Beiträge von Gino_Poosch

    Hallo,


    offenkundig sind jetzt kürzlich auch die kompletten Tchaikowsky-Sinfonien unter Riccardo Muti mit dem Philadelphia Orchestra bei Brilliant erschienen.


    Das müßen wohl diese ehemaligen EMI-Aufnahmen sein:



    Wer kennt die Aufnahmen? Ist zu einem Kauf zu raten?


    Und ich wiederhole die schon mal gestellte Frage, vielleicht weiß jemand neues zu berichten: Was ist von den frühen Aufnahmen der Mozart-Sonaten mit Pires zu halten? Hat sie schon jemand erworben und reingehört?



    Liebe Grüße


    Gino

    Zitat

    Es wäre schön, wenn Du auf einige Argumente noch eingingest.


    Hallo Bubba,


    ich will das gerne tun, aber damit sollte diese, leider schon sehr früh in den Bereich des Unschönen abgerutschte Diskussion ihr bewenden haben.


    Zitat

    In diesem Satz wird nämlich behauptet, etwas dunkles, ja, negatives, etwas neurotisch gesagt, tödliches, könne nicht schön sein, die Definition von "schön" klingt hier etwa so geistreich wie "Schön ist Mozart, aber Hindemith...-das ist doch nicht mehr schön". Das finde ich ehrlich gesagt ein wenig provinziell.


    Das ist nicht korrekt. Dieser Satz besagt keinesfalls, daß „tödliches nicht schön sein" könne. Er meint, solcherlei Themenkomplexe benötigten auch einen gesonderten Sprachcode um fasslich dargestellt zu werden. Natürlich hat der Terminus „schön“ mehrere Konnotationen. Die eine meint einen ästhetisierenden (etwa im Sinne von „liebreizend, hübsch“), die andere einen lediglich objektiviert-kategorisierenden Wertbegriff. Und selbstverständlich – da sind wir in voller Übereinstimmung – ist es „provinziell“ (das Wort trifft es gut) Mozart etwa als schön, Alban Berg dagegen als „nicht mehr schön“ abzustempeln. Ich wähle bewusst Berg statt Hindemith weil mir dieser näher steht, obwohl vorherige Formel auch auf ihn anzuwenden ist. Den besten Gegenbeweis, daß der Tod etwas Hässliches ist, hat Arthur Schopenhauer und in seiner Folgschaft Richard Wagner in „Tristan und Isolde“ angetreten.


    [Nur am Rande: Bei dem Begriff „provinziell“ drängt sich mir – zumindest in Parenthese – auch Thomas Bernhards Ablehnung und Verteufelung Österreichs und alles Österreichischen auf. Er hat es nie geschafft seine negativen Erfahrungen mit diesem Land zu gesunden, er hat sie vielmehr durch einen universellen Hass kompensiert.]


    Zitat

    Zweitens bedarf es überhaupt keinerlei Literatur oder sonstiger Kunst, um die "Faszination und Gefahren des Todes zu schmecken".


    Hier nun, so will ich meinen, unterschätzt Du, was Literatur leisten kann. Dies ist natürlich eine erörterungswürdige, große Frage. Wozu dient Literatur? Zu aller erst: Mir scheint, Literatur ergreift ihren Leser immer dann außerordentlich wenn die Schnittmenge zwischen persönlicher Erfahrung und Leseerfahrung besonders groß ist. Es ist ein Paradox, dass viele Leser, finden sie ihr persönliches Glück oder Leid in der Literatur wieder - quasi von einem weiteren Menschen empfunden und dadurch gerechtfertigt - dieser Literatur einen besonders hohen Stellenwert beimessen.


    Zitat

    Ein kleiner Satz zum grundsätzlichem Verständnis von Literatur: Die Bedeutung eines philosophischen oder wissenschaftlichen Textes ist das Gesagte. Die Bedeutung eines literarischen Textes ist das Sagen des Gesagten.


