Beiträge von Mr.Conductor

    Wenn nun aber die wirklich großen Meisterwerke so einsam auf weiter Flur (womöglich noch im Nebel und der Gipfel über allen Wolken, wenn du möchtest) ist, dass es keinen anderen Berg gibt, von dem aus man ihn betrachten könnte...


    Ich denke auch an Faust und den Berg, der spiralförmig -wie eine Turbine- in die Erlösung, ins Transzendentale führt. Am Fuß des Berges sind wir Menschen und am Gipfel, da ist die Erleuchtung. Unterwegs gibts dann die halben Engel und die volendeteren usw...
    Aber von der Ferne sehen wir davon nix.


    Grüße aus Wien
    Raphael

    Zitat

    Welche Begriffe empfiehlst Du denn als Alternative?


    Prinzipiell glaube ich, dass bei Begriffen wie eben "authentisch" das Mißverständnis entstehen kann, man würde so spielen, wie "damals" oder "wie es gehört".
    Dabei geht es bei dieser Bewegung nur darum, dass man mit den Mitteln der Zeit den Inhalt der Musik besser darstellen kann. Aber das Ergebnis ist immer entweder heutig oder nicht überzeugend.
    So ist meiner Meinung nach zum Beispiel die Bezeichnung "Originalinstrumente" weniger problematisch als "Originalklang", weil die Instrumente sind ja von damals. Der Klang passiert aber heute.


    Im Endeffekt möchte ich hier aber bitte niemandem vorschreiben, was er sagen soll und darf. Bitte bitte.


    Wollte lediglich auf die Problematik hinweisen.


    Grüße aus Wien
    Raphael

    Hallo liebe Leute!


    Wenn ich ein Werk dirigiere, dann lass ich natürlich in der Zeit der Einstudierung die Finger von jeder Aufnahme :yes:, aber dass ich von bestimmten Stücken einfach schon viele Aufnahmen gehört habe kann ich leider nicht mehr rückgängig machen. Und ich glaube, hier liegt das grundlegende Problem dessen, was so viele als Profilierungsdrang deuten:


    Wenn ich beispielsweise fünfzig verschiedene Aufnahmen von Mozarts g-moll-Symphonie gehört habe und dann soll ich mich vor ein Orchester stellen und meine Sicht des Werkes zeigen, dann kann ich nur versuchen, so zu tun, als dirigierte ich die Uraufführung- ganz gelingen kann es mir nicht. Aber irgendwo wehre ich mich innerlich vielleicht dagegen, es so zu machen, wie ich es im Ohr habe, da ich dann das Gefühl habe, ich wäre ein Kopist. Ich weiß es nicht. Das müssen andere entscheiden. ?( ?( ?(


    Aber um zur eigentlichen Frage zu kommen:
    Ich denke, jedes Meisterwerk ist wie ein Berg, den wir -da wir unten auf der Erde, am Fuße eben jenes Berges stehen- niemals zur Gänze betrachten können. Wir werden immer nur einen Teil davon sehen können. Jede Zeit findet ihr Tal, um darin zu wandern... Etwas abgedroschene Metapher, aber ich mag sie.


    Wir wissen nicht mehr oder weniger darüber, wie Mozart oder wer auch immer "richtig" zu spielen ist und ich kenne auch keinen ernst zu nehmenden Musiker (ausser einem einzigen), der das behaupten würde.
    Man muss sich dessen bewusst sein, dass Begriffe wie "authentisch", "Hip" oder "Originalklang" von den Musikern selbst kaum verwendet werden sondern fast ausschließlich von Musikwissenschaftlern und Theoretikern. :motz:


    Grüße aus Wien
    Raphael

    lass es uns doch mal (mit Reihung) probieren:


    1. Mozart: Idomeneo
    2. Mozart: Cosi fan tutte
    3. Mozart: Le Nozze di Figaro
    4. Monteverdi: Il Ritorno d'Ulisse in Patria
    5. Schumann: Genoveva
    6. Verdi: Falstaff
    7. Verdi: Otello
    8. Walton: Troilus und Cressida
    9. Mozart: Don Giovanni
    10. Mozart: Die Entführung aus dem Serail
    11. Mozart: Lucio Silla
    12. Berg: Wozzeck


    Wie man unschwer erkennen kann, hab ich ein gewisses Faible für Mozart-Opern. Wollte sie aber nicht weglassen, sonst wäre die Reihung nicht ehrlich gewesen...

    Betthoven 5. mit Eötvös ist insofern interessant, als das der sehr kleinen Besetzung elektronisch nachgeholfen wird und alle Stimmen (physikalisch) gleich laut zu hören sind. Das schafft ein - oh staune - äusserst transparentes Klangbild, wirkt aber - ach nein - auch ziemlich künstlich.
    Trotz allem nicht nur für Freaks.


