Beiträge von Gino_Poosch


    Hallo Engelbert,


    ich schätze Jessye Norman auch sehr. Besonders bei französischer und deutscher Musik hat sie mehr geleistet, als viele andere Sängerinnen der jeweiligen Muttersprache. Wer entfaltet Chaussons "Poeme de l'amour et de la mer" so prachtvoll? Wer singt Brahms' Lieder mit solcher Ernsthaftigkeit und Emphase wie sie?


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    Die Sängerin verfügt über einen absoluten Ausnahmesopran, der eine Klassifizierung nahezu unmöglich macht. Sie sang Alt- und Mezzopartien mit der gleichen Ausgeglichenheit wie Sopranpartien. So dürfte sie eine der wenigen Sängerinnen sein, die im Verdi-Requiem Alt- und Sopranpart gesungen hat. Das negroide Timbre finde ich im Gegensatz zu dem von Leontyne Price berückend. In den späteren Jahren der Price hatte ihres oft einen ordinären Beigeschmack. Nicht so bei der Norman. Besonders zu erwähnen sind ihre frühen Aufnahmen wie die großartige Euryanthe unter Janowski ("Zu ihm, zu ihm! Oh weilet nicht!"). In Mahlers "Lied von der Erde" kann sie es mit Ferrier, Ludwig und Baker aufnehmen und profitiert besonders "Im Abschied" von ihrem pastosen Material. Sensationell die Phrase: "Er stieg vom Pferd und reichte ihm den Trunk des Abschieds dar". Neben ihr singt Jon Vickers einen forcierten aber elektrisierenden Tenorpart.


    Unbedingt noch zu nennen sind "Vier letzte Lieder" von Strauss. Kurt Masur gibt ihr hier viel Zeit und sie dankt mit einer Atmung, einem Legato wie es bei diesen Liedern nicht seines gleichen hat. Im Gegensatz zu Elisabeth Schwarzkopfs artifizieller Deutung gewinnen die Lieder hier an Glaubwürdigkeit. Niemand legt in die Worte „O weiter, stiller Friede!“ im "Abendrot" soviel Gewicht wie sie und lässt sie zur zentralen Phrase des Liedes werden.


    Haben muß man auch ihren famosen Liebestod der Isolde unter Karajan. Diese Musik wurde von einigen Sängerinnen anders und ebenso großartig Interpretiert, übertroffen hat die Norman hier niemand. Auch ihre Sieglinde unter Janowski vibriert vor Spannung. Welche Entladung bei "Oh hehrstes Wunder". Wenn doch nur Theo Adam nicht wäre...


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    Zu den drei oben angesprochenen Produktionen. Aida und l'Africaine gibt es mit ihr Live. Beide Mitschnitte stehen in meinem Schrank in Berlin. Ihre Cassandre in "Ley Troyens" gibt es sogar auf DVD aus der MET unter Jimmy Levine bei Pioneer. Neben ihr die göttliche, unerreichte Tatiana Troyanos und Placido Domingo, der seine Partie später nie wieder anrührte. Also eine absolute Rarität.


    Herzliche Grüße aus Wien


    Gino

    Hallo Norbert,


    danke, dass Du denn Sills-Thread aus der Versenkung geholt hast. Ein schönes Thema für meinen Wiedereinstieg ins Forum nach gelungenem Umzug nach Wien und daraus resultierender Abstinenz. Wie ich vermutet habe, scheint Beverly Sills im deutschsprachigen Raum tatsächlich absolut unterrepräsentiert zu sein, was sich eben auch im Echo zu diesem Thread niederschlägt.


    Nun, die von Dir angesprochene Rigoletto-Produktion verdeutlicht in der Tat eher die Schwächen der Stimme, als ihre Stärken. In der Tat klingt sie hier altjungfernhaft und nicht jugendlich. Es ist richtig, Frau Sills beendete kurze Zeit später ihre Karriere in einem Alter in dem andere mit Altersweisheit ebensogroße Defizite zu retuschieren beginnen. Natürlich hatte sie sich mit ihrer Partienwahl auch maßlos übernommen. Sie sang letztlich selten das für ihre Stimme passende (und dadurch gesunde), sondern meistens Partien die sie bewegten, die ihr Spaß machten. So z.B. Norma, die tatsächlich außerhalb ihrer Reichweite lag.