    Danke für die freundliche Belehrung. Die Differenzierung zwischen philosophischen, wissenschaftlichen und literarischen Texten ist töricht. Sie bedeutet nicht weniger, als sich mit der Hälfte zufrieden zu geben. Gute Literatur hat immer eine philosophische oder wissenschaftliche Dimension. Hunderte von Beispielen aus jeder Epoche drängen sich auf. Nimm Lessings „Nathan der Weise“, alles von Büchner oder Dostojewski. Deiner Argumentation folgend, schrieben alle Autoren dieser Welt nur, um möglichst einfallsreich die Gedanken anderer zu paraphrasieren und zu wiederholen. Eine grausame Vorstellung, eine unglaubliche reductio ad absurdum.


    Zitat

    Dann zeigst Du mir bitte erstens diese "Binsenweisheiten" und dann den Satz, welchen Thomas Bernhard ernsthaft "maniriert" zu "abrgründig-intellektuell[em]" "Geschwätz" aufmotzt.


    Ohne den gesamten Bernhard nocheinmal lesen zu wollen, habe ich oben ein Beispiel für diesen Manierismus angeführt. Ich zitiere noch einmal aus „Watten“:


    "Diese jungen Menschen habe ich gelehrt, wie man eine Welt, die vernichtet gehört, vernichtet, aber sie haben nicht die Welt vernichtet, die vernichtet gehört, sondern haben mich, der ich sie gelehrt habe, wie man die Welt, die vernichtet gehört, vernichtet, vernichtet."


    Was ginge verloren, formulierte man etwa – dabei Duktus und Diktion Bernhards aufnehmend - so:


    „Diese jungen Menschen, die ich einst lehrte eine Welt, die vernichtet gehört, zu vernichten, haben nicht diese Welt, sondern mich vernichtet.“


    Ich bleibe bei meinem Befund, obiger Satz sei qualvolle Sprache. Konfusion um der Konfusion willen. Bernhard versucht den Leser durch das Leiden an seiner Sprache zum mitleiden mit seinen Protagonisten zu bewegen!


    So, jetzt soll es endgültig genug sein. Bleibe bitte bei Deiner Verehrung für Thomas Bernhard – es gibt wahrlich zweifelhaftere Idole als ihn.


    Herzliche Grüße


    Gino

    Hallo Bubba,


    jetzt bin ich doch verblüfft über Deine Aggressivität. Ich finde es zwar sehr lobenswert, wenn junge Menschen (ich gehöre durchaus auch zu dieser Gattung) das was sie lieben, verteidigen, trotzdem wünsche ich Dir für die Zukunft mehr Gelassenheit für den Umgang mit anderen Meinungen.


    Nie im Leben käme ich auf die Idee Thomas Mann mit Thomas Bernhard zu vergleichen. Das wäre absolut vermessen. Ich erinnere Dich nur an Deinen Satz:


    Zitat

    Thomas Bernhard ist NEBEN Thomas Mann der größte Sprachvirtuose des 20 Jh.


    Hast Du damit Bernhard nicht "NEBEN" Thomas Mann gestellt? Ich würde einen solchen Vergleich niemals bemühen, denn außer das diese beiden Herren Schriftsteller waren, haben sie wahrlich nichts gemein. Und um Deinem aggressiven Ton zumindest mit einer inhaltlichen Äußerung gerecht zu werden: Thomas Mann hat in seiner kleinen Erzählung "Tod in Venedig" das Morbide, die Faszination und den Schrecken des Todes eindrucksvoller und bleibender dargestellt als der von mir geschätzte Thomas Bernhard in seinem ganzen Werk.


    Das Du mit anderen Meinungen nur äußerst schwer umzugehen weist, zeigt auch die Bezeichnung "Schwachmat" für jenen Andreas Maier. Ich kenne diesen Herren nicht (kenne nur Hans Mayer - vielleicht eine Bildungslücke) habe demzufolge auch nichts von ihm gelesen. Was Marcel Reich-Ranicki betrifft, so hast Du recht. Ich schätze seine scharfen Urteile sehr. Er hat die deutsche Literatur - was sie dringend nötig hatte - aus dem Elfenbeinturm geholt. Zu Thomas Bernhard habe ich jedoch, soweit ich das erinnere, explizit (außer vielleicht einigen Interviewäußerungen) nichts von ihm gelesen. Dieser Angriff sei Dir also Geschenkt.


    Hat Dein Text die "Stichhaltigkeit und logische Strenge" die Du bei Reich-Ranicki vergeblich suchst?