    Grüße aus Wien
    Raphael

    Probieren wir es mal:


    Haydn 102
    Mozart 34
    Mendelssohn 3
    Schumann 4
    Dvorak 7
    Mahler 2


    nur noch 4...aaaaaaaaaaaaaahhhhhhh!
    gut überlegen...


    Sibelius 3
    Korngold Sinfonie in Fis
    Lutoslawski 3


    und wenns denn unbedingt sein muss
    Beethoven 5


    Grüße aus Wien
    Raphael

    ich hab schon länger nicht mehr hier gepostet. möchte mich aber gerne hier wieder einbringen.


    Ich denke, man muss unterscheiden zwischen Werktreue und Notentreue. Je älter die Musik ist, die wir spielen, desto weniger wissen, wir, was nicht in den Noten steht. Wenn man eine eine Rameau-Oper, eine Bach-Kantate oder auch eine frühe Mozart-Sinfonie notengetreu aufführt, das heisst jede Notenlänge genau wie notiert, dynamische Wechsel, nur wenn geschrieben, Artikulation etc. dann wird das wahrscheinlich zur langweiligsten Sache der Welt.
    Werktreu hingegen würde ich jede Interpretation nennen, die Inhalte (rein musikalischer Natur) vermittelt, egal ob das jetzt Toscanini, Stoki oder Harnoncourt ist.
    Während ein brillanter Theoretiker mit ansehnlicher Schlagtechnik und viel Wissen wie Hans Swarowsky vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht.


    Und es tut mir leid, aber ich wehre mich dagegen, dass es in der Interpretation kein "richtig" und "falsch" gibt. Auf der einen Seite ist mir jede "falsche" Interpretation, die mich mitreisst, berührt, Abgründe in meiner Seele offenbart lieber als eine "richtige", die die Frage vergisst, warum hier überhaupt Musik gemacht wird.
    Auf der anderen Seite aber jene, die annähernd "richtig" und emotional wahrhaftig sind, das sind mir dann doch die Liebsten. Denn dann passiert es im Sinne des Komponisten.


    Wenn ich vor gut einem Monat Muti den Figaro dirigieren sah, dann fand ich das dramatisch brillant, psychologisch durchdacht, schwungvoll und in jeder Sekunde spannend. Aber mit dem, was Mozart geschrieben hat (und es gibt objektivierbare Dinge wie Verhältniß der Tempi zueinander, dynamische Schattierungen, Striche!!! usw.) hatte es hezlich wenig zu tun.


    Vielleicht bin ich ein beckmesserischer Dogmatiker, aber wozu haben wir dann die zugegebenermaßen äusserst dürftige Notenschrift, wenn der Komponist sich darin nicht ausdrücken darf?


    Grüße aus Wien
    Raphael

    hallo,


    meine 7 (auch ohne Reihung)


    Schumann: Genoveva (Harnoncourt)
    Schumann: Streichquartett Nr.1 (Zehetmait-Quartett)
    Mozart: Le nozze di Figaro (Jacobs)
    Mozart: Cosi fan tutte (Harnoncourt)
    Mozart: Die Zauberflöte (Bärenreiter... :D)
    Sibelius: 4.Symphonie (Oramo)
    Bach: h-moll Messe (Hengelbrock)


    also von diesen sieben kann ich besten Wissens und Gewissens sagen, dass sie mein Leben verändert haben


    mfg Raphael

    hallo,


    wollte nur kurz hinzufügen, dass der allegretto-Satz von vielen auch als eine 2/4-Version einer Follia bezeichnet wird.
    Eine barocke Form, die ursprünglich im 3/4-Takt steht und rhythmisch dem Hauptthema verwandt ziemlich ist.
    Das Interessante ist, dass die Follia immer in eins (!) gefühlt und geführt wird.
    Nach dieser Theorie dann natürlich auch kein Trauermarsch (was ich persönlich auch nicht glaube, da die Artikulationsbezeichnungen auf eine eher leichtere Spielweise hinweisen und dem Gewicht eines Trauermarsches nicht entsprechen)


    mfg Raphael

    Liber Rienzi, Lieber Alfred!


    Bitte lasst uns selber entscheiden, was gut, böse, moralisch anfechtbar und richtig ist.
    Ich fühle mich hier als humorlosen, bärbeissigen und "Political Correctness"- fanatischen Hitzkopf hingestellt.


    Und die Aussage


    Zitat

    Du schreibst, wenn Du von Uni ins Konzert gehst. Welche Fakultät wird durch Deine Anwesenheit beglückt? Ein Anlaß um über den numerus clausus nachzudenken.


    erinnert doch sehr stark an die Hetzkampagnen von Springer & Co. vor etwa 35 Jahren.