    Wenn sie aber innerhalb ihrer Mittel sang, konnte sie wahre Wunder an Authentizität vollbringen. Die von mit bereits erwähnte, famose Lucia-Produktion unter dem feurig dirigierenden Thomas Schippers, neben dem genialen Edgardo Bergonzis, ist hierfür nur ein Beispiel. Sang sie außerhalb ihrer Mittel erreichte sie oft – trotz des fehlenden Rests – ein vollkommeneres Porträt als viele ihrer Kolleginnen.


    So legitim und verantwortungsbewusst es sein mag, wenn ein Sänger seine Karriere nach ökonomischen Parametern ausrichtet. D.h. wenige, oder nur „in die Kehle“ passende Partien singt, diese Künstler haben mich nie interessiert (es sei denn sie heißen Alfredo Kraus)! Sie vergessen bei aller Verantwortung für ihre Stimme und ihren Geldbeutel nicht selten das Publikum. Ein bedauernswerter Umstand. Doch wie arm sind wir doch an bedeutenden Stimmen, dass wir sogar dies als gegeben hinnehmen.


    Umso mehr habe ich mich gefreut über Engelberts liebevollen Beitrag. Die Bezeichnung „musikalische Lebensabschnittsgefährtin“ finde ich geradezu rührend. Auch schön das Alfred – wenn auch weiter hinten – etwas von La Sills auf seine Einkaufsliste geschrieben hat. Alfred, weißt Du schon was Du Dir in ferner Zukunft von ihr zulegen willst?


    Liebe Grüße aus Wien


    Gino

    Hallo,


    obwohl ich bei den meisten anderen Mahler-Sinfonien anderen Dirigenten deutlich den Vorzug einräumen würde, so schätze ich bei der großartigen 7. Mahlers Claudio Abbados erste Einspielung wohl am meisten.



    Ihm gelingt hier die perfekte Synthese zwischen Ausdruck und Partitur-Ausleuchtung. Man hört damit die Sinfonie völlig neu. Ohnehin ist das Chicago SO durch Georg Solti ein bedeutender Mahler-Klangkörper.


    Viele Grüße aus Wien


    Gino

    Zitat

    Original von martello
    Wobei die Wahl von Nicht-Verdi-SängerInnen konzeptuell durchaus gewollt war (so wie bei Pappanos "Don Carlos", damit nicht wieder die italienischen Schablonen ausgesungen werden).


    Bei La Scola gebe ich dir recht, einzige Einschränkung - so klingt eben jemand "der auf Held macht" (und das denkt Harnoncourt über Radames). Ramfis als wenig priesterliches kriegstreiberisches Trampeltier ist ja nicht völlig absurd und findet seine Entsprechung in den Kriegsrufen, die nirgends sonst so primitiv und derb klingen, ebenso in dem, was Harnoncourt als "Anti-Triumph-Marsch" bezeichnet - hohler Pathos.


    Hallo Martello,


    vielen Dank für die Erläuterung von Harnoncourts Konzept. So kann man letztlich jede Fehlbesetzung rechtfertigen. Sicher läßt sich auch irgendwie eine Erklärung für Waltraud Meiers totales scheitern im Schleierlied in Pappanos "Carlos" finden. Ich bin Dir dankbar dafür, weil es mir einmal mehr Harnoncourts unerträgliche Eitelkeit und Ignoranz gegenüber einem Werk verdeutlicht. Er nahm sich offenkundig vor Harnoncourts und nicht Verdis "Aida" zu dirigieren. Ein fragwürdiges Unterfangen. Das er sich vor einiger Zeit in einem Interview arrogant-herablassend über Gustav Mahlers Musik äußerte paßt ins Bild. Andere Aufnahmen (z.B. sein grauenhaft dirigierter "Figaro") weisen in meinen Augen nach, daß hier jemand zwar geschliffen über Traditionen und Tempiwahl philosophiert, es letztlich aber nur anders machen will als alle anderen. Und das um jeden Preis.