    Schade, hatte mich anfänglich über einen netten, freundschaftlichen Dissens gefreut, der hart in der Sache und herzlich in der Form geführt wird. Daraus wurde leider nichts.


    Um mit einer versöhnlichen Note zu enden, erinnere ich Dich an meine Worte des Anfangs (s.o.): "Einer der größten deutschsprachigen Autoren des letzten Jahrhunderts".


    Nichts für ungut und liebe Grüße


    Gino

    Hallo Giselher,


    ich stehe nicht an, eine einzige Deiner Diagnosen zu widerlegen. Diese Vorwürfe sind sachlich korrekt und - wie Du anmerkst - bereits von zahlreichen Autoren geäußert und zum Teil wortgenau wiederholt worden. Auch hat es eine Menge für sich, ihn in Verbindung mit dem Expressionismus zu bringen. Objektiven Maßstäben zufolge gibt es sicher viele vollkommenere Sänger als Lorenz.


    Sänger die eine übergroße Ausdrucksenergie, ein nahezu zwanghaftes Authentizitätsstreben in die Waagschale werfen, tun dies nicht selten um ihre stimmlichen Mängel zu kaschieren. So war Gwyneth Jones auch in den letzten Bühnenjahren für mich die eindrucksvollste, expressivste - wenn Du so willst - ideale Verkörperung der Elektra. Sie gab ihr ein Gesicht, einen klar umrissenen Charakter - aber keine Stimme. Auch für mich ist dies nur die Hälfte des Weges. Obwohl ich gerne zugebe, daß, müßte ich mich entscheiden, eine stimmlich potente Elektra ohne Profil mich weniger interessierte, als eine, der vielleicht die beiden C's fehlen, dafür aber einen wirklichen Menschen auf die Bühne bringt.


    Der Vorwurf des Kaschierens kann Max Lorenz, trotz der beschriebenen Defizite nicht gemacht werden. Und genau das ist es was ich an ihm liebe. Diese jede seiner Phrasen durchdrungene Lust am Theater, am Ausdruck. Oder wie Thomas Mann unvergleichlich über Schiller schreibt: "Lust am höheren Indianerspiel". Routine ist ihm fremd gewesen. Vielleicht kommt diese Affinität dazu, auch aus den hunderten von gähnend langweiligen Opernaufführungen die ich in den letzten Jahren erlebt habe. Da es heute offenkundig schon ausreicht, eine Partie zu bewältigen. Die identifikatorische Dimension muß da unter der Last der Anforderungen zumeist auf der Strecke bleiben.


    Und natürlich greift, wer eine Belcanto-Gralserzählung sucht, eher zu Konya, Urlus oder Völker.


    Liebe Grüße


    Gino

    Zitat

    Original von observator
    "angesichts des todes ist alles lächerlich."


    Ja, das stammt von ihm! :yes:


    Dieser Ausspruch ist in seiner Banalität und Allgemeingültigkeit fast schon wieder anrührend.

    Zitat

    Original von bubba
    Ah, da freue ich mich doch als ein gerade den Zauberberg lesender Thomas Mann Verehrer auf eine völlig sinnlose Diskussion, in welcher mir irgendwie bewiesen werden soll, dass Thomas Mann *besser* als Thomas Bernhard ist.
    Man vergleiche nie Äpfel mit Birnen oder Karl Amadeus Hartmann mit Johann Sebastian Bach. :baeh01: :yes: :D ;)
    Man sieht sich


    Hallo Bubba,


    Sehr schön! Wenn wir uns einig sind, daß Du Hartmann an die Seite Thomas Bernhards stellst und Bach an die von Thomas Mann, erübrigt sich in der Tat jede weitere Diskussion. :D


    Aber im Ernst. Unser Dissens bezieht sich keinesfalls auf die intellektuelle, epische Tragweite seiner Prosa, vielmehr auf seine Sprache. Um es gleich zu sagen: Bei Bernhard herrscht eine vollkommene Synthese von Form und Inhalt. Die Sprache ist bei ihm - so sollte es sein - Ausdruck und Rückversicherung für sein jedes andere Motiv verdunkelndes ("überstrahlendes" wäre hier fehl am Platze) Hauptthema. Der Tod. Es sind die Abgründe des Lebens, die düsteren, unheilvollen Dinge, die ihn reizen, die alle seine Werke fast manisch durchziehen. Hier spielt auch immer Misanthropie eine Rolle. Eben dies alles nimmt seine Sprache auf. In ihr schwingt immer etwas unfertiges, suchendes, letztlich gefährdetes und daher anfechtbares mit. Schön ist diese Sprache nie, sie soll es auch nicht sein.