    Wenn wir hier alle die Kunst so lieben, dann sollten wir auch von ihr lernen, dass die Welt halt leider nicht so einfach gestrickt ist.


    mfg Raphael

    Hallo,


    Also ich muss sagen, dass das Dvorak-Konzert in der Aufnahme mit Firkusny für mich noch mehr Referenzcharakter hat. Ja sogar Aimard/Harnoncourt gefällt mir besser. Die Richter/Kleiber- Einspielung ist natürlich erstklassig, aber in Relation steht sie nicht an erster Stelle. Aber ansonsten... was wirklich schlechtes von Kleiber hab ich auch nicht gehört.


    Zum Thema:
    Ich hatte ziemliche Vorurteile Karajan gegenüber und war ein Harnoncourt-Jünger. Erst die Aida von H. schliesslich hat mich dazu bewegt, seine Qualitäten zu hinterfragen und so bin ich auch irgendwie zu HvK gekommen, dem ich mich lange Jahre erfolgreich verwehrt habe. Seltsamerweise war es ein langsamer Satz von Vivaldi (!!!) in seiner Aufnahme, der in einem Film (Lilja 4-ever) Verwendung fand und dort so beeindruckend, dass ich mir sofort die Cd zulegte. Eigentlich war es mir peinlich, eine "Adagio"-Cd des Salzburgers zu kaufen, aber dann hab ich mir den Rest angehört und war überrascht, wie gut mir manches gefiel. Seine Wohlklang-Ästhetik finde ich zwar nach wie vor fragwürdig, aber sein Streicherklang kann schon sehr beeindruckend sein.


    mfg Raphael

    Hallo Forianer,


    Eine Ergänzung. die hier auf keinen Fall fehlen darf::


    Mahler Symphonie Nr.2 C.Abbado/Lucerne Festival Orchestra 2003
    Meine Lieblingseinspielung des Werkes. Was für ein Orchester!!!
    Transparent, ohne dass es zu leicht ist. Intensiv, ohne sentimental zu werden. Einfach anhören!


    mfg Raphael

    Hallo Gino,


    Ich meine hier den Staat im indirekten Sinn. Durch Bildungspolitik, die ja auch Aufgabe des selben ist. Wer macht denn die Lehrpläne?
    Im Deutschunterricht an den Schulen funktioniert es ja ganz gut, dass den Schülern die klassische Literatur und die Lust am Lesen, auch am kritischen Lesen, vermittelt wird. Auf jeden Fall wesentlich umfassender, als in anderen künstlerischen Fächern.
    Wir müssen uns die Frage stellen, warum das im Musikunterricht nicht der Fall ist. Ich glaube nicht, dass das an der Qualität des Unterrichtsstoff liegt.
    Es ist in meinem Verständnis durchaus Aufgabe des Staates, Monopolbildung entgegen zu wirken. Und wir reden hier mehr oder weniger über ein Monopol. Wenn auch ein Ästhetisches.


    Totalitär ist ein Staat erst dann, wenn er explizit etwas verbietet, nicht wenn er etwas fördert, was vielleicht im Hintergrund steht, aber ein Teil des (ich mag diesen Ausdruck eigentlich nicht) kulturellen Erbes ist.


    mfg Raphael

    Hallo Gino,


    Zitat

    Was schlägst Du vor, könnte ein Staat der "nicht völlig dem Neoliberalismus verschrieben ist", gegen MTV & Co. tun? Wie willst Du die jungen Menschen zu ihrem Glück zwingen?


    Es geht überhaupt nicht darum, etwas gegen Mtv & Co. zu tun. Ich spreche dem ja nicht die Berechtigung ab. Ich selber bin ja auch gelegentlicher Nutzniesser davon.
    Es geht nur darum, dass ich meine, es ist die Verantwortung der Regierenden, Alternativen zu zeigen, darauf hinzuweisen und sie dementsprechend zu fördern, anstatt (und hier sind wir beim Neoliberalismus) tatenlos zu zu sehen, wie der Markt bestimmt, was gut (=lukrativ) ist.


    mfg Raphael

    Hallo Theophilus,


    Zitat

    Ich hätte gemeint, dass die Menschen noch nie so leichten Zugang zur klassischen Musik hatten, wie heute. Man muss sie lediglich irgendwie dazu bringen, es auch zu wollen.


    Du sprichst es ja selber an: Man muss sie irgendwie dazu bringen.
    Und das findet meiner Meinung nach zu wenig statt. Wenn man als Kind und Jugendlicher nur von Früh bis Spät mit Mtv (Klischee, stellvertretend für Popularmusik-Industrie) vollgedröhnt wird und gar nicht die Möglichkeit hat, etwas anderes kennen zu lernen (nicht mal in der Schule!), dann kann man sich auch nicht dafür oder dagegen entscheiden und somit sind die Rechte eingeschränkt, um es mal überspitzt zu formulieren.
    Ich meine daher, dass es Aufgabe des Staates ist, wenn er nicht völlig dem Neoliberalismus verschrieben ist, dem entgegen zu wirken.


    mfg Raphael

    Hallo Alfred,


    Zitat

    Dennoch wirst auch Du dich dem Willen des Publikums zu unterwerfen haben.


