen der Menschlichkeit (und dann müßte sogleich, wie mehrfach oben zu lesen, die Frau ohne Schatten genannt sein).
    Ein Meisterwerk sui generis ist aber auch Brittens the Turn of the Screw.

    Auf Tonträger für mich unübertroffen Paul Schoeffler (Knappertsbusch), für seine unbeschreibliche Süffisanz, sowie Ferdinand Frantz wegen der rollendeckenden Noblesse. Man kann den Sachs gewiß jünger, verquerer, lyrischer oder auch pathetischer geben. Aber Wehmut, Reife und subtile Charakterisierung finde ich bei den beiden genannten im ausgewogensten Verhältnis.

    Hallo, guten Abend, man verzeihe mir, wenn ich bloß anmerken möchte, wie schwer es mir fällt, die beiden Violettas (Salzburg und Aix bzw. Berlin, es war ja eine Coproduktion) so dicht zusammengerückt zu sehen. Daß eine glamouröse Dame im Zentrum steht, ist ohnehin klar. Aber daß sie, weiß gekleidet unter Ropsschen Nachtgetümen, ein translucent leuchtendes Kleid sowie als Ballhandschuhe Mullbinden trägt, rückt Frau Delunsch doch ein wenig ab von dem, was Frau Netrebko auf die Bühne bringt. Die als Hintergrund projizierten Autobahn-Tunnelfahrten lassen eher an Lady Diana als an die Monroe denken - und wenn man unbedingt will, so kommt letztere durch ihren tragischen Ausgang, nicht durch die ihr eigene Körpersprache als Vamp-Ikone, in Betracht. Denn Frau Delunsch hat für diese Rolle eine unbeschreiblich plastische Gestik und Körpersprache. Die intermittiernden Fahrbahnmarkierungen, die die DVD zum Vorspiel zeigt, zitieren nicht zuletzt Lynchs Lost Highwy, was eine ganz gute Übersetzung von La Traviata ist.