    Dies ist ihm nachzurühmen und auf der Habenseite zu verbuchen. Vieles was aber so abgründig-intellektuell daher kommt, etwa auf eine Dechiffrierungen wartend, erweist sich bei näherem hinsehen als kunstvoll montierte Binsenweisheit. Um die Faszinationen und Gefahren des Todes zu schmecken, bedarf es keines Thomas Bernhard. Dann muß auch seine Sprache kapitulieren. Nur ein Beispiel, welches mir in dem letzten Werk Bernhards was ich las ("Watten") negativ aufstieß:


    "Diese jungen Menschen habe ich gelehrt, wie man eine Welt, die vernichtet gehört, vernichtet, aber sie haben nicht die Welt vernichtet, die vernichtet gehört, sondern haben mich, der ich sie gelehrt habe, wie man die Welt, die vernichtet gehört, vernichtet, vernichtet."


    Welch’ qualvolle Sprache. Ein typischer Bernhard. Einen Satz, den man euphemistisch als Taschenspielertrick bezeichnen könnte, meint man es weniger gut, als manieriertes, äußerliches Geschwätz.


    Das ist es, was ich Bernhard vorwerfe. Seine subversive Lust daran, Sprache zu zerstören. Ihr den inhärenten Vermittlungsauftrag zu entziehen und sie gleichsam zum integralen Bestandteil seiner Weltmüdigkeit zu machen.


    Liebe Grüße


    Gino Poosch

    Zitat

    Original von bubba
    Thomas Bernhard ist NEBEN Thomas Mann der größte Sprachvirtuose des 20 Jh.


    :motz:


    Also, hierfür befinde ich Dich der Majestätsbeleidigung für schuldig. :D
    Und das im Thomas Mann-Jahr 2005. Hast Du ein Glück, daß ich heute früher schlafen gehe. Aber morgen werde ich dem etwas entgegensetzten...


    :beatnik:


    Gute Nacht und liebe Grüße


    Gino

    Hallo,


    obwohl es wirklich viele Autoren gibt, die mir näher stehen:


    Ich rate zu:
    "Alte Meister"
    "Holzfällen"
    "Wittgensteins Neffe"
    und seiner autobiographischen Prosa


    Vorgennante Werke sind wirklich großartig, vieles an seiner Sprache ist mir jedoch unangenehm. Sie ist oft unnötig umständlich (was die von Thomas Mann auch ist, jedoch mit entwaffnendem Gewinn), hölzern und unmelodisch. Allein die fast krankhaften Wiederholungen einzelner Termini, erscheinen mir doch häufig äußerst manieriert.


    Dennoch: Einer der größten deutschsprachigen Autoren des letzten Jahrhunderts, den ich eher wegen seiner Gedanken als wegen seiner Sprache schätze.


    Liebe Grüße


    Gino

    Zitat

    Original von Norbert
    zugegeben, nur eine Nuance, aber eine sehr interessante imo:
    Du erwähnst "Sie hat mich nie geliebt", wohl zweifelsfrei aus "Don Carlo(s)" von Verdi.


    Wenn ich in der gesamten Arie die Verzweiflung des Filippo (Philippe)II erfahren möchte, bin ich diesebzüglich erheblich näher in der italienischen Arie "Ella giammai m'amo" als in der französichen Erstversion "elle ne m'aime pas", was wörtlich übersetzt "sie liebt mich nicht" bedeutet und somit einen nicht unerheblichen Unterschied zur italienischen Fassung und zur deutschen Übersetzung bedeutet.


    Allgemein: Idiomatisch oder auch phonetisch mag das Original der Intention des Komponisten (in Symbiose mit dem Librettisten) am ehesten entsprechen-wobei, wo setzt man im "Don Carlo(s)" an?