    Zu La Scola: Sicher ist Radames von seiner charakterlichen Anlage ein unsicherer, schwacher Held (in Analogie hierzu fällt mir Pollione aus "Norma" ein). Doch heißt dies zugleich, er dürfe keine Stimme haben? Wenn das Harnoncourts und La Scolas einziges Gestaltungsinstrument ist, wird mir ganz bange. Abgesehen davon singt La Scola dieses Fach ja nicht erst seit gestern.


    Liebe Grüße


    Gino

    Zitat

    Original von Mr.Conductor
    Es geht überhaupt nicht darum, etwas gegen Mtv & Co. zu tun. Ich spreche dem ja nicht die Berechtigung ab. Ich selber bin ja auch gelegentlicher Nutzniesser davon.
    Es geht nur darum, dass ich meine, es ist die Verantwortung der Regierenden, Alternativen zu zeigen, darauf hinzuweisen und sie dementsprechend zu fördern, anstatt (und hier sind wir beim Neoliberalismus) tatenlos zu zu sehen, wie der Markt bestimmt, was gut (=lukrativ) ist.


    Hallo Raphael,


    ich scheine da ein gänzlich anderes Staatsverständnis zu haben. Ich traue dem Individuum offenkundig mehr zu als Du.


    Aber noch einmal konkret: Was denkst Du, sollte der Staat denn tun, um musikalische Alternativen aufzuzeigen? Ich wußte bisher gar nicht, daß dies zu seinen Aufgaben gehört. Es sei denn Du sprichst von einem totalitären System wie der DDR.


    Grüße, Gino

    Zitat

    Original von martello
    Harnoncourt; Wiener Philharmoniker (Teldec, 2001)
    Gallardo-Domas, Borodina; La Scola, Hampson, Salminen
    - "Aida" mal ganz anders. Die Titelheldin jung, liebend und verzweifelt, keine Heroine; erst im Finale gewinnt sie dieses Selbstbewusstsein. Amneris kaum älter, mehr Liebende und weniger Herrscherin als üblich. Und Radames - vielleicht ein guter Militärstratege, aber im Privatleben mit einem flexiblen Rückgrad ausgestattet, das sich erst dann versteift, als es eigentlich schon zu spät ist. Dementsprechend sind die Stimmen gewählt, was diese Aufnahme zu einer Art Konzeptalbum macht. Eher Ergänzung als Alternative.
    Allerdings: Welche Abstufungen und Feinheiten der Partitur Harnoncourt und der Schönberg-Chor gerade auch in den Massenszenen herausarbeiten, muss man gehört haben.


    Hallo martello,


    bei den ersten beiden Produktionen stimme ich Dir ausdrücklich zu. Besonders Vickers unter Solti ist einfach göttlich! :jubel:


    Letzte Aufnahme besitze ich natürlich auch, bin aber anderer Meinung. Für mich ist Vincenzo La Scola ein bedauerlicher Totalausfall. Sein anämischer Radames gerät bereits in "Celeste Aida" an seine Grenzen. Er klingt dauerhaft gequält, forciert und überfordert. So hört sich kein Held an. Für mich eines der schwächsten Porträts in der gesamten, riesigen Aida-Diskographie. Konzeption hin oder her.


    Die seit jeher ordinäre Prägung von Matti Salminens Baß verbunden mit einem furchtbar ausufernden Vibrato gereicht seinem Ramfis auch nicht unbedingt zum Vorteil. Thomas Hampson läßt seinen Prachtbariton ohne Rücksicht auf Verluste freien Lauf und verspielt damit jegliche Glaubwürdigkeit. Hier exponiert jemand sein Material und vergisst darüber die Partie. Er ist einfach kein Verdisänger.