    Ich mag zwar das Wort unterwerfen zwar nicht, aber ich denke, ich verstehe dich. Die einzige Frage, die sich mir stellt ist, welches Publikum ich erreichen möchte. Und ich bin noch so idealistisch, zu glauben, dass viel mehr Menschen für die klassische Musik empfänglich wären, wenn sie die Chance hätten, sie auch wirklich kennen zu lernen. Unterwürfigkeit ist weiters nur so lange möglich, wie ich das, was ich tue, verantworten kann. Eine Mozart-Symphonie mit einem Mahler-Orchester ist da genauso nicht vertretbar, wie beispielsweise ein Hip-Hop-Remix der Sheherazade!
    Aber was ich eigentlich meine ist, dass es mich viel mehr interessiert, neue Menschen zu gewinnen, als die Eingesessenen zu befriedigen...


    mfg Raphael

    Hallo,


    Zitat

    Ich nehme an das wird so sein, aber die Angst dürfte wenger die vor dem anderen Stand sein, als daß diese Leute ein anderes Wertesystem ind Konzertleben einbringen - und - auf lange Sicht- das Sagen in diesen "heiligen Hallen" hätten.


    Diese Aussage beinhaltet die Behauptung, dass die klassische Musik an sich Repräsentant bestimmter Wertvorstellungen wäre. Das hiesse auch, dass Musik per se auch politisch ist...
    Der Meinung bin ich nicht, da cih glaube, dass Musik alles sagen kann und gleichzeitig das Gegenteil des selben, daher zu paradox in seinem Wesen an sich ist, um irgendwie eine Ideologie repräsentieren zu können. Das kann höchstens eine bestimmte Ästhetik.


    Zitat

    mit Ausnahme jener Schicht, wo die Befassung mit Klassischer Musik als Selbstverständlichkeit gefordert war (Klavierunterricht, der "höheren Töchter - der manche Klavierlehrer in den Wahnsinngetrieben haben soll)


    Ich befürchte leider, dass eben selbst jene Schicht jegliches Interesse an traditionellen Werten langsam verliert. Nicht umsonst geht gerade bei jungen Menschen ein bürgerlicher, wertkonservative Background oft einher mit neoliberalem Fortschrittsglauben. Die "höheren Töchter", von denen du sprichst, haben inzwischen selber Kinder und wollen ihnen die Mühsal des Klavierunterrichts, wie sie ihn selbst eventuell erlebten, ersparen.


    Zitat

    Stockhausen und Cage statt Mozart ?


    Zitat

    "Freiheit" der Kunst ?


    Ich finde es unfair, diese drei gegenüberzustellen, denn währen Stockhausen und Cage experimentierende Suchende waren/sind, die versuchten/versuchen, die Welt zu erklären, hatte Mozart das gar nicht nötig, da er ein Genie war. :jubel:


    Zitat

    Eine Anbiederung an alle jene, denen die Spielregeln des Konzertbetriebs nicht behagen halte ich für problematisch.


    Man darf bitte nicht vergessen, dass die Ausführenden sich ja auch ändern. Ich kann nichts dafür, dass ich 1984 geboren bin und ein Kind meiner Zeit bin, und sehe daher nicht ein, mich einem Betrieb anzubiedern, in dem ich vielleicht aufgrund der Umstände gar nicht ehrlich sein kann, weil ich mich nicht "zu Hause" fühlen kann. Und wenn ein Künstler nicht ehrlich sein kann, wirds schwierig.


    Zitat

    Ich bin dafür daß man solche Dinge friedlich diskutiert,
    die Standpunkte als solche werden sich nicht änderen
    aber es ist interressant sie zu kennen...


    Wenigstens hier sind wir einer Meinung... ;)


    mfg Raphael

    Hallo Alfred,


    Zitat

    Man erlebt nämlich immer wieder, daß dieses Publikum, für welches subventioniert wird, an traditionellen Werken, traditionellen Werten und traditoneller Bekleidung kein Interesse haben.


    Wo kann man das erleben?


    Zitat

    Bekleidungsvorschriften bei Klassischer Musik (...) sind sinnvoll. wer die verwässert, zerstört zwar natürlich nicht die klassische Musik an sich - aber er zerstört das "Biotop" in dem sie sich jahrhundertelang so wunderbar entwickelt und stabil gehalten hat. Somit indirekt auch die Musik.