    Hallo Norbert,


    ich bin was "Ella giammai m'amo" im Gegensatz zur französischen Fassung betrifft, ganz Deiner Meinung. Ich gehe sogar noch weiter und riskiere die Wut einiger Puristen auf mich zu ziehen. Zwar besitze ich die eine oder andere französische Produktion (z.B. die Urfassung unter Matheson von der BBC mit der himmelstürmenden Edith Tremblay als Elisabeth), doch kann mich keine so sehr anrühren wie die 5-aktige Modenafassung. Ich habe diese Oper immer als Don Carlo mehr geliebt, denn als Don Carlos. Ich kann mir nicht helfen, daß französische Idiom verleiht dem Werk etwas reserviertes - wenn man so will - höfisches. Dies mag zwar passend sein, nur schafft es eben Distanz. Für mich ein gutes Beispiel, wie sehr Sprache und deren Klang Einfluß auf die Wirkung haben.


    Ganz großartig hat übrigens Gottlob Frick "Sie hat mich nie geliebt" gesungen.


    Nur am Rande:
    Sicher ist diese Arie ein Höhepunkt der Oper, doch Schiller hat eine solche Szene nie vorgesehen. Im Kontext zu Schillers Karlos gefällt mir das auch sehr gut. Wieviel eindringlicher ist doch der Ausspruch vor den Gemächern: "Der König hat geweint". Diese Simplizität übertrifft für mich alles denkbare Wehklagen. Ich war, als ich dies das erste Mal las, tief erschüttert. Ach, Schiller ist schon ein Gott. :jubel: :jubel: :jubel:


    Liebe Grüße


    Gino

    Zitat

    Original von sagitt
    Die aufgeführten Beispiele Cebotari und andere zählen nicht, denn das ist ja keine gesamte Oper


    sagitt:


    Das ist zwar im Falle von Maria Cebotari richtig, aber der deutsche Macbeth mit Mödl und Metternich von 1950 unter Keilberth ist sehr wohl komplett, und mir trotz der Sprache um einiges lieber, als so manche italienische Produktion.


    Worauf ich damit hinweisen wollte, daß ein engagierter Sänger in der "falschen" Sprache oft werkadäquater singt, als ein schlechter, routinierter in der Originalsprache.


    Übrigens: Von Maria Cebotari gibt es zwar keine komplette Boheme, aber durchaus schöne andere Komplettaufnahmen in deutscher Sprache, die ich auch vielen anderen vorziehen würde. So z.B. ihre tolle Luisa Miller von 1943 aus Dresden unter Karl Elmendorff.


    Grüße, Gino

    Hallo,


    schaut man auf die Rückseite des Karajan-Holländers bei EMI, könnte man meinen der Steurmann sei die einzige Tenorpartie. Keine Erwähnung von Peter Hofmann in der viel westenlicheren Partie des Erik. Vielleicht wollte die EMI damit ihre Wertschätzung für Hofmann zum Ausdruck bringen... :stumm:



    Grüße


    Gino

    Zitat

    Original von Cosima
    Irgendwo las ich einmal, dass die 2. Sinfonie besonders ansprechend sein soll – mit dieser werde ich also beginnen.


    Hallo Cosima,


    mit der zweiten zu beginnen halte ich für eine gute Idee. Sie ist sicher der zugänglichste, melodische üppigste Sinfonie von Ives. Der Komponist verarbeitet hier genial einige typisch amerikanische Melodien wie z.B. "America the Beautiful". Sehr witzig wie er im Finale das Blech "Columbia the Gem of the Ocean" intonieren läßt, während der Rest des Orchester einen wüsten "Dissonanzenbrei" spielt.


    Wenn Du Dir die zweite erobert hast, mach mit der dritten weiter. Seiner besten, wie ich finde.


    Ich bin übrigens für Bernstein! :stumm:


    Grüße


    Gino

    Hallo,


    selbstredend bin ich im Normalfall für die Originalsprache. Hier in Berlin ärgere ich mich deswegen seit Jahren über die bereits erwähnte Komische Oper mit ihren zum Teil holprigen Übersetzungen. Bis vor kurzem hatte dieses Haus jedoch zwei großartige, anrührende Harry Kupfer-Inszenierungen von "Figaro" und "La Boheme" im Repertoire, die ich für so gelungen und mustergültig hielt, daß die deutsche Sprache mich nur wenig störte. Wie Kupfer zum Beispiel am Ende der Boheme Mimi regungslos von Stuhl sacken lies, ist ganz große Regiekunst gewesen.
    Neuerliche Inszenierungen und Übersetzungen wie z.B. der Boris Godunow (ich erlebte noch Martha Mödl als Amme) hingegen, sind weit weniger anrührend und deutlich störend gewesen.


