Hallo,
ich möchte nicht alles wiederholen, da vieles wichtige und richtige hier bereits gesagt wurde. Vielen Dank besonders an Theophilus für die Analyse, der ich mich vorbehaltlos anschließe.
Das der gestrige Abend ein Erfolg für Anna Netrebko war, wird niemand ernstlich bestreiten können. "Angeekelt" und "Abgestoßen" mögen viele von der Popstar-nahen Vermarktung ihrer Person sein. Oft sind es jene, die meinen, keinen Namen zu haben, sei bereits ein Qualitätsmerkmal. Sicher gibt es unter den heutigen Sängern nicht wenige, deren guter Ruf nicht eben Entsprechung in deren Leistungen findet. Doch Sexappeal alleine reicht für eine Karriere wie die Anna Netrebkos nicht aus. Auf ihren beiden Opernrecitals konnte auch ich nichts Weltbewegendes entdecken, einiges ist gelungen, anderes weniger.
Verglich man jedoch ihre gestrige Violetta, mit der ebenfalls in dieser Partie hochgelobten Andrea Rost wird schnell deutlich, daß letztgenannte mit dem Vorwurf überschätzt zu sein, weit eher getroffen werden kann. Die Stimme der Russin ist technisch gut durchgebildet, die Register schön verblendet. Anders als andere Stimmen slawischer Prägung hat ihr Sopran weder die Neigung zu ausgeprägtem Vibrato noch den oft ordinären Tonfall. Sicher, "Sempre Libera" läßt sich eloquenter auszieren, die Konfrontation mit Germont mit mehr Emphase gestallten. Doch was viel wichtiger ist: man erlebte gestern einen Menschen auf der Bühne, kein artifizielles Kunstprodukt. Allein die eindrucksvolle Rezitation des Briefes vor "Addio, del passato", zeigt sie auf dem Weg zu einer Tragödin. Lobenswert auch wie sie innerhalb (sic!) der musikalischen Rhetorik zu gestallten weiß. Der matte Ton ihrer letzten Arie, erscheint weit eindrucksvoller als alles schluchzen und tränenträchtiges deklamieren einiger Rollenvorgängerinnen. Alles sicher weder Grund zu euphorischem Jubel, noch zur Kür einer neuen Callas, ganz sicher aber keiner zur Verachtung einer jungen, hoffnungsvollen Sängerin, der ihre Schönheit nicht zum Vorwurf gemacht werden sollte.
Rolando Villazzon bewies auch gestern, was ich hier in Berlin seit Jahren zu schätzen gelernt habe. Der unprätentiöse und sympathische Tenor verbindet Spielfreude und jugendlich-draufgängerische Energie mit einer Qualitätsstimme erster Güte, dessen Timbre sicher Geschmacksache ist. Das er durchaus auch ein eindrucksvolles c in alto am Ende von „Oh mio rimorso!“ zu singen vermag, hat er nicht nur in der Friedrich-Produktion an der Deutschen Oper bewiesen, sondern zeigt er auch übermütig-unbekümmert in einem Probenmitschnitt aus Salzburg.
Thomas Hampson verfügt ohne Zweifel über große Intelligenz und ebensoviel Material. Die schamlose Exponierung beider Meriten hat mich oft irritiert. Gestern allerdings fügte er sich in Deckers Konzept, verzichtet auf bedingungsloses Schwelgen und wird so Bestandteil des erfolgreichen Dreiergespanns. Das er sich bei „Di sprezzo degno sé stesso rende“ hoffnungslos entäußert, kann den positiven Eindruck nur wenig trüben.
Rizzis Dirigat war bestenfalls eine vernünftige Sängerbegleitung, aber sicher alles andere als Festspielwürdig. Wehmütiges Gedenken an Patané und Viotti wird wach.
Deckers Regie lebt von der Personenführung und leidet unter allzu plakativer Symbolik. Hier fechtet jemand ununterbrochen mit dem Zaunpfahl, wo das Florett genügt hätte. Am stärksten wirkt das letzte Bild durch die Reduktion auf das Wesentliche.
Liebe Grüße
Gino