    Dem muss ich leider ganz vehement widersprechen.
    Das ich nicht in kurzer Hose, zerrissenem T-Shirt und weissen Turnschuhen ins Konzert gehe, ist klar, aber genau das zählt mit zu den Gründen, warum es so viele Berührungsängste gerade jüngerer Leute gibt. Ich selbst zähle mich zu jenen (21 Jahre) und habe viele gleichaltrige, teilweise sogar jüngere Freunde zur klassischen Musik gebracht.
    Denn wer sich einmal damit beschäftigt, kann sich ihr sowieso nicht mehr entziehen.
    Ich spreche hier auch als aktiver Musiker, wenn ich sage, dass ich mir Sorgen mache muss, ob es in 50 Jahren noch Publikum für die Klassik geben wird. Ich denke, diese Sorge ist nicht ganz unbegründet. Deshalb denke ich, muss man alles tun, um jungen Leuten den Kontakt zu ermöglichen. Das wichtigste dabei bleibt natürlich: Das Kunstwerk ist unantastbar
    Aber ich sehe nicht ein, warum es nicht möglich sein soll, in einer gepflegten Jean und (im Sommer) ein Kurzarm-Hemd ins Konzert zu gehen. Wer soll sich dadurch ernsthaft belästigt fühlen? Oder spielt da vielleicht doch ein bisschen der Gedanke mit, dass mit einer gewissen Kleidung auch ein gewisser Stand repräsentiert wird und andere unerwünscht sind?
    Wenn das der Fall ist, dann -Sorry- Gute Nacht.


    mfg Raphael

    Hallo,


    um es noch einmal zu sagen: diese Diskussion dreht sich für mich noch immer vor allem um die Wechselwirkung von Ästhetik und Ideologie. Musik ist selbstverständlich an sich nicht politisch. Bzw. wenn sie es ist (Eroica!), muss das nicht zwangsläufig qualitätsmildernd oder -steigernd sein.


    Der 2. Weltkrieg ist wahrscheinlich die einschneidendste Sache in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, wenn nicht sogar der Neuzeit und wir müssen uns immer dessen bewusst sein, wie wir damit umgehen, vor allem wenn wir in der Öffentlichkeit stehen, erst recht wenn wir Deutsche oder Österreicher sind.


    Das wirkt sich auch auf die Kunst aus. Kunst war bis zur allgemeinen Einführung der Demokratie in unseren Kulturkreisen, auch immer vom oppositionellem Gedanken geprägt, da es die einzige Kunstform war und ist, wo Dinge gesagt werden konnten und Missstände aufgezeigt wurden, die beispielsweise in der Literatur so konkret ausgedrückt gewesen wären, dass die Schriften im absolutistischen Europa sofort der Zensur zum Opfer gefallen wären.
    Insofern hatte Kunst immer bis zu einem gewissen Grad politischen Charakter.


    Thielemann spricht zwar von der Tradition und dem kulturellem Erbe Deutschlands, lässt aber völlig ausser Acht, dass das dritte Reich auch ein Teil dessen ist, bzw. versucht in seinen Aussagen über Pfitzner ("Das ist einfach wunderschöne Musik") oder eben jener Bemerkung über die Lindenoper die Bedeutung für Deutschland und seine Kultur, zu relativieren. Das macht ihn in meinen Augen gefährlich.


    Die Aussage von Achim

    Zitat

    Ich denke, das ist nicht unser deutsches Identitätsproblem, sondern Teil unserer deutschen Identität.


    trifft es, wie cih finde ziemlich auf den Punkt.


    Ich hoffe, wir können diese Diskussion wirklich langsam zu einem Ende führen, denn langsam zehrt sie auch schon ziemlich an mir.


    mfg Raphael

    Hallo Gino,


    Zitat

    Mit dieser Analyse hast Du recht, doch scheint sie mir eher für, als gegen Thielemann zu sprechen. Diesem kann man doch das Identitätsproblem vieler Deutscher schlechterdings nicht zum Vorwurf machen.


    Ich kann sehr wohl jemandem, der ein Verantwortungsträger ist, vorwerfen, sich, aus welchen Gründen auch immer, der historischen Bedeutung seines Verhaltens nicht bewusst zu sein. Ich habe nichts gegen Konservativismus und würde Thielemann nie als Faschisten bezeichnen (das liegt mir fern), aber wenn er so mit der Vergangenheit seiner Heimat umgeht bzw nicht umgeht, dann ist ein Vorwurf, denke ich, durchaus berechtigt. Im Übrigen finde ich es in Ordnung, dass man heutzutage bei einem Deutschen oder Österreicher sensibler ist, wenn Äusserungen in diese Richtung gehen.
    Das spricht für mich eindeutig gegen Thielemann.


