Hier meine Einschätzung zum neu erschienen Pappano-Tristan:
Vorweg: Erfreulicherweise hält man mit diesem Tristan eine Gesamtaufnahme in den Händen, die keinen einzigen künstlerischen Totalausfall dokumentiert, womit sie schon die Hälfte der sich im Katalog befindlichen Aufnahmen hinter sich läßt. So kranken die neueren Produktionen an mindestens einer desolaten Sängerleistung. Bei Carlos Kleiber bringt Fischer-Dieskau die Aufnahme ins Ungleichgewicht, bei Barenboim ist es, und das wiegt schwerer, Siegfried Jerusalems bemühter Tristan.
So erweist sich die als "letzte große Opernstudioproduktion" angekündigte Einspielung, durchaus als sorgfältig produzierte Bereicherung der Diskographie. Man möchte fast wehmütig werden, bedenkt man das Peter Alward, ein Mann mit unbestechlichem Anspruch, der auch diese Aufnahme auf Domingos Wunsch ermöglichte, nun nicht mehr bei EMI tätig ist. Womit diesem Unternehmen nicht weniger als der Verlust eines individuellen Profils droht.
Absolutes Plus der Produktion ist Antonio Pappanos grandioses Dirigat. Was ihm der Widmungsträger dieser Aufnahme, Carlos Kleiber, an sensualistisch-verklärter Lesart voraus hat, macht Pappano mit untrüglichem Instinkt für Steigerungen (Liebesduett!) und dramatische Eruptionen wieder wett. Natürlich leuchten die Streicher des Covent Garden Opernorchesters im Vorspiel nicht ebenso himmlisch wie die der Berliner Philharmoniker unter Karajan. Was aber das Wichtigste ist: Nie droht das Werk in einzelne Passagen des Wohlklanges auseinanderzubrechen, nie hangelt sie Pappano von einem Highlight zum anderen, sondern vermag von den ersten Tönen des Vorspiels bis zum Liebestod einen sinnvollen Bogen zu spannen. Das Drama findet bei ihm ebenso im Orchester statt.
Viel wurde lamentiert darüber, dass „der alte Mann“ Placido Domingo sich jetzt auch noch an dem Tristan versuchen müsse. Ob dies nun eine selbstverliebte Krönung seiner sängerischen Ausnahmekarriere sein solle, fragten viele. Ob hier jemand mit den letzten Resten seiner Stimme etwas versuche, was er auf der Bühne ohnehin nie fertig brächte. Um dort gleich anzusetzen: Domingos unverwechselbarer Tenor klingt gesünder als alle Tristane der digitalen Schalplattenära (Kollo, Hofmann, Jerusalem). Seine Höhe und sein Legato sind unangefochtener als bei vielen Rollenvorgängern. Was für alle Wagnerpartien des Sängers gilt, schlägt auch hier zu Buche. Auf der einen Seite: Die Probleme mit dem Idiom mögen geringfügig besser geworden sein, sind aber nach wie vor eklatant. Schnelle, silbische Passagen, die artikulatorische Prägnanz verlangen, gelingen dem Sänger noch immer nicht. So es heißt dann im Finale des 1. Aktes schon mal „seligstes Frau“, im 3. Akt „wann endlich wann, ich wann löschest Du die Zünde?“ (statt „ach wann“). Auf der anderen Seite versöhnt er mit zartesten Lyrismen, wie dem betörend gesungenem „Ein Bild das meine Augen zu schauen, sich nicht getrauten“, oder der schier sensationell sanften Formung der Worte „Göttlich ew’ges Urvergessen“. Keinesfalls unbeteiligt wirkt er auch im dritten Akt, so bei „Verflucht sei furchtbarer Trank“, obwohl er nie die unbedingte Ausdruckslust eines Max Lorenz oder Jon Vickers zeigt. Kontrollierte Ekstase. Sicher, er hat seine größten Momente in den innigen, elegischen Passagen, ohne jedoch, wie etwa Robert Dean Smith jüngst in Bayreuth, vor den dramatischen Anforderungen kapitulieren zu müssen. Respekt für einen Sänger der es nicht nötig hat, die Tatsache, daß er sich im siebenten Lebensjahrzehnt befindet, als Rabatt in Anschlag zu bringen.