    Weit ordentlicher sieht es bei den Damen aus. Olga Borodina ist mit ihrem pastosen Mezzo eine ganz und gar sinnliche, hocherotische Amneris. So soll es sein. Christina Gallardo-Domâs - eine ohnehin von mir favorisierte Sängerin - hat großartige Momente. Schade, daß sie mittlerweile ihren prächtigen Sopran durch falsche Partienwahl überansprucht hat. Ihre Berliner Traviata von 1999 an der Deutschen Oper war eine Offenbarung. Nicht vergessen darf man Dorothea Röschmanns schönstimmige, sichere Sacerdotessa.


    Harnoncourt verstört mich einmal mehr mit seiner Tempowahl. So nimmt er z.B. „Pur ti riveggo, mia dolce Aida“ den emphatischen, drängend-sehnsuchtsvollen Ton. Die eine oder andere glanzvoll ausmusizierte Passage, sowie die tollen Wiener Philharmoniker können dieses Manko nicht ganz wettmachen.


    Grüße, Gino

    Zitat

    Original von Theophilus
    Schon möglich, aber gerade diesen sollte man eigentlich nur als DVD genießen. Ein Zefirelli-Film, der alle Alfred-Mindest-Anforderungen (AMA) an eine Operninszenierung erfüllt.
    ;)


    Stimmt schon. Doch bevor ich mir eine Opern-DVD (und ich besitze relativ viele) einlege, vergehen immer ein paar Wochen. Da bin ich mit der CD schneller dabei. Ich habe mir sogar von bedeutenden DVDs die Tonspur als CD aufgenommen. So z.B. bei der schlicht großartigen Manon Lescaut aus der MET mit Scotto.


    Grüße, Gino

    Zitat

    Original von Mr.Conductor
    Du sprichst es ja selber an: Man muss sie irgendwie dazu bringen.
    Und das findet meiner Meinung nach zu wenig statt. Wenn man als Kind und Jugendlicher nur von Früh bis Spät mit Mtv (Klischee, stellvertretend für Popularmusik-Industrie) vollgedröhnt wird und gar nicht die Möglichkeit hat, etwas anderes kennen zu lernen (nicht mal in der Schule!), dann kann man sich auch nicht dafür oder dagegen entscheiden und somit sind die Rechte eingeschränkt, um es mal überspitzt zu formulieren.
    Ich meine daher, dass es Aufgabe des Staates ist, wenn er nicht völlig dem Neoliberalismus verschrieben ist, dem entgegen zu wirken.


    Hallo Raphael,


    "Die Rechte eingeschränkt"??? Was schlägst Du vor, könnte ein Staat der "nicht völlig dem Neoliberalismus verschrieben ist", gegen MTV & Co. tun? Wie willst Du die jungen Menschen zu ihrem Glück zwingen?


    Ich finde dieses Plädoyer - gelinde gesagt - sehr problematisch und gefährlich. In diesem Zusammenhang den unseligen Terminus "Neoliberalismus" zu strapazieren, ebenso.


    Greifst Du damit nicht tief in die Kiste abgedroschener, sozialistischer Diffamierungskunst?


    Gino


    Ridderbusch ist toll, wenn er am Ende auch ein bißchen ermüdet. Hannelore Bode sollte heutzutage mehr beachtung finden. Sah gestern einen 3. Meistersinger Akt aus der Berliner Staatsoper von 1981 mit Adam, Wenkoff und einer wirklich grausamen, dauerhaft zu tiefen Celestina Casapietra als Eva. Das Lobe ich mir Frau Bode. :jubel:

    Aus dem "Bilder einer Ausstellung"-Thread:


    Zitat

    Jedoch habe ich bisher die Erfahrung gemacht, dass das Tempi bei mir eine sehr bedeutende Stellung hat und somit einen großen Anteil an einem positiven Wirken. Heißt natürlich nicht, dass ich nur schnelle Tempis toll finde!