    Zitat

    "Links-sein" ist auch im vierten Jahrzehnt nach der letztlich gescheiterten 68er-Revolte immer noch schick. Sich als konservativ zu erkennen zu geben, läßt einen schnell in einer dumpfen, braunen Ecke erscheinen


    Ob die 68er tatsächlich so sehr gescheitert ist, wie oft behauptet, ist für mich durchaus fraglich.
    Sawallisch, Blomstedt oder aus der jüngeren Generation Welser-Möst, Jordan sind auch das, was ich gemeinhin als konservativ bezeichnen würde, käme aber nie auf die Idee sie ins "braune Eck" zu stellen, da sie einen wesentlich verantwortungsvolleren Umgang mit der Vergangenheit an den Tag legen.


    Zitat

    Wer hingegen wirft heute Luigi Nono oder Hans Eisler deren Engagement für eine totalitäre Idee vor?


    Ich! Genauso wie ich es auch Brecht vorwerfe!


    Zitat

    Ich kann nichts Schlimmes daran erkennen, wenn ein Künstler sich einer speziellen Musiziertradition, einem Klangideal verpflichtet sieht.


    Womit wir wieder bei der Wechselwirkung von Ästhetik und Ideologie wären. Darüber habe ich schon weiter oben geschrieben. Die Frage stellt sich natürlich, ob es hierher gehört, aber ich denke, es lohnt, darüber nachzudenken.


    mfg Raphael


    P.S.: ich hoffe, die Administratoren verzeihen uns unseren kleinen Ausflug ins Politische... :angel:

    Hallo Gino,


    Mea Culpa! Das mit Kaiser Wilhelm war ein Blödsinn meinerseits! Dafür entschuldige ich mich ausdrücklich. Es wird sich in Zukunft hoffentlich vermeiden lassen, dass ich solche Unwahrheiten hier poste, ohne sie vorher zu überprüfen.


    Ideologie war nicht politisch gemeint, um es noch mal zu sagen, sondern ästhetisch. Womit ich eine bestimmte Art meine, Musik zu machen. Eine spezielle Klangvorstellung. Die Philosophie dahinter.


    Während bei Furtwängler jedes Rubato, jede Abweichung vom Notentext auf profunder Werkanalyse (nach Schenker) beruht, kopiert ihn Thielemann oft, ohne dessen Wissen zu haben. Das merkt man bei bestimmten Verzögerungen und Beschleunigungen z.B. in der Alpensinfonie, wo einige Teile, die eigentlich kadenzierend sind, verhetzt werden und "drübergespielt". Das mag jetzt beckmesserisch klingen, aber ich meine doch, wenn man sich in jedem Interview auf Furtwängler bezieht, dann sollte man sich etwas mehr mit siner Musizierweise auseinandersetzen. Und vor allem kann Thielemann bestimmte Dinge gar nicht verinnerlicht haben, da Furtwängler bestimmte Einsichten nur haben konnte durch das Leben, das er führte.


    Zitat

    Mir erschließt sich einfach nicht, warum man Thielemann seine unzweifelhaft konservative Haltung immer wieder vorhält, dabei die Moralkeule schwingt und andere, ebenso legitime Haltungen, etwa Abbados oder Pollinis linkes Engagement wohlwollend als selbstlosen Idealismus vermerkt.


    Das liegt einfach daran, dass Thielemann Deutscher ist!
    Wie würde die Klassikwelt reagieren, wenn ein russischer Musiker sich auf Werte des zaristischen Russlands berufen würde und als sein Lieblingsrepertoire Kabalewsky, Myaskovsky und Khatchaturian bezeichnen würde. Und womöglich bei einem Festkonzert in Petersburg Prokoviews Kantate zum Begräbnis Stalins' aufführte mit der Begründung, es sei einfach gute Musik.


    Kunst und Politik sind zwei Paar Schuhe, aber als Person, die in der Öffentlichkeit steht, hat man eine gewisse Verantwortung.


    mfg Raphael

    Da es sich anscheinend jetz hier so eingebürgert hat, mehr als einen Komponisten vorzustellen, hier meine Nummer 2 und 3:


    II Robert Schumann
    Eigentlich gibt es kein Stück von Schumann, das ich nicht liebe. Seien es die Symphonien, die Konzerte, seine Oper, Kammermusik (vor allem die Streichquartette haben es mir angetan), Lieder, Oratorien.
    Mein Lieblingsstück ist vielleicht die Manfred-Ouverture, wo in einer knappen Viertelstunde alles enthalten ist, was Schumann auszeichnet:
    sehnsuchtsvolle, melncholich-verinnerlichte Lyrik genauso wie Trotzig-Kämpfendes und süssester, völlig nach innen gekehrter Schmerz.
    Eine Offenbarung!


    III Gustav Mahler
    Hier besonders seine Lieder und Symphonien mit vokalen Teilen (vor allem von der zweiten bekomme ich nie genug).
    Kein anderer Komponist schafft es, mich derart zu berühren und mich in die Hölle meines Geistes zu befördern, wie Mahler mit seinen Kindertotenliedern oder den Rückert-Liedern. Das ist Emotion in seiner pursten Form!