    Am ungeeignetsten für eine deutsche Übersetzung scheinen mir aber die Opern Leos Janáceks zu sein. Seine sehr eigene Melodik und Harmonik sind tief in der tschechischen Sprache verwurzelt, Modulation und Rhythmus sind nicht übertragbar.


    Was Verdi betrifft, gibt es in meinen Augen einige sehr nette, heute freilich vergessene Franz Werfel Übertragungen ins Deutsche, die durchaus lohnen. Und wenn die schon erwähnte Martha Mödl als Lady Macbeth "Komm, das ich reize dein träges Blut" begnadet und außerordentlich singt, ist das allemal ein weit größerer Gewinn als Gwyneth Jones "Vieni! t'affretta!" keifen zu hören. Wenn der große Josef Metternich neben ihr ein subtiles Seelengemälde des Macbeth entwirft, möchte man, trotz deutscher Sprache, nie wieder Leo Nucci ertragen müßen.


    Singt Lauritz Melchior "Hüll' dich in Tand nur" oder Othellos "Gott! Warum hast du gehäuft dieses Elend", disqualifiziert er damit - trotz deutscher Sprache - alle anderen Aufnahmen dieser beiden Stücke. Wer verlangt nach dem originalen Text wenn Maria Cebotari "Man nennt mich jetzt nur Mimi" vergoldet, wer, wenn Alexander Kipnis "Sie hat mich nie geliebt" schmerztrunken und balsamtisch intoniert? Wenn schließlich Frida Leider "Du kennst nun den Frevler" statt "Or sai chi l'onore", oder Aidas "Als Sieger kehre heim" singt, wagt keiner mehr die Frage nach dem Original zu stellen.


    Viele weitere Beispiele könnte man nennen.


    Liebe Grüße


    Gino

    Wie wenige andere Heldentenöre des letzten Jahrhunderts polarisiert Max Lorenz Verehrer und Verächter seiner Kunst. Der 1901 in Düsseldorf geborene Tenor konnte trotz Auftritten in New York, London und an der Scala nie die Karriere machen, die seiner Befähigung entsprochen hätte, nicht zuletzt weil der Zenit seines Könnens mit dem Zweiten Weltkrieg einher ging. Als Ensemblemitglied war er im Laufe seiner Karriere in Dresden, Berlin, Wien und New York engagiert (1947 – 50). Er sang neben allen wichtigen Wagnerpartien, zahlreiche denkwürdige Uraufführungen, viele Strausspartien, den Palestrina und einiges aus dem heroischen italienischen Fach (Othello, Alvaro, Radames). Während des Krieges blieb er in Deutschland, war aber wegen der Hochzeit mir einer Jüdin ähnlich wie Frida Leider zahlreichen Repressalien ausgesetzt.



    Einige heutige Hörer finden seinen theatralischen Stil antiquiert und überspannt, andere rühmen seine Wahrhaftigkeit, die geradezu modern wirkt. Genau wie Jon Vickers beeindruckt Lorenz nicht durch die Schönheit seiner Stimme, nicht durch sein Prachttimbre. Es ist das genuine, schmerzliche Pathos seiner Auffassung, daß den Hörer unmittelbar anrührt und in den Bann schlägt. Er geht zuweilen soweit, auf die richtige Intonation und korrektes rhythmisches Timing zu verzichten, erscheinen ihm diese Maßnahmen im Sinne der Wahrhaftigkeit. Im Dienst der Worte scheut er auch vor außermusikalischer Rhetorik nicht zurück, verlässt nicht selten vorsätzlich die Gesangslinie im Dienste des Ausdrucks, ja, verfehlt denselben auch schon mal. Doch, um es mit einem auf die Callas gemünzten Wort von Ingeborg Bachmann zu sagen, er „kann einen Ausdruck verfehlen, weil [er] weiß, was Ausdruck überhaupt ist“. Er ist dadurch auch so etwas wie der Antipode zu Lauritz Melchior, der trotz ungleich prächtigeren Materials musikalisch keineswegs korrekter, jedoch nicht selten lethargisch und routinierter singt.