    Hm... Einmal Plural reicht... :stumm: :baeh01:


    :angel:


    Grüße, Gino



    Hallo Engelbert,


    sei nicht böse, aber einige Teile Deines Beitrages finde ich etwas konfus, obwohl ich Dir in vielem zustimme. Du brauchst nicht zu raten welche Einspielung mit Tagliavini ich meinte, da ich oben von der Rigoletto-Produktion unter Angelo Questa sprach, die - wie gesagt - ein Jahr vor der Erede-Produktion mit del Monaco entstand. Mir ist jetzt auch nicht ganz klar, warum Du mir zustimmst was Valdengo betrifft, da ich ihn nicht erwähnte. Und wem stellst Du Gianni Poggi zur Seite? Valdengo oder Tagliavini? ?(


    Für mich ist Gianni Poggi ein grauenhafter, ständig knödelnder Tenor - bestenfalls auf dem Niveau eines Provinztheaters. Durch seine Anwesenheit zerstört er nicht nur die tolle Bohème mit der jungen Scotto unter Votto, sondern auch - und das wiegt schwerer - die erste Gioconda mit Maria Callas unter dem gleichen Dirigenten.


    Schade, daß Du von Di Stefano nicht mehr kennst. Es würde sich lohnen. Gerne gebe ich Dir bei Interesse einige Hinweise zu Aufnahmen die man von ihm haben sollte. Die von Dir angesprochene Manon unter Leibowitz gibt es meines Wissens nicht komplett, sondern wurde nur in Auszügen produziert.


    Viele Grüße


    Gino

    Zitat

    Original von Engelbert
    Also, meine Lieblingssängerin ist derzeit die Nelly Miricioiu.


    Hallo Engelbert,


    es freut mich sehr, daß zu hören. Ich liebe die Miricioiu auch seit Jahren mehr als die meisten anderen Sängerinnen ihres Faches. Für mich steht sie in direkter Nachkommenschaft von Callas, Gencer und Scotto. Obwohl sie mittlerweile ihren stimmlichen Zenit deutlich hörbar überschritten hat, ist sie interpretatorisch auf der Höhe der Zeit. Die Energie die sie aufbringt um ihren Partien Leben einzuhauchen ist übermenschlich. Sie geht immer bis zum Äußeren, manchmal sogar darüber hinaus. Man muß ihr ihre Tosca ebenso nachrühmen wie ihre Norma. In vielen unbekannten Belcantopartien (bei "OperaRara") hat sie schon heute Interpretationsgeschichte geschrieben. Der kürzlich erschienene Mitschnitt von "Roberto Devereux" kann als erster eine Vorstellung davon vermitteln, wie Maria Callas in der Partie geklungen haben könnte, hätte sie diese gesungen. Der Callas-Vergleich ist seit Jahrzehnten überstrapaziert. Anna Netrebko ist das letzte Opfer. Doch im Falle der Miricioiu sind gewisse Ähnlichkeiten in Timbre und Expressivität nicht zu verleugnen.


    Ein große, viel zu wenig beachtete Sängerin.


    Zitat

    Die Tenöre del Monaco, die Stefano und der kleine Jussi mußten brüllen, weil die Musikkultur der fünfziger Jahre so ausgerichtet war.


    Das nun halte ich doch für eine arg verkürzte Darstellung. Es ist sicher richtig, daß in den fünfziger Jahren ein anderes Interpretationsideal herrschte als heutzutage. Damit allein läßt sich jedoch das grobschlächtige, undifferenzierte Singen Mario del Monacos weder erklären noch entschuldigen. Sänger dieser zweifelhaften Kategorie gab es vor ihm (z.B. Pertile) und nach ihm (z.B. Bonisolli). Es ist keineswegs richtig, daß jedermann so gesungen hat. Am ehesten erweist sich das an folgendem Beispiel: Im Jahre 1954 nimmt del Monaco unter Erede einen aggressiven, ganz und gar unaristokratischen Herzog auf, ein Jahr zuvor singt Ferruccio Tagliavini unter Angelo Questa die gleiche Partie ungemein fein und elegant.
    Und Tagliavini war nicht der einzige, der zu dieser Zeit differenziertes Singen praktizierte.