    Hallo Taminos!


    Ich habe Thielemann zwei Mal erlebt. Das erste Mal mit der Alpensinfonie und den Wienern (dazu mehr im Alpensinfonie-Thread) und das zweite Mal in der Stattsoper, Wien, wo er den Tristan dirigierte. Das genügte natürlich höchsten Qualitätsansprüchen (auch sängerisch). Durchdacht, sinnlich, intelligente Tempi, hoch-emotional. Aber trotz allem hat die Aufführung mich vollkommen kalt gelassen. Genauer kann ich das nicht beschreiben, aber ich denke für mich persönlich war es doch zu langsam und der Orchesterklang zu einheitlich und vielleicht ein wenig undifferenziert.


    Seine Schumann-Aufnahmen besitze ich alle, obwohl ich eigentlich nicht mehr genau weiss, warum. Weil eigentlich sind sie völlig zu recht verrissen worden. Da versucht ein Jungspund, genauso wie bei Beethoven, Furtwängler zu sein, obwohl er in einer anderen Zeit lebt, eine ganz andere Lebensgeschichte hat, gar nicht diese Erfahrungen haben kann und ganz einfach nicht Furtwängler ist. Er predigt musikphilosophische Ansichten und Ideologien (nicht im politischen Sinn!!!), auf die Furtwängler nach lebenslanger geistiger Arbeit gekommen ist, ohne sie wirklich verinnerlicht haben zu können.


    Ich muss aber leider zugeben, dass so sehr ich das gerne können würde, es mir gerade bei Thielemann schwer fällt, den Künstler vom Menschen unabhängig zu sehen. Es ist schon richtig, dass man ihm nicht vorwerfen darf, welches Repertoire er dirigiert und welchen Klangidealen er folgt. Aber jemand, der in seinem Büro ein Portrait von Kaiser Wilhelm hängen hat, kokettiert meiner Meinung nach sehr stark mit einem gewissen Image und das sicher berechnend. Und hier stellt sich für mich die philosophische Frage, wie sehr eine Ästethik von einer Ideologie nicht nur vereinnahmt werden kann, sondern eben zweitere sich aus ersterer entwickelt bzw. von ihr vorbereitet wird. Ich hoffe, das führt nicht zu weit


    mfg Raphael

    Hallo Wolfgang! Hallo Taminos!


    Auch ich werde immer mehr zu einem Bewunderer dieses Werkes, dass doch, wie ich finde, wesentlich raffinierter komponiert ist, als ihm oft vorgeworfen wird und gar nicht so oberflächlich, wie immer wieder behauptet. Man kann da schon Strauss' Urteilskraft glauben schenken, der dieses Stück, als eines seiner ihm liebsten einschätzte.


    Zu den von dir erwähnten Aufnahmen möchte ich gerne noch hinzufügen:


    Natürlich die Einspielung des Komponisten selbst mit dem Bayerischen Staatsorchester aus 1941 (erhältlich auf Preiser-Records). Natürlich mono, aber doch in durchaus annehmbarer Klangqualität und natürlich das, was man als authentisch bezeichnen kann. Durchwegs flüssige Tempi, aber nie "drübergespielt". Jeder, der dieses Stück liebt, sollte, wie ich finde, wenigstens einmal diese Aufnahme gehört haben.


    Weiters Referenz die Einspielung von Rudolf Kempe und der Staatskapelle Dresden. Da ist natürlich ein Orchester, dass "seinen" Strauss "im Blut" hat und Kempe, der die Musiker beherzt aufspielen lässt und besonders die Übergänge mit einer Raffinesse gestaltet, wie kaum jemand anderer. Der einzige Wermutstropfen für mich als Wiener sind die sehr stark vibrierenden Trompeten, die ein wenig den Eindruck trüben.


    Womit wir bei der dritten Aufnahme wären: Auf Telarc hat André Previn mit den Wiener Philharmonikern in den 80ern die grossen symphonischen Dichtungen von Strauss eingespielt und besonders die Alpensinfonie ist äusserst gelungen. Auch eher zügig musiziert, sehr (im besten Sinne) unspektakuläre Übergänge und vor allem: was für ein Orchesterklang. Abgesehen von der ausgezeichneten Telarc-Aufnahmequalität sind es vor allem die Wiener Hörner mit ihrer Legato-Fähigkeit und dem Jagdhorn-ähnlichen Klang (btw: als Strauss das Stück komponierte, spielten noch alle Orchester mit diesen Hörnern, die erst später durch das sicherere Doppelhorn ersetzt wurde) und die Wiener Oboe im grossen Solo auf dem Gipfel, die diese Aufnahme zu der mir liebsten macht.