Die kritischen Worte der vergangenen Wochen über Nina Stemme stammen zumeist von Menschen, die die epochale Darstellung der Isolde durch Birgit Nilsson noch heute als einzig Seligmachende verehren. Dieser Vergleich ist nicht nur aufgrund der vollkommen verschiedenen Stimmphysiognomien absolut töricht. Wer käme auf die Idee Maria Callas’ Lucia di Lammermoor-Porträt mit dem von Lina Pagliughi zu vergleichen? Hier wie da finden sich zwei völlig differierende Darstellungen, die dennoch beide Existenzberechtigung haben. Nina Stemme verfügt über einiges Metall, aber ganz sicher nicht über einen hochdramatischen Sopran. Sie besticht mit ihrer über alle Register ausgeglichenen und gut verbundenen Stimme. Ihre Höhe ist ebenso präsent wie die tiefen Töne. Die Stimme bleibt auch in zurückgenommen Passagen tragfähig und veredelt so zentrale Stellen wie „Er sah mir in die Augen. Seines Elendes jammerte mich!“. Wo vonnöten, trumpft sie heftig auf („Dein Werk? O tör’ge Magd!“), verfällt aber trotz aller Eindringlichkeit nie in außermusikalische Rhetorik. Was Jürgen Kesting in seiner FAZ-Kritik als „gepresste Phonation“ geißelt, höre ich als nachdrückliches Singen mit der Hand auf dem Herzen. Die von mir als Schauspielerin hochverehrte Waltraud Meier mag das imaginativere Porträt liefern, stimmlich ist ihr Nina Stemme weit überlegen. Für mich die Isolde unsere Tage.
Absoluten Referenzcharakter besitzt der Marke von René Pape. So balsamtisch hat dies in neuerer Zeit höchstens Kurt Moll, etwas früher vielleicht Karl Ridderbusch gesungen. Man kann sich seinen Monolog schwerlich besser vorstellen. Wundervoll, der aristokratische, noble Tonfall, der schmerzliche Ausdruck, das sichere Legato. „Da kinderlos einst schwand sein Weib“ ist in seiner schmerzlichen Abtönung unübertrefflich.
Sehr viel Stimme bringt auch Mihoko Fujimura für die Brangäne mit. Das dunkle, aber jugendliche Timbre besitzt Seltenheitswert. Zu Beginn des 2. Aktes läuft die Sängerin zu absoluter Hochform auf („Was mir ihn verdächtig, macht Dir ihn teuer!“). Vielleicht hat einzig Christa Ludwig die Brangäne auf einem höheren Niveau gesungen.
Etwas problematischer ist es um den Kurwenal von Olaf Bär bestellt. Dem verdienstvollen Sänger ermangelt es für diese Partie an der nötigen Kernigkeit und Virilität des Organs, worunter auf Dauer die Glaubwürdigkeit Kurwenals leidet. Hier wird nicht weniger als korrekt gesungen, aber auch nicht mehr. Für den Künstler bleibt zu hoffen, daß der eingeschlagene Weg nicht in der Sackgasse endet, aus der sich Andreas Schmidt nun nicht mehr herauszufinden vermag.
Die Besetzung des Hirten mit Ian Bostridge ist verschwenderischer Luxus. Ebenso der junge Seemann von Rolando Villazón. Man fragt sich, auch angesichts seines Steuermanns im Barenboim-Holländer, wann man diese Partien jemals so erotisch-frivol gehört hat. Großartig.
Jared Holt und Matthew Rose komplettieren als Bariton-Melot und Steuermann.
Das Klangbild der Aufnahme ist sehr plastisch, Stimmen und Orchester sind gut positioniert.
Vielleicht kein Tristan für die einsame Insel, aber sicher eine spannende Ergänzung des Katalogs.