Ernst Gruber war einer der ganz großen, heute leider nahezu vergessenen Wagnersänger des letzten Jahrhunderts. Sein Heldentenor verband eine baritonal gefärbte, metallische, in der Höhe potente Stimme, mit einer existenziellen, von großer Expressivität durchdrungenen Rolleninterpretation, die ihn mit Tenören wie Jon Vickers, Max Lorenz oder Ramon Vinay in eine Reihe stellt. Im Gegensatz zu den Vorgenannten ist der Sänger jedoch heute bestenfalls den Gesangsenthusiasten ein Begriff. Zwei Ausgrabungen des wichtigen Labels Ponto/Mitridate machen Hoffnung, dass Gruber posthum die Ehre zuteil wird, die ihm gebührt.
Biographfisches:
Ernst Gruber wird am 20.12.1918 in Wien geboren. Nach seinem Studium bei Karl Rössl-Majdan und Hans Depter debütiert er 1947 in Graz als Max im „Freischütz“. Hermann Abendroth engagiert ihn 1949 nach Weimar. Ab 1953 tritt er in Leipzig und Dresden als Heldentenor in Erscheinung. Seit 1964 ist er Mitglied des Ensembles der Berliner Staatsoper. Immer wieder führen Gruber Gastspiele nach Barcelona, Lissabon, Amsterdam, Budapest und die USA. Neben den großen Wagnerpartien brilliert er als Otello, Radames und Florestan (144-mal!). Das er neben dem schweren Fach auch 71-mal den Tamino sang, zeigt seine Vielseitigkeit und erinnert auch an Wolfgang
Windgassen.
Außer einige bis dato unveröffentlichte Rundfunkaufnahmen aus Leipzig und Berlin war bisher nur ein Prager „Meistersinger“-Querschnitt greifbar. Auch der „Steiger“ verzeichnet keine einzige Gesamtaufnahme. Eine geplante „Tristan“-Plattenproduktion unter Franz Konwitschny neben Hanne-Lore Kuhse scheiterte am plötzlichen Tod des Dirigenten.
Umso willkommener und fast an ein Wunder grenzend, die Veröffentlichung eines „Tristan“-Mitschnittes aus Philadelphia von 1967. Dieses Gastspiel wurde damals von Friedelind Wagner initiiert. Neben Gruber erwecken besagte Hanne-Lore Kuhse, Blanche Thebom und vor allem der Kurwenal von Ramon Vinay (hier nach seinem Ausflug ins Tenorfach wieder als Bariton) Interesse. Und dies trotz des wirklich grauenhaften Dirigats von William Smith und des defizitären Orchesters.
Das Zusammentreffen von Gruber und Vinay im dritten Akt, ist das zweier Titanen und sie schenken sich nichts. Wo andere Sänger sich mit der Bewältigung der musikalischen Anforderungen aufhalten und nicht selten scheitern, gelingt Gruber ein großes Portrait, was in seiner Wirkung bestenfalls in den Aufführungen von Lorenz, Vickers oder Suthaus (weniger in der EMI-Produktion, eher 1947 im Berliner Admiralspalast) seine Entsprechung findet.
Auch wegen der Kuhse ist dieser Mitschnitt einer der wichtigsten Veröffentlichungen der letzten Jahre. Die Sängerin die einst als Königin der Nacht begonnen hatte, ist Diskographisch nur unwesentlich besser dokumentiert als Gruber. Hier zu empfehlen wären „Tiefland“ und ein deutsch gesungener „Radamisto“ (beides „Berlin Classics“). Die recht blonde Simme der Kuhse macht aus der Isolde keine matronenhafte Dame, sondern eine junge, reizvolle Frau, hierin Catarina Ligendza nicht unähnlich.
Grubers Heldentenor ist auch auf einer 3CD Portrait Box von Ponto zu hören und klingt hier in seiner Vielseitigkeit vielleicht noch Eindrucksvoller. Ohne Grenzen in Otellos Auftritt, mit grandioser Ausladung und feiner Differenziertheit in Siegmunds „Ein Schwert verhieß mir der Vater“ und furios in Szene und Kavatine des Erik (neben Ludmila Dvorakova). Überhaupt versteht man beim ihm jedes gesungene Wort. Dieser deklamatorische Stil lässt ihn in großer Tradition zu den Wagnersängern alter Schule erscheinen, seine menschliche Durchdringung der Partien macht ihn aber gleichsam zu einem modernen Sänger.
Bei den ersten Worten von Florestans Auftritt („Gott! Welch Dunkel hier!“) attestiert man, dies lediglich von Julius Patzak und Jon Vickers in dieser Form gehört zu haben. Feinstes Legato dann in der Arie und nicht die geringsten Probleme mit Tempo und Tessitura-Hürden des Poco allegro-Endes.
Als Tannhäuser übertrifft er für mich hierdurch alle (sic!) auf Tonträgern dokumentierten Kollegen. Mit Max Lorenz teilt der Sänger das Schicksal auf keiner Gesamtaufnahme als Tannhäuser vertreten zu sein. Lediglich eine Leipziger Rundfunkaufnahme aus 1955 unter Herbert Kegel ist erhalten (u.a. der komplette 2. Akt). Diese nun lässt wirklich keine Wünsche offen. Gruber singt hier mit der Hand auf dem Herzen, provokant und spottend, voll von dramatischem Impetus. Hier steht er Lorenz an Intensität und Engagement in nichts nach, singt aber mit deutlich sicherer Intonation und mehr musikalischem Gespür als der verehrungswürdige Lorenz. Man zeige mir eine einzige Romerzählung wo stimmliches Finish mit dramatischer Wahrhaftigkeit in dieser Weise einhergeht. Ich gäbe für diese Ausschnitte den Großteil meiner Tannhäuser GAs her.
Ernst Gruber starb 1979 - gerade 60jährig – an den Folgen einer eigentlich banalen Operation.
Liebe Grüße
Gino