    Solti finde ich auch gut, da er sich sehr nahe an Strauss' Aufnahme bewegt, was die Tempi und die Transparenz betrifft (auch ein bayerisches Orchester!!!).
    Ashkenazy kenne ich nicht.
    Mehtas Aufnahme finde ich zwar im Grossen und Ganzen in Ordnung, aber auch nicht mehr. Vor allem, dass beim Sturm ein Synthesizer eingesetzt wurde, um noch mehr Effekt zu erzielen, finde ich ziemlich...naja.


    Überhaupt nicht gelungen finde ich die angebliche Refernzeinspielung von Christian Thielemann und den Wienern. Ich gebe zu, dass ich damals im Konzert ziemlich beeindruckt war und ziemlich ungeduldig der Aufnahme harrte. Bis dahin habe ich mich ziemlich intensiv mit dem Stück beschäftigt, verschiedene Aufnahmen gehört, die Partitur studiert. Als es dann soweit war, war ich einer der ersten, die sofort die Cd erstanden und war furchtbar enttäuscht. Plötzlich hörte ich nur noch Thielemann und nicht mehr Strauss! Seitdem versuche ich es immer wieder, da ich hoffe, dass das nur die erste Reaktion war, weil ja natürlich keine Aufnahme an das Konzerterlebnis reichen kann. Aber anstatt dessen, finde ich sie von mal zu mal abstossender, oberflächlicher, effektheischender.


    mfg Raphael

    Hallo Forianer!
    Die Musikindustrie im Allgemeinen steckt in einer tiefen Krise. Die Klassik ist der Hauptleidtragende hier. Das reicht mir schon als Erklärung für fehlende Aufnahmeprojekte zum Mozart-Jahr. Im Übrigen meine ich auch, dass Neuaufnahmen zwar durchaus erwünscht aber nicht zwingend notwendig sind, um Mozarts Musik zu zelebrieren.


    Jede Zeit findet ihren Weg, mit Genies umzugehen. Es entspricht heute leider dem Zeitgeist, sich mehr mit der Pesönlichkeit des Künstlers auseinanderzusetzen als mit seiner Kunst und dadurch absurderweise Erklärungen für unerklärliches zu finden. Die Ich-AG als Anhaltspunkt zum Verständnis des Genies!
    Früher - und das finde ich eigentlich noch gefährlicher - war es oft umgekehrt: der Versuch wurde unternommen, von der Kunst auf die Persönlichkeit des Künstlers zu schliessen. Bei Mozart denke ich hier besonders an die berühmte Biographie von Hildesheimer.
    Das ist ein allgemeines Problem des Menschen, sich lieber mit anderen Menschen zu beschäftigen, als mit dem, was "Übermenschliches" geschaffen wird. Dadurch werden die Kunst und der Künstler, in welcher Form auch immer man es tut, ordinarisiert...
    "Jeder kann das!"
    "Alter Kumpel Mozart!"


    Ich bin überzeugt, dass jedes Genie in jeder Zeit seinen Platz findet. Und heute - und das sieht man auch an diversen Beiträgen hier - sind wir sehr (vor)schnell mit Qualitätsurteilen über Künstler. Viele, die wir zwar persönlich lieben, aber anderen nichts sagen, werden zu Hausgöttern erhoben. Das führt andererseits natürlich dazu, dass Künstler, die allgemein als Genies anerkannt werden, im Verhältnis an Bedeutung verlieren müssen.


    Dieser Beitrag ist in keinster Weise wertend zu verstehen. Ich masse mich nicht an, zu behaupten, dass es so gut oder schlecht ist. Geschweige denn, dass ich es besser wüsste.
    So ist alleine meine Beobachtung.


    mfg Raphael

    Hallo Cosima!


    Ich möchte mich hier BigBerlinBear anschliessen und dir die Aufnahme von Herreweghe ans Herz legen.
    Für mich im Grossen und Ganzen die Überzeugendste und Geschlossenste. Es sei dazugesagt, dass ich prinzipiell schlankere, transparentere Aufnahmen, besonders französischer (in diesem Fall eigentlich belgischer) Musik bevorzuge.
    Diese Aufnahme ist die einzig "moderne" im Sinne von an Aufführungspraxis geschulte und nach bestem Wissen und Gewissen dem historischen Kontext zu entsprechen versuchende, die nicht nur erhältlich ist, sondern auch gemacht wurde.
    Ich bin auch ein grosser Bewunderer des Stückes und vage zu behaupten, es gut zu kennen. Diese Harmonia-Mundi Einspielung hat mich vollkommen überwältigt.
    Also: anhören, mit den genialen Interpretationen von Monteux und Maazel vergleichen und viele Neuigkeiten entdecken. So mein Vorschlag.


    mfg Raphael