    Giuseppe di Stefano und Jussi Björling des Brüllens zu bezichtigen, halte ich für ebenso verkürzt. Das Di Stefano sich mit vielen Partien keinen Gefallen getan, sich letztlich sogar an ihnen verhoben hat, steht auf einem anderen Blatt. Man muß nur seinen balsamtischen Rodolfo, Cavaradossi oder Alfredo hören um das Gegenteil bewiesen zu bekommen. Bei Jussi Björling liegt der Fall noch anders. Von Natur aus war er mit einem großartig potenten, trompetenartigen Tenor ausgestattet, den er bei Bedarf als solchen auch einsetzte. Er sang damit lediglich innerhalb seiner Mittel. Das er dabei zuweilen Wärme und Ausdruck vermissen lies, darf nicht verschwiegen werden.


    Herzliche Grüße


    Gino Poosch

    Hallo Sascha,


    vielen Dank für Deinen sehr schönen Beitrag, der die Problematik in vielen ihrer Facetten hervorragend erfasst. Womit Du viele weitere Erwägungen und Erwähnungen überflüssig gemacht hast. Vielleicht ist auch dies ein Grund für die Zurückhaltung vieler.


    Gesang ist wohl mehr als jedes instrumentale Spiel eine polarisierende Kunst. Ebenso wie er besonders geeignet ist anzurühren, ist er wohl auch in der Lage zu verstören und zu verärgern. Oft finden Feinde und Verfechter einer Stimme ebenso stichhaltige Argumente gegen diese, wie Liebhaber für sie anführen können. Dies hat natürlich mit der individuellen, oft intuitiven Wahrnehmung des Rezipienten zu tun.


    Mir geht es oft so, daß Stimmen die mich beim ersten Hören beeindrucken auch gute Chancen auf eine dauerhafte Liebesbeziehung mit mir haben. Dies allerdings kann nur durch sich sofort vermittelnde Parameter wie Timbre oder Volumen geschehen. Andere wichtige Eigenschaften, wie etwa die Fähigkeit der Rolle ein Gesicht zu verleihen, erweist sich oft erst bei genauerem hinhören. So ging es mir etwa bei Beverly Sills, deren Stimme ich, als ich sie das erste Mal hörte, anämisch und unerträglich infantil fand. Bei längerem Hören verliebte ich mich in die Unbedingtheit ihrer Ausdrucksenergie.


    Es ist immer wieder schön zu beobachten wie Enthusiasten ihre Lieblingsstimmen bis aufs Messer verteidigen. Oft kenntnisreich und mit ausreichend akustischen Nachweisen untermauert. So erinnere ich mich z.B. gerne an eine nervenaufreibende Diskussion mit einem Freund über die Sachs- und Wotandarstellung von Theo Adam. Dieser Freund erlebte Adam im Gegensatz zu mir noch in seinen großen Rollen auf der Bühne und hatte daher einen ganz anderen, nicht minder legitimen Zugang zu diesem Sänger.


    Aus diesen Gründen muß - wie Du auch feststellst - die Kritik besondere Mühe haben das Faszinosum einer Stimme in Worte zu fassen. Dennoch glaube ich und halte dies gerade aus vorgenannter Erwägung für umso wichtiger, daß ein Kritiker für die Beurteilung einer Stimme gewisse objektive Maßstäbe anlegen muß. D.h. sich in erster Linie mit der technischen Durchbildung, dem Material und der Umsetzung des Notentextes befassen sollte. Der Erfolg oder Mißerfolg ist hier nachprüfbar. Die suggestive Wirkung einer Stimme auf den Hörer, kann nicht und sollte nicht durch den Kritiker antizipiert werden. So z.B. geschehen im Falle von Montserat Caballé über die Kritiker jahrzehntelang das Gerücht verbreiteten sie sänge lediglich ein schönes Pianissimo und ein tragfähiges Legato ohne jegliches Interesse für den Hintergrund ihrer Partie. Dieser Befund scheint sich, trotz vieler akustischer Gegenbeweise bis heute gehalten zu haben.