    Wem Lorenz’ Initiative zu weit geht, sei zumindest an Richard Wagners Aufsatz „Über Schauspieler und Sänger“ erinnert. Hier schreibt der Komponist: „Unser ganzes Dichter- und Komponistenschaffen ist nur Wollen nicht aber Können: erst die Darstellung ist das Können – die Kunst“. Der „eigentliche Kunstanteil bei Theateraufführungen“ müsse „den Darstellern zugesprochen werden“.


    In seinem Artikel über Max Lorenz im Rahmen seines Werkes „Die großen Sänger“ stellt Jürgen Kesting richtigerweise fest, der Sänger werde „hierzulande weitaus höher eingeschätzt als im angelsächsischen Sprachraum“, bleibt aber die Erklärung für dieses Phänomen schuldig. Lorenz beeindruckt durch seine differenzierte Wortartikulation, den deklamatorischen Stil, die Prägnanz der Formung und seine überdeutliche, zuweilen schneidende Diktion. Solcherlei Meriten können einleuchtenderweise von Rezipienten mit deutscher Muttersprache am stärksten wahrgenommen werden – ebenso wie in dem aktuellen Fall von Domingos Tristan dessen idiomatische Grenzen in unserem Sprachraum auch am schwersten wiegen.


    Seine oft brillante Höhe steht zuweilen matteren tiefen Tönen gegenüber. Das helle Timbre (Verächter behaupten, es sei eher weiß) beweist, daß es sich bei seiner Stimme um einen echten Tenor und keine hochgezogene Baritonstimme handelte. Wer Lorenz im Zuge seines zweifellos stark vom gesungenen Wort geprägten Stils leichtfertig jegliche italienische Schulung absprechen möchte, höre das absolut perfekte Legato in seiner Aufnahme der Alvaro-Arie aus "La Forza del Destino" oder Tristans unvergleichlich anrührend gesungenen Traum von Isolde auf dem nahenden Schiff. Dieser kulminiert in der großartigen, für meine Begriffe unerreichten Färbung der Worte „Ach, Isolde, wie schön bist Du?“.



    Ohnehin steht sein Tristan für mich allein auf weiter Flur und wird bestenfalls von Jon Vickers erreicht, nicht jedoch übertroffen. In Passagen wie „Es naht! Es naht! Mit mutiger Hast! Sie weht! Sie weht! Die Flagge am Mast“ erreicht er eine Emphase, die ihn über alle (sic!) Rollenkollegen stellt. „Wie, hör' ich das Licht? Die Leuchte, ha!“ ist nun bereits kein Gesang mehr, viel eher ein schon metaphysisches letztes Aufbäumen eines dem Jenseits gehörenden Geschöpfs. Daß die lyrischen Momente der Partie, wie das Liebesduett des zweiten Aktes von Melchior, Vickers und einigen anderen Tenören verinnerlichter und damit adäquater gesungen werden, schmälert diese Leistung nur gering. Die Aufnahme unter Robert Heger ist denen unter Schmidt-Isserstedt und De Sabata deutlich vorzuziehen, da Lorenz in vorletzter indisponiert und heiser klingt und bei letzterer der Klang des Scala-Mitschnittes von 1951 selbst von Connaisseurs schlecht goutiert werden kann.


    Lächerlicherweise attestiert Jens Malte Fischer Lorenz’ Stil „etwas Blitzkrieghaftes“ und versucht damit Hitlers Affinität zu dem Sänger während des dritten Reiches zu erklären und eine besondere Tauglichkeit für die NS-Ideologie nachzuweisen (wobei Fischer richtigerweise – das muß auch gesagt werden – Lorenz jede Neigung in diese Richtung abspricht). In Wahrheit waren Hitler und seine Gefolgschaft weit weniger an Lorenz interessiert als heutzutage zuweilen behauptet wird. Vielmehr war sein Einsatz in Bayreuth eine für die Machthaber unangenehme Notwendigkeit, die aus Ermangelung an befähigten Alternativen entstand. So merkt Joseph Goebbels im Juli 1933 in seinem Tagebuch über den Tenor an: „Lorenz als Siegfried unmöglich. Da ist das alles in Berlin viel besser. Keine heroische Auffassung.“.
    So wollte Hitler 1934 nachdem er nicht zuletzt Röhms Homosexualität als Rechtfertigung für seinen Umgang mit dem „Röhm-Putsch“ gebrauchte, Max Lorenz sogar von den Bayreuther Festspielen ausschließen, als dieser, so berichtet Wolfgang Wagner, in eindeutiger Situation erwischt wurde. Winifred musste wohl sogar mit der Schließung Bayreuths drohen („Ohne Lorenz kann ich Bayreuth nicht machen") um Hitler zu besänftigen.



