ZitatAlles anzeigenOriginal von Engelbert
Auf einem Hüllentext finde ich die Notiz, dass Jessye Norman
Partien gesungen hat, von denen ich gern wüsste, ob diese
in Form von Life-Mitschnitten inzwischen auf Tonträger
erschienen sind:
Florenz 1971: Meyerbeers Afrikanerin
Mailand 1972: Verdis Aida unter Abbado
London Convent Garden: Berlioz' Trojaner, die Cassandra
Sehr gern möchte ich ihre Karriere verfolgen. Im Forum habe ich
keinen ausgiebigen Beitrag gefunden. Wer fühlt sich kompetent?.
Hallo Engelbert,
ich schätze Jessye Norman auch sehr. Besonders bei französischer und deutscher Musik hat sie mehr geleistet, als viele andere Sängerinnen der jeweiligen Muttersprache. Wer entfaltet Chaussons "Poeme de l'amour et de la mer" so prachtvoll? Wer singt Brahms' Lieder mit solcher Ernsthaftigkeit und Emphase wie sie?
Die Sängerin verfügt über einen absoluten Ausnahmesopran, der eine Klassifizierung nahezu unmöglich macht. Sie sang Alt- und Mezzopartien mit der gleichen Ausgeglichenheit wie Sopranpartien. So dürfte sie eine der wenigen Sängerinnen sein, die im Verdi-Requiem Alt- und Sopranpart gesungen hat. Das negroide Timbre finde ich im Gegensatz zu dem von Leontyne Price berückend. In den späteren Jahren der Price hatte ihres oft einen ordinären Beigeschmack. Nicht so bei der Norman. Besonders zu erwähnen sind ihre frühen Aufnahmen wie die großartige Euryanthe unter Janowski ("Zu ihm, zu ihm! Oh weilet nicht!"). In Mahlers "Lied von der Erde" kann sie es mit Ferrier, Ludwig und Baker aufnehmen und profitiert besonders "Im Abschied" von ihrem pastosen Material. Sensationell die Phrase: "Er stieg vom Pferd und reichte ihm den Trunk des Abschieds dar". Neben ihr singt Jon Vickers einen forcierten aber elektrisierenden Tenorpart.
Unbedingt noch zu nennen sind "Vier letzte Lieder" von Strauss. Kurt Masur gibt ihr hier viel Zeit und sie dankt mit einer Atmung, einem Legato wie es bei diesen Liedern nicht seines gleichen hat. Im Gegensatz zu Elisabeth Schwarzkopfs artifizieller Deutung gewinnen die Lieder hier an Glaubwürdigkeit. Niemand legt in die Worte „O weiter, stiller Friede!“ im "Abendrot" soviel Gewicht wie sie und lässt sie zur zentralen Phrase des Liedes werden.
Haben muß man auch ihren famosen Liebestod der Isolde unter Karajan. Diese Musik wurde von einigen Sängerinnen anders und ebenso großartig Interpretiert, übertroffen hat die Norman hier niemand. Auch ihre Sieglinde unter Janowski vibriert vor Spannung. Welche Entladung bei "Oh hehrstes Wunder". Wenn doch nur Theo Adam nicht wäre...
Zu den drei oben angesprochenen Produktionen. Aida und l'Africaine gibt es mit ihr Live. Beide Mitschnitte stehen in meinem Schrank in Berlin. Ihre Cassandre in "Ley Troyens" gibt es sogar auf DVD aus der MET unter Jimmy Levine bei Pioneer. Neben ihr die göttliche, unerreichte Tatiana Troyanos und Placido Domingo, der seine Partie später nie wieder anrührte. Also eine absolute Rarität.
Herzliche Grüße aus Wien
Gino