    Was ich ebenso frappierend finde, sind die zuweilen grausamen Opernkritiken der deutschen Tageszeitungen (selbst der renommiertesten). Nicht selten wird hier über die Wirkung und den Sinn eines auf der Bühne zu sehenden Phallussymbols wortreicher geschätzt als über die musikalische Seite der Aufführung. Das Verhältnis beträgt nicht selten 9:1 zugunsten der Regie. Oft werden lediglich ein oder zwei Sänger der tragendsten Partien eines ganzen Satzes für würdig erachtet.


    Wohin soll das führen?


    Liebe Grüße


    Gino

    Hallo Ulli,


    danke für den Auszug! Klingt für mich zwar alles schlüssig, aber im Bezug auf das Cover ein wenig an den Haaren herbeigezogen. Das ist aber letztlich auch unerheblich. Viel spannender scheint mir tatsächlich das Programm der CD zu sein:


    1. Alessandro Scarlatti
    All'arme si accesi guerrieri (Pace)
    Cantata per la Notte del Santissimo Natale


    2. Alessandro Scarlatti
    Mentre io godo in dolce oblio (Speranza)
    Il Giardino di Rose (La Santissima Vergine del Rosario)


    3. George Frideric Handel
    Un pensiero nemico di pace (Bellezza)
    Il Trionfo del Tempo e del Disinganno


    4. Antonio Caldara
    Vanne pentita a piangere (Santa Eugenia)
    Il Trionfo dell'Innocenza


    5. Antonio Caldara
    Sparga il senso lascivo veleno (Flavia)
    La Castità al Cemento (Il Trionfo della Castità)


    6. Alessandro Scarlatti
    Caldo sangue (Ismaele)
    Sedecia Re di Gerusalemme


    7. George Frideric Handel
    Come nembo che fugge col vento (Piacere)
    Il Trionfo del Tempo e del Disinganno


    8. Alessandro Scarlatti
    Ecco negl'orti tuoi...Che dolce simpatia (Caritá)
    Il Giardino di Rose (La Santissima Vergine del Rosario)


    9. Alessandro Scarlatti
    Qui resta...L'alta Roma (Caritá)
    San Filippo Neri


    10. George Frideric Handel
    Lascia la spina cogli la rosa (Piacere)
    Il Trionfo del Tempo e del Disinganno


    11. Alessandro Scarlatti
    Ahi! qual cordoglio...Doppio affetto (Ismaele)
    Sedecia Re di Gerusalemme


    12. Antonio Caldara
    Si piangete pupille dolente (Santa Francesca)
    Santa Fracesca Romana


    13. Antonio Caldara
    Ahi quanto cieca...Come foco alla sua sfera (Imperatrice Faustina)
    Il Martirio di Santa Caterina


    14. George Frideric Handel
    Disserratevi oh porte d'Averno (Angelo)
    La Resurrezione di Nostro Signor Gesu Cristo


    15. George Frideric Handel
    Notte funesta...Ferma l'ali (Maddalena)
    La Resurrezione di Nostro Signor Gesu Cristo


    Und Minkowski kennt man ja auch als durchaus spannenden, animierenden Dirigenten. So scheint es mir auch im Falle dieses Albums so zu sein wie bei den vorhergehenden von La Bartoli: Auch wer sie nicht schätzt, muß die CD letztlich wegen des interessanten, raren Repertoires dennoch haben.


    Grüße, Gino

    Zitat

    Original von MStauch
    Beim Klagenden Lied stehen deutlich weniger Aufnahmen zur Verfügung. Ich habe und kenne nur die Rattle-Aufnahme. Eine weitere, die ich noch gern hätte, ist out of print.


    Hallo Matthias,


    vielleicht probierst Du es beim "Klagenden Lied" mal mit der nun äußerst wohlfeil zu erstehenden Nagano-Aufname der Urfassung.



    Bei den vier Solisten sollte man vielleicht bei Eva Urbanovás Sopran leichte Abstriche machen. Eine uneinheitliche, scharfe Stimme mit zudem schlechter Diktion.


    Dafür sind die beiden Solisten der Wiener Sängerknaben wirklich himmlich.


    Grüße, Gino