    Zurück zur Musik:
    Von Lorenz’ außergewöhnlicher Fähigkeit, den Sinngehalt der gesungenen Worte zu illuminieren, profitiert in besonderem Maße auch sein Tannhäuser und Siegmund. In erster Partie ist er leider nicht komplett, sondern nur in Auszügen dokumentiert und wird in dieser Rolle bestenfalls von Ernst Gruber (hier mehr über ihn) übertroffen. Keiner spottet im 2. Akt so provokant, so wollüstig wie er. Keiner, vermittelt den endgültig vom Glauben abgefallenen Tannhäuser des dritten Aktes so eindringlich, fast neurotisch. Bei „Da ekelte mich der holde Sang“ muß er sich nicht wie Wolfgang Windgassen, schreiend entäußern um ebenso nachdrücklich zu wirken.

    Deutlich besser ist sein Siegmund dokumentiert. Absolut konkurrenzlos und bestenfalls von Melchior, Suthaus und Vickers erreicht, ist der erste Walküre-Akt („Siegmund, den Wälsung siehst du Weib“!!!). Nur in der Todesverkündigung scheint mir Vickers deutlich vor Lorenz angesiedelt zu sein. Der zurückgenommene, kontemplative Beginn liegt dem Kanadier besser.


    Eine Offenbarung auch der deutsche gesungene Monolog und Tod des Othello. Die Worte „Gott! Warum hast du gehäuft, dieses Elend“ hat nur Lauritz Melchior großartiger eingefärbt. In Othellos Tod dann ist man fassungslos bei den Worten „Kalt, liebliches Kind, wie die Keuschheit“. Unglaublich.


    Bajazzos „Hüll’ dich in Tand“ und das bereits erwähnte „Die Welt ist nur ein Traum“ Alvaros beweisen, dass ein großartiger Sänger selbst die geschmäcklerischsten deutschen Verdi-Übersetzungen zu sublimieren vermag.


    Recht spät, aber nicht minder beeindruckend sein Radames in einer Aida-Produktion des Hessischen Rundfunks von 1952. Neben einer überraschend sicheren und befriedigen Aida Annelies Kuppers (ihre unstete, zuweilen desolate Senta unter Fricsay klingt noch im Ohr) singt Lorenz einen recht robusten aber feurigen Liebhaber. Sein vibrierender Auftritt im Nilakt ("Ich seh’ dich wieder, meine Aida") rückt das nachfolgende Duett in die Nähe des euphorisch-emphatischen Beginns des Tristan/Isolde-Liebesduettes. Wer Lorenz noch frischer hören will, greift zu der Duettaufnahme von 1930 neben Else Gentner-Fischer.



    Beeindruckend auch sein Ägisth und besonders sein Bacchus ("bis du auch eine Zauberin") neben der großartigen Maria Reining.


    Es soll nicht verschwiegen werden, daß Stolzing und Lohengrin sicher nicht seine größten Wagnerpartien waren. Hierfür fehlte es seiner Stimme an Wärme, Rundung und lyrischem Schmelz. Beides indes Partien die man vielleicht auch nicht unbedingt mit Luwig Suthaus identifizieren würde.


    Für mich ist Max Lorenz kein anachronistischer Heldentenor von Gestern, sondern wie nahezu kein zweiter Sänger des letzten Jahrhunderts, ein unbeirrbarer Sucher nach Wahrhaftigkeit.


    Hoffentlich habe ich genug Kontroverses geäußert, um bei Euch auf Widerspruch zu stoßen. Eine lebhafte Diskussion würde mich freuen.


    Liebe Grüße


    Gino Poosch